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Landschaft zwischen Rhön und Werra

Landschaft zwischen Rhön und Werra

Die Werra entspringt am Südwesthang des Thüringer Waldes und vereinigt sich nach einem Lauf von dreihundert Kilometern bei Münden mit der Fulda zur Weser - so hat man früher einmal in der Schule gelernt, und es ist ganz gut, sich gelegentlich an solches Faktenwissen zu erinnern, wenn man jene Beckenlandschaft zwischen dem Thüringer Wald im Osten und Rhön und Frankenwald im Westen und Südwesten bereist, die von der Werra und ihren Nebenflüßchen geprägt wird. Eigentlich müßte man dieses Wcrra-land vom Westen aus betreten und betrachten, ist es doch landschaftlich wie historisch eine Fortsetzung Frankens. Die Basalthochflächen und -kuppen der Rhön erstrecken sich im Norden beiderseits der Landesgrenze zu Bayern und Hessen, das südlich anschließende fränkische Grabfeld geht unmerklich fast in das Thüringische über, und im südlichsten Zipfel reicht der Frankenwald ebenfalls von Bayern nach Thüringen hinein.
Die willkürlich erscheinenden und doch so selbstverständlichen politischen Grenzen entstanden ja auch erst 1815, bis dahin war dieser Landstrich jahrhundertelang territorial zersplittert gewesen. Seitdem gehörte er zum damaligen Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, an das heute noch hier und da alte Grenzsteine erinnern.



Wenn wir der Werra von der Grenze an flußaufwärts folgen, gelangen wir über Vacha, wo bereits im 14. Jahrhundert eine steinerne Brücke über die Werra führte, nach Bad Salzungen und sehen uns schon mit der Geschichte konfrontiert. Hier nämlich, so vermuten Historiker, fand 58 n. Chr. jene "Salzschlacht zwischen den Germanenstämmen der Chatten und Hermunduren statt, von der schon Tacitus im XIII. Buch seiner "An-nalen berichtet:
"Im gleichen Sommer kam es zwischen den Hermunduren und Chatten zu einer großen Schlacht, in der sie um einen für die Salzgewinnung wichtigen Grenzfluß miteinander kämpften.

Neben ihrem Hang, alles mit Waffengewalt auszutragen, spielte hier auch der angestammte Aberglaube mit, daß diese Gegenden dem Himmel besonders nahe seien und die Gebete der Sterblichen von den Göttern nirgends so deutlich vernommen würden. Daher entstehe durch die Huld der Götter in jenem Flusse und in jenen Wäldern das Salz, aber nicht wie bei anderen Völkern, indem das übergetretene Meerwasser eintrocknet, sondern sie gießen es über einen brennenden Holzstoß, und dabei schlägt es sich durch das Zusammentreffen von Feuer und Wasser nieder. Für die Hermunduren verlief der Krieg glücklich, für die Chatten um so verderblicher, weil die Sieger das Heer der Gegner dem Mars und Mercurius weihten, und durch dieses Gelübde wurden alle Besiegten samt ihren Rössern niedergemetzelt.1
Manche Historiker verlegen den Ort dieser blutigen Salzschlacht allerdings auch etwas weiter südlich in das Gebiet von Bad Kissingen. Sieber ist aber, daß die Solequellen, die der Stadt den Namen gaben, schon im frühen Mittelalter genutzt und 775 zur Zeit Kaiser Karls des Großen erstmals urkundlich genannt wurden. Die Salzgewinnung blieb bis ins 18. Jahrhundert für das damals kleine Städtchen von rund zweitausend Einwohnern lebensbestimmend, danach setzte mit der Erschließung einer Solequelle seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Aufstieg als Kurort ein.
Der Rang des ältesten Kurortes in Thüringen gebührt allerdings dem benachbarten Bad Liebenstein, das heute zugleich auch das größte Herzbad in den neuen Bundesländern ist. Herzog Casimir von Coburg ließ hier den "Fürtrefflichen Casimi-rianischen Brunnen fassen, der den Ort vor allem im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Modebad worden ließ. Die zahlreichen Gäste können während der Kur nicht nur die reizvolle Umgebung genießen, sondern auch eine Erinnerungsstätte an Martin Luther besuchen. Es ist zugleich die erste Spur des Reformators, der wir hier in Thüringen begegnen. Nördlich von Liebenstein auf der Straße nach Ruhla steht im "Luthergrund seit 1857 ein über zehn Meter hoher Gedenkstein, dessen Inschrift daran erinnert, daß der Reformator am 4. Mai 1521 hier auf Befehl des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen überfallen und heimlich zur Warlburg gebracht wurde. Er hatte auf dem Rückweg von Worms, wo die Reichsacht über ihn verhängt worden war, noch am Morgen im nahegelegenen Möhra, aus dem sein Vater stammte, unter freiem Himmel zu den Leuten gepredigt, weil die kleine Kirche dort die Menge der Gläubigen nicht fassen konnte. Dann war er weitergereist und an einer schmalen Stelle des Bergweges im Glasbachtal unterhalb Schloß Altenstein von den Leuten des Kurfürsten zum Schein überfallen worden. Während der Kutscher und ein Luther begleitender Augustiner, die in den Plan nicht eingeweiht waren, flohen, gelangte Luther gegen Mitternacht ungesehen und unbehelligt zu Pferde auf die Warlburg. Der Platz wurde später zu einer Art Wallfahrtsort, zur 300-Jahr-Feier des Augsburger Bekenntnisses trafen sich hier an die achttausend Menschen.


