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Napoleon als Göttersohn - Weimars Schaukelpolitik zwischen Ost und West

Napoleon als Göttersohn - Weimars Schaukelpolitik zwischen Ost und West

Zu den zahllosen Mythen, die sich an das klassische Weimar knüpfen, gehört jener m guten Herzog, der nur das Beste will. Von rechts wird der Freund Goethes für die Sache der Nation, n den Liberalen für Rechtsstaat und freiheitliche Verfassung requiriert, die Nationaldemokraren der Urburschenschaft nehmen ihn für beides in Anspruch und rühmen Carl Augusts Ländchen 1817 auf der Wartburg gar als den »freyesten Boden der Deutschen«. Keine dieser Mythen hält näherer Prüfung stand. Weder erweist sich Carl August als so liberal, wie gerühmt, noch als so national, wie später behauptet. Zwar ist er durch und durch deutsch und betont antifranzösisch gesonnen, aber erstes Ziel seiner Politik bleibt stets die Behauptung seiner Herrschaft und die Erhaltung seiner Dynastie. Dafür paktiert der Fürst n »männlich-deutscher Gesinnung« auch mit dem zutiefst verabscheuten Emporkömmling und Eroberer Napoleon.

Beides, die Grenzen seiner Liberalität und das auf Machterhalt bedachte Kalkül des Realpolitikers werden deutlich am Atheismus-Streit um den Professor Johann Gottlieb Fichte in Jena. Goethe hat dessen Berufung als außerordentlichen Honorarprofessor an die Salana im Wintersemester 1793/94 in seinen Jahresheften als »Kühnheit, ja Verwegenheit« bezeichnet, weil der Philosoph »sich mit Großheit, aber vielleicht nicht ganz gehörig über die wichtigsten Sitten- und Staatsgegenstände erklärt« habe - eine gar zu gütige Umschreibung der Tatsache, daß Fichte damals den Ruf eines Jakobiners genoß. Aber warum kommt Fichte dann überhaupt nach Jena? Zusammen mit dem Geheimrat Voigt tritt Goethe für eine Berufungspolitik ein, welche die Bedeutung der Universität, die seit 1740 stetig zurückgegangen war, wieder heben soll. Vier ernestinisch-sächsische Herzogtümer unterhalten die Akademie, neben Sachsen-Weimar-Eisenach sind dies Sachsen-Coburg, Sachsen-Gotha und Sachsen-Meiningen; aber Weimar, auf dessen Gebiet Jena liegt, zahlt den Löwenanteil für den Unterhalt und hat deshalb in wichtigen Fragen das Sagen. Diese »geteilte Gewalt«, meint der als Historiker berufene Schiller einmal, macht die Universität »zu einer ziemlich freien und sicheren Republik«, die Professoren in Jena seien »fast unabhängige Leute« und müßten sich um keine Fürstlichkeit bekümmern. Die n ihm gerühmte Freiheit der Jenaer Lehre, über die Fichte bald sehr viel anders urteilen wird, hat freilich einen ökonomischen Hintergrund: Nirgendwo sind die Gehälter so gering wie in Jena, won auch Schiller ein Lied zu singen weiß. Um dennoch Begabungen anzulocken, wird die armselige Entlohnung rdergründig mit Liberalität aufgewogen; man beruft r allem junge Wissenschaftler, die sich durch Veröffentlichungen einen Ruf erworben haben, stellt sie als Honorarprofessoren an die Seite der eher mediokren konservativen Ordinarien und gibt ihnen einen sehr mäßigen Zuschuß, damit sie nicht ausschließlich auf Kolleggelder angewiesen sind. Im Jahr 1793 machen Studenten gut ein Sechstel der Gesamtbevölkerung Jenas aus, die Kleinstadt lebt n ihrer Universität und ist wirtschaftlich darauf angewiesen, daß profilierte Lehrkräfte genügend Studierende an die Salana locken - und das ist nur der Fall, wenn sie weithin als Stätte freier Forschung gilt.




Zumindest rübergehend hat diese Berufungspolitik Erfolg. Am Anfang steht ein junger Jesuitenzögling namens Carl Leonhard Reinhold, der sich im Auftrag Bertuchs in Weimar um die geschäftliche Seite des »Teutschen Merkur« gekümmert, mit seinen acht »Briefen über die Kantische Philosophie« Aufsehen erregt, eine Tochter Wielands geheiratet hat und als Extraordinarius einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Jena erhält. Als er n dort wegen weitaus höherer Bezüge nach Kiel wechselt, wird der junge Kantianer Johann Gottlieb Fichte berufen, später kommen Schelling und Hegel an die Salana, so daß Jena um die Wende m 18. zum 19. Jahrhundert einen Führungsanspruch auf dem Gebiet der Philosophie geltend machen kann. Zuständig für die Universität ist der Minister Goethe, der an seiner Farbenlehre arbeitet, dessen persönliche Neigungen nicht der Philosophie, sondern den Pflanzen und der Botanik, den Mineralien und der Geologie gelten und der deshalb r allem die Naturwissenschaften fördert. Die Anlage des botanischen Gartens in Jena geht auf ihn zurück. Er hört bei dem Anatomen Justus Christian Loder, entdeckt den berühmten Zwischenkieferknochen und hält alsbald selbst in der Weimarer Malerschule Vorträge über den Knochenbau des Menschen, ohne dessen genaue Kenntnis, so Goethe, die menschliche ur schwer darzustellen sei.

Das klassische Weimar jener Zeit läßt sich ohne seine Doppelstadt Jena kaum denken, in welcher die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller begründet wird. Parallel zur Klassik, mit den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel, ihren Frauen Caroline und Dorothea, der Tochter Moses Mendelssohns, mit Tieck, Novalis und Schelling wird Jena zur Geburtsstätte der Frühromantik. Ein Brief Goethes, der damals oft wochenlang in Jena wohnt, an seinen Urfreund Knebel gerichtet, mag die die Atmosphäre der Saale-Stadt in den neunziger Jahren vermitteln: Schiller arbeite fleißig am Wallenstein, Wilhelm n Humboldt, der damals einige Zeit in Jena weilt, sitze an der Übersetzung des Agamemnon n Aeschylus, August Wilhelm Schlegel übertrage Shakespeares Julius Cäsar ins Deutsche, dazu komme die Anwesenheit des jüngeren Alexander n Humboldt, des preußischen Bergrats und Naturforschers, die allein hinreiche, »eine ganze Lebensepoche interessant auszufüllen, alles in Bewegung [zu bringen], was nur chemisch, physisch und physiologisch interessant sein kann«. Goethe schließt: »Nimmst Du nun dazu, daß Fichte eine neue Darstellung seiner Wissenschaftslehre im philosophischen Journal herauszugeben anfängt, und daß ich, bei der spekulativen Tendenz des Kreises, in dem ich lebe, wenigstens im ganzen Anteil daran nehmen muß, so wierst Du leicht sehen, daß man manchmal nicht wissen mag, wo einem der Kopf steht.«

Kaum ist Fichte in Jena angekommen, werden seine Vorlesungen zur Attraktion für die Studenten. Er redet aufrüttelnd, weiß zu begeistern, sein öffentlicher Vortrag, so ein Zeitgenosse, »rauscht daher wie ein Gewitter, das sich seines Feuers in einzelnen Schlägen entladet«. Wegen seiner »Kritik aller Offenbarung« gilt er als Kronprinz Immanuel Kants. Außerdem hat sich herumgesprochen, daß kein anderer als dieser Johann Gottlieb Fichte jene berühmte, 1793 anonym erschienene Schrift verfaßt hat, die da heißt: »Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Relution.« Im Deutschland jener Jahre kommt dieses philosophische Traktat einem wahren politischen Sprengsatz gleich, sieht Fichte doch in der Französischen Relution nur die natürlichen »Folgen der rherigen langen Geistessklaverei«. Schlimmer noch: Er stellt die bestehende monarchische Ordnung in Frage, bestreitet Rechtsansprüche des Geburtsadels und bejaht ausdrücklich das Recht eines jeden Volks auf Lossagung m bisherigen Gesellschaftsvertrag durch Relution. Jede Klausel, welche die Unabänderlichkeit des bestehenden Gesellschaftsvertrags bedeute, schreibt Fichte, wäre »der härteste Widerspruch gegen den Geist der Menschheit«. Nicht Untertänigkeit, sondern völlige Unabhängigkeit postuliert er als den wahren Endzweck des Menschen - völlige Autonomie n allem, »was nicht Wir selbst, unser reines Selbst ist«. Diesen Zustand zu erreichen, bedarf es freilich der »Cultur«, und für ihn bedeutet sie »die Übung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit«, die er als Kantianer allerdings in Übereinstimmung »mit dem Gesetz der Vernunft« sehen möchte. Nicht minder relutionär auch die zweite Schrift des frühen Fichte, in der er n den Fürsten Europas die Denkfreiheit zurückfordert, die sie« bisher unterdrückten«, ein Traktat, das streckenweise an den aufrüttelnden Stil einer Strafpredigt gemahnt: »Nein Ihr Völker, alles, alles gebt hin, nur nicht die Denkfreiheit.« Wenn es heute noch entehrende Geistes- und Leibessklaverei gebe, dann solle man nicht die Fürsten darum hassen - die durchwühlen ohnehin nur die »Finsternisse halbbarbarischer Jahrhunderte« mit emsigen Händen; nein, »euch selbst solltet ihr hassen«, weil ihr dies duldet und viel zu hoch n den Fürsten und ihren Helfern denkt. Selbst nach zweihundert Jahren wirkt das Freiheitspathos dieser Schriften aufrüttelnd und mitreißend. Als Radikaler und Sansculotte verschrien, warnt die philosophische Fakultät in Jena Fichte deshalb r Lehrantritt eindringlich dar, auf dem Katheder politische Außerungen zu machen.

Daß er an Sonntagrmittagen liest, bringt ihm eine Beschwerde der Geistlichkeit ein, die in Fichte den Urheber einer neuen Vernunft-Religion wittert. Der Herzog entscheidet salomonisch, Fichte dürfe sonntags lesen, aber erst nach dem Gottesdienst zwischen drei und vier Uhr nachmittags. Als der Weimarer Administration die umstürzlerische Prophezeiung Fichtes zugetragen wird, in zwanzig oder dreißig Jahren gäbe es nirgendwo Könige oder Fürsten mehr, decken die Obrigkeiten in Weimar den Philosophen, weil es keine Beweise gibt und der Professor lle Hörsäle garantiert. Wenn Fichte dies wirklich gesagt haben sollte, und dies ist ihm durchaus zuzutrauen, dann hat er nur eine damals weit verbreitete Überlegung zum besten gegeben.

Selbst der Sohn Herders erwägt, lieber einen praktischen Beruf oder ein Handwerk zu erlernen, weil er nicht an den Bestand der jetzigen Ordnung glaubt und später sein Auskommen haben will. Noch schützen des Herzogs Räte den Jenaer Philosophen gegen seine Denunzianten, doch insistieren sie nun beinahe beschwörend darauf, der Philosoph habe die Vorbedingung für seine Berufung zu beachten: sich aller aktuellen politischen Kommentare zu enthalten. Auch wenn Goethe nach Fichtes Entlassung sämtliche Briefe, die er in dieser Sache geschrieben hat, zurückfordert und sie vernichtet, spricht doch alles dafür, daß er selbst Fichte als Preis für die Berufung nach Jena völlige politische Enthaltsamkeit zur Auflage gemacht hat. Denkfreiheit, wie Goethe und sein Herzog sie damals verstehen und auch verteidigen, ist streng auf Wissenschaft und Forschung beschränkt. Sie schließt alles Politische aus und findet ihre Grenze da, wo sie nicht mehr opportun scheint - etwa, wenn sie außerhalb des Herzogtums zum Skandalon wird, den Ruf der Universität und damit die wirtschaftliche Prosperität der Stadt Jena gefährdet.

