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Märkte in Bewegung

Märkte in Bewegung

Einleitung: Der politökonomische Paradigmenwechsel
Bis zur Wende im späten 20. Jahrhundert verfolgten die meisten europäischen Staaten eine im Grunde keynesianische Wirtschaftspolitik. Mit dem Paradigmenwechsel zum Neoliberalismus begann ein neuer Zyklus der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik: Der staatliche Einfluss wird abgebaut, private wirtschaftliche Intentionen werden gefördert, dem einzelnen Bürger wird wieder mehr "Lebensverantwortung zugemessen, elitäres Denken und Effizienz sind wieder gefragt. Besitz und Vermögen werden wieder als Statussymbole akzeptiert.
Einige grundsätzliche Aussagen zu den Konsequenzen einer Liberalisierung und eines partiellen Rückbaus der Sozialpolitik sind angebracht. Eine Liberalisierung hat Auswirkungen auf den Arbeits-, den Kapital- und den Grundstücksmarkt. Sie hebt die elfältigen blockierenden Sperren auf, welche durch die Restriktionen auf diesen Märkten in der Zeit der keynesianischen Wirtschaftspolitik entstanden sind.
Liberalisierung des Kapitalmarktes bedeutet die Möglichkeit unverzüglicher Abwanderung von Finanzkapital bei drohender Verschlechterung von Gewinnaussichten in einer Wirtschaft oder einem Wirtschaftsblock. Sie erhöht also die Marktmacht des Kapitals. Mit der Liberalisierung des Immobilienmarktes werden mehr Grundstücke, Häuser, Wohnungen usw. als bisher angeboten, mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes müssen zwangsläu die bisherigen Prinzipien der gewerkschaftlichen Arbeitsmarktpolitik, welche mit Ganztagsbeschäftigung und Kündigungsschutz operiert, aufgebrochen, flexible Formen der Arbeit, der Arbeitszeit und der Arbeitsplatzgestaltung gefunden werden und ebenso muss die Mobilitätsbereitschaft der Bevölkerung steigen. Unternehmerisches Denken und Risikobereitschaft sind wieder gefragt, welche durch die jahrzehntelang wirksamen Strategien des sozialen Zuteilungsstaates teilweise verschwunden waren.




Im Wirtschaftsraum der Europäischen Union ist die Versteinerung des Immobilienmarktes vorüber, er ist wieder in Bewegung geraten, die Anfänge einer zukünftigen europäischen Immobilienpreislandschaft mit Tälern und Bergen beginnen sich abzuzeichnen.
Dagegen ist der Wohnungsmarkt wie bisher eine jeweils innerstaatliche Angelegenheit geblieben, auch wenn erste vorsichtige Tendenzen bestehen, aus nationalen Mieterschutzgesetzen herauszukommen und staatsübergreifende europäische Lösungen anzupeilen.
In der EU sind derzeit erste Ansätze zu einer europäischen Arbeitsmarktpolitik zu bemerken. Sie soll langfristig die bislang nationalstaatlich gesehenen Beschäftigungsfragen integrativ auf einer europäischen Ebene behandeln. Problematisch muss dabei die Abkoppelung der Beschäftigungspolitik von der weiterhin einzelstaatlich konzipierten Sozialpolitik bleiben.
In den Unternehmen finden, verstärkt durch die Einführung einer europäischen Währung, betriebliche Konzentrationsprozesse statt, nicht nur wie schon früher auf dem Produktionssektor der Wirtschaft, sondern in Rückkoppelung mit den enorm gestiegenen Bedürfnissen der Konsumgesellschaft auch im Einzelhandel. Europäische Unternehmen werden zu Spielern in der Globalisierung.
Die geographische Frage lautet: Welche Auswirkungen hat eine Liberalisierung auf das Siedlungssystem?

