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Kriegsminister Goethe rüstet ab - Aber Freiheit bleibt ein unerreichbar fernes Ziel

Kriegsminister Goethe rüstet ab - Aber Freiheit bleibt ein unerreichbar fernes Ziel

Die Reichsstadt Frankfurt, aus der er stammt, hat Goethe als »Nest« verachtet, doch in eine Weltstadt kommt der Advokat und Dichter wahrlich nicht. Als er am 7. November 1775 morgens gegen fünf Uhr im Landauer eintrifft, mit dem ihn der Kammerjunker von Kalb in Heidelberg im Auftrag des Herzogs abgeholt hat, zählt die Residenz rund achthundert Häuser und gute sechstausend Einwohner, etwa soviel wie Frankfurts Appelwoi-Vorstadt Sachsenhausen. Als einen mittelmäßigen Ort, dessen Gassen sich weder nach Reinlichkeit und Anlage noch an Bauart der Häuser »mit dem heitren und luftigen Jena« vergleichen lassen, beschreibt ein Zeitgenosse in der geographischen Schrift »Der Reisende« dieses Weimar. Es habe das armselige Aussehen einer »nahrungslosen Landstadt«, die Häuser seien dürftig gebaut und zum Teil noch mit Stroh oder Holzschindeln gedeckt, der Masse der Bewohner fehlten Geschmack und Eleganz. »Alles lebt vom Luxus eines eingeschränkten Hofes dessen geringerer Adel zum Teil arm ist, zum Teil aus Gelehrten oder schönen Geistern besteht, welche zu philosophisch denken, um des Hofes wegen Aufwand zu machen. Weimar besitzt weder Fabriken noch Handel « Herder bezeichnet den Ort als ein Mittelding zwischen Hofstadt und Dorf und nennt ihn »wüst«. Als Madame de Stäel Anfang des neunzehnten Jahrhunderts das deutsche Athene des let-tres besucht, glaubt sie, ein Chateau und keine petite ville vor sich zu haben; in der kleinen Stadt sieht sie offenbar die zum Schloß gehörigen Gesindehäuser. Es sei schön auf dem Lande, meint Maria Pau-lowna, als sie vom russischen Hof in Petersburg nach Weimar kommt, und sagt zu ihren Gemahl: Auf nun zur Residenz! Ackerbürger lassen ihr Vieh vom Stadthirten morgens auf die Weide treiben, die Straßen sind kotverschmutzt, nicht selten begegnet die Gesellschaft vom Hofe grunzenden und blökenden Herden. Weimar, wie es sich Goethe bei seiner Ankunft präsentiert, ist wenig erhebend: Der llm-Park wie wir ihn heute kennen, ist noch nicht vorhanden, er wird erst 1778 unter Goethes Anleitung angelegt und über Jahrzehnte nach dem Wörlitzer Modell als Landschafts- und Naturpark gestaltet; auf der Kücheninsel vor dem Schloß, heute eine große Wiese, die sich zum Park hin öffnet, prangt ein abscheuliches Kohlemagazin. Die fürstlichen Gemäuer der im Vorjahr abgebrannten Wilhelmsburg bieten den Anblick einer trostlosen, rauchgeschwärzten Ruine. Der Neubau wird erst 1803 fertiggestellt. Neunundzwanzig Jahre lang sind die Familie des Regierenden Herzogs, das Geheime Consilium als oberste Regierung, die Landeskasse und der bescheidene Hof eher schlecht denn recht im Fürstenhaus untergebracht. Ursprünglich für die Landstände gedacht, weist es erhebliche Mängel auf. Man hat schludrig gebaut, die Decken sind vom Einsturz bedroht, die Räume weder für Gratulationscouren oder Festmähler noch für Konzerte, Bälle, Komödien oder andere rgnügungen geeignet, die nun sämtlich hier stattfinden müssen. Die Hofküche hat der Hofmarschall in einem Gebäude gegenüber untergebracht, so daß die Speisen über die Straße getragen werden müssen-einen scheußlichen »viereckigen Kasten« nennt Carl August verächtlich sein provisorisches Schloß. Auch Goethe hat hier zwei Jahre lang eine kleine Stadtwohnung im Erdgeschoß.




Die Einrichtung, die Möbel und die Lebensweise der Weimaraner der Goethezeit sind einfach, berichtet August Diezmann: Tische meist aus schlichtem Tannenholz, kaum Vorhänge in den Zimmern, die Spiegel klein und schlecht, nur wenige Familien besitzen ein »Kanapee«. Gut einhundertzwanzig Jahre später beklagt der Germanist Wilhelm ßode im »Kunstwart«, daß man dieses Alt-Weimar nicht getreulich konserviert habe: »Wir könnten hier mit Händen greifen, unter welchen bescheidenen, ja armseligen rhältnissen die Deutschen ihre höchste Kultur erreicht haben.« Liest man freilich die Annoncen aus dieser Zeit, haben die wenigen, die es sich leisten konnten, nicht so schlecht gelebt. Die Weinhandlung Ortelli bietet für damals geradezu luxuriöse Delikatessen an: Datteln und frische, saftige Zitronen, Feigen aus Smyrna, getrocknete Trüffel und Genueser Maronen, weißen Estragonessig und eine extrafeine Sorte »Provencer-Oehl«, auch Salami, Schweizer- und Parmesankäse sind zu haben. Der Cammer-Agent Franz Abraham Braun sucht Kundschaft für ausgesuchte Rhein- und Frankenweine, aber auch für Malaga, Muscat und Medoc. Räucherlachs ist zu erstehen, und der Kaufmann Häublein empfiehlt im Januar 1781 sogar frische englische Austern »zu den billigsten Preisen«.

Der berühmte Dichter des »Werther« tritt keck auf, er kommt im blauen Frack mit Messingknöpfen, gelber Weste, Lederbeinkleidern und halbhohen Stulpenstiefeln nach Weimar. Es ist die Tracht ä la mode, welche der Werther des Romans trug, als er zu Lotte sagte, er wolle in diesen Kleidern begraben sein, »denn Du [Lotte] hast sie berührt«. Es dauert nicht lange, und alle Welt muß in diesem Frack erscheinen. Selbst der Herzog zieht ihn an; wer bei Hofe sich keinen leisten kann, dem läßt er, falls er ihn schätzt, einen vom Hofschneider fertigen. Mit Goethes Einzug beginnt Weimars wilde, stürmische Zeit, eines der sogenannten »Kraftgenies«, die ihren Rousseau gelesen haben, alle Formen verachten und das Natürliche schätzen. Auf einem Strohsack schläft Goethe in seinem Gartenhaus und baut dem Herzog 1778 ein Borkenhaus im späteren Park an der Um. Erst zwanzig Jahre danach ersteht dann, nach seinen Plänen, Carl Augusts Römisches Haus. Man wandert zusammen, man reitet zusammen und man zecht zusammen, teils bis zur sinnlosen Trunkenheit. Die Nachricht über das merkwürdige und ungezügelte Weimarer Vagabundieren von Fürst und Dichter macht in Deutschland die Runde und führt zu vernehmlichem Geschrei im »Ausland«, wie hse schreibt. Friedrich Gottlieb Klopstock, Doyen der deutschen Dichter, schwingt sich zum Mentor des jüngeren Goethe auf und fühlt sich verpflichtet, eine Mahnung nach Weimar zu schicken: »Der Herzog wird, wenn er sich ferner bis zum Krankwerden betrinkt, anstatt, wie er sagt, seinen Körper dadurch zu stärken, erliegen und nicht lange leben Die Deutschen haben sich bisher mit Recht über ihre Fürsten beschwert, daß diese mit ihren Gelehrten nichts zu schaffen haben wollen. Sie nehmen jetzo den Herzog von Weimar mit rgnügen aus.« Klopstocks Wort von den Gelehrten meint nicht etwa nur die Professoren in Jena, es schließt die Dichter ein. Gerade weil der berühmte Meister in Hamburg sein Ideal vom Dichter durch Goethes rhalten gefährdet sieht, nennt er diesen Brief einen Beweis seiner Freundschaft. Doch der Empfänger ist äußerst verstimmt. Erst nach zwei Monaten antwortet er dem »liebsten« Klopstock mit der Bitte, ihn künftig mit solchen Briefen zu verschonen. Der wiederum schreibt ebenso prompt wie erbost an Goethe zurück: Da Sie den Beweis meiner Freundschaft so sehr verkannt haben, »erkläre ich Ihnen hierdurch, daß Sie nicht wert sind, daß ich ihn gegeben habe«.