Noch ehe Fichte an die Salana kommt, sucht Carl Augusts Geheimer Rat Voigt den Jenaer Professor der Jurisprudenz Hufeland, einen Vertrauten Fichtes, dafür zu gewinnen, den künftigen Extraordinarius zu beobachten und über ihn an die Weimarer Aufsichtsbehörde zu berichten. Heute würden wir sagen: Voigt will Hufcland als informellen Mitarbeiter und Spitzel anwerben. Wie der Geheime Rat Voigt politisch denkt, geht aus einem Brief m 29. März 1793 an den künftigen Aufpasser Fichtes herr: »Die Contrerelutionen in den Provinzen, besonders in der Bretagne, beginnen. Lassen Sie uns nun auch in Weimar und Jena ruhiger schlafen.« Im Dezember 1793 fragt er Hufeland, ob Fichte wohl klug genug sei, »seine demokratische Phantasie (oder Phantasterei) zu mäßigen«, im Mai bittet er ihn um Hilfe, damit Fichte »die Politik, als eine danklose Speculation, bei Seite läßt«. Voigt hat mit Goethe beim Herzog für den Philosophen gutgesagt, zusammen mit Goethe unterhält er sich in Jena mit Fichte und zeigt sich danach zunächst beruhigt: »Er ist ein sehr gescheuter Mann, n dem schwerlich etwas Unbesonnenes oder Gesellschaftswidriges kommen kann « Freilich sieht er sich umgehend n Fichte enttäuscht, als dieser eine zweite Auflage seiner Beiträge zur Relution, wenn auch wiederum anonym, auflegen läßt und damit ein Versprechen bricht, das er Goethe gegeben hat. Da Fichte als Verfasser allgemein bekannt ist, möchte sich die Weimarer Regierung ungern nachsagen lassen, einer ihrer Jenaischen Lehrer gebe »dergleichen Relutions-Grundlagen« heraus. Unter Druck gesetzt, distanziert sich Fichte n der Schrift und beharrt darauf, er sei nicht mit dem Anonymus identisch - eine Erklärung, die einer Verrenkung gleicht und die ihm ohnehin keiner glaubt.

Als Fichte in sein »Philosophisches Journal« im Herbst 1798 einen Aufsatz Karl Friedrich Forbergs über die »Entwicklung des Begriffs Religion« aufnimmt, kommt es mit dem sogenannten Atheismus-Streit schließlich zum Bruch, der sich ohne das hitzige, selbstgerechte Temperament des Philosophen, aber auch ohne den erklärten Willen Carl Augusts und seiner Geheimen Räte Goethe und Voigt, den politisch unbequemen Fichte endlich in die Wüste zu schicken, sicher hätte vermeiden lassen. Worum es bei dieser Auseinandersetzung im immerhin aufgeklärten Weimar und Jena jener Zeit geht, ist heute nur sehr schwer nachzullziehen. Forberg, einer der bedeutendsten Schüler n Fichtes Vorgänger Reinhold und bis 1797 selbst Privatdozent in Jena, versucht in seinem Beitrag den Nachweis, daß Religion lediglich moralisch aus dem Gewissen, als praktisches gutes, sittliches Handeln, der Glaube an Gott dagegen durch gar nichts zu begründen sei. Er bekennt sich als dezidierter Atheist und erklärt: »Was sie Gott nennen, ist nur ein Götze.« In diesem Unglauben will er verharren »bis ans Ende, was für mich [Forberg] ein totales Ende ist«. Da er auf einem unkommentierten Abdruck besteht, fühlt Fichte sich zu einem eigenen Artikel ermuntert, der als eine Art Korrektur gedacht ist, den er dem Forbergschen ranstellt und »Über den Grund unsres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« überschreibt. In diesem Artikel geht er zwar mit Forberg darin einig, daß Religion im wesentlichen in sittlichem Handeln bestehe, aber gegen Forberg behauptet er, daß dieses sittliche Handeln identisch sei mit dem ursprünglichen Glauben an eine übersinnliche moralische Weltordnung, und diese sei wiederum eins mit Gott. Fichte betont also, daß es einen Gott gebe, aber er bekennt sich - im Gegensatz zu Forbergs skeptischem Atheismus - zu einem religiösen Pantheismus. Dieser feine, in der Sache wichtige Unterschied wird n jenen, die nun ihren Feldzug gegen Fichte eröffnen, allerdings nicht wahrgenommen. Für sie steht die Abweichung beider, Fichtes wie Forbergs, n traditionellen, orthodoxen Glaubensrstellungen im Vordergrund.

Den Angriff eröffnet ein Anonymus mit der Flugschrift »Schreiben eines Vaters an seinen studierenden Sohn über den Fichtischen und Forbergschen Atheismus«, die wiederum das Oberkonsistorium in Dresden alarmiert. Die geistliche Behörde erstattet Anzeige beim Kurfürsten: Weil die Außerungen Forbergs nicht nur »mit der Offenbarung, sondern selbst mit der natürlichen Religion unverträglich sind«, verlangt es die Beschlagnahme des Hefts, die Bestrafung der atheistischen Professoren und ein Verbot für kursächsische Studenten, sich an der Salana künftig zu immatrikulieren. Der Kurfürst billigt die Beschwerde, läßt das Heft konfiszieren und verlangt n den Erhalterstaaten der Jenaer Universität, die atheistischen Professoren zur Verantwortung zu ziehen. Wer die unseligen Bemühungen dulde, »die Begriffe Gott und Religion aus dem Herzen der Menschen zu vertilgen«, argumentiert der Albertiner in Dresden, der übersehe die Gefahren, die daraus »für das allgemeine Beste und insonderheit auch für die Sicherheit der Staaten entstehen«. Karl-Heinz Fallbacher schließt daraus, daß Fichte für die Fürsten eine doppelte Bedrohung darstelle, weil er nicht nur die gegenwärtige absolutistische Staatsverfassung, sondern auch das Religionsverständnis r den Richterstuhl der Vernunft ziehe. »Man sah sich hier einem Gegner gegenüber, der es nicht nur wagte, einen Angriff gegen die eigene wohlgesicherte Hauptmacht zu führen - das hätte man sich im Bewußtsein der eigenen Stärke wohl noch gefallen lassen, etwa im Sinn des klassischen >räsonnirt, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!« - sondern der durch ein raffiniertes taktisches Manöver sich gleichzeitig anschickt, auch noch den wichtigsten Verbündeten auszuschalten, und der damit die bestehende Ordnung n zwei Seiten her über den Haufen zu werfen drohte.« Fichte hat eine Kirche im Dienste der verderbten Fürsten und Regierungen damals als ein Mittel der überkommenen Herrschaft gesehen, sich gefügiges Menschenmaterial zu schaffen. Besteht die besondere Gefahr seiner Lehre für den Kurfürsten in Dresden also darin, daß sie gleichzeitig Front macht gegen Thron und Altar?

Weil der Jenaer Philosoph sehr wohl die Bedrohung sieht, die er für sich heraufbeschworen hat, verfaßt er eine geharnischte »Appellation an das Publicum«, in der er den Vorwurf des Atheismus widerlegt. Die Konfiskation seines Journals, schreibt er, sei ein erster Schritt zum Scheiterhaufen. Auf dem Titel seiner Apellation prangt denn auch die polemische Unterzeile: »Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie confisciert.« Die Meinung der Gelehrtenrepublik in Deutschland steht auf seiner Seite, selbst Carl August meint nach der Lektüre zu Herder, er halte Fichte »für keinen Gottesläugner und spreche ihn n dieser kursächsischen Beschuldigung frey«. Wenn er praktisch jedoch im gleichen Atemzuge sagt: »Allein er ist ein Ketzer einer ganz neuen Gattung«, deutet er damit freilich den wahren Grund n Fichte« Entlassung an. Der angeblich so liberale Herzog zeigt sich keineswegs frei n der tiefen Angst und Unsicherheit, die sich angesichts des demokratischen Ketzerwesens aller Obrigkeiten in Deutschland bemächtigt hat, zumal der Druck n außen auf ihn wächst. Selbst einige seiner ernestinischen Nachbarn und Mit-Unterhalter der Salana fordern, gegen Fichte rzugehen. Carl August hatte auf seine Reputation zu achten, meint Fallbacher, er scheute den Eindruck, Schutzgt eines Relutionärs zu sein. Seinen Räten wirft er nun r, sie hätten mit der Anstellung Fichtes ihre Sorgfaltspflicht verletzt: Schwerlich würde er dieser Berufung zugestimmt haben, schreibt der Herzog an den Geheimen Rat Voigt, »hätte ich ihn [Fichte] mit seinen lehrsätzen gekannt, u. seine Unrsichtigkeit beurtheilen können; zu läugnen ist es nicht, daß dazumahl wo der zeitpunckt weit kritischer wie der jetzige war, es der öffentl. Meinung sehr ins gesicht schlagen hieß, einen sich öffentl. bekennenden relutionisten nach Jena als lehrer zu berufen; die nützl. folgen spühren wir dan jetzt«. Vor allem fürchtet er die wirtschaftlichen Folgen eines kursächsischen Boykotts. Die Jenaer Immatrikulationszahlen sind seit einigen Jahren rückläufig, Rußland hat seinen Staatsbürgern das Studium in Jena bereits verboten - sollen jetzt auch die Studenten aus dem benachbarten Kursachsen ausbleiben? Zudem ist ihm außenpolitisch an einem guten Verhältnis zu den alberlinischen Vettern in Dresden gelegen. Nur durch enge Abstimmung mit Kursachen kann das kleine Weimar einigermaßen Spielraum zwischen den Großmächten behaupten. Als Fichte, einen »derben Verweis« fürchtend, schließlich dem Geheimen Rat Voigt in Weimar schreibt, er könne einen solchen niemals demütig hinnehmen, stellt er eine Falle auf, in der er sich selber fangen wird.

Der hochbegabte Sohn eines Bandwebers aus der Lausitz, dem adlige Gönner den Besuch der berühmtem Fürstenschule in Pforta unweit Weimar ermöglicht haben, bleibt zeitlebens ein Feuerkopf mit brennenden Augen, welche Caroline Schlegel so sehr beeindrucken. Zu Kompromissen wenig geneigt, haftet dem sozialen Aufsteiger etwas Ungeschliffenes an; für Konventionen zeigt er wenig Verständnis, reagiert außerordentlich empfindlich, wenn er angegriffen wird, führt selbst jedoch eine maßlos scharfe, ja verletzende Sprache, wenn er andere attackiert oder Gegner bekämpft. Friedrich Heer geht soweit, n Fichte als einem Plebejer zu sprechen, der sich immer wieder hinreißen läßt. Einen Verweis anzunehmen, verbieten ihm Eitelkeit und Stolz. »Ich darf nicht, ich kann es nicht«, versichert der Philosoph, sein Benehmen sei seiner »innigsten Überzeugung« nach nicht nur tadellos gewesen, sondern sogar »preiswürdig«, läßt er Voigt in Weimar wissen. Das »Preiswürdige öffentlich schelten zu lassen« sei verächtlich, und so werde ihm nichts anderes übrigbleiben, als »den Verweis durch Abgebung meiner Demission zu beantworten«. Das ist die Chance, auf welche der Herzog nur gewartet hat, und entschlossen nutzt er sie. Der Verweis, so seine Anordnung, wird wegen der Verbreitung anstößiger Satze und »Unbedachtsamkeit« erteilt, die n Fichte angekündigte Demission umgehend angenommen und die Gehaltszahlung eingestellt. Ein peinlicher, für Fichte äußerst demütigender, zweiter Brief, in dem er die im ersten angedrohte Demission praktisch zurücknimmt, bleibt unbeantwortet. Der Entscheidung des Herzogs sind Beratungen im Geheimen Conseil rausgegangen, bei denen die Meinung Goethes n besonderem Einfluß war. Für Goethe-Verklärer ist einigermaßen schmerzlich zu lesen, wie der große Klassiker im Fall Fichte gegen den Geist und für die Macht plädiert: Eine Regierung dürfe einfach nicht hinnehmen, daß ihr n einem angestellten Professor in dieser Weise gedroht werde. An Schlosser schreibt er einige Monate später, er würde gegen seinen eigenen Sohn tieren, »wenn er sich gegen ein Gouvernement eine solche Sprache erlaubte«. Auf die Folgen für die Universität hingewiesen, die Fichtes Weggang haben werde, kommentiert er ungerührt: »Ein Stern geht unter, ein anderer geht auf!« Goethe hat dabei Schelling im Sinn, dessen Naturphilosophie den eigenen naturwissenschaftlichen Interessen näher liegt als Fichtes Philosophie m »absoluten Ich«, die er ohnehin nur schwer versteht. Für die eigene Weiterentwicklung kann ihm, der ein großer »Nehmer« ist, Schelling mehr geben. Er setzt deshalb seine Berufung als Fichtes Nachfolger durch. Fichtes erzwungener Weggang zieht vier Jahre später den Exodus namhafter Gelehrter nach sich. Goethe selbst spricht n einem heimlichen Unmut, der sich der Professoren bemächtigt habe, so daß sie sich in der Stille nach anderen Möglichkeiten umtaten »und zuletzt Hufeland, der Jurist, nach Ingolstadt, Paulus und Schelling aber nach Würzburg wanderten«.