1. Jede Liberalisierung reduziert Maßnahmen des Disparitätenabbaus und ebenso Antisegrega-tionstendenzen. Sie führt damit in weiterer Konsequenz zur Auseinanderschichtung von Nutzungen und Bevölkerungsgruppen und erzeugt damit Segregationsprozesse in sozialer, ethnischer und demographischer Hinsicht. Dies gilt in besonderem Maße für innerstädtische Systeme, aber auch für die Auseinanderschichtung von Arbeits- und Freizeitgesellschaft auf der regionalen und lokalen Ebene.
2. Es erfolgt damit eine stärkere Marginalisierung von bereits marginalen Gruppen sowie eine weitere "Peripherisierung bereits abgelegener Gebiete.
3. In der Relation des Zentrums zur Peripherie kommt es zu einem Steilerwerden der Gradienten in zentrierten Siedlungssystemen, zur Konzentration von Arbeitsplätzen in verkehrsgünstigen Lagen und zu einer Verstärkung der bereits vorhandenen, zum Teil graerenden Ar-beitsplatzdefizite in ländlichen Räumen.

Das räumlich-zeitliche Muster des Arbeitsmarktes

Das klassische gesellschaftliche Phasenmodell von Fourastie, wonach die Agrargesellschaft durch die Industriegesellschaft und diese wiederum von einer postindustriellen Gesellschaft abgelöst wird, hat sich in Europa von Nord nach Süd und von West nach Ost ausgebreitet, wobei in den ehemals sozialistischen Staaten die Industrialisierung Priorität besaß, so dass die Entwicklung des Dienstleistungssektors insgesamt verzögert worden ist.
Die europäische Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts bietet daher ein Kaleidoskop von unterschiedlichen Entwicklungsständen der einzelnen Staaten in diesem sektoralen Strukturwandel von Gesellschaft und Wirtschaft (vgl. Tabelle 8.11 im Anhang).
Auf den Prozess des Entagrarisierung wurde bereits im Kapitel 7 ausführlich eingegangen. Während in der EU-15 die Anteile der in der Landwirtschaft Beschäftigten - mit Ausnahme von Irland, Österreich und den südeuropäischen Mitgliedstaaten -überall unter 5% gefallen sind, wobei in Großbritannien dieser Anteil bereits auf 1,3% hinuntergegangen ist, stellt die Landwirtschaft in den neuen Mitgliedstaaten nach wie vor eine wichtige Existenzgrundlage dar. In allen neu beigetretenen Ländern liegt der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Personen im erwerbsfähigen Alter über dem EU-15-Durchschnitt von etwa 4% und erreicht in Litauen und Polen einen Anteil von über 18% der Erwerbsbevölkerung. Auf die enorme Reagrarisierung von Rumänien nach dem Ende der kommunistischen Diktatur wurde bereits hingewiesen (Kapitel 7). Sie spiegelt sich in einem Beschäftigungsanteil der Landwirtschaft in der Höhe von 32,3% wider.
Der sekundäre Sektor der Wirtschaft, welcher neben dem verarbeitenden Gewerbe und der Industrie auch Energie- und Wasserversorgung, den Bergbau, die Steine- und Erdengewinnung und das Bauwesen umfasst, ist in einzelnen Staaten der EU, wie z. B. in Österreich, bereits vor seinem Höhepunkt vom Dienstleistungssektor (d. h. tertiärer plus quartärer Sektor) eingeholt worden. Im Mutterland der Industrie, in Großbritannien, hatte hingegen die Entindustrialisierung schon in der Zwischenkriegszeit begonnen. Weitere westeuropäische Staaten folgten, so dass derzeit der Anteil der Beschäftigten im sekundären Sektor nur mehr ein Viertel und in der EU-15 insgesamt nur noch 28% beträgt.
In den neuen EU-Staaten wurde die industrielle Produktion in der kommunistischen Ära durchgehend angekurbelt, so dass in jenen Ländern, welche auf dem Boden der Donaumonarchie entstanden sind und eine bis in die Gründerzeit zurückreichende Industrietradition besitzen, Werte über 35% erreicht werden. Allen voran in Tschechien, wo i+0% der Berufstätigen in der Industrie arbeiten.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich der Dienstleistungssektor zügig nach vorne geschoben und inzwischen mit einem Anteil von etwa 68% der Beschäftigten den industriellen Sektor weit überrundet. In Nord- und Westeuropa erreicht er mit Ausnahme der randständigen Staaten Irland und Finnland überall mehr als 70%. Der Spitzenreiter ist das Bankenland Luxemburg mit 77,9%, gefolgt von den Niederlanden und Großbritannien.
In den neuen Mitgliedsländern bleibt der Anteil des Dienstleistungssektors an der Erwerbsbevölkerung überall unter 60% (mit Ausnahme der Fremdenverkehrsinsel Zypern) und damit wesentlich unter dem EU-15-Durchschnitt von rund 68%.
Der Dienstleistungssektor ist breit aufgefächert. In den west- und nordeuropäischen Staaten sind die unternehmensbezogenen Branchen am besten entwickelt. Im Gesundheitswesen sind die nordeuropäischen Staaten, gefolgt von den Niederlanden, die "Musterschüler des sozialen Wohlfahrtsstaates mit Anteilen von IU.5% in Finnland bis 18,7% in Schweden.
Aufgeholt hat in den Transformationsstaaten inzwischen der Groß- und Einzelhandel. Mit 15% in den baltischen Staaten übertrifft er bereits den Durchschnitt der EU-15-Staaten von 14,5%.

