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Zum Prozeß des Bilderwerbs: Sozialisationsinstanzen

Zum Prozeß des Bilderwerbs: Sozialisationsinstanzen

Wir haben bislang wesentliche Bedingungen der Fremdwahrnehmung, nicht aber den Prozeß des Bilderwerbs diskutiert. Objeklivierbarc Aussagen über diesen Prozeß sind begreiflicherweise noch schwerer zu machen als etwa Feststellungen zu den jeweiligen individualpsychologischen Voraussetzungen oder zur Gruppenspezifik von Bildern. Was hier geleistet werden kann, ist wiederum keine empirisch abgesicherte Analyse, wohl aber die Rekonstruktion von Sozialisationsinstanzen. die den Bilderwerb von Individuen in unterschiedlichem Maße bestimmen. Von fundamentaler Bedeutung ist zunächst die gesellschaftliche Vermiltlungsinslanz der Familie. Hier entstehen nicht nur. wie im Anschluß an Erdheim konstatiert wurde, grundlegende Dispositionen im Verhältnis zum Fremden, hier konkretisieren und modellieren sich im Rahmen der gegebenen historisch-politischen Situation und der Schicht- und milieuspezifischen Bedingungen erstmals auch grundlegende Bildbestände und zugleich Muster des Bilderwerbs. Die Familie prägt Präferenzen für bestimmte Länder aus. übt z.B. durch unterschiedlichen Mediengebrauch oder Urlaubsstile Nähe oder Ferne zum Fremden ein. Mit der sekundären Sozialisation (Schul- und Berufsausbildung, andere außerfamiliäre Bezugsgruppen oder Medien) öffnen sich neue soziale Spielräume, die die Handlungs- und Denkmuster erweitern oder blockieren können.



Fragt man nach der eben erwähnten Vorliebe, die Individuen für bestimmte Länder an den Tag legen, so sind hierfür realistische Motivationen nicht ausschließlich rantwortlich zu machen. In diese Wahl gehen - ganz im Sinne der bereits herausgestellten Bedeutung von unbewußten Anteilen in Fremdbildern - individuelle und gruppenspezifische Stilisierungen und Distinktionsbedürf-nisse ein. Der konnlionalisiertc, imaginäre Grundbestand der Länderbilder bietet für die unterschiedlichen Formen der Selbstdarstellung und sozialen Orientierungen jeweils passende Spiegel. Es handelt sich dabei um sehr rudimentäre, letztlich auf wenige Stimuli und Leitwerte beschränkte Vorstellungen: Warum findet sich der gebildete Deutsche so gern in Athen oder Rom wieder, warum treibt es die Freunde des savoir-vivre immer wieder nach Frankreich, warum rbinden sich mit Aufsliegsorientierungen von etwa technisch oder ökonomisch ausgerichteten Sozialmilieus so regelmäßig positi Amerika-Bilder? Daß solche Wunsch- oder umgekehrt auch Schreckbilder nicht auf realen Begegnungen beruhen müssen und ihnen gegenüber weitgehend resistent sein können, ist hier noch einmal zu betonen.


Aus amerikanischer Perspekti läßt sich vielleicht noch eindringlicher zeigen, wie folgenreich die Sozialisation in der Familie und sozial-kulturellen (d.h. hier auch ethnischen) Milieus in diesem Kontext ist. Über das Familiengedächtnis und materielle Erinnerungsstücke werden z.B. in den deutschstämmigen Familien der USA selekti, keineswegs kohärente Deutschland-Bilder tradiert, deren Funktion kaum in der Vermittlung authentischer Erinnerung an die alte Heimat liegt, sondern weit mehr von der amerikanischen Erfahrung bestimmt wird. Robert Picht (Arbeitspapier für das Tübinger Modell) spricht in diesem Zusammenhang sogar von "Familienmythologien, jenen für das Innenleben von Familien so wichtigen Vorstellungen, die den Deutschland geltenden Erinnerungen ihren Sinn rleihen. Je ferner solche Mythologeme von allen Wirklichkeitsbezügen gerückt sind, desto besser eignen sie sich auch als Versalzstücke für die Imagination, für Traumwelten mit ihrer vielfältigen Ambivalenz von Anziehung und Abwehr, von Lust und Angst. Solche Fremd- und Selbstbilder als über die Familienmythologie weitgehend unbewußt erworbene Vorstellungen bleiben besonders resistent gegenüber rationalen Korrekturen, da sie intensiv mit der frühen Ich-Bildung des Subjekts rwoben sind. Im Archiv des Bildgedächtnisses gehören sie zum ältesten und unzugänglichsten Bestand. Die ganze Imageric späterer Eindrücke, der Zuwachs an Informationen und Kenntnissen, die etwa über die Medien oder die schulische und unirsitäre Ausbildung rmittelt werden, können die kindlichen Bilderwcltcn nie gänzlich außer Kraft setzen. Bei aller Wirksamkeit der frühen Orientierungsmuster dürfen jedoch die Einflüsse der sekundären Sozialisation nicht unterschätzt werden. Gerade in dieser Phase der Ablösung von den Eltern und deren Welt gewinnt das Fremde an Faszination und kann als Instrument der erstrebten Unabhängigkeit und Eigenentwicklung dienen.

Eltern wie Jugendlichen in gleicher Weise leidvoll rtraut ist z.B. die Konkurrenz des jeweils generalionsspe-zifischen Musjkgeschmacks. Die Vorliebe für Rock- und Popmusik drückt die Opposition des Heranwachsenden gegen einen als borniert und antiquiert empfundenen volkstümlichen Musikgeschmack der Eltern aus.
Es geht uns hier nicht um wohlbekannte Pubertätskonflikte, sondern darum, daß in dieser Lebensphase das über die Familie hinausgreifende Fremde rstärkt und horizonterweiternd in die Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen einbezogen wird. Die zukünftige Einstellung hängt davon ab, wie die Konflikte bearbeitet werden und auf welche sozialkulturellen Rahmenbedingungen sie treffen. Noch einmal mit Erdheim argumentierend, können wir idealtypisch und in reinfachender Kontrastierung annehmen, daß erst in dieser Lebensphase über Stagnation oder Entwicklungsfähigkeit der Repräsentanz des Fremden entschieden wird: angstbesetzte Abwehr oder eher lustbetonte Neugier und Offenheit bleiben handlungsbestimmende Dispositionen.







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