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Papa Wieland, Anna Amalia und der Eintritt Weimars in die Literatur

Papa Wieland, Anna Amalia und der Eintritt Weimars in die Literatur

Weimar verdankt es dem Kulturaustausch mit anderen Höfen, Anregungen aus Gotha, vor allem aber dem Einfluß Braun-schweigs, wenn nach Ernst August jener kulturelle Aufstieg beginnt, der schließlich in der klassischen, der goldenen Zeit gipfeln wird. Bei seinem Tod 1748 hat der Despot und große Verschwender nur einen schwächlichen, kränkelnden Sohn von elf Jahren hinterlassen, dem Kenner des Weimarer Hofes kein langes Leben geben. Ernst August Constantin wächst bei seinem Vormund und Oheim Herzog Friedrich III. in Gotha auf, dessen Gemahlin Luise Dorothee, eine Freundin Friedrichs des Großen, regelmäßig Briefe mit Voltaire wechselt. Der junge Erbprinz atmet die Luft eines hochgebildeten, kunstsinnigen Hofes, an dem Literatur, Philosophie und vor allem Musik gepflegt werden. Mehr auf die Künste denn auf die Staatsgeschäfte versteht er sich, als er, endlich volljährig, das Regiment über sein ererbtes Land antritt. Er ist von der Auszehrung gezeichnet, wie man damals die Schwindsucht oder Tuberkulose nennt. So drängt man den Herzog, schnell auf Brautschau zu gehen, damit er baldmöglichst legitime Erben zeugt. Die Herren der anrainenden Duodezfürstentümer sind nämlich eifersüchtig auf jene unter ihnen, die nach Aussterben des Hauses Weimar durch Aufteilung des Landes ein paar zusätzliche Quadratkilometer mitsamt einigen tausend Untertanen gewinnen und an Bedeutung wachsen könnten.




So wandelt Ernst August IL Constantin, kaum achtzehn Jahre alt, auf Freiersfüßen nach Braunschweig, um sich mit der sechzehnjährigen Anna Amalia, der Tochter Herzog Carls L, zu vermählen - bei Trommelschall, Trompetenklang und 150 Schuß Salut, die vor der Schloßkirche ertönen. Als Anna Amalia, Husarencorps und Postillione vorweg, die gepuderten Haare aufgetürmt und in ein golddurchwirktes blaues Seidengewand gekleidet, in offener Kutsche mit ihrem Gemahl in Weimar Einzug hält, kommt ein Stück aufgeklärtes Preußen in die Stadt an der Um. Ihre Mutter ist eine Schwester Friedrichs des Großen, ihr Bruder jener General und Feldmarschall, der sich in den Kriegen des Preußenkönigs Feldherrnruhm erwirbt. Er kommandiert das preußische Expeditionsheer im Interventionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich, an dem sein Großneffe Carl August und Goethe teilnehmen - der Dichter als Beobachter, der Herzog als eifriger preußischer General. Unweit von Weimar, in der Schlacht von Jena und Aucrstädt, in der das alte Preußen kläglich untergeht, wird der inzwischen hochbetagte preußische Marschall Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig dann tödlich verwundet werden.
Mit geradezu preußischem Pflichtgefühl, pünktlich und fast nach erfüllt die Nichte Friedrichs des Großen jene Hoffnungen, die man in Weimar in sie setzt: Am 3. September 1757 bringt die blutjunge Herzogin den ersehnten Stammhalter mit Namen Carl August zur Welt. Damit scheint die Fortexistenz der Weimarer Dynastie gesichert und die Aufteilung des Ländchens auf die ernestinischen Linien von Gotha und Coburg verhindert. Der Hof feiert mit Trompetengeschmetter und Böllerschüssen, doch auch die Weimarer Bürger jubilieren, denn der Rang des Ortes als hauptstädtische Residenz bleibt gewahrt. Als die Achtzehnjährige ein Jahr später, am 8. September 1758, den zweiten Sohn Friedrich Ferdinand Constantin gebiert, ist sie bereits sei drei Monaten Witwe: Ihr schwindsüchtiger Gemahl starb Ende Mai desselben Jahres.