»Nun denk' man sich 'en Fürstensohn
Der so verspottet Geburt und Thron U
nd lebt mit so lockeren Gesellen
Die dem lieben Gott die Zeit abprellen«,

dichtet holprig Carl Augusts Kammerherr Friedrich Hildebrand von Einsiedel. Bürger und Fürst, diese lockeren Gesellen, darin sind sich Damen und Herren von Stande, aber auch die meisten Bürger in Weimar einig, pflegen allzu vertrauten Umgang, und der schickt sich nicht. Wenn die merkwürdige, kraftgenialische Weimarer Comnie Plumpsack spielt, wird nach Herzenslust auch auf den Souverän eingeprügelt. Parforcejagden über Hecken und Gräben, des Nachts möglichst in weiße Bettlaken gehüllt, damit die abergläubischen Bauern auch ja Gespensterfurcht erfaßt - das ist so recht nach ihrem Sinn. Sie wandern gemeinsam, campieren im Freien und baden im kalten Fluß, sie reiten auf die Dörfer, bändeln beim Tanz mit Bauernmädchen an - sie »mieseln«, wie derlei Flirt oder »niedere Minne« seit der Straßburger Zeit bei Goethe heißt. Das Wort »Miesel«, so Goethe-Biograph Richard Friedenthal, kommt aus dem Elsässischen und steht für Mamsell oder Mäuschen. Der Fürst und sein Genie, erzählt Wieland dem Konsistorialrat Böttiger, hätten sich stundenlang auf den Markt in Weimar gestellt und mit einer »abscheulich großen Parforcekarbat-sche«, einer Riemenpeitsche für Hetzjagden, um die Wette geknallt. Entschlossen, solche Geschichten nicht wahrhaben zu wollen, verbannen die Goethepriester deutscher Nation sie später ins Reich des Klatsches. Doch der Klatsch ist wahr und macht einen Goethe nicht kleiner. Warum soll ein Genie nicht verspätet pubertieren, auch wenn es manchmal dabei peinlich zugeht? Sie »necken« die Bürger auf hochfahrende Art, lassen die Fässer eines Kaufmanns den Berg hinabrollen und tafeln in seiner guten Stube, während dieser seine Habe retten und die Fässer wieder heraufrollen muß; Goethe schneidet das Porträt des armen Mannes aus einem Ölgemälde, steckt sein Gesicht hinein und starrt den Gefoppten bei seiner Rückkehr wie eine Fratze an. Nach der Polizei zu rufen ist sinnlos, denn Durchlaucht in Person ist mit von der Partie und einer der Wildesten. So schluckt der Bürger, schweigt und bekundet womöglich noch seine schuldige Devotion. »Goethe hat«, schreibt der »Merkur«-Herausgeber seinem Mitarbeiter Merck nach Darmstadt, »in den ersten Monaten die meisten (mich niemals) skandalisiert und dem Diabolus prise (Macht) über sich gegeben.«

Der wohlhabende Patriziersohn aus der angesehenen Reichsstadt Frankfurt verfügt über seinen Diener Philipp Seidel, der ihn umsorgt, auf Reisen begleitet und dem er gelegentlich seine genialischen Einfälle diktiert. Kein Zweifel, Goethe zählt für damalige rhältnisse zu den außerordentlich Privilegierten. Was bringt den in ganz Europa geschätzten rfasser des meistgelesenen Romans seiner Zeit dazu, Anstellung bei einem Duodezfürsten zu nehmen, ihm immerdar treu zu bleiben, ja sein Genie unter die »sterile Glasglocke von Weimar« zu setzen, als die Ortega y Gasset die damalige Atmosphäre des »humusarmen Liliputhofes« im Goethejahr 1932 beschreibt? Nur der Wunsch, endlich der mediokren Frankfurter Gesellschaft zu entkommen, deren Strukturen er als verkrustet empfindet? Überdruß und Langeweile an der Jurisprudenz, die den jungen Advokaten in seiner Anwaltspraxis plagt, einem Geschäft, das schlechtgeht und wenig einbringt? In seinem »Werther« hatte er über Fürsten und Standesdünkel, über die Vorrechte des Adels und das »ceremoniel« bei Hofe gespottet und später seinem Freund Kestner geschrieben, er sei es gewohnt, ausschließlich nach seinem »Instinckt« zu handeln, womit wahrlich »keinem Fürsten gedient seyn« könne. Doch wenn nicht alles trügt, so der Goethe-Biograph Carl Otto Conrady, dann hat es Goethe nicht die geringste Überwindung gekostet, in die Dienste eines souveränen Fürsten zu treten, wenn es nur kein schlechter Souverän war: »Den Wert der Freiheit seines Volkes stufte er anscheinend niedriger ein als die Möglichkeit einer patriarchalischen Leitung.« Gibt es eine bessere Erklärung für Goethes Flucht aus dem Bürgertum?

Friedrich Sengle widerspricht dieser Deutung nicht, auch wenn er sich müht, eine Vielzahl von Motiven zu nennen. Nach dem Erfolg des »Werther«, meint er, habe Goethe zwar höchste Honorare fordern können, doch wegen der Raubdrucke sei ihm das Leben eines freien Schriftstellers als entbehrungsreich und wenig erstrebenswert erschienen. In England konnte Oliver Goldsmith schon 1760 schreiben, Dichter seien nicht mehr von Höfen und Fürsten abhängig: »Sie haben jetzt keinen anderen Mäzen als die Öffentlichkeit, und die Öffentlichkeit, im großen und ganzen gesehen, ist ein freigiebiger Herr.« Aber das setzte eine bürgerlich geprägte Gesellschaft mit einer klaren Gesetzgebung über Urheberrechte voraus, die es in Deutschland noch nicht gab. Um 1800 zählte London 950000 Einwohner, Paris etwas über eine halbe Million. Goethe entscheidet sich wie Wie-land für das fürstliche Mäzenatentum. »Nah' bei Hofe, nah' bei der Höll«, hatte der Vater den Sohn gewarnt, aber damit wenig Eindruck gemacht - im Gegenteil. Friedrich Sengle weist darauf hin, daß Goethe die fürstenfeindliche, antihöfische Gesinnung des Vaters oft genug ins Lächerliche gezogen habe. Nach dem Zusammenbruch des Hamburgischen Nationaltheaters, das ja den ersten rsuch bedeutete, eine bürgerliche Bühne ganz ohne fürstliche Mäzene zu betreiben, sei in Deutschland ein neues Interesse für die Hofkultur gewachsen, das auch Goethes Entscheidung für Weimar bestimmt habe: »Er wollte weder eine bürgerliche Ehe noch ein bürgerliches Amt, er wollte ein Leben in der Nähe der Großen, in dem er, wie er träumte, alle seine reichen Anlagen entfalten könnte.« So baut Goethe sich ein warmes Nest in Weimar, das ihm ein erkleckliches Auskommen und alle damals erdenkliche Sicherheit zum Schaffen gibt. Wenige Monate nach seinem Eintreffen schreibt Wieland an Merck: »Goethe lebt nun wohl hier, solange Carl August lebt, und möcht das bis zu Nestors Alter währen!« Ist es da nicht einleuchtend, daß ihn 1806 Existenzangst überfällt? Kaum droht der Sieger Napoleon, das Herzogtum Weimar von der Landkarte zu wischen, sieht der Dichter sich mit seinem Herzog, beide um Amt, Würden und rmögen gebracht, als Bänkelsänger um Brot singend durch wüste Lande irren. Kann man sich ein Leben Goethes ohne Weimar vorstellen? fragt Ortega y Gasset - einen Goethe, allen Unbilden preisgegeben, ohne die materielle und gesellschaftliche Sicherheit seiner kleinen Weltbühne, »eingesenkt in das Dasein des damaligen Deutschland, das ganz Gärung, brodelndes Element, geöffnete Poren war?« Man kann es nicht.

Wenn sich Goethe mit seinen sechsundzwanzig Jahren auf Anhieb in Weimar wohlfühlt, hat dies auch mit der Tatsache zu tun, daß hier, anders als in Frankfurt, nicht gestandene, betagte Honoratioren das Sagen haben. Das regierende Weimar ist jung: Carl August und seine Frau Luise sind achtzehn, Prinz Constantin ist siebzehn Jahre alt, die angebetete Charlotte von Stein zählt dreiunddreißig, Anna Amalia, die verwitwete Herzogin und vormalige Regentin, erst sechsunddreißig Jahre - da darf Goethe sich mit seinen sechsundzwanzig Lenzen in der Mitten fühlen. Der junge Carl August hat ihn nach Weimar gerufen, weil er, wie so viele kleine Fürsten, seinen Hof mit großen Namen zieren will - ein Motiv, das Goethe später im »Tasso« aufgreifen wird. Es steckt aber auch Protest gegen die Mutter darin: Protest gegen deren Wieland, den Dichter des »Musarion« und des »Goldenen Spiegel«, gegen den er bewußt den Stürmer und Dränger, den Dichter des »Werther« und des »Götz« setzen will. Doch holt er ihn weniger als Dichter denn als Mensch, für den er sich interessiert; zwar soll Cioethe bald sein engster Freund werden, doch von Anfang an will er den vielseitig interessierten und hochbegabten Mann sich und seiner Regierung »attachieren«. Das Abtreten der Mutter als Regentin hat er kaum erwarten können, nun kehrt er das unterste zuoberst und verjüngt die Regierung . Als Goethe ihm Herder als Superintendenten vorschlägt, zögert Carl August nicht einen Augenblick. Er wünscht keinen Anhänger der in Weimar vorherrschenden pedantischen lutherischen Orthodoxie. Wenn er Herder vielen älteren, verdienten Bewerbern aus seinem Herzogtum vorzieht, dann freilich auch, weil der Empfohlene erst dreißig Jahre zählt. Gegen den Widerstand der altgedienten Beamten, vor allem seines Regierungschefs, des »Wirklichen Geheimen Rats« Freiherr von Fritsch, setzt er die Ernennung seines in Staatsgeschäften völlig unerfahrenen Favoriten zum Geheimen Legationsrat und Mitglied des Geheimen Consiliums durch. Goethes Kopf und Genie seien bekannt, schreibt er Fritsch, der dagegen protestiert und droht, seinen Abschied zu nehmen, und: Einen Mann von Genie nicht da zu gebrauchen, wo er seine außerordentlichen Talente entfalten kann, hieße, denselben zu mißbrauchen. Fritsch bleibt nicht deshalb, weil Carl August als absoluter Fürst ein Machtwort spricht, sondern weil seine Mutter, der Fritsch lange die Geschäfte führte, ihn inständig darum bittet. Die Leitung des Ländchens soll in bewährten Händen liegen, solange der Most der ungebärdigen Kraftgenies nicht ausgegoren ist. Fritsch wird gute Erfahrungen machen: Der von ihm gefürchtete Liebling des Herzogs erweist sich binnen Jahresfrist als durch und durch vernünftiger Partner und außerordentlich besonnener Politiker von, und das ist entscheidend, mäßigendem und erzieherischem Einfluß auf den Freund und Landesherren.