Als Indikator für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft gilt der Anteil des Hochtechnologiesektors. In der EU-15 sind durchschnittlich 11% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter im Hochtechnologiesektor beschäftigt. Dabei verzeichnet Deutschland mit fast 15% den höchsten Anteil, wobei 12% auf die Hochtechnologiebranchen des verarbeitenden Gewerbes entfallen. Beachtung verdient ferner, dass in den oben genannten stark industrialisierten Nachfolgestaaten der Donaumonarchie, in Tschechien und in der Slowakischen Republik, Slowenien und Ungarn, der EU-IS-Durchschnitt von 7,5% durchgehend übertroffen wird.

Die Lohnregionen der EU

Struktur und Entwicklung der Löhne bilden wesentliche Merkmale des Arbeitsmarktes. Aufgrund ihrer Verbindung mit Produktivität, Gewinn und Konsum gehören sie zu den Bestimmungsfaktoren des Wirtschaftswachstums und der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsleistung. Gleichzeitig liefern Löhne eine Richtschnur für die Mieten auf dem Wohnungsmarkt und die Preise für Wohnungen und Einfamilienhäuser auf dem Immobilienmarkt.
Die EU ist dabei, eine Datenbank über die Einkommensverhältnisse in den Mitgliedstaaten aufzubauen. Bisher liegen nur die Ergebnisse über den Nettoverdienst der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie vor (vgl. Tabelle 8.12 im Anhang). Der Nettoverdienst stellt jenen Teil des Lohnes dar, den der Arbeitnehmer tatsächlich ausbezahlt bekommt. Er hängt von der Haushaltssituation ab, bei der vier Typen ausgewiesen sind: Alleinstehende ohne Kinder, Ehepaare ohne Kinder mit zwei Einkommen, Ehepaare mit zwei Kindern und zwei Einkommen und Ehepaare mit zwei Kindern und einem Einkommen.
Die Tabelle gibt damit Aufschluss über die Wohlstandskante zwischen den EU-15 und den neuen Mitgliedstaaten, ferner indirekt über die Steuerpolitik gegenüber Alleinstehenden und Familien sowie in Form eines Vergleiches der Werte von 1996 und 2002 über das Tempo der Verbesserung der Einkommensverhältnisse.