Anna Amalia sieht dem Onkel in Sanssouci recht ähnlich, vor allem um die spitz geformte Nase herum. Eine »spirituelle Physiognomie« und einen majestätischen Gang bescheinigt ihr ein Weimar-Tourist und Hofkavalicr jener Tage. Und doch wäre es mehr als ungerecht, in ihr vor allem die Nichte des großen Preußenkönigs zu sehen. Schließlich wurde sie vom Hof der Braunschweiger in Wolfenbüttel geprägt, der dem Weimarer damals in nahezu allem überlegen ist - an politischer Macht und Bedeutung ohnehin, denn das Herzogtum Braunschweig ist fast dreimal größer als das von Weimar; vor allem aber in der Pflege von Kunst, Wissenschaften und Musik. Seit 1529 gibt es in Wolfenbüttel ein ständiges Theater, an dem die verschiedensten Schauspielertruppen gastieren. Neben dem obligaten Französisch lernt Amalia Griechisch und Latein, sie wächst mit italienischen Opern und französischen Dramen auf und sieht auch die berühmte Ncuberin. Die »Herzog August Bibliothek« in Wolfenbüttel, an der schon Leibniz Ende des 17. Jahrhunderts tätig war, gilt als die größte Europas. Anna Amalias Vater Carl I. von Braunschweig sucht bedeutende Männer der Aufklärung für den Hof und das Collegium Caro-linum zu gewinnen. Eür Knaben aus besseren Häusern gedacht, unterrichtet diese Schule neuer Art nicht nur Latein oder Griechisch, die Erziehung ist aufs Praktische gerichtet und vermittelt Wissen, das angehenden Beamten oder Diplomaten später im Beruf von Nutzen ist. Der Braunschweiger Herzog bittet den Dichter des »Messias«, den berühmten Klopstock, vergebens, nach Wolfenbüttel zu kommen, erst bei Lessing hat er Erfolg. Doch als er diesen als Bibliothekar gewinnen kann, lebt seine Tochter längst in Weimar. Martin Sherlock, ein Engländer, der damals die kleinen Höfe in Deutschland bereist, nennt den Braunschweiger Hof einen der angenehmsten: »Die regierende Herzogin, Schwester des Königs von Preußen, ist unter allen Damen jene, die den ausgeschmücktesten und gründlichsten Verstand hat.« Kommt der Umzug nach Weimar für Anna Amalia einem kulturellen Abstieg gleich, kann sie sich doch damit trösten, daß ihr Gemahl ele ihrer musischen Interessen teilt. Wie sein Vater zeichnet Ernst August Constantin gern, spielt wie dieser Violine und sammelt Gemälde. Überhaupt scheint ihr das Leben in Weimar zu gefallen. In Wolfenbüttel und Braunschweig hatte sie sich als Aschenputtel der fürstlichen Familie gefühlt, weil sie stets im Schatten ihrer größeren und schöneren Schwester Sophie Caroline stand. Sie fühlte sich unterdrückt und verkannt, zog sich ganz in sich selbst zurück, bekam aber gerade dadurch, wie sie später bekennt, »eine gewisse Standhaftig-keit, die bis zum Starrsinn ausbrach. Ich ließ mich mit Geduld schimpfen und schlagen, und tat doch soel wie möglich nach meinem Sinn.« Durch die Ehe mit dem Herzog von Weimar fühlt sich die psychisch Malträtierte »aus den harten Banden erlöset«: Endlich kann sie aufatmen und eigene Wege gehen. Zu den ersten Taten des kunstsinnigen Paares zählt die Einrichtung eines Hoftheaters für Schauspiele und das Engagement der Döbbelinschen Wandertruppe. Dreimal wöchentlich wird am Hof oder im Naturtheater Belvedere vor den fürstlichen Hoheiten, ihrem Hofstaat und geladenen Gästen gespielt, gelegentlich gastiert die Truppe im Weimarer Stadthaus. Auch die Hofkapelle, vom Despoten Ernst August 1734 aufgelöst, wird wiederbelebt - frei-lieh darf dies, schon wegen des Schuldenberges, den er hinterließ, seinen Erben nicht el kosten. Die Qualität des neuen Orchesters bleibt deshalb unbefriedigend, auch wenn Ernst August Constantin als »Capellmeister bey der Hof Music« einen Johann Ernst Bach aus Gotha beruft, der den dortigen Herzog das Violinspielen lehrte. Johann Ernst ist einer der elen Bachs des weitverzweigten Thüringer Musikerklans und damit ein, wenn auch sehr entfernter, Verwandter Johann Sebastian Bachs, der unter Wilhelm Ernst ein halbes Jahrhundert zuvor in Weimar die Hoforgel spielte. Aus Sparsamkeit werden nicht Virtuosen oder Spezialisten engagiert, die Musici der neu gegründeten Kapelle müssen auf elen Instrumenten sattelfest sein -der Violinspieler hat auch das Hörn oder die Oboe zu blasen, der Fagottist das Flötenspiel zu beherrschen. Wie an deutschen Miniaturhöfen üblich, werden etliche Mitglieder des Ensembles aus der Hofdienerschaft rekrutiert und sind damit Musiker im Nebenberuf. Es sind also Multifunktionäre, die in Weimar musizieren; nach heutigen Maßstäben kann es sich nur um einen höchst bescheidenen Klangkörper handeln, der da bei Hofbällen oder kleineren Opern in der fürstlichen Residenz aufspielt. Daß Militärmusiker ihn mit Trompeten, Trommeln und Pauken verstärken, wenn es besondere festliche Anlässe zu feiern gibt, etwa den Geburtstag der Herzogin, dürfte den musikalischen Wohlklang kaum verbessert haben. Doch der frühe Tod des Herzogs und der Siebenjährige Krieg setzen diesen zaghaften Ansätzen für einen kulturellen Aufschwung erst einmal ein Ende. Noch im Juni 1758 werden der »Capellmeister bey der Hof Music« und die Weimarischen »Hof-Comoedianten« wegen Budgetschwierigkeiten entlassen.