Fichte, Jena und Weimar - das ist eine Geschichte ll der ironischen Wendungen. Zwar handelt der Herzog rrangig als Realpolitiker, aber natürlich verabscheut er den Sansculotten in Fichte. Dieser klagt also nicht zu Unrecht: »Ich bin ihnen ein Demokrat, ein Jakobiner; dies ist's. Von einem solchen glaubt man jeden Gräuel ohne weitere Prüfung.« Und so setzt er nach seiner Entlassung erst einmal alle Hoffnungen auf die Universität in Mainz, das nach dem Frieden n Cam-poformio unter französischer Herrschaft steht, ja er gibt sich Träumen n einer Pension durch die französische Nation analog jener hin, die Klopstock n Dänemark erhielt. Bewußt bedient er sich des Relutionskalenders, als er am 21. Floreal des Jahres 7, also am 10. Mai 1799, aus Jena an Wilhelm Jung schreibt, der die Mainzer Universität neugestalten soll: »Es ist klar, daß n nun an nur die Fr(anzösische) Rep.(ublik) das Vaterland des rechtschaffenen Mannes sein kann, nur dieser er seine Kräfte widmen kann, indem n nun an nicht nur die teuersten Hoffnungen der Menschheit, sondern sogar die Existenz derselben an ihren Sieg geknüpft ist.« Seine Rechnung ist ohne den Wirt gemacht, denn die französische Republik hat nicht mehr die Kraft, deutsche Universitäten zu fördern. Doch dieser Fichte denkt um 1800 radikal um, wird tief religiös im beinahe mystischen Sinn und gibt Anweisungen zum seligen Leben, zugleich versteht er sich als Lehrmeister der deutschen Nation. »Um die Kriegführer in Gott einzutauchen« und den freiwilligen Studenten der Befreiungskriege »wirklich Christentum und Bibel rzutragen«, bietet er sich im April 1813 als Laien-Feldprediger im Königlichen Hauptquartier an, natürlich nur dem König oder dessen Stellvertreter unterstellt. Das Pathos und der Erziehungswille der Hochaufklärung, sagt Heer, schmölzen bei Fichte nach 1800 hinüber in ein nationales Pathos, das Relution und Robespierre, den Maler David und Gott nebst einem Zwangsstaat deutscher Nation, genannt geschlossener Handelsstaat, miteinander vermische. Der hinausgeworfene Philosoph und sein früherer Herrscher werden plötzlich zu Bundesgenossen gegen Napoleon und französische Überfremdung, doch sind die Pfade des machtbewußten Carl August in der napoleonischen Ara viel verschlungener als jene des kompromißlosen Fichte.

Ranke hat den preußischen Sonderfrieden mit Frankreich, der zur Neutralität Norddeutschlands n 1795 bis 1806 führte, einmal damit gerechtfertigt, daß er die Klassik n Weimar ermöglicht habe. In der Tat sind die Jahre der Freundschaft n Schiller und Goethe das Kernstück der-deutschen Klassik, und ob sie ohne den Frieden des idyllischen Weimar denkbar gewesen wären, steht dahin. Kaum jedoch endet diese Ara der Neutralität, wird das Herzogtum zum Kriegsschauplatz, sieht den Durchzug geschlagener und intakter Truppen, die Einquartierung freundlicher und feindlicher Heere. Napoleon und seine Marschälle, die Generäle der Gegenseite geben sich im Weimarer Schloß buchstäblich die Klinke in die Hand. Den Anfang macht der König n Preußen, der am 11. und 12. Oktober, r der Schlacht n Jena und Auerstädt, in welcher die angeblich unbesiegbare friderizianische Armee ruhmlos untergeht, Quartier bei Herzogin Luise nimmt, indes der Herzog als preußischer Kürassier-General eine Vorhut über den Thüringer Wald nach Franken führt. Sein siebenhundert Mann starkes Scharfschützenbatallion kämpft in der Hauptschlacht an der Seite der preußischen Truppen und erleidet hohe Verluste. Als der Kanonendonner sich Weimar nähert, sieht man Bürger, die nie einen Spaten oder eine Hacke in der Hand gehabt haben, eifrig buddeln und Löcher graben, um Verstecke anzulegen. Wertgegenständc wie Geld oder Schmuck werden in Kleidung eingenäht und am Leibe getragen. Weimar wird Augenzeuge der wilden, kopflosen und verzweifelten Flucht der geschlagenen Preußen, deren hochgerühmte Disziplin völlig zusammengebrochen ist; sie werfen die Waffen weg, Nachdrängende stoßen in wilder Panik Geschütze und Fuhrwerke mit Blessierten in die Straßengräben, die eigene Kavallerie, selbst auf der Flucht, reitet mit blankem Säbel flüchtende Fußtruppen nieder. Die Stadt wird zum Kampfplatz, als an der Umtalbrücke die Dragoner Murats preußische Artillerie überwältigen, die dort in Stellung liegt. Am Abend des 14. Oktober schließlich sind die Höhen Weimars rechts und links der Um n den Biwakfeuern der Regimenter der Marschälle Ney und Lannes erhellt, französische Infanteristen lagern auf dem Markt und allen anderen Plätzen der Stadt. Sie tragen lange, schmutzige Leinwandkittel und Löffel an ihren Dreispitzen, werden deshalb n den Weimaranern Löffelmänner oder Löffelgardistcn genannt und suchen bei einbrechender Nacht mit wildem Geschrei Unterkunft in den Häusern. Häufig plündern sie, und durch unrsichtigen Umgang mit brennendem Licht gehen einige Häuser in Flammen auf. Marschall Ney empfängt eine Deputation der Bürgerschaft mit dem französischen Sprachlehrer Laves an der Spitze in seinem Bett im Alexanderhof und befiehlt zwei zusätzliche Bataillone zum Löschen in die Stadt. Freilich kümmern sie sich kaum um das Feuer, sondern verlangen Quartierbillets. Weimar wäre wohl das Opfer einer großen Feuersbrunst geworden, hätte nicht Windstille die Flammen bei Nacht in sich zusammenfallen lassen. Viele Weima-raner suchen Zuflucht in Schloß und Schloßhof, unter ihnen Charlotte n Schiller, welche die »Klugheit, Güte und Gegenwart des Geistes« der Herzogin Luise rühmt, die in diesen schweren Tagen durch ihr »Fürwort viel Gutes bewirkt« habe. Es sind Marschall Rapp mit seiner elsässischen Begleitung und der General Murat, welche die Residenz durch Intervention n Adelaide n Waldner, einer Hofdame der Herzogin Luise, r dem Schlimmsten bewahren.

Am 15. Oktober schließlich kommt der Sieger selbst und nimmt Quartier im Schloß. Als ihn die Herzogin begrüßt und ihm sein Zimmer zeigt, gibt er sich barsch, ja »sehr unhöflich«, wie sie ihrem Bruder Philipp n Hessen schreibt. »Sie tun mir leid, ich werde ihren Mann zermalmen. Man möge mir mein Essen auf meine Zimmer bringen« - mehr sagt er nicht. Bei einer Audienz am nächsten Morgen überschüttet er sie mit Sarkasmen und spricht n großen Fehlern, welche die herzogliche Familie gegen ihn begangen habe. Napoleon ist zornig und aufgebracht, weil der Herzog in den Reihen seiner Gegner steht - Luise entgegnet, sowohl seine Offiziersehre als auch die verwandtschaftlichen Bindungen an das preußische Königshaus hätten ihm keine andere Wahl gelassen; gerade n dem Militär und Souverän Napoleon erwarte sie deshalb besonderes Verständnis für die aufrechte Haltung des Gemahls. In der schwersten Stunde, als es um den Bestand n Staat und Dynastie geht, steht Herzogin Luise dem Korsen allein gegenüber. Herzoginwitwe Anna Amalia ist nach Kassel ausgewichen, Frbherzog Karl-Friedrich befindet sich mit seiner Gemahlin Paulowna auf der Flucht nach Petersburg, der Herzog, noch immer preußischer General, sucht den Franzosen zu entkommen und marschiert mit seinen Truppen über das Eichsfeld und am Harz rbei in Richtung Stendal. Napoleon findet in Weimar keine Autorität r, mit der er einen sofortigen Frieden schließen könnte. Wenn das Herzogtum dennoch dem Schicksal Kurhessens und Braun-schweigs entgeht, die einfach n der Landkarte gewischt werden, dann ist dies nach Meinung Fritz Hartungs das Verdienst der Herzogin, deren Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit Napoleon achten lernt. Stadt und Land sind in diesen Tagen gegen den Herzog aufgebracht, weil er in der Stunde der Gefahr nicht zur Stelle ist.

Daß der Sieger das kleine Land schont, hat mit politischem Kalkül zu tun. Einmal ist Luises Schwester mit dem Markgrafen n Baden vermählt, einem Rheinbundfürsten, dessen überzeugt profranzösische Haltung der Korse schätzt, zum zweiten sieht er in der Erbgroßherzogin n Weimar r allem die Schwester des russischen Zaren Alexander, zu dem er gute Beziehungen wünscht. Schroff fordert er den Herzog deshalb durch seine Gemahlin auf, binnen vierundzwanzig Stunden nach Weimar zurückzukehren und aus dem preußischen Militärdienst auszuscheiden. Nur so könne Weimar als Herzogtum weiter existieren. Doch die Nachricht erreicht Carl August erst nach Tagen auf seinem Rückzug; da er darauf besteht, in aller Form m König n Preußen aus dessen Diensten entlassen zu werden, herrscht zunächst Ungewißheit über die Zukunft des Landes. Die führenden Männer des Geheimen Conseils sind praktisch weggetaucht, sie haben sich, so spottet Johannes Daniel Falk, der betont national gesonnene Herausgeber der Weimarer Zeitschrift »Flysium und Tartarus«, beim Herannahen der Franzosen in Klosetts und Dachkammern versteckt. Es ist ein bis dahin in Weimar unbeschriebenes Blatt, ein siebenund-zwanzigjähriger Jurist und ungewöhnlich agiler Regierungsrat namens Friedrich Müller, der Kontakte zu den Siegern pflegt und für ein gutes Jahr zur Hauptfigur der Weimarischen Diplomatie aufsteigt. Dem gebürtigen Sachsen-Meininger, nach damaligen Weimarer Begriffen also einem Ausländer, gebührt das Verdienst, daß Napoleon die Rückkehrfrist für den Herzog verlängert. Müller setzt Verhandlungen in Gang, wird schließlich formell n Carl August dafür bellmächtigt und erhält den Adelstitel, damit er bei Napoleon und Talleyrand, dem Fürsten n Benevent und französischen Außenminister, über mehr Ansehen verfügt. »Wenn man nicht wenigstens hunderttausend Mann und eine gute Anzahl Kanonen hat«, rät Napoleon dem Unterhändler, »soll man sich nicht unterstehen, mir den Krieg erklären zu wollen.« Friedrich Theodor Adam Heinrich n Müller handelt schließlich den Frieden n Posen aus, welcher den Beitritt Weimars zum Rheinbund rsieht. Die 220000 Franken Kontribution, die das Herzogtum zahlen muß und die auf Jahre hinaus die Bevölkerung schwer drücken, gleichen freilich eher einem Diktat - Napoleon hat n Anfang an auf dieser Summe bestanden und sich nicht herunterhandeln lassen. Außerdem muß Weimar ein Truppenkontingent n achthundert Mann für das Regiment »Herzöge n Sachsen« bereitstellen und finanzieren. Mannschaften und Offiziere dieses Rheinbund-Regiments, das in Tirol, Spanien und schließlich im russischen Litauen auf französischer Seite kämpft, rekrutieren sich aus allen sächsischen Herzogtümern, die den Frieden n Posen Mitte Dezember 1806 gemeinsam mit Frankreich geschlossen haben. Mit dem Beitritt zum Rheinbund erlöschen die letzten Beziehungen zum Deutschen Reich und damit alle hemmenden Reste der bislang geltenden Lehnsverfassung für das Herzogtum. Sachsen-Weimar-Eisenach hat nun eine unabhängige Staatshoheit, und der Fürst n Weimar firmiert fortan als »Von Gottes Gnaden Wir, Carl August, Souverainer Herzog zu Sachsen, Landgraf n Thüringen etc«.