Nur ein Stück südlich liegt, schon am Rande des Thüringer Waldes, das ebenfalls für die Reformationsgeschichte so bedeutsame Schmalkalden. Die Geschichte der Stadt ist etwas kompliziert. Rasch wechselten seit ihrer Gründung im ausgehenden 9. Jahrhundert die Besitzverhältnisse und gipfelten schließlich im 14. in der eigenartigen Lösung, daß sie zur einen Hälfte den Landgrafen von Hessen, zur anderen den Grafen von Henneberg gehörte. Eine seltsame Konstruktion, die sich aber einmal als Glücksfall erweisen sollte. Ausgerechnet diese kleine Stadl im Grenzgebiet zwischen Hessen, Franken und Thüringen erlangte in der Reformation besondere Bedeutung. Hier trafen sich in den letzten Dezembertagen des Jahres 1530 die protestantischen Fürsten und die Vertreter der Städte zu Verhandlungen, die sich bewußt gegen Kaiser Karl V. richteten.
Der große deutsche Historiker Leopold von Ranke hat die Ereignisse in seiner "Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation (1839/47) dargestellt:
"Nun trug Sachsen bei den versammelten Ständen auf ein Bündnis zur Gegenwehr selbst wider den Kaiser an: Man habe ihn bei früheren Vereinigungen immer ausgenommen; doch könne das nicht helfen, da die Partei der Gegner sich des kaiserlichen Namens bediene.
Auch diese Ansicht teilten Nürnberg und Markgraf Georg keineswegs. Die Gutachten ihrer Theologen und Juristen waren bei weitem nicht so unzweifelhaft ausgefallen. Nürnberg erklärte, auf widerwärtige Ratschläge wie diese könne es einen so wichtigen Beschluß nicht gründen. Wir wissen, daß eine ähnliche Differenz schon vor dem Jahre die beiderseitigen Gelehrten getrennt hatte. Die übrigen aber, schon immer gewohnt, sich an Sachsen zu halten, oder sogar erfreut, daß es frühere Widersprüche jetzt selber aufgegeben, erklärten sich vollkommen einverstanden.
Es ward sogleich der Entwurf eines Verständnisses gemacht, worin man sich zwar sehr hütete, den Kaiser zu nennen, die Absichten, welche gefürchtet wurden, nur unbestimmt andeutete: ,Es lasse sich an, als werde darauf gedacht, die Anhänger des reinen Wortes Gottes zu unterdrücken', allein ihn in Hinsicht der Gegenwehr doch auch nicht mehr ausnahm. Die Verbündeten verpflichteten sich, denjenigen von ihnen, der um dieses göttlichen Wortes willen angegriffen werde, zu Hilfe zu eilen. Ja sie wollen das auch dann tun, wenn der Angriff unter einem anderen r-wande geschieht, sie aber ermessen, daß der gleiche Grund eben dieses göttliche Won ist. Hieß es dann weiter, der Bund solle nicht wider den Kaiser noch sonst jemanden gerichtet sein, so wollte das nichts anderes sagen, als daß man niemanden angreife, sondern sich nur verteidigen werde.
Dieses Bündnis nun nahmen Sachsen, Hessen, Lüneburg, Wolfgang von Anhalt, die beiden Grafen von Mansfeld, die Städte Magdeburg und Bremen unverzüglich an. Die übrigen Versammelten versprachen, sich binnen einiger Zeit darüber zu erklären. So schied man am 31. Dezember 1530 voneinander.2
Die endgültige Entscheidung fiel acht Wochen später am 27. Februar 1531, als sich Kurfürst Johann von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen, Ernst von Lüneburg, Philipp von Grubenhagen, die Grafen von Mansfeld und Anhalt sowie die Städte Magdeburg, Bremen, Straßburg, Ulm, Konstanz, Reutlingen, Memmingen, Lindau, Biberach und Isny im sogenannten "Schmalkaldischen Bund zusammenschlössen. Der Name der kleinen Stadt hatte fortan in ganz Deutschland bei den Protestanten einen guten, bei der katholischen Partei einen schlechten Klang. Sechs Jahre später ließ Kurfürst Johann von Sachsen auf einer Versammlung des Bundes durch Luther hier die "Schmalkaldischen Artikel verkünden, in denen der Reformator das Prinzip der alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben noch einmal deutlicher hervorhob, als das in der Augsburger Konfession der Fall gewesen war. Die Artikel blieben umstritten und wurden nicht allgemein angenommen. Deutlich zeigte sich aber, daß Schmalkalden zu einem politischen wie geistigen Zentrum des protestantischen Lagers geworden war.
Der Name der Stadt sollte bald darauf aber auch einen unheilvollen Klang erhalten, als es 1546 zur militärischen Konfrontation zwischen dem Bund und dem Kaiser kam. In diesem sogenannten Schmalkaldischen Krieg siegte Karl V. in der Schlacht bei Mühlberg. Der erboste Kaiser wollte nun Schmalkalden dem Erdboden gleichmachen, doch erwies sich diesmal die Doppelherrschaft als glücklicher Umstand; denn der Graf von Henneberg, der auf der kaiserlich-katholischen Seite stand, erreichte durch einen Kniefall vor Karl V., daß dieser die Stadt verschonte.


