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Nord-Süd-Unterschiede - Die Urbanisierung des Adels

Nord-Süd-Unterschiede - Die Urbanisierung des Adels

In der Interpretation der europäischen Stadt steht die mittelalterliche Bürgerstadt am Beginn der Entwicklung. Zu Recht, wenn man vom "europäischen Stadtbegriff ausgeht, bei dem die Stadt über kein Umland rfügt und sich einen virtuellen Lebensraum durch Handel und Gewerbe schaffen muss.
Dieser Stadtbegriff ist jedoch durch einen zweiten zu ergänzen, der auf die Polis der Antike zurückgeht und der die mittelalterlichen Stadtstaaten Mittel- und Oberitaliens bestimmt hat. Hier gehörte der Contado zum Besitz der Stadt, und mit dem Sesshaftwerden der Landbesitzer in den Städten im frühen Mittelalter wurde aus dem ländlichen Raum der Wohnturm als "Geschlechterturm in die Stadt "importiert und in den Baublöcken der römischen Stadtreste in Konkurrenz zu den Vertikalen der Kirchen aufgetürmt (Abb. 6.13). Die für das "Abendland kennzeichnende Siedlungsdreiheitvon Stadt, Burg und Dorf fehlt daher im Mediterranraum ebenso wie das dreigliedrige Sozialsystem von Bürgern, Rittern und Bauern.
Nun beendete die imposante Bauform des Wohnturms ihre Karriere sehr schnell, als die mächtig werdenden Stadtrepubliken den urbani-sierten Landadel zwangen, seine Türme abzutragen. Gleichzeitig kehrte jedoch eine andere in der klassischen Antike wurzelnde Form, nämlich das Hofhaus (Abb. 6.14), Platz beanspruchend zurück. Es handelt sich hierbei um die wichtigste Form europäischer städtischer Baukultur, und zwar insofern, als das Hofkonzept immer wieder neue Auflagen erhalten und sich aller städtischen Funktionen auch außerhalb der Wohnfunktion bemächtigt hat. Es wurde zur tragenden Konzeption des absolutistischen Flächenstaates.



Die Klöster bedienten sich seiner ebenso wie die Paläste des Adels. Im aufgeklärten Absolutismus wurde die Palette öffentlicher Einrichtungen damit rsorgt, von den Krankenhäusern bis zu Verwaltungsgebäuden und Gefängnissen. Der Hof als zentraler Platz konnte alle städtischen Funktionen in sich aufnehmen.
Auf die Residenzstadt des Flächenstaates wurde bereits hingewiesen. Sie brachte auf dem Kontinent die Urbanisierung des Adels, welcher im Verein mit dem Hofstaat die Bürgerstadt okkupiert und gesprengt hat. Festzuhalten ist, dass somit in der europäischen Stadt "zwei Urbanisierungsphasen des Adels zu unterscheiden sind, wobei allerdings auch die zweite Urbanisierungsphase nicht den gesamten Kontinent erfasst hat. Der Adel rblieb im territorial zersplitterten deutschen Altstedeiland und vor allem in Großbritannien auf dem Lande in seinen inzwischen schlossartig umgebauten Ansitzen und hatte nur Absteigquartiere in der Stadt. Der durch die Urbanisierung des Adels begründete Nord-Süd-Gegensatz der europäischen Stadt wird rstärkt durch die Mietshausentwicklung.

Mietshaus versus Einfamilienhaus

Die europäische Wohnbauentwicklung ist durch die Auseinandersetzung des Mietshauses mit dem Eigenheim gekennzeichnet. Das Einfamilienhaus weist zwei Zentren auf. Ein Zentrum liegt in Nordwesteuropa und ist ungefähr mit dem ehemaligen Hanseraum identisch. Hier hat sich das auf mittelalterliche Traditionen zurückgehende schmale Reihenhaus mit zwei bis drei Fensterachsen zum Town house entwickelt, das von Großbritannien nach Angloamerika "ausgewandert ist. Das südliche Zentrum auf der Iberischen Halbinsel hat den teittyp des Patiohauses bestimmt, welches von hier nach tateinamerika übertragen wurde. Der Ursprung des mehrgeschossigen kontinentaleuropäischen Mietshauses mit seiner breit gegen die Straße hin gelagerten Front geht auf die italienischen Stadtstaaten zurück. Sein Vorrücken auf Kosten des Eigenhauses zählt zu den tiefgreifen- II den, auf das gesamte gesellschaftliche System zurückwirkenden Prozessen der europäischen Stadtgeschichte. Doch gelang es ihm nicht, in der Neuen Welt Fuß zu fassen. Das Mietshaus blieb eine Angelegenheit des europäischen Kontinents und trägt bis heute wesentlich zur Besonderheit von dessen Städtewesen bei.