Nun ist derzeit und vermutlich noch in einer mittelfristigen Zukunft die Kaufkraft in den einzelnen europäischen Ländern recht unterschiedlich. Jeder Reisende weiß, dass in der Schweiz alle Dienstleistungen doppelt so teuer sind wie in den Nachbarstaaten, wogegen in Portugal "alles nur die Hälfte kostet.
Die Unterschiede im BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards sind aus Tabelle 8.7 ersichtlich. Sie belegt die Spannweite gegenüber dem EU-25-Durch-schnitt zwischen Luxemburg mit mehr als der doppelten Kaufkraft und Polen und den baltischen Staaten, welche nicht einmal über die Hälfte des Kaufkraftstandards verfügen. Die Kaufkraft spiegelt in modifizierter Form die Unterschiede in den Nettoverdiensten innerhalb der EU, die insgesamt beachtlich sind und das immer wieder betonte Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle dokumentieren.
Die Nettoverdienste betragen in Südeuropa im Vergleich zu Westeuropa bei Alleinstehenden bloß die Hälfte und werden nur bei Ehepaaren mit Kindern etwas angehoben, vor allem in Italien, wo Alleinverdienerhaushalte mit Kindern steuerlich deutlich begünstigt sind.
Am schlechtesten werden in Westeuropa die französischen Arbeiter im verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie bezahlt, auch wenn ihr Nettoeinkommen in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Der Aufsteiger Irland hat bei den Löhnen deutlich aufgeholt. In Mitteleuropa sind in Deutschland und Österreich die Nettolöhne am wenigsten gestiegen und liegen bereits unter dem westeuropäischen Durchschnitt. Davon hebt sich die Schweiz als europäisches Höchstlohnland klar ab.
Die Arbeitnehmer der neuen Mitgliedstaaten erreichen nur in Slowenien die Nettolöhne von Portugal, dem mit Abstand ärmsten EU-15-Land; ansonsten bewegen sich die Bezüge der Alleinstehenden in einem Rahmen zwischen 2.000 und 3.000 Euro jährlich. Eine nennenswerte Familienförderung erfolgt nur in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Donaumonarchie, in der Tschechischen und der Slowakischen Republik, in Slowenien und Ungarn.
Ein vergleichender Blick auf die USA lässt den Nettoverdienstrückgang der Arbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe erkennen, der dort bereits in den 1980er Jahren unter dem Druck der massiven Entindustrialisierung eingesetzt hat und durch den Millionen Arbeiter in die Klasse der "working poor eingereiht wurden.


Der Wohnungsmarkt

Während der Arbeitsmarkt in den europäischen Staaten weitgehend den Prinzipien des Marktes unterliegt, hängt die Wohnungswirtschaft von den nationalen Systemen und Besonderheiten der Gesellschaftspolitik ab, den Eingriffen des Staates auf dem Wohnungsmarkt, den speziellen Formen der Steuergesetzgebung, der "Privilegierung bestimmter sozialer oder demographischer Gruppen und den tradierten, über das Sozialprestige im Be-wusstsein der Bevölkerung verankerten Wohnvorstellungen sowie schließlich von der Bautechnologie und den Organisationsformen der Bauwirtschaft. Der Wohnungsbedarf wird zwar teilweise zu einem von Staat zu Staat unterschiedlichen Prozentsatz von der Zuwanderung erzeugt, seinen Hauptmotor bilden jedoch erstens die sehr rasch wachsenden Zahlen der Kleinhaushalte und zweitens die steigenden Ansprüche in Bezug auf Fläche und Ausstattung der Wohnungen.
Zum Unterschied von der Wohnungsnachfrage, welche kurzfristigen Änderungen unterliegt, ist das Wohnungsangebot längerfristig "physisch festgeschrieben. Dabei bestehen in den sozialen Wohlfahrtsstaaten Europas seit der Zwischenkriegszeit mehrere Segmente mit unterschiedlichen Zugangsbedingungen.
Im Altbaubestand hatten die in den damals kriegführenden Staaten erlassenen Mieterschutzgesetze, welche die Frauen und Kinder der im Felde stehenden Soldaten vor Delogierungen schützen sollten, tiefgreifende Auswirkungen. Die freie Verfügung der Hauseigentümer über Mietwohnungen wurde eingeschränkt. Ferner sanken aufgrund der Inflation in den frühen 1920er Jahren die Mieten auf reine Anerkennungsgebühren herab. Damit wurde den privaten Mietshausbesitzern und Kapitalgebern jeglicher Anreiz zur Investition genommen. Schließlich entstand in einzelnen Ländern durch die vom Gesetzgeber gebilligte "Vererbung der Mietwohnungen in direkter Linie eine Art Pseudoeigentumsdenken und damit eine Separierung von Wohnungs- und Hausimage aufgrund der Investitionen der Mieter in die Wohnungen. Der Zweite Weltkrieg brachte eine Neuauflage des Mieterschutzes in Europa. In weiterer Konsequenz erfolgte eine Immobilisierung der Bevölkerung; ebenso fehlten Fluchtreaktionen beim Zuzug von Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem Sozialstatus oder anderer ethnischer Zugehörigkeit. Erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ist durch neue Mietengesetze ein schrittweiser Abbau des Mieterschutzes erfolgt, der in manchen Staaten, wie Frankreich, Italien und Österreich, für den Altbaubestand zum Teil noch immer besteht.
Auf dem Neubausektor entstanden in der Zwischenkriegszeit der aus den staatlichen Budgets subventionierte soziale Wohnungsbau und die genossenschaftliche Baubewegung, zunächst im Verein mit der Gartenstadtidee.