Noch heute erinnern viele Bauten an die Luther-Zeit, im Rathaus liegt über dem Ratskeller der Sitzungssaal des Bundes, in der spätgotischen Sladtkirche St. Georg predigte Luther, hier wurde jede Tagung des Schmalkaldischen Bundes feierlich eröffnet und beschlossen, am Lutherplatz steht das Haus, in dem der Reformator 1537 wohnte und die umstrittenen Artikel verfaßte, im Hessenhof am Neumarkt, dem Amtssitz des landgräflichen gtes, waren 1537 die bedeutendsten evangelischen Theologen, unter ihnen auch Me-lanchthon, untergebracht gewesen. Die Herren dürften damals schon jene Fresken in der Trinkstube bewundert haben, die heute zwar stark verblaßt, nichtsdestoweniger aber von größter kunstgeschichtlicher Bedeutung sind, gelten sie doch als die ältesten profanen Wandmalereien in Deutschland. Entstanden um 1220, zeigen sie Szenen aus dem Ritterroman "Iwain mit dem Löwen, den Hartmann von Aue zwanzig Jahre zuvor nach Motiven der Artus-Sage geschrieben hatte.
Die Wilhelmsburg dagegen, die weithin sichtbar Schmalkalden überragt, wurde erst 1585-89 als stattliches Renaissanceschloß erbaut; im 19. Jahrhunden war sie allmählich verfallen, erst 1964 hat man mit der sorgfältigen Restaurierung begonnen.
Wir kehren an die Werra zurück, in deren Tal wir flußaufwärts fahren, vorbei an Wasungen mit seinen schönen Fachwerkhäusern, einem ruhigen Städtchen, wenn dort nicht gerade lautstark Karneval gefeiert wird, was die Wasunger mit großer Begeisterung und traditionsbewußt schon seit dem 16. Jahrhundert tun. Mit Meiningen haben wir dann den kulturellen Mittelpunkt und die wichtigste Stadt Südwestthüringens erreicht. Sie spielte schon im Mittelalter eine bedeutende Rolle, gehörte seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts den Bischöfen von Würzburg, wurde aber von diesen mehrfach verpfändet, gelangte im 15. Jahrhundert an die Grafen von Henneberg, zu Ende des 16. an das Kurfürstentum Sachsen und wurde schließlich 1680 Residenz der Herzöge von Sachsen-Meiningen. Diese richteten sich gut ein, bauten an der Stelle der alten bischöflichen Burg das Barockschloß Elisabethenburg. Als Ende des 18. Jahrhunderts das Herzogtum unter den Herzögen Karl und Georg I. ein Zentrum des aufgeklärten Absolutismus wurde, erhielt Meiningen schon 1776 das erste Lehrerseminar in einem der thüringischen Kleinstaaten. Die eigentliche kulturelle Blüte begann aber erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unter dem Herzog Georg II. Er war ein theaterbegeisterter, ja geradezu theaterbesessener Fürst, der sein Hoftheater zu einem Zentrum europäischer Theaterkunst machte. Dabei verzichtete er - im Gegensatz zu anderen Höfen - bewußt auf die Oper und konzentrierte sich auf das Schauspiel. In unzähligen Proben formte er dabei persönlich das Ensemble und entwickelte eine neue Theaterkunst mit einem fugenlosen Zusammenspiel und Ineinandergreifen von Einzeldarstellern und der Masse der Komparsen. Es gab um diese Zeit wohl kein Theater, in dem so sorgfältig gearbeitet wurde wie hier in Meiningen. Ganz gleich ob Hauptdarsteller, Nebenrollen oder Statisten, jeder einzelne wurde sorgfältig geschult. Selbst die bedeutendsten Schauspieler hatten in ihren Verträgen einen Passus, wonach sie jederzeit auch in der Komparserie mitwirken mußten. Die Theaterleidenschaft des Herzogs steigerte sich noch, als er 1845 die zur Freifrau von Heldburg erhobene ebenso bedeutende wie schöne und kluge Schauspielerin Ellen Franz heiratete. In ihr fand er zugleich die Gefährtin, die seine intensive Arbeit liebevoll unterstützte, wie auch aus dem Bericht des Schauspielers und späteren Intendanten Max Grube in seiner "Geschichte der Meininger hervorgeht:
"Es sei gleich bemerkt, daß ein sogenanntes ausgearbeitetes Regiebuch niemals vorlag. Es wurde sozusagen von Fall zu Fall probiert. Das kostete allerdings viel Zeit, aber Zeit spielt in Meiningen ebensowenig eine Rolle wie Geld. Daß die Grundgedanken feststanden, braucht nicht betont zu werden.
Die Dauer der Proben war nie vorher zu berechnen, um fünf oder sechs Uhr beginnend, endeten sie selten vor Mitternacht. Einmal rief der Herzog hinauf: ,Ich wünsche den Herrschaften ein glückliches neues Jahr!' Es war nämlich Silvesterabend. Dann ging die Probe ruhig weiter. Auch die längste Probe wurde nie durch eine Sonderpause der Herrschaften unterbrochen. Der Herzog wickelte gut bürgerlich ein Butterbrot aus dem Papier, später nötigte ihm seine Gemahlin wohl einmal etwas Schokolade auf. Erst nach der Probe nahm das fürstliche Paar sein Abendessen im Schloß ein und blieb gewöhnlich noch lange auf, die Arbeit des Abends besprechend.
Zum Beginn erschienen die ,Herrschaften' mit größter Pünktlichkeit; daß sich niemand eine Verspätung zuschulden kommen ließ, verstand sich mithin von selbst. Sie nahmen im Parkett Platz, während Chronegk (Anm.: der eigentliche Spielleiter) sich gewöhnlich auf die Bühne begab, wenigstens bei den ersten Proben. Den Überblick hemmte kein traditioneller Regiestuhl und Tisch, sie waren überflüssig, da man ja kein Regiebuch hatte. Wie bereits bemerkt, verstand Chronegk es vorzüglich, den Schauspielern die Willensmeinung des Herzogs verständlich zu machen und zu verdolmetschen. Beides war häu notwendig. Die Handwerkssprache der Bühne war dem Fürsten nicht geläu. Er lebte immer im Banne der Dichtung oder der einzelnen Rollen. Er sagte zum Beispiel den Schauspielern nicht: ,Gehen Sie nach rechts oder links', sondern, etwa zum Max: ,Sie fühlen sich jetzt zu Wallenstein hingezogen.' Oft wurde auch das Verständnis dadurch erschwert, daß des Herzogs Sprechweise recht undeutlich war. Beide Eigenarten des hohen Spielleiters riefen nicht selten die drolligsten Mißverständnisse hervor.
Da gastierte einmal eine junge Dame als Berta von Bruneck. Der Herzog hatte den Auftritt mit Rudenz in der Felsschlucht so angeordnet, daß Berta sich auf einen Steinblock niederließ, während Rudenz auf seinen Jagdspieß gestützt vor ihr stehen blieb. Das gab ein besseres Bild ab, als wenn beide Figuren nebeneinander gestanden hätten, was besonders in einer so kurzen Dekoration recht unglücklich ausgesehen haben würde. Der zunftgemäße Regisseur hätte bei der betreffenden Stelle gesagt: Jetzt, liebes Fräulein, setzen Sie sich!' Der Herzog rief im Geiste der Rolle: ,Sie sind müde!' ,Aber nein, ganz und gar nicht, Hoheit', versicherte die Dame eifrigst, denn sie glaubte, der Herzog sehe ihrem Spiel Ermüdung an. Darauf dieser: ,Sie kommen von der Jagdl' Die Dame: .Verzeihen, Hoheit, nein! n Coburg!'