Anna Amalias neunzehntes Lebensjahr ist voll dramatischer Veränderungen. Sie kommen Schlag auf Schlag und verursachen einen »Tumult« in ihrer Seele; und doch wird dieses Schicksalsjahr zur »größte(n) Epoche« ihres Lebens«, wie sie in ihrer Autobiographie schreibt: »Ich wurde zum zweytenmahl Mutter, wurde Wittib, Ober-vormünderin und Regentin.« Zäh übersteht sie die Zeit »des Nebels und der Finsternis«, wie sie die ersten Monate nach dem Tod des Herzogs nennt. Resolut wehrt sie alle Versuche ab, einen fremden Fürsten zum Vormund ihres Sohnes zu bestellen, Bestrebungen, die ja auf ihre dauernde Entmachtung hinausgelaufen wären. All die Standhaf-tigkeit und Ausdauer, mit der sie die Zurücksetzungen in Kindheit und Jugend überstand, machen sich jetzt bezahlt. Nach monatelangem Kampf, mit Hilfe ihres Vaters in ßraunschweig und dessen elen Verbindungen, trotzt sie dem Kaiser in Wien schließlich ab, daß er sie als Regentin und alleinigen Vormund für Carl August anerkennt. Und das war gewiß nicht einfach. Wer hätte nicht Zweifel an den politischen Fähigkeiten dieser jungen, launischen, in Staatsgeschäften unerfahrenen verwittibten Durchlaucht gehabt, die im Juli 1759 unter »anhoffendem Göttlichen Beystand und Segen die Obervormund-schaftliche Regierung« antritt - »zum Nutzen und Bestand Meiner unmündigen Prinzen und deren Lande« ? Als erste Amtshandlung ordnet die absolut herrschende Herzogin von Sachsen an, daß »sämmt-liche einkommenden Schreiben, Berichte und Suppliquen« ihr zur »Eröfnung und ersten Einsicht zuzustellen seyn«. Für die ersten Jahre schickt der Vater Räte, die ihr zur Hand gehen sollen - darunter auch Len Christian Kotzebue, der als geheimer Kabinettssekretär in ihren Diensten bleiben und sich in Weimar niederlassen wird. Sein Sohn August Friedrich, in Weimar geboren, wird der meistgespielte deutsche Bühnenautor seiner Zeit, beim Publikum weitaus beliebter als Schiller oder Goethe.

Wichtigster Mitarbeiter aber wird bald Jakob Friedrich Freiherr von Fritsch, zunächst als Geheimer Legationsrat, ab 1768 als Leiter des Geheimen Consiliums, wie sich die Regierung damals nennt. Was immer Wichtiges in dem armen Ländchen geschieht oder auch nur für wichtig gehalten wird, ob es sich nun um die Beziehungen zu anderen Höfen, vor allem dem in Wien, oder um innenpolitische Verordnungen handelt, geht über seinen Schreibtisch. Er wird Amalias unersetzlicher Helfer; bis tief in Goethes Zeit, noch unter Carl August, leitet er als erster Minister die Weimarer Politik. Mit seiner Hilfe laert Anna Amalia im Siebenjährigen Krieg zwischen dem Kaiserhof in Wien, dem sie als Reichsfürstin ein Kontingent Soldaten für die Reichsarmee stellen muß, und ihrem Onkel, dem Preußenkönig, dessen Werber ihr Territorium unsicher machen, weil seine vom Krieg dezimierten Armeen nach immer neuen Rekruten schreien. Kühl und sehr diplomatisch verhält sich die Fürstin, stets ihre und des Landes Interessen wahrend, obschon sie innerlich Partei für Preußen nimmt, für das der älteste Bruder kämpft und dem Braunschweig, woher sie ja kommt, seit Generationen verbunden ist. Zwar bleibt das Herzogtum von kriegerischen Auseinandersetzungen und größeren Zerstörungen verschont, aber der Durchzug der hin- und herwogenden Truppen beider Seite mit den obligaten Requirierungen und elen Einquartierungen hinterlassen deutliche Spuren. Erst nach Kriegsende gelingt es Fritsch, das finanziell ausgeblutete Land durch ein Jahre währendes eisernes Sparprogramm zu sanieren, das übrigens mit der Entlassung der meisten Soldaten beginnt, die vom preußischen König übernommen werden. Kein Zweifel, unter der Obcrvormundin Anna Amalia wird gut gewirtschaftet: Bei Amtsantritt Carl Augusts übergibt sie dem Sohn das Herzogtum, das sie sechzehn Jahre für ihn geleitet hat, nahezu schuldenfrei.