Hat eine betont nationale Geschichtsschreibung den Schaden übertrieben, welchen das Ilm-Athen nach der Schlacht erleidet, so wie sie die Rheinbundzeit Sachsen-Weimars nur flüchtig behandelt, wenn nicht übergeht - jene Jahre, in denen Carl August zu den Vasallen des Korsen gehört? Ihrem Sohn Fritz klagt Charlotte n Stein geradezu herzzerreißend, am 14. und 15. Oktober 1806 sei Weimar »m Wohlstand, Ruhe und Glück geschieden. Das mächtige Schicksal, das die Länder verheert, hat auch dies verschlungen.« All ihr Silber, alles n Wert, alle ihre Kleider seien geraubt, mehrere Tage habe sie nichts zu essen gehabt. Der siebzigjährige Georg Melchior Kraus, Direktor der »Fürstlichen freyen Zeichenschule«, wird beraubt und zusammengeschlagen, flüchtet zu Bertuch und stirbt vierzehn Tage später an den Folgen der Mißhandlungen. Im Siegcstaumel plündern französische Soldaten beim Stadtchirurgen Herricht mit allem Silber auch die chirurgischen Bestecke, mit denen er Verwundete hätte operieren können. Doch ergeht es damals nicht allen so. Vielen Bürgern n Weimar, die nicht aus ihren Häusern geflohen sind, gelingt es, die Sieger mit Braten, Wein oder Bier zu besänftigen. Johanna Schopenhauer, die damals in Weimar ihre berühmte Teegesellschaften gibt, Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer, heißt zwei trunkene, randalierende Husaren, die bei ihr eindringen, höflich willkommen. Zusammen mit einem Freund, den sie als ihren Ehemann ausgibt, führt sie die Soldaten an einen gedeckten Tisch und speist mit ihnen, bis ihre Dienerin Sophie, das Töchterchen der Herrin auf dem Arm, sie zu gehen bittet. Die Wildheit der Husaren ist gebändigt. Dankbar für die freundliche Bewirtung, verlassen sie wie folgsame Kinder ein gastliches Haus, in dem sie sich wohlgefühlt haben. Johannes Daniel Falk, Journalist, Schriftsteller und Pädagoge, postiert sich mit Lebensmitteln und Weinflaschen im Eingang seines Hauses am Markt, der n den Biwakfeuern der Löffelgardisten hell erleuchtet ist. Er bewirtet sie am Eingang, keiner betritt sein Haus. Bei Wieland quartiert sich ein halbes Dutzend Husaren und Chasseurs ein, die nach seinem Bericht an Sophie n La Roche so zahm wie die Lämmer werden, als sie ihn erblicken, und »die sich in ihrer Art sehr bescheiden« aufführen. Ist ihr Verhalten durch Wielands Mitgliedschaft im Nationalinstitut zu Paris bestimmt? Sie nehmen mit anderthalb Dutzend Flaschen Wein rlieb, schützen seine Wohnung, plündern nicht und begehren »nicht eines Hellers Wert«. Am nächsten Morgen, General Murat hat inzwischen einen Gendarmen als Sauvegarde r das Haus gestellt, kommt Marschall Ney und teilt dem »Merkur«-Herausgeber mit, er stehe unter unmittelbarem kaiserlichen Schutz. Wieland urteilt, er habe sich während dieses Besuches der »verbindlichsten und schmeichelhaftesten Dinge« erfreut, die ihm »in seinem ganzen Leben gesagt worden sind«.

Bei Goethe, dessen stattliches Haus am Frauen als Quartier für einen Marschall und einige Kavalleristen rgesehen ist, erscheinen zunächst nur 16 Elsässer. Gut sechzehn Stunden sind sie n Franken bis zur Schlacht geritten. Sie verlangen Streu, erquicken sich »mit einigen Bouteillen Weins und Biers« und fallen wie tot in den Schlaf. Nachts donnern dann zwei Löffelgardisten an die Tür, Tirailleurs in ller Bewaffnung, die sich Eintritt erzwingen und nach dem Hausherren verlangen. Angetan mit seinem »Prophetenmantel«, einem weiten Nachtrock, steigt der Dichter und Geheimrat die Treppe herunter, muß ihnen zutrinken und darf sich danach zunächst wieder in sein Nachtgemach zurückziehen. Wie sich wenig später zeigt, sind die beiden Marodeurs damit keineswegs besänftigt, sondern erklimmen, obschon trunken und müde, das obere Stockwerk, randalieren und rücken dem Hausherrn zuleibe, bis sich Christiane Vulpius mit einem zu Goethe geflüchteten Wcimaraner dazwischenwirft. Resolut drängt sie die Wütenden zurück und verriegelt die Tür. Die Löffelgardisten legen sich darauf in die für den Marschall Lannes und sein Gefolge rgesehenen Betten und werden, als dieser am nächsten Tag eintrifft, m Adjutanten mit der bloßen Klinge aus dem Haus gejagt. Der stets auf Behagen, Sicherheit und Ruhe bedachte Goethe, den Hundegebell aufbringt und der sich beim Rat selbst über die sanfteste Erschütterung seiner Balkendecke durch einen einige Häuser entfernten Webstuhl beschwert, gibt zunächst alles verloren; unter Tränen denkt er daran, Weimar zu verlassen. Als mit Ankunft des Marschalls Posten r dem Haus aufziehen, darf er sich endlich wieder sicher fühlen. Einen Hosenknopf des »Marechal de France« verleibt er angeblich seiner Münzsammlung ein. Nur zwei Tage nach der Schlacht stellt ihm General Victor einen Schutzbrief aus, zusammen mit Wieland speist er wenig später beim Stadtkommandanten. Der Maler und Kunstgelehrte Johann Heinrich Meyer dagegen hat alles bis auf seine Bücher verloren. Goethe schickt dem werten Freund, seinem »Kunscht-meyer«, auf den er sich in allen Fragen der bildenden Kunst nahezu blind verläßt, ein Billett und fragt, womit er dienen könne. »Rock, Weste, Hemd pp. soll gerne folgen. Vielleicht bedürfen Sie einiger Vik-tualien? G.«

Plünderungen und vier abgebrannte Häuser - der Schaden der feindlichen Besetzung, in den Annalen Weimars als Schreckenstage vermerkt, könnte wahrlich schlimmer sein. Ins Theater ist eine Kanonenkugel eingeschlagen, Kugeln stecken auch in einigen Häuserwänden und werden später als kostbare Souvenirs rgezeigt. Das nach Allstedt ausgelagerte Münzkabinett übersteht den feindlichen Einfall unversehrt, auch die Bibliothek »ist wundersam erhalten«, wie Goethe an Carl August schreibt: »Die Türe konnten sie nicht einsprengen, sie sägten die Gitter entzwei, schlugen die Tür der Kommunarchiv-Expedition auf« und - fanden Akten, »verwünschte Papiere«, mit denen sie nichts anzufangen wußten. Damit ist die Anna Amalia Bibliothek gerettet. Biwakierende Truppen brauchen Feuerholz - dennoch nennt Goethe den Schaden im Park »ganz null«. Die Belvederi-sche Chaussee sei unangetastet, der Stern unverletzt und nichts abgehauen, was der Herzog nicht »in vierzehn Tagen vielleicht mit anmutigeren Pflanzungen wiederherstellen« könne. Drei Tage nach der Schlacht schreibt er dem Hofprediger Günther, dieser Tage und Nächte sei ein alter Vorsatz bei ihm zur Reife gekommen: »Ich will meine kleine Freundin, die so viel an mir getan und auch die Stunden der Prüfung mit mir durchlebte, völlig und bürgerlich anerkennen als die Meine.« Christiane Vulpius und er leben seit nahezu zwei Jahrzehnten zusammen, ihr Sohn August zählt inzwischen siebzehn Jahre. Spitz und als ob Goethes Verhalten als unziemlich zu tadeln sei, vermerkt seine einstige Angebetete Charlotte n Stein: »Während der Plünderung hat er sich mit seiner Mätresse öffentlich in der Kirche trauen lassen. Dies war die letzte hiesige kirchliche Handlung, denn alle unsere Kirchen sind nun Lazarette und Magazine.« Wenn es um die Rivalin geht, schreckt die edle Hofdame r übler Nachrede nicht zurück. Selbstverständlich findet die Trauung nicht während der Plünderungen statt, denen Napoleon auf den Kniefall des Schuhmachermeisters Petri am 16. Oktober Einhalt gebietet, sondern erst am 19. Oktober - in aller Stille in der Sakristei der Stadtkirche, wie n Goethe gewünscht; nur sein Sohn August und Friedrich Wilhelm Riemer, Philologe und enger Mitarbeiter Goethes, nehmen als Zeugen daran teil. In die Trauringe ist der 14. Oktober, der Tag der Schlacht n Jena und Auerstädt eingraviert - Zeichen der Dankbarkeit für Christianes resolutes, tapferes und standhaftes Verhalten in der Nacht, als die Franzosen kamen. Doch denkt der Dichter dabei auch an seinen Sohn: Er habe August, erklärt er dem Herzog, endlich ein gesetzliches Band zwischen Vater und Mutter geben wollen.

Fast zwanzig Jahre hat sich die Weimarer Gesellschaft den Schnabel an seinem unstandesgemäßen Verhältnis mit dem fröhlichen und unbefangenen Sinnenkind gewetzt. Goethe trifft Christiane nach seiner Italienreise, also nach seinem Faustina-Erlebnis in Rom, wo er die heidnische Liebe zum Leib »mit allen seinen Prachten« entdeckte, wie es in den »Römischen Elegien« heißt. Auf einem Spaziergang im Park steht sie plötzlich r ihm und überreicht eine Bittschrift ihres Bruders Christian, eines miserabel bezahlten Sekretärs, der seine Geschwister durchbringen muß, seit der Vater, ein Kopist und Amtsarchivar, an Trunksucht starb. Als Autor verdient Christian Vulpius einige Groschen hinzu, schreibt für die verschiedensten Buchhändler schlecht honorierte Ritter- und Abenteuerromane; ein Kollege des großen Goethe mithin, wenn auch auf dem Gebiet der Trivialliteratur. »Die Abenteuer des Prinzen Kolloandro« heißt eine seiner damals veröffentlichen Geschichten, später wird er mit einem Roman über den Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini populär. Das Mädchen, das Goethe mit einem artigen Knicks anspricht, ist dreiundzwanzig und hat schön gelocktes, bräunliches Haar; Caroline Jagemann, die in ihrer Kindheit neben ihr wohnte, bezeichnet Christiane in ihren Erinnerungen als ein hübsches, freundliches und fleißiges Mädchen mit apfelrundem, frischen Gesicht, brennend schwarzen Augen und aufgeworfenem Kirschenmund. Ihr Geld verdient sie in der Manufaktur des Kaufmanns Bertuch, wo sie aus Stoffresten Blumen schneidert. Bertuch deckt damit den Bedarf der Hutmacher, denn Blumen an den Hüten sind nach dem Geschmack der Damen in der Residenz en gue. Stets heiter ist diese Christiane mit ihrem breiten sächsisch-thüringischen Akzent, unbefangen und hübsch, unkompliziert und sinnenfroh -Goethe findet an ihr sofort Gefallen, er schätzt ihre Wärme und Lebenslust. Weibliche Schönheit der llkommeneren Art und sinnliche Erotik fallen bei dem Genius ohnehin auseinander. Schnell werden die beiden ein Paar, treffen sich erst verstohlen, dann in aller Offenheit und leben bald zusammen wie Eheleute, nur daß es an der Zeremonie fehlt, wie Goethe einmal sagt. Sie nennt ihn ihren »Hätschelhans«, Goethes Mutter, die Küche und Bett des Sohns endlich gut versorgt weiß und Christiane achtet, heißt sie Wolfgangs »Bettschatz«. Dabei hält er doch immer auf Distanz. Wenn er comme il faut in die böhmischen Bäder reist, in eigener Kutsche mit Diener, dem er die goldbeknöpfte Livree beim Leibschneider des Herzogs fertigen läßt, dann stets allein. Sie redet n ihm nie als ihrem Mann, sondern m Herren Geheimen Rat, auf Jahre hält sie sich n gemeinsamen Essen mit Gästen fern. Goethe nimmt Christiane, wie sie ist und läßt sie so; er erzieht sie nicht um. Genau das macht ihm die Weimarer Gesellschaft zum Vorwurf. Er habe dieses Wesen nicht zum Höheren erhoben, schreibt die Jagemann, sondern seinen niederen Neigungen überlassen. Gemeint ist: die schon in jungen Jahren ein wenig rundliche Christiane wird drall, die trinklustige gelegentlich zur Bachan-tin, die vergnügungssüchtige, tanzselige Demoiscile Vulpius hüpft nach dem Theater in Lauchstädt nach Herzenslust im Kreis mit Studenten herum, indes Goethe und Schiller sich in ernsten Gesprächen ergehen. Goethe, der als Genie bestaunte, tut sich mit einer ganz gewöhnlichen Sterblichen, nach Meinung vieler gar mit einer ordinären Person zusammen, eine Mesalliance, welche ihm die Weimarer Gesellschaft nie vergibt - selbst ein Schiller nicht.