Im engen Weimar kennt jeder jeden, manchmal ist es schwer, einander aus dem Wege zu gehen. Schiller begegnet der Familie Herder zufällig beim Spaziergang im Wäldchen vor der Stadt; wenn er nur wolle, läßt er seinen Freund Körner wissen, könne er den Herzog am Stern treffen, denn da erginge sich der Fürst regelmäßig an der frischen Luft. Wer im Wagen die Tore passiert, wird angehalten und hat Namen und Stand anzugeben, damit es der Obrigkeit gemeldet werden kann. Als Goethe einmal mit Charlotte von Stein eine Morgenspazierfahrt machen will, schickt er ihr folgendes Billet: »Wenn Du am Thor nicht gemeldet sein willst, so ist es das Sicherste, Du steigst an der Sternbrücke aus und ein. Bestelle den Wagen dorthin, ich hole Dich ab. Sonst geht's nicht, man müßte es denn dem Thorschreiber melden, und das sieht curios aus.« Jean Paul bestätigt die Erfahrung. »Als ich am Tore ankam«, schreibt er 1796 seinem Freund Christian Otto in Hof, »wurde es der Herzogin gemeldet, und am andern Tag wüßt' es jeder.« Als er nachts um elf Uhr ohne Laterne durch die Gassen ging, wurde er auf die Wache gebracht. Postkutschen verkehren selten, Briefe zwischen Schiller in Jena und Goethe in Weimar befördert meist eine Gemüsefrau. Alles scheint miteinander bekannt, verknüpft oder verbandelt: Anna Amalia lernt Italienisch bei ihrem Bibliothekar Jagemann und fördert dessen Tochter Caroline, die in Mannheim zur exzellenten Schauspielerin ausgebildet wird. In Weimar zurück und nun Star des kleinen Theaters, wird sie die Mätresse von Amalias Sohn und gebiert ihm drei Kinder. Zeitgenossen erzählen, die Jagemann habe sich abends aus dem Fenster gelehnt und dem Herzog mit dröhnender Bühnenstimme entgegengedonnert: »August, kommst Du endlich!« Carolines Bruder Ferdinand wiederum, erst an der Weimarer Malerschule bei Georg Melchior Kraus, später in Wien ausgebildet, läßt sich nach Reisen durch Italien und Frankreich als zwar mittelmäßiger, aber vielbeschäftigter Porträtmaler fast aller Weimarer Größen nieder. Es sei eine »tolle Comnie Volks« in Weimar versammelt, so Goethe im November 1776 in einem Brief an Merck, »auf einem so kleinen Fleck wie in einer Familie findet sich's nicht wieder so.« Und vortrefflich weiß er dieser tollen Comnie den Hofennui zu vertreiben, die höfische Langeweile zu zerstreuen. En masque läuft er mit dem Herzog und den Kammerherren abends Schlittschuh auf der lim oder dem Schloß vorgelagerten Küchenteich, indes die Herzoginnen, gnädigen Frauen und Fräuleins sich im Schlitten schieben lassen. »Der Teich, welcher nicht klein ist, wird rundum mit Fackeln, Lampen und Pechpfannen erleuchtet«, vermeldet der Kammermusikus Krenz der Mutter des Dichters in Frankfurt. »Das Schauspiel wird auf der einen Seite mit Hautboisten- [Oboisten-] und Janitscharenmusik, auf der anderen mit Feuerrädern, Raketen, Kanonen und Mörsern vervielfältigt. Es dauert oft zwei bis drei Stunden.«

Dabei ist Goethe in Gesellschaft des Hofes zunächst verlegen, meint Dieter Borchmeyer in seiner Studie über »Höfische Gesellschaft und Französische Revolution bei Goethe« - er zeigt steifes rhalten und eine linkische Ehrerbietung vor Ranghöheren; er tanzt mehr schlecht als recht, Eleganz und sicheres Auftreten gehen ihm zunächst ab. Erst die Schule der Frau von Stein, einer Hofdame Anna Amalias, deren Lebenselixier die höfische Atmosphäre ist, korrigiert sein rhalten in Richtung Maß und Form. Das Genie wird zum Hofpoeten, der nicht selten auf Bestellung schreibt und seine Huldigung als Maskenzüge darbringt - damals außerordentlich beliebten Gedichten, die von Masken gesprochen werden. Lebende Bilder, hastig hingeworfene Gebrauchslyrik, die nach dem Urteil der Literaturwissenschaftler nicht gerade zu seinen Meisterwerken zählen - wie könnten sie auch? Zum Geburtstag der Herzogin läßt Goethe Masken aller Planeten tanzend ihre rehrung entbieten. Er bringe seine Tage im Dienst der Eitelkeit zu, schreibt er 1781 in einem Brief an Lavater, nennt derlei Maskenzüge »Aufzüge der Thorheit«, doch hindert ihn das nicht, weiter daran mitzuwirken. Er fertigt leichte, schnell vergängliche höfische Unterhaltungskost - das »Jahrmarktsfest von Plundersweilen« etwa, ein Singspiel, das auf der Liebhaberbühne der Herzoginwitwe Anna Amalia in Ettersburg aufgeführt wird. Bei der Premiere steht er als Marktschreier selbst auf der Bühne, die Musik hat Anna Amalia zusammen mit dem Kammerherren von Seckendorf komponiert. Keiner ist sich in diesem höfisch bestimmten Mikrokosmos zu schade, auf den Brettern zu stehen, man wetteifert geradezu im Komponieren oder rseschmieden. Goethe und sein Herzog spielen zusammen in einer Parodie von Voltaire, Anna Amalia versucht sich in der Rolle der Eurydike. Bei der Aufführung seiner »Iphigenie« (in der Prosafassung) gibt Goethe den Orest - in Stulpenstiefeln, die zu den Füßen hin sandalenartig aufgebrochen sind, in ziegelroter Tunika, blauem Mantelüberwurf und ledernem Schurz samt Gürtel mit Schwert; Prinz Con-stantin, der Bruder des Herzogs, mimt den Pylades, allein die schöne Corona Schröter als Iphigenie ist Berufsschauspielerin. Im langen, weißen Gewand mit Schleier und Sandalen hebt sie sich deutlich von dem schreiend bunten Orest/Goethe ab.

Mit dem Schloßbrand von 1774 ist auch das Theater vernichtet, erst 1779 baut der Bauunternehmer Hauptmann einen Redoutensaal, der mit transporler Bühne auch als Komödienhaus genutzt werden kann und in dem Schauspieltruppen wie die Bellomos gastieren; ein Hoftheater gibt es erst ab Mai 1791 - und dann unter der Leitung Goethes. Bis dahin regiert im armen Weimar weitgehend das Liebhabertheater. Gisela Sichard, der wir eine gründliche Untersuchung über diese Zeit verdanken, berichtet von einer Aufführung des Goe-theschen Singspiels »Die Fischerin« in Tiefurt, dem Sommersitz der Herzoginwitwe, wo der Park und das Ufer der Um sich als Naturbühne anbieten. Die Musik stammt diesmal von der Schauspielerin Corona Schröter, die Zuschauer sitzen in einer kleinen Mooshürte und schauen auf den Fluß. Regisseur Goethe hat Töpfe an ein kleines Feuer setzen, Fischergerät und Netze aufstellen lassen. Von unten herauf kommt der Kahn mit den beiden Fischern, dem Vater und Niklas, und das Lied »Wenn der Fischer 's Netz auswirft« ertönt von Ferne. Der Autor ist's zufrieden: ein »Wald- und Wasserdrama« von sehr guter »Würckung«. Langsam wächst er in die Rolle des Weimarer Unterhaltungschefs hinein - eines Ballmeisters, wie er einmal sagt. Doch das ist nur die heitere, fast möchte man sagen, die idyllische Seite.
Idyllisch geht es nur bei Hofe, nicht im Weimarer Alltag zu. Franz David Geskys Chronik »Weimar von unten betrachtet« führt getreulich über Raubzüge und Bankrotte, Unterschlagungen, auch über Mord und Totschlag Buch. Da ertränken sich schwangere Witwen oder Mädchenmörder in der Um, Knechte töten von ihnen geschwängerte Mägde, ein Mörder, der einem Mann den Kopf mit der Sichel abgeschnitten hat, wird in Dornburg hingerichtet, ein anderer nach der Exekution vor den Toren Weimars zur Abschreckung aufs Rad geflochten; ein Dieb, der zwei Scheite Floßholz gestohlen hat, kommt an den Pranger vor dem Kriminalgericht. Als größten Kriminalfall verzeichnet Geskys Chronik, daß eine Bauerntochter mit Klößen, »worin ein Gift gegeben«, gleich fünf Menschen ums Leben bringt - Vater, Mutter, Bruder, Schwager und Schwägerin. Ungelernte Gelegenheitsarbeiter machen ein Drittel, Beamte, bei Hofe Beschäftigte und städtische Angestellte rund ein Viertel der Einwohner aus, eine wirklich wohlhabende städtische Mittelschicht gibt es nicht. Die Hälfte der Handwerker verdient, so die erste halbwegs verläßliche Schätzungsrolle für die Steuer aus dem Jahr 1820, unter zweihundert Talern. Nur zwei Prozent der Einwohner verfügen über mehr als tausend Taler, aber 58 Prozent der Bewohner liegen unter dem Existenzminimum, das Walter H. Bruford für die damalige Zeit auf hundert Taler berechnet hat. Kein Wunder, daß nicht alle Weimaraner dem Fürsten devot ergebene und ehrliche Bürger sind. Einige haben offenbar die Feuersbrunst genutzt, der die fürstlichen Gemächer am 6. Mai 1774 zum Opfer fielen, um sich unter dem Mantel der Wohltäter als Diebe am fürstlichen Gut zu bereichern. Anders ist kaum zu verstehen, daß die »Weimarischen Wöchentlichen Anzeigen« wenige Tage danach alle jene, die beim Ausräumen mit Hand anlegten, »aufs ernstlichste« ermahnen: »Unterthanenpflicht« sei nicht nur, bei der rwaltung zu melden, was gerettet wurde, sondern auch denjenigen »ohngesäumt« anzuzeigen, der etwas beiseite geschafft habe. Denunziation wird mit einem Fünftel des Werts der auf diese Weise entdeckten Sachen belohnt, auf »Unterschlag- oder rheimlichung« stehen Zuchthaus und »nach Befinden Lebensstrafe«. Im zweiten Jahr seines ersten Weimar-Aufenthalts wird Schiller Zeuge eines Auftritts, »der die Menschlichkeit interessiert«, wie er seinem Freund Körner mitteilt: »Ein Husarenmajor, namens Lichtenberg, ließ einen Husaren eines höchst unbedeutenden Fehltritts wegen, durch fünfundsiebzig Prügel mit der Klinge so zu schänden richten, daß man an seinem Leben zweifelte.« In der Stadt, fügt er hinzu, sei daraufhin »eine allgemeine Indignation vom Pöbel bis zum Hofe hinauf« entstanden. Lichtenberg kommandiert das Husarenkorps, gilt als fähiger Offizier, hat aber den Rufeines brutalen Menschenschinders. Doch prügelt er nicht allein: Auch der Landesherr greift gern zum Stock, wenn er seine Soldaten kommandiert.