Ein weiteres wesentliches Kennzeichen der Meininger Inszenierungen war die Detailtreue der Dekorationen und Kostüme. Wir sind heute gewohnt, daß Regisseure ihren besonderen Ehrgeiz in die Verfremdung des Bühnenbildes und der Kostüme setzen, so daß man manchmal eine Oper oder ein Schauspiel nur noch mit geschlossenen Augen richtig genießen kann, und können uns die "positivistisch-historisierende Subtilität, wie sie der Theaterhistoriker Heinz Kindermann einmal bezeichnet hat, kaum vorstellen. Präzise Wortregie und auf Echtheit bedachte Bildregie griffen reibungslos ineinander und machten die Meininger Inszenierungen bekannt und bald auch berühmt. So konnte der Herzog schon 1874 mit den Gastspielreisen des Ensembles beginnen, bei denen auch sämtliche Dekorationen, Versatzstücke und Kostüme mitgeführt wurden. Bei den damaligen Transportverhältnissen waren das organisatorische Meisterleistungen. Aber das hinderte die Truppe nicht, in allen Hauptstädten Mittel- und Westeuropas, in Skandinavien und Rußland zu gastieren. Zahlen sind oft langweilig, hier sind sie imponierend. Insgesamt 2591 Gastspiele fanden zwischen 1874 und 1890 statt. Allein 1887 gastierten die Meininger 235mal in Berlin, Leipzig, Wien, Barmen, Hamburg und Amsterdam. Am häusten wurde daheim wie auswärts Schiller gespielt, ihm folgten Shakespeare, dann mit weitem Abstand Kleist, Grillparzer und Moliere, der Rest lag unter zwanzig Aufführungen, dabei auch Goethe und Lessing. Aber es ging ja gar nicht allein um die Zahl, sondern vor allem um die Wirkung und Nachwirkung, die nicht nur bei den deutschen Bühnen, sondern auch im Ausland deutlich und nachhaltig zu spüren war. 1909 erhielt Meiningen dann jenen neoklassizistischen Theaterbau, in dem heute noch die große Tradition weitergeführt wird, und 1990 erhielt die Meininger Bühne neben Weimar den offiziellen Rang eines Staatstheaters.
Die Meininger Mimen kannten und kennen die Theaterfreunde in ganz Europa, einen anderen Meininger kannten und kennen die Kinder in ganz Deutschland; denn die Märchen des Herrn Ludwig Bechstein waren beinahe ebenso beliebt wie die der Brüder Grimm. Eigentlich stammte Bechstein ja aus Weimar, aber ein Onkel hatte sich des frühverwaisten Knaben angenommen und ihn in Meiningen zum Apotheker ausbilden lassen. Pillen drehen und Mixturen mischen mußte er allerdings nur ein paar Jahre; denn mit 27 Jahren erhielt er ein Stipendium des Herzogs, studierte in Leipzig und München und wurde 1831 Kabinettsbibliothekar.
Etwa achtzig Werke hat er im Laufe seines Lebens geschrieben, weitere hundert herausgegeben, ein bienenfleißiger und zugleich tüchtiger Mann. Heute kennt man vor allem noch seine Märchen, die er ähnlich gesammelt und nacherzählt hat wie die Brüder Grimm, und seine Sagensammlungen, besonders das "Deutsche Sagenbuch, das erstmals tausend Sagen aus dem gesamten deutschen Sprachraum erfaßte. Er schrieb aber auch einen Band "Wanderungen durch Thüringen, in dem er natürlich auch von seiner Heimatstadt Meiningen und dem geistigen Leben dort berichtet:

"Einen Tag nur hatten die Gefährten zur Rast bestimmt; Otto, selbst schon zur Weiterfahrt gerüstet, suchte diesen so gut als möglich dazu zu benutzen, jenen das wenige Sehenswerte in rascher Übersicht vorzuführen, das eine kleine Residenz von nur 570 Häusern und 5600 Eirvwoh-nern darbieten kann, selbst wenn sie, wie Meiningen, unter der Agide eines kunstsinnigen und alles Schöne und Gute eifrig fördernden Fürsten immer wachsender Verschönerung entgegenblüht.

Über den regelmäßigen und sehr geräumigen Marktplatz, auf welchem die oft erneute, aber schon im Jahre 1003 erbaute Stadtkirche mit ihren zwei Türmen steht, führte Otto seine Freunde durch die untere Marktstraße, zeigte ihnen im rübergehen das Haus, in welchem Jean Paul gewohnt, und ließ dabei nicht unbemerkt, daß das gestern von ihnen besehene Grimmental dessen Lieblingsspaziergang und Aufenthalt gewesen; bezeichnete dann ein anderes Haus als Wohnung von Schillers Schwester, und ein drittes als das, welches einst der fruchtbare Romanschriftsteller Carl Gottlob Cramer besessen, bevor er als Lehrer an der nahen Forstakademie, dreißig Acker anderen Wohnsitz und endlich dort auch ein Grab gefunden. ,Meiningen sah', sprach Otto im Weitergehen erzählend zu den Freunden: ,zu Ende des vorigen und im Anfang des jetzigen Jahrhunderts unter Herzog Georg manche erfreuliche Bestrebung in literarischer und artistischer Beziehung. Der Herzog selbst voll Geist und überall anregend, hätte gern nach dem Beispiel Weimars einen Kreis von ruhmvoll genannten Literaten und Künstlern an seinem Hofe versammelt, allein es lag nicht in den Verhältnissen, diesen Wunsch in würdigster Ausdehnung erfüllt zu sehen, und manchen schönen Plan zerriß des edlen Herzogs allzu früher Tod. Als ausgezeichneter geistlicher Liederdichter lebte damals Pfranger hier, bekannt durch sein Gegenstück zu Lessings Nathan: Der Mönch vom Libanon; der Bibliothekar Reinwald, Schillers Freund und Schwager, zeichnete sich durch witzige Epigramme aus'

Den literarischen Spuren Ludwig Bechsteins werden wir noch mehrfach in Thüringen begegnen. In seiner Schilderung erwähnt er hier Jean Paul, der vom Herzog immerhin zum Legationsrat ernannt worden war und von 1801 bis 1803 in Meiningen lebte, wo er seinen Erziehungsroman "Titan vollendete, sowie Friedrich Schiller. Dieser war auf seiner Flucht aus Württemberg im Dezember 1782 nach Meiningen gekommen, wo er den Hofbibliothekar Reinwald traf, der später sein Schwager wurde. n Meiningen aus reiste der Dreiundzwanzigjährige aber nach nur kurzem Aufenthalt weiter in das zehn Kilometer südlich gelegene Dörfchen Bauerbach. Henriette von Wolzogen, Mutter von vier Karlsschülern, hatte ihm ein schützendes Domizil auf ihrem Gut in Bauerbach angeboten. Das war nicht ganz ungefährlich; denn ihre eigenen Söhne studierten ja noch in Württemberg, von wo Schiller entflohen war. Nach den großen Anspannungen der Flucht atmete Schiller im Gutshof zu Bauerbach erst einmal auf:
"Endlich bin ich hier, glücklich und vergnügt, daß ich einmal am Ufer bin. Ich traf alles noch über meine Wünsche. Keine Bedürfnisse ängstigen mich mehr, kein Querstrich von außen soll meine dichterischen Träume, meine idealischen Täuschungen stören. Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung, und alle diese Sachen werden von den Leuten des Dorfes auf das llkommenste und Willigste besorgt. Ich kam abends hierher - Sie müssen wissen, daß es von Frankfurt aus fünfundzwanzig Stunden hierher war - zeigte meine Briefe auf, und wurde feierlich in die Wohnung'der Herrschaft abgeholt, wo man alles aufgeputzt, eingeheizt und schon Betten hergeschafft hatte. Gegenwärtig kann und will ich keine Bekanntschaften machen, weil ich entsetzlich viel zu arbeiten habe.