Seinem Freund Körner schreibt er n »elenden häuslichen Verhältnissen«, die zu ändern der Hausherr zu schwach sei, die viel Verdruß erregten und Schuld daran trügen, daß Goethe im Augenblick literarisch so wenig herrbringe. Körner antwortet, man verletze die Sitten eben nicht ungestraft. Goethe selbst könne unmöglich das Geschöpf achten, das sich ihm »unbedingt hingegeben« habe, und, schlimmer noch: »Er kann n andern keine Achtung für sie und die Ihrigen erzwingen. Und doch mag er nicht leiden, wenn sie gering geschätzt wird. Solche Verhältnisse machen den kraftllsten Mann endlich mürbe.« Nach der Trauung m 19. Oktober 1806 kann man Christiane bei offiziellen Anlässen nicht mehr schneiden, wie bisher die Regel, und doch wird über »Goethes dicke Hälfte« weiter getratscht und gelästert, als sei dieses Weimar, in dem nach Meinung des neu angekommenen Schiller jede verheiratete Dame »ihren Roman«, mithin ihren Liebhaber hat - und auch eine Madame n Kalb unterhielt ja intimste Beziehungen zu dem Dichter der »Räuber« -, plötzlich zur Hauptstadt der deutschen Blaustrümpfe verkommen. Charlotte n Schiller untersagt sich jeden Glückwunsch. Als Cioethe 1813 in der wiederbegründeten Loge Amalia die Trauerrede auf den verstorbenen Wieland hält, sind dazu nur die Frauen n Logenbrüdern eingeladen. Christiane n Goethe gehört als »Schwester« eines Bruders selbstverständlich dazu, Charlotte n Schiller nicht. Erzürnt schreibt sie einer Freundin: »Hätte ich der dicken Hälfte für eine Schale Punsch ihr Recht abkaufen können, wie Esau um ein Linsengericht seine Erstgeburt, so glaube ich, wir wären beide an unserem Platze gewesen.« Übrigens ist Christiane gar nicht jener niederen Herkunft, die ihr ein Leben lang übel nachgeredet wird. Ihre Familie hat über Generationen Theologen, Juristen und Mediziner herrgebracht - nur der Vater mußte das Studium in Jena wegen Verarmung abbrechen und wurde zur gescheiterten Existenz. Aufgeklärter und freier denkend als die Spießer der Stadt und seines Hofs, zeigt der Herzog stets Verständnis für Goethes Bindung an Christiane. Lange r der Trauung der beiden sorgt er dafür, daß ihr formell illegitimer Sohn August Vulpius den Namen des Vaters erhält.

Der Genius und sein Fürst teilen die Abneigung gegen französischen Stil und Lebensart, wenn auch nicht unbedingt in literarischen Fragen. So findet Carl August zeitlebens mehr Gefallen an französischen Dramen als an den modernen deutschen der n ihm geförderten Klassiker. Als einziges der in Jena und Weimar geschriebenen Stücke Schillers wird dessen »Jungfrau n Orleans« nicht in der Residenz an der Um, sondern in Leipzig uraufgeführt, weil Carl August ein Machtwort spricht. Er kann sich schlechterdings nicht rstellen, daß die »Pucelle« eines Voltaire zu übertreffen sei, der die Jungfrau mit seinen Spottversen der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Schätzt er die Heroenskepsis der Aufklärung mehr als den Kult, den Schiller mit der Jungfrau treibt? Freilich hätte er bei einer Aufführung der Schiller-Tragödie in Weimar selbst den Spott zu fürchten, der seiner Mätresse hätte gelten können. Caroline Jagemann, inzwischen rundlich geworden, kommt als einzige Schauspielerin für die Hauptrolle der Jeanne d'Arc in Frage, aber jeder weiß, daß sie die Mutter seiner Söhne ist. Als Jungfrau hätte sie auf der Bühne in Weimar wenig überzeugend gewirkt, und sie selbst scheint dies gespürt zu haben. Von der Herzogin inzwischen als halboffizielle »Nebenfrau« geduldet und m Herzog 1809 zur Frau n Heygendorf geadelt, läßt ihr wachsender Einfluß auf Carl August sie zur Mitregentin in Kunstfragen werden. Sie hat Theaterverstand, ist eine begabte Intrigantin, ihr Wort in Bühnensachen zählt bald mehr als das Goethes. Erst sorgt sie für die Aufspaltung des kleinen Theaters in Schauspiel, Oper und Operette, welche dem Freund des Herzogs nur die Zuständigkeit für die Dramen beläßt. Und selbst die trotzt sie ihm schließlich ab, als sie den Hundenarr Carl August für ihre Idee gewinnt, einen dressierten Pudel in einer belanglosen Posse auf die Bühne zu bringen. Ein Köter auf Goethes heiligen Brettern - das ist dem Genie zuviel. Vergebens hat Goethe diesen geradezu monströsen Anschlag, diese ordinäre und perfide Entweihung seiner moralischen Anstalt zu verhindern versucht. Nun fügt er sich in die Entlassung durch seinen alten Freund und betritt das Theater nicht mehr.

Der Theaterstreit schadet der Freundschaft zwischen Dichter und Fürst sowenig wie ihre unterschiedliche Einstellung zu Rolle und Charakter Napoleons. Der Dichter akzeptiert den Korsen n Genie zu Genie, wird später sogar n »meinem Kaiser« sprechen; sein Fürst sieht in Napoleon r allem den Parvenü, Eroberer und Unterwerfer der Deutschen. Der Herzog denkt deutsch, Goethe universell, der Fürst zeigt Verständnis für den nationalen Aufbruch, Goethe befremdet das patriotische Pathos seiner Deutschen. Es ist ein Gegensatz, der sich mit der Entstehung der Urburschenschaft in Jena, mit dem Wartburgfest und Kotzebues Ermordung in den kommenden Jahren zwischen beiden verschärfen wird. Goethe zeigt sich fasziniert, wie der junge General Bonaparte Sieg auf Sieg an seine Fahnen heftet - nicht, weil er Krieg oder Krieger bewundert, im Gegenteil. Doch er haßt nun einmal die Anarchie wie die Pest und mythisiert Napoleon zum Bändiger der Relution, der neue Ordnung stiftet, die Größe seiner Erfolge und das unerhörte Ausmaß seiner Unternehmungen lassen den Korsen in seinen Augen zur »höchsten Erscheinung in der Geschichte« werden. So schreibt er es Knebel 1807, noch r seinen Begegnungen mit dem »Kaiser des Okzidents« in Erfurt und Weimar. Weder für Carl August noch für seinen Geheimrat ist das alte Frankreich ein Vorbild gewesen - schon gar nicht für den Dichter, der im Einklang mit dem deutschen literarischen Zeitgeist Ende des 18. Jahrhunderts die konventionelle Strenge der französischen Form ablehnt und Natürliches sucht. Zu den erklärten Zielen der Stürmer und Dränger gehört es ja, die Vorherrschaft der französischen Literatur, auch auf der deutschen Bühne, zu brechen. Nicht französische Ziergärten, englische Landschaftsparks sind angesagt. Nicht Frankreich, die Schweiz ist jetzt Vorbild. Dahin reist Goethe mehrfach, nach Paris zieht es ihn nie. Im französischen Straßburg entdeckt der Student Goethe am Münster deutsche Baukunst, läßt sich n Herder in die deutschen Volkslieder einführen, streift sein Französisch ab und redet, beinahe trotzig, nur noch deutsch. Das französische Ancien regime hat dem Elsaß seinen deutsch-alemannischen Charakter, Straßburg seine reichsstädtische Verfassung belassen. Carl August war auf seiner Prinzenreise auch nach Paris gekommen und hat es bewundert, Goethe schließt erst während der Camne 1792/93 nähere Bekanntschaft mit Frankreich. Aber längst hat die große Relution die französische Realität verändert, ein Umsturz, darin sind Fürst und Geheimrat einig, der nur durch die Verderbtheit der Sitten n Aristokratie und Königshaus möglich geworden ist. Bei Carl August verdichtet sich diese negative Einstellung zur Relution bis hin zum Haß auf alles moderne Französische: »Wer die Franzosen in der Nähe sieht, muß einen wahren Ekel für sie fassen«, schreibt er aus dem n preußischen Truppen besetzten Frankreich. »Sie sind alle sehr unterrichtet, aber jede Spur eines moralischen Gefühls ist bei ihnen ausgelöscht.« Der alternde Goethe dagegen denkt betont übernational, er hält nichts n gegenseitiger Verachtung der Völker. Nicht als Franzose, sondern als Genie, als dämonischer Mensch steht Napoleon für ihn unerreichbar hoch über allen anderen.

Seine Abneigung gegen Frankreich hindert Carl August nicht, die Nähe des Rheinbund-Protektors zu suchen, wenn es um die Vergrößerung seines Territoriums geht. Er schickt Unterhändler an die »große Länderbörse« nach Paris, erst Müller, dann den ranghöheren Geheimen Rat n Wolzogen. In Paris erhält der Flickenteppich des ehemaligen deutschen Reiches einen neuen Zuschnitt, als Fürst des Rheinbunds hofft Carl August auf Zuwachs an Land, Untertanen und Einfluß, um sein Herzogtum zur führenden Macht im zersplitterten Thüringen aufzuwerten. Will er sich bei Napoleon einschmeicheln, als er ihn bittet, Pate bei seinem ersten Enkelkind Marie Luise Alex-andrine zu stehen? Der andere Pate wird Zar Alexander, der Bruder der Mutter der neugeborenen Prinzessin sein. Nach einigem Hin und Her, bei dem es auch um die erste Stelle im Taufregistcr geht, nimmt Napoleon im Frühjahr 1808 die Patenschaft schriftlich an. Geschickt versucht der Herzog, sich mit Hilfe der russischen Verwandtschaft international aufzuwerten. Doch Napoleon behält ein gesundes Mißtrauen gegen den »Monsieur Weimar«, n dem man nicht wisse, wohin ihn die »natürliche Lebhaftigkeit der Phantasie« und die »unruhige Neugier« seines Temperaments noch einmal treiben werde. Von dem befestigten Erfurt aus, das zur Domaine reservee des Empereurs geworden ist, werden alle seine Schritte scharf überwacht.

Nicht im stattlichen Weimarer Schloß, das bequemeres Quartier geboten hätte, sondern auf eigenem Boden in Erfurt, nur wenige Kilometer n Weimar entfernt, läßt Napoleon sich auf der Höhe seiner Macht n vier Königen und mehr als dreißig Fürsten auf einer Gipfelkonferenz seines Rheinbunds huldigen. Der Empereur hat große Pläne, erwägt die Heirat mit einer Schwester des russischen Zaren, der selbst nach Erfurt kommt, um das keineswegs solide Bündnis zu bekräftigen, welches der Herr des Okzidents mit dem Herren des Orients nach dem Frieden n Tilsit eingegangen ist. Napoleon sucht Rückendeckung, um die Spanier in einem großen Feldzug niederzuwerfen. Der Fürstenkongreß währt m 27. September bis zum 14. Oktober 1808, Erfurt hat dafür den ganzen Glanz aufgeboten, dessen es in seiner biederen Bürgerlichkeit fähig ist: Beim Einzug läuten die Glocken, des nachts sind die Fenster illuminiert, der Stadtdirektor überreicht dem »Unüberwindlichen« die Schlüssel als Zeichen der Ergebenheit und Treue, und die Stadtdeputierten begrüßen Ihre Majestät mit einem Huldigungsschreiben, in dem Napoleon garals ein »heiliger Name« bezeichnet wird, der alles in sich fasse, was das Menschengeschlecht erhält, schützt und ihm hilft. Der Napoleon-Kult feiert wahre Triumphe. So lautet die Inschrift auf einem der vielen Transparente, welche den Korsen begrüßen:

»Gäb's jetzt noch einen Götter-Sohn
So war's gewiß Napoleon.«

Eine andere:

»Handel und Wandel macht blühend das Land;
Mehr noch Napoleons Herz und Verstand.«

Es sind glanzlle Tage. Napoleon macht Kulturproanda, er will die etwas einfältigen Deutschen, die er für Schlafmützen hält, mit der Eleganz und Pracht des französischen Theaters beeindrucken und hat dafür die besten Schauspieler aus Paris mitgebracht. Allabendlich treten sie in Erfurt r einem Parterre ller gekrönter Häupter auf. Umgekehrt sucht Carl August dem Korsen mit der kulturellen Bedeutung seines Weimar zu imponieren und damit »reellen Gewinnst« für sein Land herauszuwirtschaften. Deshalb bestellt er erst Goethe , später auch Wieland nach Erfurt, damit sie dem Kaiser rgestellt werden. Am 2. Oktober kommt es schließlich zu jener Begegnung, n der Goethe sich zeitlebens beeindruckt zeigt, obschon Napoleon kaum die Zeit findet, sich dem Dichter konzentriert zu widmen. Doch gewinnt Goethe Einblick in das ganz große Weltgeschehen, er wird Augenzeuge, wie sein Halbgott politische Weichen stellt. Es handelt sich ja nicht um eine förmliche Einzelaudienz, sondern eher um ein Geplauder seiner Majestät, das immer wieder n ernsten politischen Geschäften unterbrochen wird - folgt man den Memoiren Talley-rands, dann ist der Klassiker aus Weimar eher eine Art Staffage. Der Kaiser sitzt an einem großen runden Tisch beim Dejeuner, flankiert n Talleyrand und Marschall Daru, die beide stehen und mit denen er sich über Kontributionen unterhält. Generäle und Diplomaten kommen und gehen, man diskutiert und berät, Napoleon erteilt seine Befehle - der Dichter in seinem Frack steht ehrerbietig mit anderen in einer Reihe, gelegentlich richtet der Kaiser das Wort an ihn. »Vouz etes un homme!« - ein Kompliment, das r allem besagt, daß dieser etwas korpulente und kurzbeinige Goethe, der da mit sorgfältig gebranntem Haar r ihm steht, sich für seine sechzig Jahre gut gehalten hat. Napoleon gibt sich als Kenner des »Werther« aus, er spricht lange und schnell, nach jeder seiner Ausführungen stellt er die ungeduldige Frage: »Qu'en dit Monsieur Göt?« Der Kaiser springt auch einmal auf, geht auf Goethe zu und sagt, er mißbillige Schicksalsdramen. In diesem Zusammenhang fällt dann das berühmte Wort: »Politik ist das Schicksal.« Voltaires »Tod des Cäsar« wird angesprochen, ein Thema, das Napoleon bewegt, weil der berühmte Autor all die großen Pläne, die Cäsar wegen seiner Ermordung nicht mehr hat ausführen können, nicht behandelt hat. Man müßte das Thema neu fassen - Goethe solle unbedingt nach Paris kommen, um sich gründlicher als Voltaire mit dem Stoff zu beschäftigen. Ebenso abrupt, wie es begann, wird das Gespräch dann plötzlich abgebrochen. Tage später, beim Hofball, den der Herzog n Weimar für die Kaiser, Könige und Fürsten in seinem Schloß gibt, wechselt Napoleon erneut einige Worte mit Goethe, aber sein Hauptgesprächspartner ist diesmal Wieland, den er eigens holen läßt, weil der Herausgeber des »Teutschen Merkur« nicht erschienen ist. Wieland eilt herbei, wie er zu Hause angetroffen wird - ungepudert, das ewige schwarze Samtkäppchen auf dem Kopf, ohne Degen und höfische Tracht, er steckt in einfachen Tuchstiefeln.