Seine Ausbreitung vollzog sich einerseits als regionaler Ausbreitungsprozess von Süden nach Norden und andererseits in Abhängigkeit von der Stadtgröße im Rahmen der Verstädterung. Im Zuge des seit dem Mittelalter etappenweise fortschreitenden Wachstumsprozesses der Städte kommt dem Schwellenwert von rund 20.000 Einwohnern eine entscheidende Bedeutung zu. Im Mittelalter erreichten nur wenige Städte außerhalb des orientalischen Kulturkreises diese Größenordnung, in der Neuzeit nahm ihre Zahl rasch zu. Mit wachsendem Bedeutungsgewinn unterlag das Mietshaus Veränderungen hinsichtlich der baulichen Gliederung und Gestaltung, der Organisationsform der Bautätigkeit und schließlich auch hinsichtlich der Mietparteien.
Im kontinentalen Mittel- und Westeuropa brachte der Aufbau der absolutistischen Staaten mit ihrem wachsenden Beamtenapparat und dem gewaltigen Heer von Zubringerdiensten für Hof und Adel einen ersten Einbruch in die ständisch differenzierte Eigenhausstruktur der Bürgerstadt, mit dem Patrizierhaus, dem Handwerkerhaus, dem Ackerbürgerhaus und dem "Kleine Leute-Haus.
Die neue Mietshausform für Beamtenschaft und Hofpersonal lässt sich in Gestalt arkadengeschmückter Renaissancehöfe von Italien über Wien nach Krakau, Warschau und Lublin verfolgen. Ein anderer Ast reicht von Südfrankreich bis nach Paris.
Zu standardisierten Großformen rückten diese Mietshäuser dann im späten 18. Jahrhundert auf, als in den damals großen Städten des Kontinents, darunter in Neapel, Wien und Paris, im Manufakturwesen groß gewordene Unternehmer und Bankiers den Bau von Großmietshäusern als ebenso sichere wie gewinnbringende Kapitalanlage betrachteten. Der zuerst in Neapel entwickelte Bautyp des klassizistischen Großmietshauses mit Mittel- und Großwohnungen eroberte alle großen Städte von Kontinentaleuropa einschließlich der Iberischen Halbinsel.

Diente dieses ältere Mietshauswesen in erster Linie dazu, den Wohnungsbedarf des bürgerlichen Mittelstandes zu befriedigen, so reihte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung und sprunghaft steigenden Verstädterung der so genannte "vierte Stand in breiter Front in die Schar der Wohnungssuchenden ein. Die traditionellen Haushaltsgemeinschaften, bei denen der Gewerbeherr für die Unterbringung seiner Gehilfen und Lehrlinge verantwortlich war, lösten sich mehr und mehr auf. Dem massenhaft steigenden Wohnungsbedarf konnten auch die alten zünftigen Formen des Baugewerbes nicht mehr genügen. Baugesellschaften bildeten sich und erschlossen das Gelände, ein Heer von Agenten fungierte als Zubringer der Grundstücke, Hypothekenbanken übernahmen die Finanzierung. Der kapitalistische Wohnungsmarkt setzte die Spielregeln für die Wohnungswirtschaft. Der Hausbesitz wurde zur günstigen Kapitalanlage breiter Schichten des Bürgertums. Hohe Mieten, eine starke Mobilität der Mieter und das berüchtigte Wort von den "Großstadtnomaden kennzeichneten die andere Seite des Systems. Das soziologisch wichtige Gegensatzpaar von "Hausherr und "Mietpartei fand in der Literatur des 19. Jahrhunderts seinen Niederschlag. Die Zeichnung eines französischen Mietshauses um die Mitte des 19.Jahrhunderts bietet hierfür eine treffliche Illustration (Abb. 6.15).
Demnach hatte der Concierge, der Hausmeister, das Erdgeschoss als Wohnstandort. Er übte eine wichtige Kontrolle über die ein- und ausgehenden Personen aus. Im Erdgeschoss befand sich ferner ein Wohnladen. Der 1. Stock war als Nobelstock dem Hausbesitzer vorbehalten, der in der Wohnungseinrichtung den Repräsentationsstil des einstigen französischen Adels übernommen hatte und der, falls er im Besitze mehrerer Mietshäuser war, als "Kapitalist seinen Lebensunterhalt von den Mieteinnahmen gut bestreiten konnte. Auch der 2. Stock enthält noch eine ebenfalls große Wohnung, während im 3. Stock bereits zwei Wohnungen vorhanden sind (in der einen wird einem Mieter gerade gekündigt), im k. Stock, unter dem Dach, haben arme Leute und Künstler ihr "Obdach gefunden.
Standardisierte und sozial differenzierte Mietshaustypen entstanden. Die Hauptstädte Paris, Wien und Berlin erfanden sie. Von hier breiteten sie sich über das Netz der Groß- und Mittelstädte aus. Entsprechend dem nur punktuellen Vorstoß der Industrialisierung in den ostmitteleuropäischen Agrarraum konnte auch der Mietshausbau nur einzelne Vorposten stellen, so zum Beispiel in der polnischen Industriestadt Lodz. Ansonsten bewahrten selbst Mittelstädte mit dem Schachbrettmuster von ebenerdigen Reihenhäusern ein halbländliches Baubild.
An seiner Nordflanke, nördlich einer Linie, die etwa von Lille in Frankreich über Mitteldeutschland zur Ostsee nach Polen verläuft, sah sich dieses Großmietshaus mit einem anderen Mietshaustyp konfrontiert, dem Etagenhaus, das aus dem schmalbrüstigen, mittelalterlichen Gewerbebürgerhaus hervorgegangen war und bei dem jedes Stockwerk jeweils eine Familie beherbergte. Die Gegenüberstellung von London und Paris lässt die Unterschiede erkennen (Abb. 6.16, 6.17).