Schiller wahrte sein Inkognito als ein Herr Ritter, entspannte sich, unternahm viele und lange Spaziergänge, fand in dem in Bauerbach lebenden jüdischen Hausierer Mattich einen Mann von "braver Gesinnung, ziemlicher Bildung und gesundem Mutterwitz, mit dem er viele und lange Gespräche führte. Da ihm dank der Hilfe des Bibliothekars Reinwald die herzogliche Bibliothek in Meiningen offenstand, erhielt er genug Material für seine Studien und Arbeiten. Schon im Februar 1783 hatte er die "Luise Millerin vollendet, die dann später "Kabale und Liebe hieß, und bald danach begann er hier in dem kleinen Dorf mit dem "Don Carlos. Zwischendurch verliebte er sich in Charlotte, die Tochter seiner Gastgeberin, und tyrannisierte letztere, die seinethalben sowieso schon genug Angste auszustehen hatte, mit dunklen Andeutungen:
"Ganz Meiningen weiß, daß sich ein Württemberger in Bauerbach aufhält - daß dieser ein sehr guter Freund von ihnen ist - und daß er sich mit Schriften beschäftigt. Ganz Meiningen vermutet, daß dieser Ritter nicht der ist, vor den er sich ausgibt - daß er vielleicht Verdruß in seinem Vaterland gehabt hat, und darum seinen Namen verschweigen muß. Man war schon lange begierig diesem verkappten Ritter auf die Spur zu kommen, man hat sogar, wegen einiger Außerungen des vorigen Herzogs auf den Wahren geraten. Nehmen Sie nur dies alles zusammen, und lassen Sie besagten Herrn nach Meiningen kommen. Wird man nicht diese erste Gelegenheit ergreifen, nach mir zu forschen?6
Im Sommer 1783 ging dann das Bauerbacher Idyll zu Ende. Heute ist im Haus der Familie Wol-zogen ein kleines Schillermuseum untergebracht, und am Gutsverwalterhaus zeigt eine Wandmalerei die Ankunft des jungen Dichters in Bauerbach.
Auch wir verlassen Bauerbach und fahren südwärts nach Römhild, schon nahe der bayerischthüringischen Landesgrenze am Fuße der Gleich-Berge; denn hier finden wir auf dem Kleinen Gleich-Berg die Spuren einer großen keltischen Siedlung, die vor mehr als zweitausend Jahren entstand, das wohl bedeutendste vorgeschichtliche Zeugnis in Thüringen. In der Stiftskirche von Römhild erinnern das Standbild des Grafen Otto IV. und das Grabmal des Grafen Hermann VIII. und seiner Gemahlin Elisabeth daran, daß der Ort einmal zur Grafschaft Hennebcrg-Römhild gehörte, einer der drei hennebergischen Linien. Das Grafengeschlecht stammte aus dem fränkischen Grabfeld und war allmählich mit dem Kern seiner Herrschaft etwas östlich in den thüringischen Raum abgedrängt worden. Es ist uns schon bei der Geschichte Schmalkaldens und Meiningens begegnet. Die Aufsplitterung der Teillinien ist kennzeichnend für die dynastischen und damit auch politischen Verhältnisse in Thüringen. Nur rund hundert Jahre hatten zwischen 1130 und 1247 die Ludowinger im Lande als Landgrafen geherrscht. Mit ihrem Aussterben setzte allmählich jene Aufteilung und Zersplitterung ein, die es dem Nichthisloriker schwermacht, den dynastischen Spuren zu folgen. Jahrhundertelang war diese Mitte Deutschlands dann ein bunter Flickenteppich von Herrschaften und Kleinstaaten. 1815 gab es nach dem Wiener Kongreß neben den preußischen Besitzungen "nur noch zwölf kleine Staaten, und erst 1920 schlössen sich die aus ihnen hervorgegangenen Freistaaten zum Land Thüringen zusammen, das dann 1952 erneut geteilt und 1990 in der früheren Gestalt wieder vereint wurde.
Es gibt viel zu sehen und mehr Überraschungen hier im hennebergischen Zipfel, als sich ein eiliger Reisender träumen läßt. Freunde romanischer Architektur werden nicht versäumen, die wuchtigen Gewölbe der Krypta aus dem 10. Jahrhundert in der Dorfkirche von Rohr zu besuchen, und natürlich auch die Überreste des Prämonstra-tenserklosters Veßra. Viel ist von der alten Anlage zwar nicht mehr erhalten, dafür aber ist auf dem ehemaligen Kloslergelände ein Freilichtmuseum mit schönen alten fränkisch-thüringischen Fachwerkbauten im Entstehen begriffen.
Und dann kommt Hildburghausen am rechten Ufer der Werra, ehemals hennebergischer Besitz, der im Mittelalter zu Würzburg, dann zu Coburg, danach an die Burggrafen von Nürnberg, an Altenburg und Gotha gelangt und 1680 sogar Residenz des selbständigen Herzogtums Sachsen-Hildburghausen geworden war.

In der Geschichte des deutschen Presse- und Verlagswesens- h^t der Name der Stadt einen guten Klang. Hier gab schon 1818 der Pädagoge C. L. Nonne, ein Schüler Pestalozzis, die Wochenschrift "Dorfzeitung heraus, die sich grundsätzlich und wohltuend von zahlreichen in diesen Jahren erschienenen kleinen und kleinsten intellektuellen und literarischen Zeitschriften unterschied, weil sie volksbildnerisch zu wirken suchte. Und nur zehn Jahre später siedelte ebenfalls hier Joseph Meyer sein "Bibliographisches Institut an, das er zwei Jahre zuvor in Gotha gegründet hatte. Fast ein halbes Jahrhundert blieb es in dieser kleinen thüringischen Stadt. Meyers Ziel war, in größtmöglichem Umfang volksbildnerisch zu wirken. Obgleich es schon verschiedene Lexika gab, sah er für sich eine Marktlücke und begann nach fünfjähriger rbereitung mit der Herausgabe des "Großen Conver-sationslexicons für die gebildeten Stände. Auch hier sind - ähnlich wie bei den Meiningern - einige Zahlen imposant. Das Werk war auf einundzwanzig Bände get, die innerhalb von vier Jahren in 252 Lieferungen zu je siebeneinhalb Subergroschen erscheinen und dreißigmal soviel Stichwörter wie der damals schon bekannte "Brockhaus enthalten sollten. Tatsächlich wurde es aber erst dreizehn Jahre später vollendet, war bis dahin allerdings auf sechsundvierzig Bände angewachsen, denen noch sechs Supplementbände folgten. Insgesamt arbeiteten 120 Autoren daran, die zwei Gulden Honorar pro Seite erhielten. Die Gesamtherstellungskosten des Werkes beliefen sich auf rund eine Million Gulden. Trotzdem konnte schon 1858/59 ein unveränderter Nachdruck folgen, gleichzeitig unter dem Sohn Joseph Meyers eine reduzierte Neuausgabe von nur fünfzehn Bänden. Seitdem sind bis heute neun weitere Ausgaben dieses Lexikons erschienen!