Napoleon unterhält sich mit ihm »wie ein alter Bekannter mit seinesgleichen«, schreibt Wieland ller Stolz danach, »und, (was noch keinem andern meinesgleichen widerfahren war) fast anderthalb Stunden lang in einem fort und ganz allein « Das (iespräch kreist unter anderem um Tacitus, den Napoleon haßt und Wieland verteidigt; daß der Korse seinen Partner nur selten zu Wort kommen läßt und die frais de la conversation fast allein auf sich nimmt, erfreut Wieland, »ungeübter, schwerzüngiger französischer orateur«, der er nach eigenem Urteil ist. Der Kaiser hat Achtung r Weimars Kulturmission, er will Goethe wie Wieland beeindrucken, sie für seine Sache gewinnen; er weiß, sie sind Multiplikatoren, ihre Stimme hat ein großes Echo in allen deutschen Fanden. »Die Stadt Weimar«, heißt es später in der Anweisung an den französischen Gesandten für die sächsischen Herzogtümer, den Baron n St. Aignan, »ist der Sammelpunkt einer großen Zahl berühmter Schriftsteller, deren Schriften, in ganz Deutschland gelesen, großen Einfluß auf die öffentliche Meinung haben; und da oft politische Fragen in rein literarische Abhandlungen vermengt sind, wird sich Herr Baron n St. Aignan über alle in Weimar oder Gotha neu erscheinenden Werke in Kenntnis halten müssen und über den Geist, in dem sie verfaßt sind. Er wird dem Minister des Außeren Exemplare der Schriften zustellen, die in politischer Hinsicht irgendein Interesse bieten. Er wird in gleicher Weise die politischen und literarischen Zeitschriften überwachen, die in den sächsischen Herzogtümern erscheinen.«

Wie Erfurt, spart auch Weimar nicht an Pomp, als es den großen Eroberer zu begrüßen gilt. Carl August hat zu einer Prunkjagd auf dem Ettersberg in einen Pavillon geladen, einen »salon en verdure«, dessen Zeltdach auf Säulen ruht, die mit Tannengrün, Blumen und Vogelbeeren geschmückt sind. Nach einem Gabelfrühstück ertönen Lieder und Jagdhörner, aus einem nahen Gehege werden den gekrönten Häuptern Hirsche und Rehe r die Flinten getrieben. Der Lenker des Kontinents, Napoleon, ist gleich mit sechs Jagden und vier Piqueuren erschienen, sein Leibmameluck und ein Büchsenspanner laden ihm die Gewehre, schreibt Ilse-Sibylle Stapff. Die versammelten Kaiser, Könige und Fürsten bringen siebenundvierzig Hirsche, fünf Rehböcke, drei Hasen und einen Fuchs zur Strecke und ziehen dann nach Weimar. Am Stadttor begrüßt sie das Schützenkorps mit klingendem Spiel und fliegender Fahne, die Glocken läuten, ein »edler Rath und die Bürgerschaft«, so die »Weimarische Zeitung«, hat sich auf den Straßen in Reihen aufgestellt. Vor dem Schloß prunkt ein kolossaler, sechzig Fuß hoher Obelisk, geziert mit dem Stern der Ehrenlegion und angeleuchtet n vier großen Pechpfannen. Unzählige kleine Lichter an den Gesimsen zeigen wie Feuerlinien die Umrisses des Herzogssitzes, und als sich die Majestäten und durchlauchtig-ten Hoheiten über die Esade zum Theater begeben, wo des Kaisers Schauspieler »Cäsars Tod« aufführen, stehen die Weimaraner mit Fackeln Spalier. Zusammen mit dem französischen Theaterdirektor Dazincourt hat Goethe die Weimarer Bühne für das Stück hergerichtet, seine Aufführung stellt insofern eine Sensation dar, als der Kaiser dieses Drama n Voltaire als subversives Stück in Frankreich verboten hat - der Zuschauer könnte die antike Handlung ja falsch verstehen und in dem Tyrannen, den es zu morden gilt, nicht Cäsar, sondern Napoleon sehen. Weil der Korse dem Zaren anderntags das Schlachtfeld n Jena zeigen will, hat Carl August einen mit Leinwand verkleideten Holztempel auf jenem Platz errichten lassen, wo der Kaiser der Franzosen r der Schlacht, »in der ewig denkwürdigen Nacht am 13. October 1806 bivaquirte«, wie das offizielle Weimarer Blatt vermerkt. Der Tempel, in dem die Majestäten frühstük-ken, steht auf dem Windknollen oder Napoleonsberg bei Jena und ist dem Donnergott geweiht - gemeint ist damit natürlich Napoleon. Goethe hat im dienstlichen Auftrag an der Ausschmückung des Baus und an der Tempelinschrift mitgewirkt. Nach einer anschließenden Hasenjagd bei Apolda, die Carl August ausrichtet, läßt der Protector des Rheinbundes in Weimar nur noch die Pferde wechseln und reist nach Erfurt zurück. Für ihn bleibt das Gespräch mit Goethe eine Episode unter unzähligen anderen, auch wenn er sie in seinen Memoiren erwähnen wird, Goethe dagegen bewertet die Begegnung mit Napoleon als Sternstunde, in der er den Dämon des Schicksals traf. Carl Otto Conrady spricht einmal n der »scheuen Anerkennung amoralischer und geschichtlicher Produktivität«, die Goethe in Napoleon wirksam sah. In der Tat sieht der Dichtergenius im Genie des Kaisers eine elementare Naturkraft, die sich über die normalen Regeln für normale Menschen erheben darf. Begründet er damit jenen Geniekult mit, den die Deutschen bald mit ihm selber treiben und der in ihrer politischen Geschichte verhängnislle Folgen haben wird? Es habe ihm in seinem Leben »nichts Höheres und Erfreulicheres begegnen« können, als »auf eine solche Weise« r dem französischen Kaiser zu stehen, schreibt er nach der Begegnung in Erfurt tiefbewegt seinem Verleger Cotta. Niemals habe ihn »ein Höherer dergestalt aufgenommen« und ihm zu verstehen gegeben, daß sein Wesen »ihm gemäß sei«. Das Kreuz der Ehrenlegion, das Napoleon ihm und Wieland noch n Erfurt aus zukommen läßt, trägt er mit Stolz selbst noch in den Befreiungskriegen und erwägt, als man daran Anstoß nimmt, einfach einen Orden des Zaren daneben anzustecken. Das Genie würdigt in Napoleon das vielleicht noch größere Genie. Gegenüber Eckermann nennt er das Leben Napoleons »das Schreiten eines Halbgotts«, der sich im »Zustand einer fortwährenden Erleuchtung befunden« habe; man brauche eben nicht bloß Gedichte und Schauspiele zu machen, um produktiv zu sein, es gebe auch »eine Produktivität der Taten, die in manchen Fällen noch um ein Bedeutendes höher steht«. Nietzsche wird später sogar behaupten, das Erscheinen Napoleons habe Goethe zu seinem »Faust« inspiriert. Der junge Theodor Körner ist als freiwilliger Jäger bei den I.ützowern eingerückt, als Goethe im Kör-nerschen Haus in Dresden im April 1813 auf den fanatisch antiwelschen Freiheitsbarden Ernst Moritz Arndt trifft und ihm jeden Aufstand gegen Napoleon als hoffnungsloses, zum Scheitern verurteiltes Unternehmen auszureden sucht: »Schüttelt nur an Euren Ketten, der Mann ist Euch zu groß, Ihr werdet sie nicht zerbrechen.« Noch Monate später, r der Völkerschlacht bei Leipzig, wettet Goethe, Napoleon werde der Sieger sein - aber ist er damit wirklich so weit n den Erwartungen der Weimarer Regierung entfernt, wie es die nationalen Panegyriker n seinem Carl August später behaupten werden?

Es ist nicht ganz einfach, die Rheinbundzeit in der Stadt unserer Klassiker zu rekonstruieren, fast sieht es so aus, als hätte eine nationale Geschichtsschreibung bewußt das Gedächtnis daran getilgt oder gesäubert. Für die zwei Tage jedenfalls, in denen das kleine Weimar zum Zentrum napoleonischer Machtfülle wurde, hat der Herzog alles aufgeboten, was er als kleiner Fürst seinen hohen und höchsten Gästen zu bieten vermochte. Selbst wenn er tiefste innere Vorbehalte gegen Napoleon haben sollte, ist dan nach außen jedenfalls nichts zu spüren. Auch später erfüllt er getreu seine Rheinbundpflichten, schließt sich der Kontinentalsperre an, läßt Baumwolle aus Brasilien, Surinam oder dem amerikanischen Georgia beschlagnahmen und vernichten, dazu weißen Pfeffer, feinen Zimt und Kaffee, der über die Meere gekommen ist. Die Torschreiber n Weimar werden angewiesen, auf die Deklaration aller Kolonialwaren »bei Strafe der Konfiskation« zu achten. Und brav füllt der Herzog immer wieder das Truppenkontingent auf, das er zu unterhalten verpflichtet ist. Da sich kaum einer freiwillig meldet, wird die fünfjährige Dienstpflicht für jede »innerhalb der Sachsen-Weimarischen Lande gebohrene Mannsperson« zwischen dem 20. und 24. Lebensjahr eingeführt. Ausgenommen sind Professoren, Dozenten und Studenten während einer Studienzeit n drei Jahren. Wer dienen muß, den bestimmt das Los, Nicht die Wohlhabenden, sondern die kleinen, armen Leute sind n der Militärpflicht besonders betroffen: Jeder Gezogene darf nach dem Dekret des Herzogs einen Ersatzmann stellen, den er freilich nur gegen eine erkleckliche Summe finden kann. Die Zahl der ausgehobenen Rekruten richtet sich nach dem Bedarf, sprich den Verlusten, und die sind hoch. Bei Sterzingund Brixen in Tirol zählt man 55 Gefallene sowie 156 Gefangene und Blessierte. Von den 681 Soldaten und 20 Offizieren des neu aufgefüllten Weimarer leichten Infanteriebatallions, das 1810 nach Spanien zieht, kehren nur 101 Mann und elf Offiziere heil aus dem katalonischen Guerillakrieg zurück, der Rest ist gefallen, in Gefangenschaft geraten, verwundet worden oder dangelaufen. Desertionen sind häufig, und um ihnen rzubeugen, veröffentlicht die »Weimarische Zeitung« am 24. Oktober 1810 ein Herzogliches Patent-Dekret, demzufolge das Vermögen eines jeden Landeskindes beschlagnahmt wird, das desertiert oder sich dem wirklichen »Enrol-lement« durch Flucht entzieht. Auch beschließen jene Rheinbundstaaten, welche die allgemeine Dienstpflicht eingeführt haben, die wechselseitige Auslieferung »widerspenstiger Conscribierter«. Wenige Jahre nach dem Krieg, in dem Weimar an Preußens Seite gegen Napoleon gekämpft hat, scheint in Weimar Rheinbund-Normalität eingekehrt. Carl Augusts zweiter Sohn, Prinz Bernhard, kämpft an der Spitze eines sächsischen Gardebataillons so tapfer in der Schlacht n Wagram gegen die Österreicher, daß ihn Napoleon eigenhändig mit der Ehrenlegion schmückt. Unter dem 20. August 1811 meldet das Lokalblättchen, das Napoleonfest sei feierlich begangen worden -mit Musik m Rathausbalkon, die »zur allgemeinen Fröhlichkeit weckte«. Der Magistrat gab einen glänzenden »Freyball« für vierhundert Personen - »es fehlte nirgends an Aufmunterung und Freude, wie sie des großen Tags würdig war«, Stadthaus und Markt waren »reichlich illuminiert«. Der Hof feierte den Geburtstag des Rheinbund-Protektors mit großer Mittagstafel und abendlicher Cour. Carl Augusts nationalgesonnener Militärberater Oberst n Müffling, der früher in preußischen Diensten stand, notiert besorgt, daß »die deutsch gesinnte Partei r der französisch gesinnten« immer mehr zurückweicht. Der französische Gesandte habe »unter den deutschen Bewohnern der guten Stadt Weimar (meistens Diener des Herzogs) eine völlig organisierte Espionage«. Der Herzog und sein Militärberater sehen Napoleons Krieg in Rußland zwar als sehr entscheidend für Deutschland an, allein sie haben »kein großes Vertrauen« auf die Armee, welche Kaiser Alexander n Rußland »den ungeheuren Kräften entgegensetzen« kann, die Napoleon gegen Rußland wälzt.