Ganz comme il faut, mit silbernem Degen und silbernen Schnallen an den Schuhen tritt der Geheime Legationsrat Goethe sein Amt im Geheimen Conseil an, zweimal wöchentlich tagt der Rat, zweimal wöchentlich trägt er den üblichen Tressenrock. Das kleine Herzogtum mit seinen knapp hundertzehntausend Seelen wird ihm zum Schauplatz, auf dem er ausprobiert, wie ihm »die Weltrolle zu Gesicht« steht. Nach dem Freiherrn von Fritsch erhält er mit tausendzweihundert Talern das höchste Jahresgehalt im Staat. Er lernt schnell und viel vom politischen Geschäft. Man hat dem schlechten Reiter eine besonders brave Mähre aus des Herzogs Stall gegeben und sie ihm zu Ehren »Poesie« genannt. Auf ihr bewegt er sich nun durchs Land, will sich an Ort und Stelle von den Problemen überzeugen, um die es geht - sei es die Erzförderung in Ilmenau, die er vergeblich wiederzubeleben sucht, sei es der traurige Zustand der meist ungepfla-sterten großherzoglichen Chausseen, für den er als Chef der Wege-kommission die rantwortung übernimmt. Im Auftrag des Herzogs verhandelt er an benachbarten Thüringer Höfen und macht schnell Karriere: Vom Legationsrat wird er zum Geheimen Rat befördert, erhält nach den Zuständigkeiten für die Kriegs- und Wegebaukommission auch die Aufsicht über das Finanzwesen und 1782 gar den Adelstitel. Herder spottet in einem Brief an Hamann vom Juni 1782 über den Weimarer Groß- und Multifunktionär: »Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscol-legii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegebau hinunter, dabei auch directeur des plaisirs, Hofpoet, rfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletten, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken etc., Director der Zeichenschule, in der er den Winter über Vorlesungen über Osteologie [Knochenbau] gehalten, selbst überall der erste Acteur, Tänzer, kurz das factotum des Weimarischen und, so Gott will, bald der majordomus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. Er ist baronisiert und an seinem Geburtstag wird die Standeserhöhung erklärt werden. Er ist aus seinem Garten in die Stadt gezogen und macht ein adlig Haus, hält Lesegesellschaften, die sich bald in Assembleen verwandeln werden etc. etc. Bei alledem gehts in Geschäften |der Regierung] wie es gehen will«

Einige rdienste des Ministers Goethe sind indes unbestritten. Er führt eine Finanzreform durch, zwingt den Herzog zu persönlicher Sparsamkeit und gleicht den Etat des Landes aus. Dem Finanzkommissar Goethe gelingt dies nur, weil der Kriegsminister Goethe ein radikales Abrüstungsprogramm durchsetzen kann. Die Notwendigkeit eines Weimarer Militärs leuchtet ihm nicht ein. So kürzt er das stehende Heer seines Freundes Carl August um knapp die Hälfte. Das klingt zwar gewaltig, aber es handelt es sich dabei nicht um riesige Zahlen. Sachsen-Weimar hält 532 Infanteristen unter Waffen, die auf 284 Mann reduziert werden und sich auf Weimar, Eisenach und Jena verteilen. Bemerkenswert dabei ist jedoch, daß die Garnison der Universitätsstadt Jena nicht ganz so drastisch zurückgeschnitten wird, weil man sie für Studentenunruhen in Bereitschaft halten will. Da sie vorwiegend aus Invaliden besteht, t man für den Fall solcher Unruhen ihre rstärkung mit Husaren und Jägern aus Weimar. Unverzichtbar ist das sogenannte Artilleriekorps, das sich aus einem Hauptmann, einem Korporal, ganzen sechs Kanonieren und zwei Zeughausbeamten zusammensetzt. Es betreut eine beinahe mittelalterliche Kanone auf der Wartburg, tut auf Wachen und im Zeughaus Dienst und hat, auch wenn es für die Salut-Böllerschüsse bei Festen und rgnügungen zuständig bleibt, mit richtiger Artillerie nur noch den Namen gemein. Nicht minder unverzichtbar ist das Weimarer Husarenkorps, bestehend aus einem Rittmeister, sieben Unteroffizieren und cinunddreißig Mann. Es wird vor allem für die Repräsentation gebraucht - bei Staatsbesuchen, Jagden oder Hofbällen. Weimars Husaren haben als Postillione Mitteilungen des Herzogs zu überbringen, bei den von Goethe inszenierten nächtlichen Eisfesten mit Fackeln zu leuchten, gelegentlich befördert ein Husar auch ein bittet d'amour des Geheimen Rats an die Frau von Stein. Eiserner Sparwille bringt den Kriegsminister Goethe dazu, sich selbst in heute lächerlich wirkende Details zu verbeißen. So, wenn er den Schuhverbrauch der verbleibenden Infanterie beschneidet und anordnet, daß es statt drei Paar Schuhen und drei Paar Sohlen pro Mann alle zwei Jahre künftig nur noch vier Paar Schuhe und drei Paar Sohlen für je vier Jahre geben darf. Den Effekt dieser Rationalisierungmaßnahme berechnet er auf vier Groschen und sechs Pfennige pro Infanteristen über einen Zeitraum von drei Jahren. Der Herzog beugt sich dem Rotstift seines Geheimen Rats. Daheim um sein kleines Heer gebracht, spielt er nunmehr in preußischen Diensten Soldat - als Ghef eines Kürassierregiments in Aschersleben, das ihm Friedrich Wilhelm II. von Preußen zum Kommandieren überläßt. Das trägt zur Entfremdung von Goethe bei, der verächtlich von »militärischem Maccaroni« spricht und vom Bündnis Weimars mit Preußen, das der Sereniss-mimus nach dem Tode Friedrich II. schließt, überhaupt nichts hält. Vom Gegensatz zwischen dem Geist von Weimar und dem Geist von Potsdam wird später viel die Rede sein, für Garl August existiert er nicht: Der Fürst ist sowohl Mäzen der Weimarer Klassik als auch Schwager des Königs von Preußen und dessen General, und das Großherzogtum wird Preußen, das Haus Weimar dem Haus Hohenzollern auch fürderhin eng verbunden bleiben. Carl Augusts Enkeltöchter heiraten beide preußische Prinzen, die Weimarer Prinzessin Augusta wird als Frau Wilhelms I. deutsche Kaiserin; deren Enkel Wilhelm II., einer der häufigsten Gäste der von Großherzog Carl Alexander restaurierten Wartburg, steht Pate bei der Taufe Carl Augusts, des Sohnes des letzten regierenden Weimarer Großherzogs Wilhelm Ernst. Auch der kaiserliche Pate sieht keinen Gegensatz zwischen dem Geist von Weimar und dem von Potsdam. »Möge der junge Herr, der in dem Lande geboren ist aus dem die Wartburg grüßt sein Schwert bereit halten für des Reiches Herrlichkeit«, sagt der Kaiser. »Möge er eine Säule unserer Kirche sein, und möge er, von dem Geiste der großen Dichterzeit Weimars umflossen, auch einst ein Stützer und Förderer der deutschen Wissenschaft und Dichtung sein.«

Die Demilitarisierung des Herzogtums bleibt des Politikers Goethe größte Tat, ansonsten gerät er bald in die Mühlen der Sachzwänge und der bürokratischen Routine. Er muß erfahren, wie wenig er selbst in den engen Grenzen dieses winzigen Ländchens bewirken kann. Ekel und »Ennui«, angewiderte Langeweile nennt er seinen Politikerfrust, schüttelt die Haut des Staatsmanns, in der er zehn Jahre steckt, ab und flieht 1786 nach Italien. Warum er nach zwei Jahren in den Weimarer Mikrokosmos zurückkommt? Weil er »Liebe und Sicherheit seines rhältnisses zu dem einmal Gewählten und Gegebenen« nicht entbehren kann, schreibt er seinem Herzog, kurz: Weil er Nestwärme braucht. Unter Beibehaltung der Bezüge wird er von Carl August von den täglichen Amtsgeschäften freigestellt und zum Theaterdirektor und Oberaufscher für die Künste und die Wissenschaften ernannt. Doch bleibt der Dichter stets die Graue Eminenz, an der vorbei in wirklich wichtigen Fragen nichts entschieden wird, wenn der Herzog ihn zu Rate zieht.