Neben diesem Mammutwerk brachte Meyer aber noch eine ganze Anzahl bedeutender weiterer Veröffentlichungen heraus, so eine Bibliothek deutscher Klassiker mit einhundertfünfzig Bänden, Brehms Tierleben und vor allem das berühmte "Meyers Universum oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Jede Lieferung dieses seit 1833 erschienenen Werkes erhielt drei bis vier Stahlstische mit Bildern, die heute das Entzücken der Sammler und das tägliche Brot der Kunsthändler sind; denn die zu Bänden zusammengefaßten Hefte erzielten zwischen 50 000 und 80 000 Auflage. Meyer selbst schrieb die vorzüglichen Begleittexte, die heute von den Händlern, die es nur auf den Verkauf der Stahlstiche abgesehen haben, meist achtlos weggeworfen werden, obwohl sie ebenfalls eine beachtliche Leistung darstellten und in ihrer Qualität nicht unterschätzt werden sollten. Unter welchem Druck und mit welchen Problemen Meyer dabei arbeitete, beweist die Aussage eines Mitarbeiters:
"Die Fertigstellung des so höchst anziehenden, packenden Textes war interessant: er sollte monatlich in Heften erscheinen, diesem Erscheinen stellten sich häu technische Hindernisse entgegen, wenn diese beseitigt waren, wurde der Druk-kerei-Factor vor den Chef zitiert, wo er den Befehl erhielt, den Satz zu beginnen, während aber noch keine Zeile Text geschrieben war. Der Factor bat um Text, kommen sie in 1/2 Stunde, er kam und im glücklichen Falle erhielt er auch etwas Text, nach kurzer Zeit wiederholte sich dieses, nun aber wurde das Comptoir geschlossen und der Chef war für niemand zu sprechen, bis der nöthi-ge Text geschrieben war, und was für ein Text! Der alle Welt begeisterte, nur nicht die Häupter der zweiunddreißig Vaterländer. Beiläu muß ich bemerken, daß für Österreich eine andere Auflage erschien mit anderem Text, wir nannten diese den .Dummen'.7
An das alles sollte man denken, wenn man das Heimatmuseum Hildburghausens im alten Rathaus besucht, das unter anderem eine Sammlung aller zwischen 1828 und 1874 erschienenen Werke des Verlages enthält. 1874 wurde das "Bibliographische Institut dann nach Leipzig verlegt.
Vierzehn Kilometer sind es nur bis zum benachbarten Eisfeld, dem Geburtsort des Dichters Otto Ludwig, der dort 1813 zur Welt kam. Sein Geburtshaus brannte 1822 ab, aber im Schlosse erinnert eine kleine Ausstellung an ihn. Wer kennt heute schon Otto Ludwig? Kaum noch ein paar Germanisten, dabei ist es um so bedauerlicher, als er zu den bedeutendsten Erzählern des 19. Jahrhunderts gehört. Sein dramatisches Werk ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Wer aber thüringisches lksleben um die Mitte des 19. Jahrhunderts kennenlernen möchte, sollte schon seine Dorfgeschichten wie "Die Heiteretei und "Aus dem Regen in die Traufe lesen; sein Roman "Zwischen Himmel und Erde zählt zu den beeindruckendsten Kleinstadtgeschichten des Poetischen Realismus um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Am Fuße des Eisfelder Schloßberges liegt das Gartenhaus, in dem Ludwig als Knabe häu die Sommermonate verbrachte. Als "Häuschen unter den Weiden ist es in die Dorfgeschichte "Die Heiteretei eingegangen, diese heiter-liebenswürdige Erzählung um ein braves, aber auch ein recht widerborstig-hochmütiges Dorfmädchen, das schließlich doch ihr Glück findet:
"Der alte Benediktus - nur Diktes genannt -blieb vor einem Häuschen stehen, nahm das Nachtwächterhorn an die Lippen und blies gerade nach dem Häuschen zu den schönsten Ton, der darin war. Ob ihm das Häuschen so gefiel, daß er beim Tuten und Stundenrufen allemal nach ihm hin sah?