Im Herrensitz - der Damensattel war noch nicht erfunden - reitet die grazile, kleine Person auf einem dicken Schimmel, der temperamentsfaul ist und sie nicht abwerfen wird. Sie schnupft ak und hält, ganz ä la mode, einen Mops. Man rühmt ihre schönen Hände und die zierlichen Füße, die täglich ein neues Paar Schuhe bekleiden - die alten verschenkt sie an Hofdamen und Kammerfrauen, die einen blühenden Handel damit treiben. Nach außen scheint sie ganz und gar Staatsräson, ändert nicht das strenge Zeremoniell am Hofe, selbst jene Verordnungen der absolutistischen Vorgänger bleiben in Kraft, welche den Bürgern je nach Rang und Einkommen vorschreiben, wie ele Gäste sie bei Hochzeiten oder Taufen maximal einladen dürfen. Nein, es geht unter ihrer Herrschaft in der Innenpolitik keineswegs so liberal zu, wie Verklärer ihres Musenhofes später vorgeben werden. Zwar müht sie sich um die Verbesserung des Gesundheitswesens: Wenn sie in Jena eine Hebammenschule einrichtet, will sie vor allem der Kindersterblichkeit vorbeugen, die damals wie eine Seuche grassiert. Doch bleibt sie stets gestrenge Herrscherin, verbietet den Tanz an Sonn- und Feiertagen und schützt damit angeblich ihre Untertanen nur vor sich selbst - vor dem Hang zum Lasterhaften, wie er den Angehörigen der unteren Stände angeboren ist, vor Sittenverfall und exzessiver Vergnügungssucht, damit sie auch ja nicht »sich und die Ihrigen in Armut stürzen«. Sie ist aufgeklärte Despotin im Stil ihrer Zeit: Außerehelicher Geschlechtsverkehr bei Bürgern steht unter Strafe, Soldaten, die Mädchen geschwängert haben, müssen mit entblößtem Oberkörper durch zwei Reihen ihrer Kameraden rennen, die mit Knüppeln und Ruten auf sie einschlagen - Gassen- oder Spießrutenlaufen nennt man diese beim Militär damals weitverbreitete Strafe. Einheimische Huren werden an den Pranger gestellt und »ausgepaukt«, was soel wie Prügeln heißt; danach landen sie für etliche Wochen im Zuchthaus. Mit »ausländischen« Huren, seien sie aus Gotha, Leipzig oder Coburg gekommen, verfährt man nicht anders, jagt sie aber nach diesem traitement einfach über die Landesgrenzen.
Anna Amalia selbst gibt sich mit Lust allen Vergnügungen bei Hofe hin, liebt das Glücksspiel am Pharotisch und genießt vor allem die Maskenbälle. Sie tanzt gern und leicht und mit jeder Maske, die auffordernd auf sie zukommt; oft geht sie erst früh um drei, wenn fast schon alles aus ist. Als Obervormundin verbirgt sie ihr Temperament, das gelegentlich überbordet. Glaubt man Carl Eduard Vehse, dann tut sie alles, was sie tut, enthusiastisch; ihr Griechisch vervollkommnet sie so gründlich, daß sie in kurzer Zeit Aristophanes im Original lesen kann. Doch in kleinem Kreis, so unser Hofchronist, vergißt sie alle Förmlichkeit. Bei Mondschein werden in Belvedere fröhlich-derbe .Studentenlieder gesungen. Auch gegenüber Wieland, ihrem Liebling und Intimus, gibt sie sich frei und verzichtet auf jegliche Etikette. Als die Regentin einmal »zu acht Personen« auf einem Heuwagen von Tiefurt nach Tennstädt fährt, zieht ein Gewitter auf und bringt einen heftigen Regenguß ; »die Herzogin, die wie alle anderen Damen in ganz leichtem Kleide war, zog Wielands Ueberrock an«. Auf ihrem Sommersitz Tiefurt hat man sie und Wieland nach langem Gespräch einmal eingeschlafen aufgefunden - wie gute Freunde auf einem Sofa sitzend, züchtig aneinandergelehnt. »Papa« Wieland, Vater von erzehn Kindern (von denen neun die Kindheit überleben), Autor des aufklärerischen Bildungsromans »Agathon« und des Staatstraktats »Der goldene Spiegel«, bezeichnet sie als »eines der liebenswürdigsten und herrlichsten Gemische von Menschheit, Weiblichkeit und Fürstlichkeit«. Doch auch Anna Amalias Bild schwankt in der Geschichte. Als Schiller zum erstenmal nach Weimar kommt, macht sie einen durch und durch oberflächlichen Eindruck auf ihn, ja er findet ihren Geist borniert und schreibt seinem Freund Körner: » nichts interessiert sie, als was mit Sinnlichkeit zusammenhängt: Diese gibt ihr den Geschmack, den sie für Musik und Malerei und dergleichen haben will.« Wenn der große Dramatiker aus Schwaben damit gemeint haben sollte, sie hätte keinen Sinn für Literatur gehabt, urteilt er zu hart und ungerecht.