Wer ist dieser Carl August, Goethes Mäzen und Freund? Nur als Herrschernatur sei er zu verstehen, meint Fritz Härtung, neben Hans Tümmler der wohl beste Historiker des klassischen Weimar, aber weit kritischer als dieser eingestellt. Wer nur von der Begegnung mit Goethe, seinen schöngeistigen Interessen und der These vom Weimarer Musenhof ausgehe, dem werde es ergehen wie Goethe selbst, der nach vierzig Jahren ausrief: »Carl August hat mich nie verstanden.« Eher klein als groß, zeigt seine Erscheinung »von Jugend auf bis ins späte Alter etwas Selbstständiges, Energisches in sehr ungebundener, franker, freier, fast studentischer Form« (Carl Eduard hse). Ein Etiketteverächter und Naturliebhaber mit hoher Stirn, bräunlich-blondem Haar, scharfem, bohrenden Blick und blitzschneller Auffassungsgabe, ebenso waghalsig wie unruhig; Goethe wird ihn im Alter als dämonische Natur bezeichnen, als einen »großen Menschen«, ja einen »geborenen Regenten«, der über die Gabe verfügt, »Geister und Charaktere zu unterscheiden und jeden an seinen Platz zu stellen«. Hat er seinen Herzog im nachhinein geschönt? Folgt man Härtung, dann malt sich der junge Carl August Herrschaft zunächst als das Recht zu schrankenlosem Genuß und zügelloser Freiheit aus. Erst langsam und unter dem Einfluß Goethes wächst er in die Rolle eines fürstlichen Landesvaters, auf das Wohl von Land und Untertanen bedacht. Zeitlebens liebt er das Einfache und Deftige, ihn fesselt alles Technische - die Feuerwehr mit ihren Spritzen, der Straßenbau und das rmessungswesen. Zum großen Kummer seines Superintendenten Herder, der auch für das Erziehungswesen verantwortlich ist, zeigt er weder für die Kirche noch für die Förderung der Schulen großes Interesse, Carl August ist ganz der Jagd, dem Wein und den Weibern zugetan. Von etlichen Bauernmädchen hat er etliche Kinder. Falls es Söhne sind, stellt er sie als Jäger und Förster in den großherzoglichen Dienst ein und zeichnet sie mit der Anrede Du statt des damals üblichen Er aus. Nach der Hochzeitsnacht schreibt seine empfindsame Gemahlin Luise aus Hessen-Darmstadt ihrem russischen Schwager, dem Großfürsten und späteren Zaren Paul, nach St. Petersburg: »Sie hätten Mitleid mit mir gehabt, wenn Sie mich an dem Tag gesehen hätten; ich war im heftigsten Zustande. Und ich danke Gott, daß es vorüber ist.« Auf dem Gebiet, auf dem Naturkraft am meisten einer sittlichen Zucht bedarf, »auf dem des Geschlechtslebens«, so Härtung, »hat Carl August, auch wenn wir ihn mit der höfischen Moral des 18. Jahrhunderts, nicht mit der strengeren, der bürgerlichen und wohl auch spießbürgerlichen Moral des 19. Jahrhunderts messen, niemals gelernt, die Schranken des Anstands zu wahren«. Er fühlt sich zum Herrschen geboren, aber der Kleinstaat bietet weder den Rahmen noch die Macht für große Politik. So tobt er sich bei Hetzjagden aus und hält sich ein Wildschweingehege hinter dem Ettersberg. rgebens mahnt ihn sein Minister Goethe, auf die Gutsbesitzer, Pächter und Untertanen Rücksicht zu nehmen, weil seine großen Jagden ihre Felder verwüsten.

Goethes Wandlung vom Sturm und Drang zur Klassik, sein Streben nach Form und Haltung verfolgt er mit großer Distanz, wenn nicht gar Mißbehagen. Er sieht ein »possierliches Feierlichwerden des Alten« darin. Doch bleibt er ihm ein treuer Freund und Mäzen, auch wenn beider rhältnis oft erstaunlich widersprüchlich ist.

Nicht durchweg nämlich ist der Dichter so liberal und der Herr so autoritär, wie man nach Klischee und Rollenverteilung eigentlich vermuten möchte. So entpuppt sich Goethe, von dem man als einem Großen der Feder ein besonderes Engagement für die unbeschränkte Pressefreiheit erwarten müßte, als ihr erklärter Gegner, sein Herzog dagegen gibt sich in dieser Frage meistens liberal. In einem Gutachten schreibt der Dichter und Geheimrat 1794: »Der Staat hat ein Recht, Schriften, die er für gefährlich hält, zu verbiethen. Er kann daher die Bücher, die gedruckt werden sollen, zuerst durchsehen lassen und ihnen das Imprimatur zugestehen oder verweigern « Handel mit verbotenen Büchern möchte er unter Strafe gestellt sehen. Vier Jahre später, am 15. April 1799, läßt er sich nach den Auseinandersetzungen um den Philosophen Fichte in Jena ähnlich ein: Den Druk-kereien im Großherzogtum sollte die rvielfältigung von Manuskripten nur nach Erlaubnis von drei in fürstlichen Diensten stehenden Personen gestattet sein. Beide Male entscheiden der Geheime Conseil unter Fritsch und Herzog Carl August gegen seinen Rat. Zwar hat Goethe in seinem Promemoria 1799 geschrieben, das von ihm vorgeschlagene Zensurgremium von drei - weisen? - Beamten werde keinen Gelehrten an der röffentlichung hindern, weil ein guter Wissenschaftler in einem solchen Gremium immer zwei Freunde finde, die für ihn stimmten. Doch seine grundsätzlich antiliberale Haltung in dieser Frage überrascht. Freilich ist er, im Gegensatz zu seinem Freund Wieland, dessen anzügliche Schriften das katholische Wien beschlagnahmt, nie Opfer irgendeiner Zensur. Wieland ficht deshalb mit rve für die Pressefreiheit und nennt sie eine Angelegenheit und das Interesse des ganzen Menschengeschlechts: »Ihr haben wir hauptsächlich die gegenwärtige Stufe von Kultur und Erleuchtung, worauf der größre Teil der europäischen Völker steht, zu verdanken. Man raube uns diese Freiheit, so wird das Licht, dessen wir uns gegenwärtig erfreuen, bald wieder verschwinden.« Goethe dagegen möchte die Entscheidung, was im Druck erscheinen solle und was nicht, einer aufgeklärten Obrigkeit überlassen.

Nicht minder überrascht, daß der Minister Goethe im Geheimen Conseil die Beibehaltung des umständlichen Kanzlei- und rwaltungsstils mit seinen nicht enden wollenden Schnörkeln, devoten Anreden und Unterschriftsformeln verficht, indes sein ungeduldiger Herzog, der ohnehin nicht gern Akten studiert, sie entschieden verknappen und versachlichen will. Goethe setzt sich diesmal durch, korrigiert geradezu pedantisch Formfehler seiner Untergebenen und unterzeichnet seine Denkschriften und Voten an den Serenissimus clementissime regens, seinen Freund, weiter als »Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht unterthänigster treugehorsamster Johann Wolfgang Goethe«. Warum er darauf beharrt? Weil Fürsten, welche Formen geringachten, nach seiner tiefen Überzeugung ihren eigenen Untergang vorbereiten. Das Zeremoniell errichtet Schranken gegen die Menge, die Goethe fürchtet. Stets hat er die Halsbandaffäre um Marie-Antoinette und den Kardinal Rohan wenn nicht als Schlüssel zur Französischen Revolution, dann doch als verhängnisvolles Symptom für einen Niedergang der Sitten gewertet, welcher Revolutionen erst möglich macht. »Vorgang der Großen, zum Sansculottismus führend«, so beginnt ein fragmentarischer Text in den Paralipomena zu »Dichtung und Wahrheit«: »Friedrich [der Große] sondert sich vom Hofe. In seinem Schlafzimmer steht ein Prachtbette. Er schläft in seinem Feldbette daneben Joseph [IL] wirft die äußeren Formen weg. Auf der Reise, statt in Prachtbetten zu schlafen, bettet er sich nebenan, auf der Erde auf eine Matratze Die Königin von Frankreich [Marie-Antoinette] entzieht sich der Etikette. Diese Sinnesart geht immer so weiter, bis sich der König von Frankreich selbst für einen Mißbrauch hält.« Warum Goethe das nicht benutzte Prachtbett so wichtig ist, erklärt Borchmcyer mit der Tatsache, daß in rsailles das Schlafzimmer »einen Brennpunkt der Schloßanlage und des Hofzeremoniells« bildet.