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Wohnungspolitik in den sozialen Wohlfahrtsstaaten aufgrund der extremen Wohnungsnot der sozialpolitischen Schutzfunktion Priorität eingeräumt. Seither sind, bedingt durch die enormen Preissteigerungen auf den vorgelagerten Boden- und Kapitalmärkten, die Mechanismen der Kapitalverwertung in den einzelnen Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten wieder in Gang gekommen. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Niedrigmietensektor öffnete sich. Dementsprechend erfolgte ein starker Anstieg der Bruttomieten im gesamten Niedrigmietensektor. Dessen drastische Reduzierung um-fasste alle Segmente an preiswerten Mietwohnungen: Es kam zur Reduzierung des Altbaubestandes durch die Gentrifikation im Rahmen der Stadterneuerung und zur Reprivatisierung beachtlicher Bestände des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus, wie etwa in Großbritannien.
Gerade aufgrund der wirtschaftlichen Prosperität und der zeitweiligen Möglichkeit, eine sehr viel bessere Verzinsung im Finanzsektor, in Industrie und Gewerbe zu erlangen, hat die Investitionsbereitschaft von privaten Kapitalgebern in die Errichtung von Mietwohnungen abgenommen. Ebenso hatte der soziale Mietwohnungsbau seit den 1970er Jahren einen drastischen Rückgang der Bauleistung zu verzeichnen.

Dort, wo sich die Wohnungspolitik noch immer als soziale Schutzpolitik versteht, wie dies in Städten mit sozialdemokratischer Stadtregierung der Fall ist, befindet sie sich in dem Dilemma, einerseits den Wohnungsstandard anheben und andererseits einen Niedrigmietensektor für ärmere Bevölkerungsschichten erhalten zu wollen.
In den sozialistischen Staaten wurde die Wohnung als soziales Gut aufgefasst und die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zur staatlich-bürokratischen Aufgabe erklärt. Dementsprechend hoch waren daher die Ausgaben des Staates für den Wohnungsbau, sie lagen bei rund 7 bis 8%. Andererseits wurden als Mieten nur Anerkennungsbeiträge - analog zur älteren Mieterschutzregulierung - eingehoben (im Durchschnitt unter 5% des Einkommens). Die Wohnungsvergabe erfolgte nach einem genau definierten Zuteilungsschlüssel über staatliche Büros. Lange Wartezeiten sowie eine Immobilisierung der Bevölkerung (ähnlich wie beim Mieterschutz) waren das Ergebnis der Ausschaltung der Marktmechanismen.
Die Vergesellschaftung des Wohnungswesens führte jedoch nicht zu einer einheitlichen, homogenen und aufgrund gleicher rechtlicher Prinzipien organisierten Angebotsstruktur, sondern zu unterschiedlichen Wohnungsmarktsegmenten, die sich auch im Transformationsprozess voneinander sonderten: das primäre staatliche Segment des Neubaus von Großwohnanlagen, das sekundäre staatliche Segment des verstaatlichten Altbestandes an Mietshäusern, Mehrfamilienhäusern, Großvillen und dergleichen sowie das private Segment der Einzelhausverbauung (Altbestand und Neubau).
Die Transformation der Wohnungswirtschaft vom Plan zum Markt hat das primäre und das sekundäre Segment betroffen. Der gesamte Wohnungsbau der öffentlichen Hand kam schlagartig zum Erliegen. Ein Teil der staatlichen Wohnanlagen wurde privatisiert, dabei entstanden teilweise Mischformen von Eigentums- und Mietwohnungen in ein und demselben Gebäude, die eine bestandsorientierte Nutzung sehr nachteilig beeinflussen.
Im zweiten Segment des Wohnungsmarktes sorgten Privatisierungsprogramme für erhebliche Veränderungen und eine zunehmende Differenzierung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse.