Sicher ist Anna Amalia jenen großen, für alles und jedes interessierten, außerordentlich begabten, aber durch und durch unsystematisehen Dilettanten zuzurechnen, die zur Zeit der Aufklärung häu zu finden sind. Weil die umfassend gebildete fürstliche Dilettantin jedoch über Macht und Einfluß verfügt, gehört sie zu den bedeutenden Bewegern ihrer Zeit. Auf dem Weg zur geistigen Capitale der Deutschen, die Weimar für einige Jahrzehnte werden soll, bringt Anna Amalia die kleine Residenz entscheidend voran. In ihrer Kindheit hatte die berühmte Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek sie stark beeindruckt - nun gibt sie den Auftrag, das Weimarer Grüne Schloß, den ehemaligen Sommersitz am Lustgarten, in eine Bibliothek umzugestalten, die mit ihrem prächtigen Rokokosaal noch heute ein Prunkstück Weimars ist. Bislang fast ausschließlich bei Hofe genutzt, wird die kostbare und umfangreiche Büchersammlung der Weimarer Herzöge damit öffentlich zugänglich. Der Weimarer Multifunktionär und »Geheimbde Rath« Goethe führt von 1797 bis zu seinem Tode die Oberaufsicht; als Bibliotheksdirektor verdoppelt er den Bestand. Anna Amalia ruft Gelehrte aus Jena zu Vorträgen an ihren Hof und baut ab 1770 die Hofkapelle wieder auf. Sie pflegt das Liebhabertheater und steht dort nicht selten selbst auf der Bühne. Theaterbegeistert war sie schon in ihrer Jugend in Braunschweig, als Fürstin holt sie die verschiedensten Schauspieltruppen nach Weimar, die teils im Schloß, teils im Reithaus in der Stadt gastieren und gelegentlich - und das ist revolutionär für die kleinen Höfe dieser Zeit - auch deutsche Schauspiele aufführen, etwa Lessings »Minna von Barnhelm«.

Ihr größtes Verdienst jedoch ist die Mühe, Umsicht und Sorgfalt, die sie auf die Erziehung ihrer beiden Söhne verwendet, damit musterhafte Fürsten aus ihnen würden. Dem Rat des Vaters folgend, engagiert sie zunächst Pädagogen des berühmten Braunschweiger Collegium Carolinum, danach den humorlosen, etwas steifen und pädagogisch wenig begabten Grafen Johann Eustach von Schlitz, der sich selbst Graf Görtz nennt. Willfährig und dienstfertig sei dieser Graf, schreibt sie dem Geheimen Consilium, weder ränkevoll noch anmaßend, stets bemühe er sich, seine Kenntnisse mit Fleiß, Lektüre und dem Studium der Wissenschaften zu vermehren. Als einzigen Fehler benennt sie seine »satirische Ader, einen großen Hang zur Schalk-heit doch ohne Bosheit«. Görtz müht sich redlich, aus Carl August einen beispielhaften Fürsten zu machen: Sieben Stunden beträgt das tägliche Unterrichtspensum in Religion und Latein, Mathematik, Geschichte und vor allem Französisch; dazu kommen Fechten, Reiten und Musik. Als die Herzogin erwägt, den Dichter und Schriftsteller Christoph Martin Wieland aus dem benachbarten Erfurt zusätzlich für die Erziehung in Literatur und Philosophie zu engagieren, stimmt Görtz erleichtert zu. Er fühlt sich durch Amalia, die sich ständig in seine Erziehung einmischt und auch das letzte Detail kontrolliert, überfordert und ist's zufrieden, künftig die Verantwortung mit einem Literaten von Rang zu teilen.