Hübsch genug sah es aus, zumal, wenn, wie heute, der Mond darauf schien, - am hübschesten aber, wenn der große Holunderbusch, der das Häuschen unter seinem Arm hatte wie einen Hut, oder unter seinem Flügel, wie ein Küchlein, zugleich in voller Blüte stand. Und den Grasmücken und Finken ging es bei Tage wie dem alten Diktes bei Nacht. Der alte Holunder hatte keinen geraden Gipfel mehr, so oft hatten die kleinen Tagediebe singend sich darauf geschaukelt. Das schmale Weglein, das vom Schloßberge jäh genug -he/ab kommt, tut auf der kleinen Wiese dabei, als müßt' es vor jedem Büschchen wieder ein Stückchen umkehren. Man sieht, ihm ist's nur darum, nicht zu schnell vorbeizukommen, und kaum zwei Schritte unter dem Häuschen, da wird's gar aus mit ihm vor Vergnügen, da hört's ganz auf.
Und just da ist's, wo am Zehntbach hin die herrlichsten Tuten und Pfeifen wachsen in der ganzen Gegend, so viel Weiden auch dem Bach entgegengehen, oder ihm das Geleite geben von hier hinauf und hinab in das weite Tal. Da hat der Türmer noch das Glockenseil vom Dreibrot läuten in der Hand, und schon füllt Kindergejubel das ganze weite Gebüsch. Da wird das blaue Bächlein ganz rosig vom Widerschein der badenden Kinderleiber vom Häuschen an bis zur Lücke im Busch, wo man, wenn heiterer Himmel ist, den Reicker Kirchturm sehen kann. Jetzt im Mondschein sieht man kaum die Walkmühle und das Drescherhäuschen. Und zu hören ist nichts, als des alten Diktes Nachtwächterhorn und Stundenruf und ein leises Lüftchen talauf, kaum ein fernes Hundegebell und, wenn die Luft etwas stärker weht, vorübergehend das Rauschen vom Walk-müllerwehr. Und jetzt, indem wir davon reden, ein rascher Schritt, der näher kommt und näher begleitet vom Schleifen eines Schiebkarrenrades im feuchten Gras.
Die Heiteretei hat ihre Last beim Nagelschmied abgeladen und eilt nun ihrem Häuschen zu. Denn hier hat sie das Kind ihrer Schwester unter der Obhut der alten Annemarie zurückgelassen, der für diese Dienstleistung die Oberstube des Häuschens eingeräumt ist. ,Und sagt die Heiteretei im Eilen vor sich hin: ,Die Annemarie kann's nicht besser meinen, und das Liesle mag sie auch; aber sie wird jeden Tag tappichter, und was kann in so ein sechzehn Stunden nicht alles geschehen!'
Je näher sie kommt, desto leiser wird der Tritl. Sie läßt den Schiebkarren vor dem Häuschen stehen, tritt an das kleine Fensler und pocht leise, leise. Das Kind muß nun ja schlafen, und die Annemarie hört besser als manches Junge. Und so ist's auch. Die Alte erscheint.
.Schläft's? Ist alles gut gegangen?' fragt das Mädchen.
.Alles, nehmt aber die Strümpfe mit 'rein, Dorle, von den roten eins draußen am Staket. Die alte Sannel da, nieden vom Kellerweg, hat's auch gesagt, es muß Stiefmütterlestee krieg', sonst wächst's noch zu.'
Annedorle nahm das Strümpfchen vom Staket, hob leise den Schiebkarren auf den leeren Schweinestall am Häuschen; dann trat sie durch die Haustür, welche die Alte unterdessen aufgeriegelt, unmittelbar in ein Gemach hinein, das Wohnstube und Küche zugleich war. Ehe sie noch ein Wort sprach, nahm sie die Lampe vom Ofensims, und leuchtete, mit der Hand vorsichtig schirmend, damit kein Lichtstrahl wecke, in die Kammer hinaus über ihr Bett hin, in dessen Mitte die Kleine lag wie ein Rosenknöspchen, auf einen weißen Teller gemalt. Dann setzte sie sich der Alten gegenüber, die den Sitz auf der Ofenbank eingenommen, auf den einzigen Stuhl. Die Alte tat Bericht, wie es dem Kinde gegangen; es seien wieder zwei vordere Backenzähne im Begriffe bei ihr hervorzubrechen.
,Dacht's wohl', sagte die Heiteretei, ,es hat Nächtens wieder so gehust't. Aber sonst ist's doch recht?'
,Na, ich weiß net, was für eins das is. Kriegt die Zahn' wie auf einmal und lernt auch noch laufen dabei; andere schmeißt's immerfort zurück. Aber der Diktes hat schon Zehne getüt't. Die Hölzle stehen hinterm Ofen. Gut' Nacht, Bäs' Dorle, schlaf wohl.'
Das Dorle leuchtet ihr die enge Treppe hinauf, oben scheint der Mond zu dem kleinen Fenster herein. Unten wirft er helle Flecken auf den Boden und an Treppe und Wand. Dorle sieht, die Löcher in der Lehm wand, durch die der Mond so ungeniert hereinschaut, sind wieder größer geworden. War auch ein Regen das! sagt sie, geht in ihr Stübchen zurück und sitzt wohl noch eine Viertelstunde in Gedanken, darunter schweren Hauswirtssorgen, auf dem Stuhle. Das Häuschen, so schön es aussah, war schrecklich baufällig; vielleicht sah es eben deshalb so schön aus.

Die letzte Station hier im Südzipfel Thüringens ist, hoch oben auf einem Bergkegel, die Feste Heldburg, die ursprünglich zu Fulda, danach den Hennebergern, den Nürnberger Burggrafen und schließlich den Wettinern gehörte. Zu Recht wird sie im lksmund die "Fränkische Leuchte genannt; denn sie leuchtet ebenso weit ins Fränkische Land hinein, wie sie als fränkischer Besitz nach Thüringen hinein grüßte.







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