Als Goethe nach Weimar kommt, gibt es zwei Höfe - den des regierenden Herzogs und den der verwitweten Herzogin, an beiden spielen Zeremoniell und höfische Formen eine sehr unterschiedliche Rolle. Beide stehen für den Widerspruch oder das Neben- und Miteinander eines aufgeklärten und eines feudal-beharrenden Weimar jener Zeit. Anna Amalia scheint der Etikette am wenigsten Aufmerksamkeit zu schenken, aber sie trägt auch keine politische rantwortung mehr. Auf Zusammenkünften des Weimarer Gelehrtenvereins, der sich jeden ersten Freitag bei ihr im Wittumspalais versammelt, geht es betont zwanglos zu: Jeder sitzt, wie er gerade zu sitzen kommt, auch der Herzog und die regierende Herzogin, nur der Vortragende - oft ein Professor aus Jena - hat einen besonderen Tisch. Wenn sie zu Konzerten, Leseabenden oder Diners lädt, was häufig geschieht, mischen sich Adel und Bürgertum zwanglos im Publikum. Ganz anders geht's am Hofe des Regenten zu, wo Herzogin Luise über strenge Formen wacht. Sie hat vor ihrer Heirat einige Zeit bei ihrer Schwester in St. Petersburg verbracht und steht unter dem Eindruck des steifen Zeremoniells am Zarenhof. Einer Anekdote aus dem klassischen Weimar zufolge konnte Goethe, der bürgerliche Gast des Herzogs, nur dadurch an ihren Spieltisch gelangen, daß man einen adligen Spielpartner - auf rabredung natürlich - abberief, so daß Goethe einspringen mußte, um den Fortgang des Spiels zu retten. Wenn die Geschichte erfunden ist, ward sie doch gut erfunden. Die Jahre bis zu seiner Nobilitierung darf Goethe zwar bei Hofe speisen, aber nur an der Marschalltafel der Hofbeamten, nicht an der fürstlichen Tafel, welche dem Herzogspaar, seiner Familie und adeligen Gästen vorbehalten ist. Daß Carl August in seinen Gemächern oft mit Goethe alleine ißt, entspricht seinen privaten Neigungen, geschieht praktisch jedoch außerhalb des Hofes und berührt dessen Form und Etikette nicht, über die seine Gemahlin eifersüchtig wacht. Viel spricht dafür, daß nach anfänglicher runsicherung durch die Französische Revolution die Sitten am regierenden Hofe strenger als zuvor beachtet werden und daß die Weimarer Intellektuellen sogar rständnis dafür zeigen - jedenfalls dann, wenn sie in den privilegierten Kreis einmal einbezogen sind. Es hilft nicht, daß Schillers Frau Charlotte von Lengefcld aus adligem Haus stammt, mit einem der wichtigsten adligen Hofbeamten verschwägert und einem der berühmtesten deutschen Dichter verheiratet ist - als Frau eines Bürgerlichen wird sie bei offiziellen Hofveranstaltungen jahrelang geschnitten. Wenn im Redoutcnhaus der Hoftischler Mie-ding seine transporle Bühne aufgebaut hat und man Theater spielt, sitzen der engere Hofkreis und der Adel auf einer Estrade, erhöht und getrennt vom Bürgertum, dem jede Beifalls- oder Mißfallenskundgebung strengt untersagt bleibt. Bei den Bürgern ist auch Charlottes Platz, nicht bei Schwester und Schwager. Als Schiller nach seinem 43. Geburtstag in den Adelsstand erhoben wird, geschieht dies nach Meinung vieler, weil Carl August den Bann brechen will, der durch das Zeremoniell für seine aus dem Adel stammende Frau gezogen ist. Für Charlotte habe die Nobilitierung einigen Vorteil, schreibt Schiller seinem Freund Körner am 29. November 1802, in einer kleinen Stadt wie Weimar sei es eben wichtig, von nichts ausgeschlossen zu werden. Im selben Brief mokiert er sich über Herder, weil dieser einen vom Kurfürsten von der Pfalz geschenkten Adelstitel, welchen der Kaiser und der reichstreue Carl August nicht anerkennen, in Weimar geltend machen will: Fr »wurde aber damit abgewiesen und obendrein ausgelacht, weil ihm jedermann diese Kränkung gönnte; denn er hatte sich immer als der größte Demokrat herausgelassen und wollte sich nun in den Adel eindrängen«. Mit Hilfe Goethes gelingt Herder schließlich die Anerkennung des Titels auch in Weimar. Schillers Adel dagegen ist von Anfang an »unwidersprechlich«, wie er stolz gegenüber Körner betont, denn er wurde auf Antrag Carl Augusts von dem bis zur Auflösung des Reiches dafür allein zuständigen Kaiser verliehen. Bei Hoffestivitäten kleidet er sich nun in die obligate höfische Tracht, die in Weimar den Uniformen der Förster recht ähnlich sieht. Madame de Stäel verwechselt sie mit einer Militärmontur: Als sie erstmals Schiller trifft und er diese Kleidung trägt, hält sie den Dichter der »Räuber« und des »Wallenstein« für den Chef der Weimarer Streitkräfte. Wie Goethe betätigt auch Schiller sich als Hofpoet und arbeitet in vier Tagen die »Huldigung der Künste« an die russische Großfürstin und Frbherzogin Maria Paulowna aus. Was er als kleines lyrisches Vorspiel bezeichnet, ist mit »Bei hoher Ankunft Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau Frbprinzessin von Weimar Maria Paulowna Großfürstill von Rußland« überschrieben und wird im Weimarischen Hofthcatcr am 12. November 1804 vorgestellt.

»Und alle, die wir hier vor
Dir erschienen, Der hohen Künste heiiger Götterkreis,
Sind wir bereit, o Fürstin, Dir zu dienen.
Gebiete Du, und schnell auf Dein Geheiß,
Wie Thebens Mauer bei der Leier Tönen,
Belebt sich der empfindungslose Stein,
Entfaltet sich Dir eine Welt des Schönen.«

Schillers Einübung in Hoflyrik, sein Panegyrikus an die Paulowna, die »Herrliche«, entsteht auf Bitten Goethes, weil dieser »seine Erfindungskraft umsonst« angestrengt habe; doch ist er stolz, daß er damit »über alle seine Hoffnungen« reüssierte, wie er Körner wissen läßt. Das offizielle Weimar der klassischen Zeit ist eben nicht nur vom Geist der Aufklärung, sondern mindestens ebenso stark vom Hof und von höfischen Formen dominiert. Alles dichtet in Weimar - auch die Zeitungsschreiber:

»Sie hat gebohrcn! hallt es vom Palast,
Bis zu Amalias harrenden Ohren fast;
Sie hat gebohren! lief's von Straß zu Straße,
Wurde der Morgengruß froher Bürger«,

so die Aufmachermeldung über die erste Niederkunft der Herzogin Luise mit einer Tochter. Bei der Geburt des Erbprinzen im Februar 1783 läuten die Glocken zu Ehren der Durchlauchtigten Wöchnerin, auf der Alten burg postierte Kanonen schießen Salut, auf dem Rathaus singt man »Nun danket alle Gott«. Die Bürger ziehen mit Musik durch die Straße und bringen drei Abende lang ein Vivat vor dem Schloß. Beim Te Deum im Festgottesdienst ertönen Trompeten und »Paukken«. Als die Herzogin Monate nach der Niederkunft den ersten »frohen Kirchgang« unternimmt, wird sie von einer Kindergarde in paillefarbenen Collets mit blauen Kragen und Hüten mit weißen Federbüschen begleitet, Studenten aus Jena bringen ihr eine Abendmusik mit Fackeln, in der Stadt gibt es festliche und »große Illumination«. Nicht anders 1804, als der mit geistigen Gaben nicht gerade gesegnete Erbprinz Carl Friedrich, den hse in seiner Hofchronik den »Blödmüthigen« nennt, seine Gemahlin Maria Paulowna nach Weimar holt. »Der Einzug war wirklich sehenswert«, so Schiller an Körner am 21. November 1804, »denn alle Welt war auf den Beinen, und die Bergstraße nebst der ganzen Anhöhe, woran Weimar sich lehnt, war von Menschengruppen belebt. Die herzogliche Jägerei, die Kaufleute und die Schützengescllschaft, alle in ihren Uniformen, holten die Herrschaften ein, der Zug ging durch eine Ehrenpforte in edlem Stil Bälle, Feuerwerk, Illumination, Musik, Komödie u. dergl. folgten nun 20 Tage aufeinander. Das Festlichste aber an der ganzen Sache war die aufrichtige allgemeine Freude über unsre neue Prinzessin, an der wir in der Tat eine unschätzbare Akquisition gemacht haben.« Weimar freut sich nicht nur, weil es neben der aufsteigenden Großmacht Preußen nun auch dem noch mächtigeren Rußland dynastisch verbunden ist. Die Großfürstin bringt viel Geld in die Stadt. Eine Million beträgt allein die Mitgift, unabhängig davon verfügt sie über ein stattliches rmögen, welches sie bald zur wichtigen Musik-Mäzenatin und Schlüssclfigur der sogenannten silbernen Zeit Weimars werden läßt. Daß gerade auf musikalischem Gebiet das Städtchen an der Um darniederliegt, hat sie schon anläßlich der ersten Hoffestivitäten bemerkt. Die Enkelin der großen Katharina habe die hiesige Kapelle schlecht gefunden, berichtet Schiller, nennt ihr Gesicht anziehend, ohne schön zu sein, und ihren Wuchs bezaubernd. »Das Deutsche spricht sie mit Schwierigkeiten, versteht es aber, wenn man mit ihr spricht, und liest es ohne Mühe.« Sein Schwager von Wolzogen, der den Ehekontrakt samt der riesigen Mitgift in St. Petersburg ausgehandelt hat, überbringt ihm von der regierenden Zarin Maria Feodo-rowna, die aus dem Hause Württemberg stammt und damit cum grano salis als Landsmännin Schillers zu betrachten ist, einen kostbaren Brillantring. Der Dichter, der in chronischen Geldsorgen steckt, versilbert ihn umgehend, um die hohen Hypotheken zu mindern, die auf seinem Haus an der Esade lasten. Übrigens verhält sich Schiller ganz wie die offizielle Weimarer Gesellschaft: Konsequent ignoriert er Goethes »eroticon« Christiane Vulpius - erst Geliebte, Haushälterin und Mutter seiner Kinder, seit 1806, als sie ihn tapfer vor randalierenden französischen Soldaten schützt, auch seine Ehefrau.