Nur zu froh folgt Wieland dem Ruf, hat er doch Erfurt, die »Hauptstadt des edlen Thüringerlandes«, einmal als ein freudeleeres Chaos von »alten Steinhauffen, wincklichten Gassen, verfallenen Kirchen, großen Gemüßgärten und kleinen Leimhäussem« beschrieben. Er lehrt hier seit 1769 als Philosophieprofessor und Regierungsrat an der Universität. Aber der professorale Vortrag ist seine Sache nicht, mit ihrem Mangel an Herz und Geschmack, mit ihren derben Sitten und ihrer Roheit stoßen ihn die Studenten ab, wenn sie ihm nicht zutiefst zuwider sind. Nach Erfurt gekommen war dieser evangelische Kanzleiverwalter aus der Freien Reichsstadt Biberach, weil die Universität ein Jahresgchalt von sechshundert Reichstalern samt »Zwey Malter Korn, Zwey Malter Gerst und Vier Claffter Holtz« bot - womit er sich erheblich verbessern konnte. Wieland hatte durch seine freche, geistreiche Versdichtung »Musarion« Aufsehen erregt, in der die Liebe einer antiken Schönheit zu einem wirren Schwärmer geschildert wird, der zum Happy-End vergnügt genießt, »was Natur und Schicksal uns gewährt«; darüber entbehrt er dann gern den Rest: die »reitzende Filo-sofie«. Goethe nannte »Musarion« begeistert »ein kleines niedliches Ganze(s) « und rühmte die Munterkeit der Einfälle sowie das Fließende und Ungezwungene des Versbaus. Durch die Berufung eines weithin bekannten Schriftstellers hat sich die Universität ein besseres Renommee erhofft. Schon nach einem Jahr deucht Wieland jedoch, er werde an dem langweiligen Lehrinstitut »nach und nach zu Grunde« gehen. So sagt er freudig zu, als ihn Anna Amalia als Prinzenerzieher nach Weimar bittet, ihm eine lebenslange Pension von neunhundert Talern jährlich und den Titel eines Hofrats in Aussicht stellt. Als Aufklärer besitzt Wieland politischen Ehrgeiz, den er in die ihm angetragene Aufgabe einbringen kann. Ist in dieser Welt der Monarchen, die von Gott vermeintlich ewig zur Herrschaft über die elen berufen sind, Fürstenerziehung nicht der einzige Weg, das Los der Menschen zu verbessern? Je verständiger und einsichtiger ein Fürst, desto eher wird er Gerechtigkeit setzen an die Steile von Tyrannei, wird er Produktion und Handel fördern und auf allgemeinen Wohlstand bedacht sein, der das Steuersäckel füllt, aus dem er seine Lustbarkeiten finanzieren kann. Wieland handelt die Herzogin auf ein Jahresgehalt von tausend Talern plus Umzugskosten hoch und trifft im September 1772 in Weimar ein - ein Datum, auf das nicht wenige Historiker und Germanisten den Beginn des klassischen Weimar datieren. Denn was nun folgt, kommt einer Kettenreaktion gleich: Ein Jahr nach dem Umzug gründet Wieland nach dem Vorbild des »Mercure de France« seine Monatsschrift »Der Teutsche Merkur«, das geschmacksprägende, literatur- und kulturkritische Blatt der Goethezeit. Wieland ist es auch, der Knebel als Erzieher des Prinzen Constantin an den Hof in Weimar bringt. Knebel stellt den Kontakt zwischen Goethe und Carl August her, der nun Goethe an die Um ruft; Goethe wiederum zieht Herder nach: Damit ist jene geistige Trias geboren, welche zunächst das klassische Weimar bestimmt. Ohne sie hätte Schiller schwerlich seinen Fuß nach Weimar gesetzt. Und erst jene enge, freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Schiller und Cioethe, die Mitte der neunziger Jahre beginnt und mit Schillers Tod 1805 endet, bringt dann das Herzstück dessen hervor, was man die Weimarer oder die deutsche Klassik nennt.

Wenn Anna Amalia ausgerechnet Wieland zum Erzieher ihres inzwischen fünfzehnjährigen Erbprinzen Carl August bestimmt, zeigt sie Souveränität, denn der Ruf des schwäbischen Vielschreibers ist schon damals keineswegs unumstritten. Es gebe kaum ein Werk von ihm, das man nicht entbehren könne, urteilte der Wieland-ßiograph und Literaturhistoriker Friedrich Senglc aus heutiger Distanz. Doch zu seiner Zeit erregte Wieland die Geister der Zeitgenossen, er fand enorme Aufmerksamkeit, el Zustimmung und gelegentlich heftigen Widerspruch: » ob der Verfasser an die Tugend glaubt oder nicht« bleibe ungewiß, hatten Kritiker schon beim Erscheinen seines Bildungs- und Entwicklungsromans »Agathon« 1768 beklagt. Reist da nicht der Titelheld, ein in Delphi erzogener Athener durch die antike Welt und erlebt mit einer schönen, geistvollen Hetäre namens Danae höchstes Glück? Als Wieland 1764 »Die Abentheuer des Don Sylo von Rosalva« publiziert, »Eine Geschichte worinn alles Wunderbare natürlich zugeht«, bescheinigt ihm die Kritik zwar el Witz, moniert indessen, er habe »manchen ganz in die körperlichen Begierden einfallenden Stellungen einen Platz gegönnt« - ein Vorwurf, der sich bis hin zum »Wollüstling« Wieland steigern soll. Er selbst bezeichnet das Werk als »satirischen Roman, der unter dem Schein der Frivolität philosophisch genug ist«, doch mit seiner Lust am Fabulieren auch keinen Leser langweilen soll. Zunächst anonym veröffentlicht, ist »Don Sylo« als Lesestoff »für die Meisten« gedacht, als ein Buch, für welches die Buchhändler »gerne eine beträchtliche Summe baar bezahlen« würden. Der Biberacher Kanzleiverwalter will Kasse machen, weil seine Haushälterin »Bibi« von ihm schwanger ist. Wie die Schriftsteller nicht nur seiner Zeit hofft er, einmal nur vom Schreiben leben zu können. Sein »Agathon« möchte ihm wenigstens soel eintragen, seufzt er, daß er »in sokratischer Mittelmäßigkeit, weder arm noch reich, aber in Muße« zu existieren in der Lage sei. Der große Traum bleibt unerfüllt wie für alle Literaten seiner Zeit, weil es ele Raubdrucke und kein Urheberrecht gibt - Mißstände, über die noch Goethe im Alter klagen wird, denn einige Fürsten begünstigen das wilde Nachdruck-Unwesen bewußt, um die Bildung ihrer Untertanen zu fördern. Um so verlockender das Angebot der Weimarer Regentin: Carl August wird bereits in drei Jahren mündig, danach bietet die lebenslange Pension ein Existenzminimum, auf das sich ein Hauptberuf als Schriftsteller und Publizist gründen läßt.