In den Metropolen erfolgt eine bemerkenswerte Rückorientierung auf vorsozialistische Strukturen der Bau- und Lagequalität.
Das dritte Segment des Modells, der private Einfamilienhausbereich, stellt den Kern des postsozialistischen Marktes dar. Die Errichtung von Einfamilienhäusern, früher vielfach nur geduldet, wird heute mit staatlicher Unterstützung und durch Bausparkassen gefördert sowie durch Baumärkte, private Baufirmen und Erwerbbarkeit von Baugründen erleichtert.
In den sozialistischen Systemen bestanden Wohnungstauschmärkte. Die staatlichen Wohnungsbehörden waren mit der Neuzuteilung von Wohnungen in Neubauten ausgelastet; die Durchführung der Umverteilung wurde als Suchaufgabe den Haushalten zugeschoben. Aus der Initiative der Wohnungssuchenden heraus entstand in den Printmedien ein Tauschmarkt als vormonetärer Markt. Er wurde zuerst in Ostberlin, dann in Budapest, Prag und Warschau im Detail analysiert (Fassmann und Lichtenberger 1995). Wohnungstauschmärkte bestehen in einzelnen postsozialistischen Staaten noch weiter.


Miete oder Eigentum? - die regionale Differenzierung des Wohnungsmarktes

Die EU-Statistik bietet derzeit nur Angaben über die Eigentumsverhältnisse und die Größe der Wohnungen (vgl. Tabelle 8.13 im Anhang), wobei die folgenden regionalen Differenzierungen unter Bezug auf die Einkommensverhältnisse Beachtung verdienen: Die Schweiz, das Land mit den mit Abstand höchsten Löhnen in Europa, bietet ihren Bürgern keineswegs die Möglichkeit, Wohnungen im Eigentum zu erwerben - vielmehr wohnen 70% der Haushalte zur Miete. Dies ist der höchste diesbezügliche Prozentsatz in Europa!
Das Gegenstück hierzu bildet Spanien, ein Land, dessen Löhne unter dem EU-15-Mittel liegen und in dem 86% der Haushalte über Wohnungseigentum verfügen und wo selbst in großen Millionenstädten wie Barcelona nur 30% der Wohnungen zum Mietsektor gehören. Dies ist der bemerkenswerten spanischen Wohnungs- und Städtebaupolitik zu verdanken, welche die auf die Ära Franco zurückgehende staatliche Hypothekenpolitik mit der Übernahme der Ausfallhaftung und niedrigen Kreditzinsen fortgeführt hat, so dass der spanischen Bevölkerung das Wohnen im Eigentum und der Erwerb von Eigentumswohnungen gleichsam selbstverständlich geworden sind. Spanien ist es damit gelungen, die vor einer Generation noch flächenhaft vorhandenen Stadtrandslums praktisch völlig zu beseitigen.
Eigentumsverhältnisse und Bauformen sind damit nicht konkordant. In der Schweiz wird der Großteil der die Kulturlandschaft beherrschenden Ein- und Mehrfamilienhäuser vermietet, während andererseits in den spanischen Millionen- und Großstädten Eigentumswohnungen mit dem Hochhausbau konform gehen.
Wieder anders ist die Situation in Großbritannien, wo sich die Wohnklassengesellschaft auch baulich klar differenziert. An der Basis der Sozialpyramide befinden sich die Wohnanlagen und Reihenhäuser des sozialen Wohnungsbaus aus der Zwischenkriegszeit und den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die etwa ein Viertel des Wohnungsbestandes entfällt. Hierher gehören auch die Mietwohnungen in verschiedenen Bauformen. Zwei Drittel der Briten leben in eigenen Reihenhäusern, während die Oberschicht über Schlösser, Villen und Stadthäuser verfügt. Als Erbe einer Weltmachtsepoche kann der über ein Drittel betragende Anteil von Großwohnungen mit mehr als sechs Räumen interpretiert werden.
Unter den sozialen Wohlfahrtsstaaten Nordeuropas hebt sich Norwegen durch den hohen Eigentumsanteil von mehr als drei Viertel und einem höheren Anteil von größeren Wohnungen heraus. Ansonsten überwiegen Klein- und Mittelwohnungen. Der Eigentumsanteil ist in Schweden mit 38% am niedrigsten, wohingegen auf den öffentlichen Wohnungsbau nahezu ein Viertel entfällt. Eine Sonderstellung nehmen die Niederlande ein, in denen der Anteil des sozialen Wohnungsbaus rund 40% beträgt, wobei niedrige Reihenhausanlagen als Hauptbautyp verwendet werden.
In den südeuropäischen Staaten überrascht der geringe Anteil an Kleinwohnungen, die Wohnungsgrößen erreichen westeuropäischen Standard und mindestens zwei Drittel der Haushalte verfügen über Wohnungseigentum.