Nach dem n ihm also kaum erwarteten Zusammenbruch der Grande Armee in Rußland treibt Carl August dann eine klassische Schaukelpolitik, zumal das Herzogtum zwischen den Fronten liegt.

Wie 1806 steht die Existenz n Staat und Dynastie auf dem Spiel, rsichtigstes Taktieren scheint das Gebot der Stunde. So beschließt das »Landespolizey-Collcgium« eine Art Maulkorb-Erlaß für alle Untertanen: Weimarer Bürger haben sich aller Gespräche, in denen »Partheygeist oder Teilnahme für oder gegen die politischen oder militärischen Ereignisse liegen könnten« zu enthalten. Die Verbreitung »unzeitiger Kriegsnachrichten« in Kaffeehäusern und anderen öffentlichen Orten wird als Störung der öffentlichen Ruhe bewertet und unter Strafe gestellt. Der Herzog bleibt erst einmal im Rheinbund und hält es mit Blick auf das Wiedererstarken Napoleons für geraten, Ersatz für sein Militär-Kontingent zu schaffen, das bei dem Rückzug aus Litauen so gut wie aufgerieben worden ist. Wenn er heimlich mit der anderen Seite sympathisiert, weiß er sich doch bestens zu verstellen. Allerdings ist seine Lage auch nicht beneidenswert: Frankreich beherrscht weiterhin das nahe Erfurt und fordert Schanzarbeiter aus Sachsen-Weimar an, indes russische Kosaken bereits Thüringen durchstreifen und eine Eskadron preußischer Husaren im April 1813 sogar die Stadt Weimar und den Ettersberg besetzt. Ihr Anführer, ein Oberst und Sohn des Feldmarschalls Blücher, wird mit seinen Soldaten freundlich bewirtet, aber Napoleon rückt mit neuen Truppen heran, so daß die Blüchersche Eskadron sich r den Einheiten Marschall Neys schleunigst zurückziehen muß. Um »Ihre treue Anhänglichkeit an die Sache Sr. Majestät des Kaisers und Königs, Protekteurs des Rheinbundes, zu bestätigen«, läßt Carl August im Mai 1813 verkünden, jedem Einwohner, der irgendeines Einverständnisses mit einem feindlichen, also russischen oder preußischen Streifkorps für schuldig befunden werde, drohten höchste Strafen als »Staatsverräter«. Der Weimarer Minister Voigt notiert noch am 10. Oktober, wenige Tage r der Entscheidungsschlacht bei Leipzig: »Wir sind durch siegreiche Waffen geschützt, was wollen wir mehr? Da uns der Kaiser wieder näher ist, so können wir ruhiger sein.« Denkt er anders als sein Landesherr, ist das Weimarer Gouvernement in seinen Sympathien also gespalten? Selbst der Napoleon-Verächter Carl August kann sich der gebieterischen Aura des Korsen nicht immer entziehen. Er begleitet den Kaiser auf dessen Ritt zur Front bis Eckartsberga und spricht danach n diesem »wahrhaft außergewöhnlichen Wesen«, das ihn an einen Inspirierten, einen Erleuchteten, ja an Mohammed erinnert habe. Der Historiker Fritz Härtung meint, willenlos werde Weimar 1813 zwischen den Parteien hin- und hergeworfen, um sich zum Schluß noch einmal dem Machtgebot Napoleons zu fügen. Höchst unrühmlich ergibt sich das neue Bataillon des Herzogs einer Handll preußischer Husaren; um der Gefangenschaft zu entgehen, aber zweifellos auch aus einer patriotischen Grundstimmung heraus, die mehr und mehr um sich greift, wechselt es einfach zur Gegenseite und verstärkt die Reihen der Preußen. Erbost fragt Napoleon Friedrich n Müller: »Wie, Ihr bildet Euch ein, ein ganzes Bataillon lasse sich ohne Schwertstreich n einer Handll Husaren gefangen nehmen? Wie, Ihr wollt mich glauben machen, ein solcher Skandal lasse sich ohne eine rherige verräterische Verabredung denken?« Sein Mißtrauen gegen den unruhigen Monsieur Weimar wächst, auch wenn dieser erneut ein frisches Bataillon zusammenstellt, das nun wirklich auf französischer Seite kämpft.

Erst nach der Völkerschlacht bei Leipzig glaubt Carl August die Stunde für einen Frontwechsel gekommen: Er füllt sein Linienbataillon auf, befiehlt ihm, zu den verbündeten Heeren zu stoßen, und führt nun gegen seinen ehemaligen Rheinbundprotektor Krieg. Angeblich nur wegen der »deutschen Gesinnung des Herzogs«, so Harald Keb-bel 1955, wird Sachsen-Weimar n den siegreichen Napoleon-Gegnern verschont und nicht wie andere Rheinbundstaaten unter die zentrale Verwaltung der Verbündeten gestellt. Was Kebbel in seiner Studie »Weimar zur Zeit der Befreiungskriege« behauptet, befindet sich in Einklang mit der nationalen und nationalsozialistischen Geschichtslegende, welche n den Historikern der DDR übernommen und fortgesponnen wird, wenn es um die Napoleonischen Kriege geht. Deutsche vereint mit Russen gegen westliche Fremdherrschaft - das paßt bestens zur deutschlandpolitischen Linie der DDR. Sehr viel wahrscheinlicher jedoch ist, daß nicht des Herzogs deutsche Gesinnung, die im Grunde nicht zu bezweifeln ist, wohl aber seine russische Verwandtschaft seine Herrschaft und seinen Staat in Weimar retten. Oder sollte es nur Zufall sein, daß der frühere preußische Kürassier-General Carl August nach Völkerschlacht und llzogenem Frontwechsel erst einmal die Uniform eines russischen Generals überzieht?

Motive hin oder her - seine Schaukelpolitik hat Erfolg. Nach ihrem Sieg bei Leipzig nehmen die Monarchen Preußens, Rußlands und Österreichs mit ihrem Haupts in Weimar Quartier, bis dieser weiter nach Frankfurt zieht. Daß der Herr über ein winziges Territorium zum Erhalt n Land und Dynastie in eine Zwangslage geraten ist, nehmen sie dem Ernestiner sehr viel eher ab als dem König n Sachsen. Und hat nicht auch das viel mächtigere Preußen seine Truppen auf Wunsch und im Dienst Napoleons 1812 gegen Rußland in Marsch setzen müssen? So behandeln sie den Realpolitiker Carl August, der r wenigen Wochen noch gegen sie stand, wie einen alten Verbündeten. Noch im November übernimmt der Herzog die Eührung des III. Deutschen Bundeskorps, im selben Monat stellt Weimar zusätzlich ein Landwehrbataillon sowie eine »Schar der Freywilligen« auf, denen Maria Paulowna persönlich die Standarte stiftet. Als Freiwillige lädt der Herzog in seinem Gründungsaufruf auch wehrhafte Männer aus den benachbarten Staaten ein - Männer, die »noch nicht unter die Fahnen des gemeinsamen deutschen Vaterlandes n ihren Fürsten gerufen worden sind«. Es ist dies die erste Erwähnung des Begriffes »deutsches Vaterland« in einem offiziellen Aufruf des Weimarer Regenten. Fortan mehren sich in dem Fürstentum, das sich als kulturelles Zentrum Deutschlands versteht, betont nationale Töne. Erklingen sie in Weimar lauter als anderswo, um die unrühmliche Taktiererei mit dem Korsen, die nun schmählich erscheinende Rheinbund-Vergangenheit vergessen zu machen? Als der Herzog Anfang September 1814 aus dem Krieg nach Hause kommt, stehen jubelnde Bürger n der bekränzten Ehrenpforte, die man ihm errichtet hat, bis zum Theaterplatz Spalier; auf dem Markt sind das Linienbataillon und die uniformierten freiwilligen Schützenkomnien des Landsturms mit klingendem Spiel und Fahnen aufmarschiert; und die »Weimarische Zeitung« preist den Herzog gar als Helden, der ausgezogen sei, für die »heilige Sache Deutschlands, für des Vaterlandes Ehre, Gesetz und Sitte« zu kämpfen. Wenn Carl August 1816 den »Orden der Wachsamkeit oder m weißen Falken« erneuert, will er bei den Trägern dieses Ordens ausdrücklich vaterländische Gesinnung, die Verbreitung »Teutscher Art und Kunst«, Treue gegen das »gemeinsame Teutsche Vaterland« und Ergebenheit gegen »die jeweils rechtmäßige höchste Nationalbehörde« ausgezeichnet wissen. Alljährlich am 18. Oktober hat der Falkenorden ein »Nationalfest« zu feiern und der »Befreiung Deutschlands n der Schmach ausländischer Herrschaft« zu gedenken. Wer die Bedingungen für die Ordensverleihung liest, auf den wirkt die Tatsache, daß sich Goethe, Kosmopolit und Bewunderer Napoleons bis übers Grab hinaus, auf der Liste der ersten mit dem Großkreuz des Weißen Falken Ausgezeichneten befindet, beinahe wie ein Witz. Gewiß, wenn man sein Werk unbedingt so sehen will, dann hat er mit seinen Gedichten, Tragödien und Dramen »Teutsche Art und Kunst« verbreitet - wo aber finden sich vaterländisches Herz und Gesinnung? Patriotismus, meint der Genius, verdirbt die Geschichte; er verachtet den Ausbruch der Soldatentollhcit, die da plötzlich um sich greift; lustig macht er sich über die jungen Herren, welche in den Befreiungskriegen nichts bequemer finden, »als hinauszumarschieren und anderen ehrlichen Leuten ebenso beschwerlich zu sein, als man uns gewesen«. Als Ehre und patriotischer Chic den jungen Herren n Stande auch in Weimar gebieten, ins Feld zu ziehen, untersagt Goethe seinem vierundzwanzigjährigen Sohn August, mit der »Schar der Freywilligen« auszurücken. Durch seine Beziehungen schanzt er ihm den Posten eines Verpflegungskommissars in Frankfurt und den nominellen Rang eines Adjutanten des Erbprinzen Carl Friedrich zu.