Im klassischen Weimar stellt Wieland die Stimme des Rokoko und der Aufklärung dar, der er trotz Sturm und Drang und Klassik stets verhaftet bleibt. Anders als Goethe oder Schiller zeigt er lange Verständnis für die Französische Revolution. Er ist ein Kind aus frommstem, pietistischen Milieu - Vater und Großvater waren Pfarrherren -, das sich vom Herkommen befreit und ganz dem Glauben an die Vernunft, der Freigeistigkeit, der Permissität, ja zynischen Verspieltheit des Zeitgeists verschreibt. Aber was heißt schon verspielt? Für uns bleibt nahezu unvorstellbar, wie hart damals Kinder, Jugendliche und Erwachsene an ihrem sozialen Aufstieg arbeiten, einem Weg nach oben, der im 18. Jahrhundert ausschließlich über die Bildung führt: Mit acht Jahren liest er lateinische Schriftsteller, mit dreizehn übersetzt und deklamiert der junge Wieland seinen Horaz oder Vergil und weiß sie besser zu interpretieren als seine Lehrer; »mit der ersten Mor-genröthe« steht er auf, um Verse zu dichten, weil er sie tagsüber nicht machen darf; als Internatsschüler überträgt er das Wörterbuch eines französischen Aufklärers ins Deutsche, in dem Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Atheisten gefordert wird. Als Hauslehrer in der Schweiz schreibt er nebenbei Gesänge und Erbauungsbücher, das Englische bringt er sich als Autodidakt bei - nur mit Hilfe von Grammatik und Wörterbuch. Als Kanzleischreiber in Biberach übersetzt er dann in nur in sechs Jahren Shakespeares gesammelte Werke - eine Arbeit, die Lessing lobt und der die deutsche Umgangssprache Worte wie Spleen oder Clown, Liebeswut oder Schafsgesicht verdankt. Seine Aussprache des berühmten Shakespeare-Englisch allerdings muß wahrhaft fürchterlich geklungen haben. Doch bis in sein spätes Alter verfolgt er die neueste englische Literatur und liest in Weimar englische Blätter, darunter den »Spectator«. Er schreibt anzüglicher, frivoler, als er lebt: Seiner Frau Anna Dorothea, einer Kaufmannstochter aus Augsburg, bleibt er auf eine beinahe hörige Weise treu und zugetan, obschon oder gerade weil sie »ein Weibchen« ist, kein »idealistisches Mädchen«, keine Intellektuelle wie Sophie von La Roche, die Angebetete seiner Jugend und Autorin elbeachteter Romane. Er schätzt sich glücklich, »elleicht die Einzige in der Welt« bekommen zu haben, welche in allen Stücken dazu taugt, »meine Frau (notes, que je ne dis pas, ma Maitresse) zu seyn«. Er hat sie so herzlich lieb als »jemals ein ehrlicher Mann sein Weib« liebgehabt hat und ist ein vorbildlicher Familienvater: Durch ein »Gedränge kleiner und immer kleinerer Kreaturen von lieben Kinderchen« gelangt man zu ihm, schreibt Schiller seinem Freund Körner über seinen ersten Besuch. Zahlreich die Bilder von »Papa« Wieland im Kreise seiner Familie, das unerläßliche Samtkäppchen auf dem Kopf, die Füße in Tuchstiefeln; die seinerzeit üblichen Kniebundhosen mit Strumpf zeigen spindeldürre Waden - nach damaligen Begriffen eine Wunde seiner Männlichkeit, über die Damen bei Hofe gern zu spotten pflegen. Nein, ein Reiter ist er nicht, der beim Galopp im Sattel steht, sein Roß per Schenkeldruck dirigiert und damit die Beinmuskeln stärkt.