Die neuen EU-Mitgliedstaaten sind allgemein durch einen höheren Anteil von Kleinwohnungen bzw. einen geringen Anteil von Großwohnungen gekennzeichnet. Die baltischen Länder fallen durch die im Eigentum befindlichen Kleinstwohnungen auf, während in Ungarn der sehr hohe Eigentumsanteil von nahezu 90% bemerkenswert ist. In allen anderen postsozialistischen Staaten, die nunmehr zur EU gehören, entfällt rund die Hälfte der Wohnungen auf den Eigentums- bzw. den Mietsektor. Kleinstwohnsitze, zum größten Teil im Eigentum, kennzeichnen die südosteuropäischen Staaten.

Der Immobilienmarkt

Die politischen Zäsuren und Enteignungen im Gefolge der beiden Weltkriege und der Auf- und Ausbau des geschützten Wohnungssektors in den sozialen Wohlfahrtsstaaten haben zu einer weitgehenden "Versteinerung des Bodenmarktes und des gesamten Immobiliensektors in Europa geführt.
Diese lange andauernde Periode wird in Kürze einer Vergangenheit angehören, in welcher die an sich geringe Mobilität des Realitätenbesitzes nahezu ausschließlich im regionalen Kontext erfolgt ist. Darüber hinaus hat der Transfer von Eigentum an Boden, Häusern und Betrieben in der Abfolge der Generationen zu den institutionellen Normen einer bürgerlichen Gesellschaft gezählt, in welcher aus dem Besitz auch das soziale Prestige abgeleitet wurde.
Diese nichtmonetären Normen der besitzbürgerlichen Gesellschaft verlieren gegenwärtig - in Abhängigkeit von der Metropolitanisierung der Bevölkerung - ihre Gültigkeit. Aufgrund der enorm gestiegenen Arbeitsproduktivität ist ein Großteil der Mitglieder der europäischen Wohlstandsgesellschaft imstande, sich mit dem Einkommen aus der Lebensarbeitszeit das erwünschte bauliche Gehäuse für die unmittelbare private Lebensumwelt in einem spezifischen territorialen Umfeld zu schaffen.
Damit wird in einer Zeit, in der Haus- und Grundbesitz für breite Bevölkerungsschichten (abgesehen von der Schweiz) erschwinglich geworden ist, dieser Besitz im intergenerationellen Transfer entwertet. Von den Errungenschaften der "bürgerlichen Revolution verliert einer der wichtigsten stabilisierenden Faktoren der gesellschaftlichen Organisation von Städten und Siedlungssystemen zunehmend an Bedeutung. Der Prestigewert wird Zug um Zug durch den Marktwert ersetzt, der in peripheren Räumen deutlich gesunken ist. Gleichzeitig werden in der Gegenwart, bedingt durch das "Aussterben vieler Familien aufgrund der seit langem eingeschränkten Kinderzahlen, große Mengen an Realitäten auf den Markt gebracht, und zwar nicht nur Wohnungen und Wohnhäuser, sondern ebenso Betriebe.
Hierzu kommt ein zweites: Die steigenden Boden- und Immobilienpreise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie die Progression der Mieten von Wohnungen kamen in erster Linie den institutionellen Akteuren auf den Boden- und Immobilienmärkten zugute, d.h. den Finanzie-rungs- und Aufschließungsgesellschaften sowie der Bauwirtschaft. Dies gilt vor allem für die Verdichtungsräume in den Staaten mit hohem Wohlstand. Die Neunachfrager auf deren wachsenden Märkten haben heute sehr viel höhere Preise zu zahlen als noch vor zwei Jahrzehnten.
Die zunehmende Mobilität von Arbeit und Kapital auch in der EU bewirkt derzeit eine Destabili-sierung lange Zeit verfestigter sozialräumlicher Strukturen dadurch, dass sie ungewohnte Aktivität auf den Immobilienmärkten erzeugt. Territoriale Immobilienmärkte werden aufgebrochen, in zunächst fragmentarischer Weise von externen Interessenten invadiert und schließlich okkupiert.
So betrachtet scheint zunächst eine Konvergenz zum nordamerikanischen Immobilienmarkt zu bestehen. Durch die nächsten Aussagen wird jedoch eine Konvergenzthese zu Fall gebracht:
Es fehlt in den europäischen Wohlfahrtsstaaten, von der Schweiz, Großbritannien und den Niederlanden abgesehen, eine breite finanztechnische Verknüpfung des Immobilienmarktes mit den Institutionen der privaten Pensionsversicherung. Erst im 21. Jahrhundert wird in Staaten wie Österreich im Zuge der Pensionsreformen und der daraus resultierenden Tendenz zur privaten Altersversicherung von Besserverdienenden vom Gesetzgeber den Versicherungsunternehmen die Investition in Immobilien vorgeschrieben.