Selbst da, wo es um die Belange der Stadt Weimar geht, dominieren dem Hofe verbundene Honoratioren. Der einzige Großbürger Weimars, Friedrich Justin Bertuch, der ein Industrie-Comptoir betreibt, rleger des »Journals des Luxus und der Moden«, wirtschaftlicher Manager von Wiclands »Merkur«, Buchhalter der persönlichen Schatulle Carl Augusts und damit ein enger rtrauter des Herzogs, hält lange eine Schlüsselstellung im Stadtrat. Zu den wichtigsten Stadtdeputierten zählen um 1820 auch der Hofbuchhändler und rleger Hoffmann sowie der Delikatessen- und Weinhändler Martini, dessen Kundschaft unter den Beamten des Hofes, nicht aber unter den Handwerkern der Stadt mit ihrem eher simplen Geschmack zu suchen ist. Das Regierungseslishment des Herzogtums beherrscht selbst den Ort, wo der reine Geist der Aufklärung zu vermuten ist, wo nach dem Selbstverständnis der Mitglieder alle zu Brüdern werden und die Unterschiede zwischen Fürst und Untertan, Edelmann und Bürger, Reich und Arm fallen sollen: die Freimaurer-Loge »Amalia zu den drei Rosen«, die der erste Diener der Weimarer Regenten, der Wirkliche Geheime Rat Friedrich Freiherr von Fritsch, 1764 in Weimar am 25. Geburtstag der Regentin gegründet hat. Logen spielen im aufgeklärten Absolutismus eine wichtige Rolle, sie dienen als hikel des gesellschaftlichen Aufstiegs von wohlsituierten Bürgern und bürgerlichen Beamten, sind ein Platz staatsfreier Integration von Bürgertum und Adel und damit Träger der bürgerlichen Emanzipationsbewegung. Sie wollen eine betont bürgerliche Moral befördern und sind private reinigungen - abseits vom Staat, der diesen Moralvorstellungen noch nicht verpflichtet ist. »Die Tugend macht sie alle einander gleich«, heißt es in der 1744 in Leipzig verlegten Schrift »Der sich selbst vertheidigende Frcymäurer«. So verschieden die Organisationen auch sein mögen, meint Helmut Reinalter, so unübersehbar sei, daß bei den meisten eine demokratische Tendenz deutlich werde.

»Die Maurerey in ihrer rfassung und dem rhältnis der Logen gegen einander ist eine demokratische rfassung und jede Loge eine Demokratie«, so eine Freimaurer-Satzung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Anderswo mögen Logen zur Erosion der höfischen und aristokratischen Standeskulturen beigetragen haben - ob in Weimar, steht mehr als dahin. In einer Logen-Festschrift vom September 1926 findet sich die Liste der ersten Beamten oder »Offiziere« aus der Gründungszeit. Da wird als »perpetuierlicher Meister vom Stuhl« natürlich der Freiherr v. Fritsch aufgeführt, aber auch alle anderen Funktionen liegen in den Händen von Aristokraten, Hofbeamten oder vom Hofe Abhängigen: Der erste Aufseher und Redner ist zunächst der Hof- und Kammerrat Berendis, im Jahr danach der Regierungsrat Konstantin von Schardt; der zweite Aufseher ist der Kammerrat von Kalb, als Schriftführer amtiert Christian W. Winzler, der Sekretär des Herrn von Fritsch. Die Funktion des Schatzmeisters liegt bei dem Landkammerrat Wetken, das des Zeremonienleiters bei dem Hauptmann der Infanterie von Germar - auch »die nach und nach hinzutretenden Mitglieder«, so die Festschrift, »waren meist Hofherren, Offiziere oder Gelehrte«. Sei es nur wegen Mangel an anderen Mitgliedern und Interessenten - der Hof hat die Weimarer Loge fest im Griff. Die geheime Männergesellschaft tagt zunächst im Wittumspalais, dem Wohnsitz der Namenspatronin und Herzoginwitwe. Als 1799 dem herzoglichen Paar eine Prinzessin geboren wird, hält die »Amalia zu den drei Rosen« eine Festloge ab. Nicht anders 1825 zur fünfzigsten Wiederkehr des Regierungsantritts von Carl August. Eigens für diese ranstaltung dichtet Goethe drei Gesänge, die der Hofkapellmcister Johann Friedrich Hummel vertont.

Schon aus sozialen Gründen will Goethe, kaum in Weimar eingetroffen, einer Sozietät nicht fernbleiben, die ihm gesellschaftliche Kontakte erleichtert. In seinem Aufnahmegesuch gibt er sich ganz pragmatisch und weist darauf hin, daß er »mit Personen, die ich schätzen lernte, in nähere rbindung treten« will. Am 13. Juni 1780 wird er der Loge präsentiert und, da sich kein Widerspruch erhebt, am 23. Juni aufgenommen. Einem Wink des Herzogs folgend, der Goethes Beitritt offenbar wünscht, kann der Freiherr v. Fritsch die Aufnahme nicht verhindern. Doch ist er zu diesem Zeitpunkt dem Günstling des Herzogs noch betont skeptisch gesonnen und läßt sich als »Meister vom Stuhl« bei der Einführungszeremonie demonstrativ vertreten. Wie sehr die gesellschaftliche Stellung im höfischen, weitgehend spannungs- und konfliktfreien Weimarer Mikrokosmos auch die Hierarchie in der Loge bestimmt, zeigt der rasante Aufstieg hoher und allerhöchster Würdenträger. Ein Jähr nur muß Goethe warten, bis man ihn vom Lehrling zum Gesellen macht. Die Wartefrist für den Herzog, der am 5. Februar 1782 aufgenommen wird, schrumpft gar auf einen Monat. Dann steigt Durchlaucht zum Gesellen auf und wird gleichzeitig Meister - mit ihm, am gleichen Tag, mit den »gewöhnlichen Solennitäten« und weitaus früher als gewöhnliche Logenbrüder, wird auch der Geheime Rat Goethe in den Meisterrang erhoben. Wie jeder Freimaurer erhält Goethe nach altem Brauch ein paar weiße Handschuhe für diejenige, die seinem Herzen am nächsten steht. Er schickt sie Frau von Stein und schreibt dazu: »Ein geringes Geschenk dem Ansehen nach wartet auf Sie, wenn Sie wiederkommen. Es hat aber das Merkwürdige, daß ich's nur einem Frauenzimmer ein einziges Mal in meinem Leben schenken kann.« Beide, Herzog und Dichter, tragen nun den Schurz, das Logenabzeichen, und den obligaten hohen Hut, der für die Freiheit und Gleichheit aller Logenbrüder steht. Beide sind Brüder einer Variante der Freimaurerei, die zur »strikten Observanz« oder auch Hochgrad-Maurerei gehört, einen Zug ins Mystische hat und von ihren Mitgliedern absoluten Gehorsam und rschwiegenheit verlangt - eine Regel, welche Goethe, stets auf die Einhaltung von Form und Ritual bedacht und dem Rätselhaften zugetan, zeitlebens peinlich beachtet hat. In den Zielen der »strikten Observanz« ist der Universalismus der Frühaufklärung zu erkennen, sie muten heute reichlich phantastisch an: Weit hinten in Rußland, im fernen Saratow, soll ein neuer, unabhängiger Staat gestiftet werden, »wo kein einzelner Wille und keine unabhängige Ober-Gewalt herrschet«, aufzubauen von einem inneren Orden der Eingeweihten und Besten nach aristokratischem, also weder demokratischem noch monarchischem Zuschnitt. In der »Gesellschaft des Turmes« im »Wilhelm Meister« finden sich Spuren dieses Goetheschen Logen-Engagements. Nach dem Motto »Denn er war unser« reklamieren Freimaurer viele Gedichte für sich und ihre humanitäre Ideenwelt. Folgt man Franz Carl Endres, der zu Goethes zweihundertstem Geburtstag eine Festschrift über »Goethe und die Freimaurerei« veröffentlicht hat, dann sind die rse

»Edel sei der Mensch,
hülfreich und gut!«

ebenso von maurerischem Geist durchdrungen wie

»rsäumt nicht zu üben
Die Kräfte des Guten.«

Ob zu Recht oder nicht, auch im Festspiel »Des Epimenides Erwachen« finden die Maurer einen lobend gedachten Hinweis ihres Bruders Goethe auf die verschiedenen Logengründungen Anfang des Jahrhunderts:

»So hat die Tugend still ein Reich gegründet
Und sich zu Schutz und Trutz geheim verbündet.«

Waren es in erster Linie gesellschaftliche Gründe, die Goethe in die Loge führten, oder hat das Genie die »Amalia« bewußt infiltriert, um über die Tätigkeit der geheimen Gesellschaft im eigenen Lande besser informiert zu sein und möglichen Gefahren für den absolutistischen Status quo im Großherzogtum Weimar vorzubeugen? Schon Richard Friedenthal hat 1982 den rdacht geäußert, der Minister Goethe habe sich im Auftrag seines Herzogs um die Aufnahme beworben, um über die weitreichenden Pläne dieser Bünde unterrichtet zu werden. Aber hätte diese Informationen der Großmeister vom Stuhl und erste Mann im Geheimen Conseil, Freiherr von Fritsch, nicht lange vor Goethe liefern können? Neun Jahre nach Friedenthal stößt Daniel Wilson nach und erklärt Goethe gar zum »IM« der Herzoglich-Weimarischen Staatssicherheit. »Zum Dichten geboren, zum Spitzel bestellt«, lautet die provozierende Hypothese des amerikanischen Germanisten über das Logenmitglicd Johann Wolfgang von Goethe. Er stützt seine Behauptung auf den Inhalt der sogenannten Schwedenkiste, die, lange verschollen und schließlich in einem verstaubten Winkel des Merseburger Staatsarchivs wieder aufgetaucht, die wichtigsten Papiere über den Illuminaten-Orden in Weimar, Gotha und Meiningen enthält.