Goethes Verhalten spiegelt die grundsätzliche Mißbilligung der Politik seines Fürsten und Freundes wider, der dem »Soldatcnteufel« in sich nie widerstehen kann. Seine Kritik wird schon nach der Chamne deutlich, als Weimar zum Reichskrieg gegen Frankreich verpflichtet wird und der Geheimrat dar warnt, der kleine Staat werde »mit der Herde in sein Verderben rennen«. Lange r Jena inspizierte Carl August mit seinem kleinen Husarenkorps mögliche Schlachtfelder in seinem winzigen Reich, und mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß er »das Terrain n Thüringen, Franken p.(ersönlich) sehr gut kenne«, bietet er dem König n Preußen seine Dienste gegen Frankreich an. So jedenfalls schreibt es der Geheime Rat Voigt, der ja die entsprechenden Stafetten nach Berlin zu expedieren hat, seinem Kollegen Goethe. Nach dessen Geschmack hätte Weimar allerdings besser neutral bleiben und den Durchzug der Heere beider Seiten passiv hinnehmen sollen, wie es der Herzog n Gotha tat. Hat Carl August in den Augen des grollenden Freundes mit seiner Militärleidenschaft Weimar beinahe in den Untergang gezogen und um ein Haar sein Land verspielt? Katharina Mommsen hält die beschönigende Darstellung dieser Freundschaft, die Tendenz zur Harmonisierung »ein großes cover up«, das Historiker und Literaturwissenschaftler über die wahren Verhältnisse gebreitet hätten. »Faust II« interpretiert sie deshalb als »eine Art persönliche Abrechnung« Goethes mit seinem Fürsten, und in der Tat scheinen manche Parallelen, die sie zwischen Carl August und der ur des Kaisers im »Faust« herausarbeitet, nahezu überzeugend. Sein Reich ist fast bankrott, doch unbekümmert um leere Kassen und die Sparmahnungen seiner Minister feiert der junge Kaiser im »Faust« heitere Feste und veranstaltet teuren Mummenschanz. Erinnert die »Staatsrat-Szene« damit nicht an jenen Carl August, der stets über seine Verhältnisse lebt, die Pflichten seines Standes verkennt und die Mahnungen Goethes, der ihn zum Musterfürsten bilden will, in den Wind schlägt? Werden hier nicht jene Erfahrungen am Weimarer Hof geschildert, die Goethe schließlich nach Italien treiben? Der Kaiser im »Faust« verliert beinahe sein Land, weil er m Feldherrnruhm träumt, den er mangels militärischer Begabung jedoch nie erringen kann. Wird hier nicht auf Carl August angespielt, der in Überschätzung seiner militärischen Fähigkeiten seine Energien an glanzlose Taten vergeudet und die Kulturstädte Weimar und Jena an den Rand des Abgrunds bringt? Als der Kaiser endlich einen Sieg feiert, den er ausschließlich dem Eingreifen mächtiger Alliierter verdankt, werden die Fürsten zusammengerufen, Amter und Würden verteilt und »Faust« mit dem Meeresstrand belehnt. Wenn Goethe diese Amter-verleihungs-Szene in Alexandriner faßt, parodiert er nach Katharina Mommscn nicht nur den Wiener Kongreß, sondern auch seinen Fürsten. Der Goethe der klassischen Periode sei längst n dem »albernen Klang und Fall der Alexandriner« abgerückt, indes Carl August sie als Versmaß der Voltaireschen Dramen und der klassischen französischen Tragödien noch immer über alles schätze.

Wenn die Amterverleihungsszene wirklich eine Satire auf Carl August und Weimar darstellen sollte - ist sie vielleicht damit gerechtfertigt, daß Weimar auf diesem Wiener Kongreß nicht ans Ziel seiner Wünsche gelangt? Zwar erreicht es eine Verdoppelung seines Territoriums, doch sein Staatsgebiet, das mit nunmehr hundertneunzigtau-send Seelen ungefähr soviel Einwohner hat wie damals die Stadt Berlin, bleibt in zahlreiche Partikel zersplittert. Die große Arrondierung, auf die Carl August mit Hilfe Rußlands und Preußens gehofft hat, die Herstellung eines geschlossenen Territoriums, gelingen nicht, obschon er in Wien alle Hebel in Bewegung setzt, großartig Hof hält und alle Herrschaften n Einfluß geradezu fürstlich bewirtet: Sechzigtausend Taler, weit mehr, als der beengte Haushalt Weimars erlaubt, gibt er zum Kummer seiner Geheimen Räte aus. Der Zar setzt schließlich durch, daß der Schwiegervater seiner Schwester als Trost für den entgangenen Machtzuwachs durch Titel und Würden entschädigt wird: Mit dem Segen der verbündeten Monarchen steigt Carl August m Herzog zum Großherzog auf und darf sich nunmehr »Königliche Hoheit« nennen. Die korrekte Anrede, so tut Friedrich n Müller es am 21. April 1815 im offiziellen Mitteilungsblatt 1815 kund, sei ab sofort »Durchlauchtigster Großherzog, gnädigst regierender Landesfürst und Herr«, im Kontext solle man sich indes der Worte »Euer Königliche Hoheit« bedienen. Noch ein ganzes Jahrhundert wird man im winzigen Weimar n Mitgliedern der Großherzoglichen Familie als Königlichen Hoheiten sprechen, bis 1918 der letzte Großherzog für immer seinem Thron entsagt.

Mit einer neuen Verfassung löst Carl August 1816 ein Versprechen ein, das im Prinzip alle Fürsten in der Wiener Gründungsakte des Deutschen Bundes ihren Untertanen zugestanden haben. Wenn er es eiliger hat als andere, dann weniger aus landesväterlicher Sorge um demokratischere Zustände, die man später an ihm rühmen wird, als vielmehr wegen der Notwendigkeit, die zugewonnenen Gebiete mit den alten drei Landesteilen Weimar, Eisenach und Jena administrativ zu vereinigen. Schon 1809 hatte er die landständische Verfassung aus alten Zeiten aufpolieren und die im Frieden n Thorn erzwungene formelle Gleichstellung der Katholiken mit den Protestanten in Gesetze fassen lassen. Was jetzt zwischen einer m Herzog berufenen Beratungsversammlung und seiner Regierung als neues »Grundgesetz der Landständischen Verfassung des Großherzogtums« ausgehandelt wird, stellt weniger eine politische als eine wirtschaftliche und soziale Interessenvertretung dar, kennt nicht den Begriffeines einheitlichen Staatsbürgertums und ist damit keineswegs eine Konstitution im modernen Sinn. Ein Drittel aller Sitze erhält der Stand der Rittergutsbesitzer, die allein über ein direktes Wahlrecht verfügen; Bauern und Bürger, denen je zehn Sitze zustehen, müssen durch Wahlmänner wählen lassen. Abgeordneter kann nur werden, wer n einem deutschen Vater abstammt, das Bürgerrecht besitzt, selbst in Deutschland ehelich geboren, dreißig Jahre alt und bekennender Christ ist. Damit nicht genug, müssen Bauern, die ins Parlament einziehen wollen, ein Vermögen n zweitausend Talern, Städter Haus- oder Grundbesitz sowie ein unabhängiges jährliches Einkommen n dreihundert, in Weimar und Eisenach sogar fünfhundert Talern nachweisen. Carl August, dessen Herrscherbewußtsein mit zunehmendem Alter stärker und unerbittlicher wird und n dem der späte Goethe sagen wird, er habe das Zeug zum Tyrannen gehabt, behauptet seine Stellung als souveräner Monarch, der alle Staatsgewalt in seiner Person vereinigt. Wenn der Landgerichtsrat Hermann Ortloff in der »Zeitschrift für Thüringische Geschichte« 1907 behauptet, der Großherzog habe mit diesem Grundgesetz für Weimar eine konstitutionelle Monarchie geschaffen, mutet diese These mehr als befremdlich an, denn die Rechte des Landtages gegenüber der Regierung bleiben eng begrenzt, die Domänen des Großherzogs unterliegen nicht seiner Jurisdiktion. Und gerade darauf hat, so wiederum Härtung, gegen Ende der Beratungen Carl August nach Kräften hingewirkt. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die wenig später erlassenen Verfassungen der süddeutschen Staaten sehr viel liberaler ausfallen, denn sie gehen n einem einheitlichen Staatsbürgertum und staatsbürgerlichen Rechten aus. Der Jenaer Professor Oken stellt in seiner Zeitschrift »Isis« denn auch die Frage, ob es sich bei diesem Grundgesetz überhaupt um eine Verfassung handele, denn die Sicherstellung der individuellen Menschenrechte sei nicht rgesehen. Allerdings kann er diese Frage in aller Offenheit nur stellen, weil der Großherzog auf zumindest einem Gebiet nun doch rbildlich-liberale Maßstäbe setzt: Er verankert die Pressefreiheit in diesem Grundgesetz, und damit wird er sich nur zu bald den Zorn der heiligen Allianz zuziehen. Schon sein eigener Untertan und Schatullenverwalter, der Großbürger und Unternehmer Johann Justin Bertuch nutzt diese Freiheit, um die neue landständische Verfassung kritisch zu hinterfragen. In dem n ihm gegründeten »Oppositionsblatt« betont er die Notwendigkeit einer Teilung der Staatsgewalt, welche ausgerechnet sein Großherzog verhindert hat. Und wenn Bertuch auf die Bedeutung einer Opposition für die Sicherung n Volkswohl und Gerechtigkeit hinweist und schreibt, Opposition sei ohne die Bildung n Parteien nicht möglich, rügt er den Charakter des Weimarer Landtags, der mit seiner ständischen Sitz-ordung eine übergreifende Zusammenarbeit in Form n Parteien gar nicht erst entstehen läßt.

Übrigens verteidigt dieses sonst durchaus progressive Oppositionsblatt im Mai 1817 ausdrücklich, daß man den Juden die lle Gleichberechtigung durch Gewährung der Bürgerrechte renthält. Es sei unvereinbar, Jude, d.h. Genosse einer streng abgesonderten religiössittlichen Gemeinde, und zugleich Bürger eines christlichen Staates zu sein. »Ist er ein guter Bürger, ist er ein schlechter Jude, oder vielmehr gar kein Jude, dann soll er auch aufhören, es zu heißen und sich so zu nennen.« Nicht etwa in Opposition befindet sich Bertuchs Blatt mit solchen Sätzen, sondern in ller Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Landtags, der Behörden und der protestantischen Kirche in Weimar. Deren Oberkonsistorialdirektor Peucer will Juden gar durch den Zwangsbesuch christlicher Schulen und durch Militärdienst n, wie er sagt, dem ihnen eigenen Schachergeist und ihrer Arbeitsscheu befreien. In klassischer Zeit leben einige wenige Juden in Sachsen-Weimar, nach einer Zählung aus dem Jahr 1818 sind es in Eisenach ganze sieben, in Weimar selbst sechsunddreißig Personen, die als sogenannte Schutzjuden dem Herzog die bloße Duldung ihrer Anwesenheit ordentlich berappen müssen. Der Name Schutzgeld rührt wohl n der Erwartung her, die Obrigkeit werde sich schützend r sie stellen, falls christlicher Volkszorn gegen Juden sich in Pogromen entladen sollte. Zu den prominenteren unter den Weimarer Schutzjuden gehört Jacob Elkan, der mit Tuch und Kleidung handelt und bei dem schon Anna Amalia kostbare französische Seidenstoffe kaufte. Sein Sohn Israel Julius Elkan wird Bankier, über den Goethe manches Geldgeschäft abwickelt. Auch Gabriel Ulman zählt zu den privilegierten Weimarer Juden. Er vertreibt Waffen, wofür ihm Carl August das Prädikat eines Hof-Commissarius verleiht. Erst als nach dem Wiener Kongreß durch Landgewinn die Zahl der Juden im Herzogtum auf tausendzweihundert angewachsen ist, arbeiten die Behörden 1823 eine Judenordnung aus, die allerdings weit hinter der Judenemanzipation Preußens zurückbleibt. Ausgenommen Brauereien, Metzgereien sowie Schank- und Gastwirtschaften genießen die Juden nun zwar Gewerbefreiheit, auch werden die jüdischen Gemeinden als Religionsgesellschaften anerkannt und analog dem protestantischen Oberkonsistorium einem Landesrabbiner unterstellt.

Der Staat sorgt schon deshalb für Ordnung bei seinen Juden, weil er kontrollieren will, was in ihren Gemeinden rgeht; deshalb darf jüdischer Gottesdienst nur in deutscher Sprache gehalten werden. Eva Schmidt, der wir die erste und bislang einzige Untersuchung über die Bedingungen jüdischen Lebens im klassischen Weimar verdanken, nennt diese Judenordnung zu Recht einen Zwitter aus Begünstigungen und Einschränkungen. Manches entspricht ganz humanitärem Geist und ist zweifellos gut gemeint, etwa wenn der Leibzoll entfallen soll. Auch müssen die Lehrer jener Schulen, in denen christliche und jüdische Kinder unterrichtet werden, streng darauf achten, »daß n beiden Seiten die Außerungen liebloser Gesinnung unterbleiben «. Die neue Regelung gestattet auch Heiraten zwischen Juden und Christen, eine liberale Maßnahme, die bei keinem Geringeren als Goethe auf Ablehnung und die offiziell unerwünschte »lieblose Gesinnung« stößt. Empört fragt er den zuständigen Kanzler Müller, ob Weimar »denn überall im Absurden rausgehen, alles Fratzenhafte zuerst probieren« müsse? Wenn der Generalsuperintendent Charakter habe, dann müsse er eher demissionieren, als eine Jüdin in der Kirche im Namen der Dreifaltigkeit zu trauen. Ganz der alten, ständisch gegliederten Welt mit ihren strengen Abgrenzungen verhaftet, mißfällt ihm jede Vermischung n Juden und Christen. Goethe ist nicht der Antisemit, zu dem ihn später der Bayreuther Wahnfried-Kreis und ein Houston Stewart Chamberlain stempeln wollen, doch ihn einen Freund der Juden zu nennen, fiele wahrlich schwer.







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