Ansonsten wird bisher in den europäischen Wohlfahrtsstaaten die Altersversorgung noch im Wesentlichen aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Dagegen fußt in der kapitalistischen amerikanischen Wirtschaft die Altersversorgung der Bevölkerung ganz wesentlich auf der Immobilienwirtschaft. Damit wird aber auch das "immobilienmarktkonforme Verhalten der US-Amerikaner verständlich, das Eigentumsdenken ebenso wie die Standortmobilität, das "Mitwandern mit steigenden Boden- und Immobilienpreisen.
Weitere Unterschiede kommen hinzu. Hierzu gehören als Erstes die Verträge zwischen der EU-15 und den neuen Mitgliedstaaten, in denen eine "Bodensperre für NichtStaatsbürger für die nächsten sieben Jahre festgesetzt worden ist. Dies wurde im Gegenzug für eine ebenso lange Sperre auf dem Arbeitsmarkt der EU-15 für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten vereinbart.
Ein internationaler Immobilienmarkt mit ausgeprägten Besitztransfers hat in den 1980er Jahren in erster tinie die Weltstädte London und Paris betroffen, während ansonsten Bewegungen auf lokaler und nationaler Ebene die Regel waren, d.h. dass damit die Internationalisierung der Immobilienmärkte in Europa als eine Konsequenz der Entwicklung der EU und gleichzeitig als ein Barometer für den ökonomischen Einigungsprozess angesehen werden kann.
Während in den kleineren Städten und ländlichen Räumen Europas der Immobilienmarkt nach wie vor zwischen der nationalen und der regionalen Ebene ausgespannt ist und dies vermutlich noch geraume Zeit bleiben wird, ist ein den gesamten EU-Raum umspannender Immobilienmarkt in den europäischen Metropolen und in den internationalen Fremdenverkehrsrevieren bereits vorhanden.
In der inneren Umstrukturierung der Landkarte der Europäischen Union werden durch deren internationale und metropolitane Akteure auch internationale Preisniveaus und damit neue metropolitane und regionale Disparitäten erzeugt.
Immobilienpreislandschaften mit Gipfeln und Tälern werden analog zu Nordamerika entstehen. Die viel zitierte regionale Identität wird dabei internationale oder metropolitane Nachfrager nicht abblocken können. Eine Zweiklassengesellschaft auf dem Immobilienmarkt zeichnet sich ab.







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