In der Spätphase der Gründerzeit hat sich das Mietshaus von den Großstädten bis zu den Kleinstädten hin ausgebreitet. Als Zeugen der Spekulationsfront gründerzeitlicher Stadtränder haben sich weitab von der geschlossenen Verbauung einzelne Reihenmietshäuser erhalten.

Das Ende des Ersten Weltkriegs hat die politische Landkarte von Europa grundstürzend geändert und bedeutete einen gravierenden Einschnitt in der Stadtentwicklung. Das System der kapitalistischen Wohnungswirtschaft brach im Gefolge des Ersten Weltkriegs zusammen. Zuerst das "Einfrieren der Mieten durch die Einführung des Mieterschutzes, dann die sozialen Mieten des städtischen Wohnungsbaus, die kostendeckenden Mieten der Genossenschaften, Werkswohnungen und dergleichen und die Hypothekarmieten des Eigentumswohnbaus haben den Wohnungsmarkt völlig verändert und einen komplizierten, von Land zu Land etwas variierenden Mechanismus entstehen lassen, der das europäische Mietshauswesen grundsätzlich sowohl von jenem Angloamerikas als auch von dem der ehemaligen Ostblockstaaten unterscheidet.
Durch die Ausschaltung privatkapitalistischer Interessen aufgrund der Mieterschutzgesetzgebung und infolge der Wirtschaftskrise fiel der gründerzeitliche Stadtkörper gleichsam in Erstarrung. Seit der Zwischenkriegszeit sondert sich in weiten Teilen Europas die kompakt verbaute Innenstadt von der Außenstadt (vgl. unten).
Nach einer langen Phase der Vernachlässigung und des drohenden Verfalls von Teilen des gründerzeitlichen Baubestandes vereinigten sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts Denkmalpflege und Stadterneuerung zu einer städtebaulichen Ideologie, welche die Grundlage für das neue Paradigma der nachhaltigen Entwicklung bildet. Stadtverfall, ein dominierendes Merkmal nordamerikanischer Innenstädte, fehlt als weiträumiger Begriff und als Erscheinung in Kontinentaleuropa und bildet derzeit nur in den ehemaligen C0-MECON-Staaten ein Übergangsphänomen.
Die Außenstadt wurde zum Experimentierplatz und Konkurrenzfeld verschiedener Bautypen und Rechtsformen des Wohnungswesens. Im mittleren Streifen Europas entstand ein Stückwerk von Nutzungen, teils im Anschluss an das vorgegebene Siedlungs- und Verkehrsnetz, teils losgelöst davon. Mit dem Ersten Weltkrieg war die Zeit flä-chenhafter zonaler Ausbreitung des Stadtkörpers endgültig vorbei. Neue Siedlungs- und Industriebänder folgen seither radialen und tangentialen Schnellbahnen und -Straßen. In einem weiteren Verdichtungsprozess entstand die viel zitierte "Zwischenstadt, eine diffuse Agglutinierung von unterschiedlichen Siedlungsbestandteilen.

In den südeuropäischen Großstädten bedeutete der Erste Weltkrieg keinen so scharfen Einschnitt für die Stadtentwicklung wie im Raum der Mittelmächte. Kompakte Mietshausstrukturen schließen bis in die Gegenwart ziemlich unmittelbar an die ältere geschlossene Mietshausverbauung an (Abb. 6.18). Eine Einzelhaussiedlung kam zunächst seit dem späten 19. Jahrhundert einerseits in den Villen der Oberschicht und andererseits in squatter-mäßigen Behelfssiedlungen der armen Leute zum Zug. Diese Zweitgenannten konnten inzwischen dank einem beachtlichen vom Staat geförderten sozialen und Eigentumswohnungsbau zur Gänze beseitigt werden. In der jüngsten Entwicklung sind Reihenhaussiedlungen am Stadtrand von oberen Mittelschichten gefragt (Abb. 6.19).







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