Daß Amalia ihn ruft, verdankt er vor allem seinem »Goldenen Spiegel«, einem Staatsroman über die »wahre Geschichte der Könige von Schechian«. Seine Staatsphilosophie zielt auf europäische und deutsche Verhältnisse, auch wenn der Dichter sie in ein bunt schillerndes orientalisches Gewand gekleidet hat. Er läßt seine Geschichte in einem indischen Phantasiereich spielen, und da sie dem Sultan Schach-Gebal zur Unterhaltung von Nurmahal, seiner Mätresse, und von dem weisen Danischmend, dem Philosophen am Hofe, erzählt wird, kann Wieland seine ganze barocke, witzige und abenteuerliche Fabulierkunst entfalten. Das macht es freilich nicht einfacher, die ihm damals vorschwebende ideale Staatsverfassung auf einen kurzen, klaren Nenner zu bringen. Einerseits preist er einen aufgeklärten Despotismus ä la Friedrich den Großen an, der durch möglichst weise Gesetze beschränkt werden soll. Durch und durch »fritzisch« betont er immer wieder die Pflichten des Königs als des »obersten Dieners des gemeinen Wesens«. Wenn er schreibt, die Nation (von Schechian) müsse »den König als ihren Vater und sich selbst in Beziehung auf ihren König als unmündig« betrachten, lehnt er den Gedanken der Volkssouveränität entschieden ab. Wahrscheinlich ist es diese Haltung, welche bei Wielands Berufung zum Prinzenerzieher den Ausschlag gibt, sieht sich Anna Amalia doch selbst als aufgeklärte Regentin von Untertanen, welche sie, dem Geist der Zeit entsprechend, im Status Unmündiger hält - zu deren Nutz und Frommen, wie sie meint. Andererseits spricht Wieland von einem »Ausschuß der sämtlichen Stände des Reiches«, der berechtigte Beschwerden gegen den offenbaren Mißbrauch der königlichen Macht vorbringen kann und der, sollten sie fruchtlos bleiben, sogar das Recht genießt, »sich selbst zu helfen«, im Notfall sogar mit Gewalt. Plädiert er damit für die konstitutionelle Monarchie, wie er nach 1789 einmal nahelegt? Wenn ja, dann jedenfalls nicht in dem Sinn, den wir heute mit dem Begriff verbinden: Daß Gesetze von einer Volksvertretung beschlossen werden und der König als oberste Exekutive sie vollziehen muß, ist von ihm in der wahren Geschichte von Schechian nicht einmal angedacht. Wenn er trotzdem im Oktober 1791 als Revolutionskommentator in seinem »Teutschen Merkur« jubiliert, der Verlauf der Konstituante in Frankreich ähnele dem, was er neunzehn Jahre zuvor in seinem »Goldenen Spiegel« »zu erdichten gewagt«, mag dies auf das Konto des Selbstlobs, aber auch der vorsichtigen Verstellung gehen. Wieland ist der Eindeutigste nicht, nach dem Urteil Schillers laert er »zwischen gut und übel« und besitzt ebensoel Furcht wie Klugheit. »Voll von sich selbst«, wie andere Zeitgenossen anmerken, scheint er für Lob nur zu empfänglich, aber auch ein gehöriger Schuß Opportunismus und Berechnung gehört zu seinem Charakter: Mit der Geschichte der Könige von Sche-schian zielt er auf Joseph IL und hofft auf eine Berufung an den Kaiserhof. So schickt er ein Exemplar seiner »ergötzenden Erzählung« an die Wiener Hofkanzlei - und macht im Begleitbrief ausdrücklich auf jene Stelle im dritten Teil aufmerksam, »die nur auf Einen Fürsten« paßt, ein Passus, mit dem er Joseph schmeicheln will. Doch die Hoffnung trügt. Als er dann nach Weimar geht, schwört er zwar Stein und Bein, daß ihn die Hofluft nicht zum Fürstenknecht machen werde: Ein charakterloser Höfling oder devoter »Günstling«, schreibt er seiner Jugendfreundin Sophie La Roche 1772, wolle er nicht sein. Doch wirkt er bald als hochgeschätzter Hofpoet, drechselt Verse zu durchlauchtigen Geburtstagen und begrüßt den Regierungsantritt seines Zöglings Carl August mit der Kantate »Heil Dir, großer Wonnetag«.

Nach dem Beispiel des »Mercure de France« gründet er das auflagenstärkste deutschsprachige Intelligenzblatt der Goethezeit, das er bewußt als »National-Journal« konzipiert. Nicht als Wochenzeitschrift für die geistige Elite ist es gedacht, es soll hauptsächlich bei den »mittelmäßigen Leuten« Absatz finden, wie der Gründer an F. H. Jacobi schreibt. Hausvater Wieland will mit seiner Journal-Entreprise Geld machen, hat er doch in seinem riesigen Haushalt mit Frau, Kindern und Mägden insgesamt »täglich sechzehn Mäuler und Mägen zu versorgen«. So betreibt er die neue Zeitschrift im Selbstverlag, gewinnt das einzige kaufmännische Genie Weimars, Friedrich Justin Bertuch, als Mitarbeiter und überträgt den Vertrieb dem Weimarer Buchhändler Hoffmann. Als Redakteur und Blattmacher zeigt er eine glückliche Hand: Seine Mischung aus Rezensionen, literarischen Porträts und »Neuesten Nachrichten aus der französischen Literatur«, aus Theaterbesprechungen, Beiträgen zu Wissenschaft und »Politischen Nachrichten« lassen den »Merkur« zum Erfolg werden. Walter H. Bruford bezeichnet das Blatt als »Resonanzboden für die Weimarer Schriftsteller«, es macht bekannt, was in Weimar vor sich geht, und steuert el dazu bei, den kleinen Ort zur »kulturellen Hauptstadt Deutschlands zu machen«. Im ersten Jahr werden rund ereinhalbtausend Exemplare abgesetzt, danach pendelt sich die Auflage bei eintausendfünfhundert bis zweitausend Abonnenten ein. Die Brüder Jacobi, der Darmstädter Johann Heinrich Merck, gelegentlich auch Herder, Goethe und Schiller gehören zu den Autoren. Keiner würdigt Wielands Schöpfung besser als Goethe: Mit dem ersten Band des »Merkur«, schreibt er in »Dichtung und Wahrheit«, sei Weimar in die deutsche Literatur eingetreten.







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