Wer sind und was wollen diese Illuminaten? Ihr Gründer Adam Weishaupt ist Professor für Kirchenrecht und Philosophie in Ingolstadt, fühlt sich im katholischen Bayern als persönliche Speerspitze der Aufklärung und hat sich vorgenommen, den inzwischen verbotenen Jesuitenorden mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen: Als geheime Gesellschaft, als Organisation im Untergrund, in dem auch die Jesuiten noch immer tätig sind. Ganz dem aufklärerischen Universalismus verschrieben, möchte er jesuitische Ordenspraxis mit radikalen Freimaureridealen vereinen. Er zielt auf die Abschaffung aller Staaten mitsamt ihren Fürsten und strebt nach Freiheit und Gleichheit in Form eines idealen, vernunftgesteuerten Sittenregiments, das sich über die ganze Welt erstrecken soll. Doch sucht er sein hehres kosmopolitisches Ziel nicht über eine Revolution zu erreichen, sondern sich »durch redliche und sanfte Mittel so fest zu sezzen, daß man Einfluß auf die Regierung« bekommt. Gewaltlos, durch Missionierung der Eliten, durch sittliche Umerziehung der Fürsten, durch Unterwanderung der elierten Obrigkeit will er den Staat erobern. Als im Zuge der Auseinandersetzungen nach dem Wilhelmsbader Freimaurerkongreß die Loge »Amalia« ihre Tätigkeit einstellt (sie wird erst 1806 auf Wunsch des Herzogs wiederbelebt, allerdings nicht mehr als Typ der »strikten Observanz«, sondern in liberalerer Form), treten der Dichter und sein Fürst dem Illuminaten-Orden bei. Goethe trägt den Namen Abaris, was soviel bedeutet wie der Wundermann, sein Herzog und durchlauchtigster Bruder heißt als Illuminat Aeschylus, Weimar wird Heropolis genannt. Und wie schon in der »Amalia« der strikten Observanz, so auch bei den Illuminaten dieses Heropolis: Goethe, der Herzog und der Freiherr von Fritsch - also die entscheidenden Männer des Geheimen Consiliums, welches das Schicksal des Hundertzehntausend-Seelen-Ländchens lenkt - sind bald die wichtigsten uren. Ausgerechnet die Hierarchie eines Ordens, der sich die Überwindung der gesellschaftlichen Ungleichheit und damit die Beseitigung der bestehenden Ordnung zum Ziel setzt, wird in Weimar klar durch die politische und gesellschaftliche Führungsschicht geprägt. Zwar ist dies in Gotha, welches bei den Brüdern Syracusis heißt, unter der Herrschaft des Illuminaten Herzog Ernst II. nicht anders. Aber genau hier setzt die Skepsis von Wilson über die Motive von Goethes Beitritt an. Zwar schließt er die Möglichkeit nicht völlig aus, das Genie habe die hehre Zielsetzung des Geheimbunds nutzen wollen, seinen noch immer jungen, ungestümen Fürsten desto sicherer auf die Pfade eines sittlichen, tugendhaften Regiments zu lenken. Doch der rdacht überwiegt, die Weimarer Führung mit Goethe, von Fritsch und dem Herzog habe bewußt eine Organisation unterwandert, die im Geheimen selbst auf Unterwanderung des Staates zielt. Wollen der Herzog und sein Consilium nur wissen, was die Illuminaten im Schilde führen und worauf sie sich zu wappnen haben, oder beschäftigen sie sich als Teil der höheren Stände, wie Goethe in der »Camne in Frankreich« schreibt, »spielend« mit der Revolution? Fühlen sie sich zu Ritualen und Mysterien im Dienste humanitärer Visionen hingezogen? Entgegen Wilsons böser rmutung wird die Wahrheit wohl eher in der Mitte liegen. Die Mitgliedschaft in Geheimbünden, seien es nun rational-aufklärerisch ausgerichtete wie der Illuminaten-Orden oder aber mystisch-konservative, antiaufklärerische, reformfeindliche Sozietäten wie jener der Gold- und Rosenkreuzer, dem Carl Augusts reaktionärer rwandter und Oberkommandierender Friedrich Wilhelm II. von Preußen angehört, entspricht nun einmal dem Zeitgeist des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Nach Ausbruch der Französischen Revolution warnt Friedrich Wilhelm II. den Kurfürsten von Sachsen vor den Illuminaten als gefährlichen »Ungeheuern«, weil sie angeblich beabsichtigten, jegliche Religion abzuschaffen und die Landeskinder des Treueids gegen die Landesherrn zu entbinden.

Es ist hier nicht der Ort, die merkwürdige und kurze Geschichte der Illuminaten zu erzählen, zumal das sektiererische und despotische Gebaren des Ordensstifters Weishaupt bald Anlaß zu inneren Streitigkeiten bietet. Im März 1785 von den Regierungen in Bayern und Österreich des Umsturzes beschuldigt und verboten, verlagert der Orden sein Zentrum nach Mittel- und Norddeutschland, wird nach der Französischen Revolution Opfer einer Konspirationstheorie und löst sich auf. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem, daß Carl August auf einer Liste prominenter Illuminaten verzeichnet ist, welche die bayrische Geheimpolizei erstellt, daß er mit seinem Geheimen Rat Goethe schon 1789 öffentliche Distanz zu Geheimbünden sucht und beide alles Erdenkliche tun, um ihre rgangenheit als Illuminaten zu verschleiern. Der Kleinststaat Weimar ist dem mächtigen Preußen verbündet, dessen König die Umsturzbehauptung der bayrischen Regierung für bare Münze nimmt und radikale Geheimgesellschaften wie die des Theologen Bahrdt im eigenen Land verfolgt. Weil es der Herzog mit der einflußreichen rwandtschaft nicht verderben wollte, hat er schon die Berufung Weishaupts als Professor nach Jena verhindert, welche der Nachbar Ernst IL empfahl, als der Ordensoberc zu ihm nach Gotha geflohen war. Als die rschwörungslegende -welche Ironie angesichts der deutschen Geschichte! - schließlich behauptet, daß ausgerechnet die deutschen Illuminaten die Gründung der Comites politiques und Jakobinerclubs in Paris betrieben und die Französische Revolution losgetreten hätten, schwenken die Regierenden in Weimar vollends in die konservative Front ein und werden zu erklärten Gegnern aller Geheimbünde. In Jena kommt es 1792 zu Studentenunruhen - Carl August vermutet geheime Gesellschaften als treibende Kraft und weist seinen Geheimen Assistenzrat Christian Gottlob Voigt vom Conseil an, die Orden »auf alle mögliche Weise« auszurotten, denn er fürchtet die »Überpflanzung neufranzösischer Grundsätze auf deutschen Boden«. Es ist dies ein opportunistischer Schwenk, der aus Rücksichtnahme auf den reaktionären Zeitgeist erfolgt, wie er an den großen Höfen in Wien, Berlin und Dresden herrscht, doch entspricht er zu großen Teilen den tiefen Überzeugungen des Herzogs und seiner Regierung, allen voran denen Goethes. Als Professor Gottlieb Hufeland in Jena, selbst llluminat wie sein Herzog und dessen wichtigste Räte, in der dort erscheinenden »Allgemeinen Literatur-Zeitung« die Illuminaten gegen das rbot durch die bayrische Regierung in Schutz nimmt, stößt er bei den Regierenden in Weimar auf wenig Gegenliebe. Weil Hufeland sich vom Katheder herab einigermaßen verständnisvoll über die Ursachen der Französischen Revolution äußert, schreibt der Herzog seinem Rat Voigt: »Mancherley habe ich über die Hufelandische Vorlesung die Revolution in Franckreich bet(ref)fl(ich) hören müßen; da man den Geisr des Augenblicks nicht vor den Kopf stoßen darf, so suchen sie Hufeland dahin zu bewegen, daß er die Sache nach u(nd) nach einstelle, u(nd) ihr eine andere wendung und richtung gebe.« Hufeland war wahrlich kein Radikaler, aber böse Gerüchte oder zweideutige Berichte hätten Weimar und der Jenaer Salana schaden müssen. Mag all dies mit viel gutem Willen noch als taktischer Schachzug zu deuten sein, der ein Minimum an Redefreiheit bewahren soll, zeigt eine prinzipielle Einlassung Carl Augusts zur »Denkfreiheit« die Grenzen, welche der später vielgcrühmten Weimarer Liberalität der Goethezeit gezogen sind. Sie findet sich in den »ungedruckten Briefen«, die August Diczmann 1855 unter dem Titel »Aus Weimars Glanzzeit« veröffentlicht hat, und läuft darauf hinaus, Akademikern Abstinenz in allen politischen Fragen aufzuerlegen. Gelehrte, die ihr »Lebtag mit Administration von Ländern, ja eines Bauerngutes nichts zu thun gehabt, nichts davon practisch verstehen, weil die Administration nur durch Erfahrung erlernt werden muß«, hätten nicht das Recht, »auf leere Abstractio-nen hin Grundsätze in die Welt (zu) bringen«, das Volk »gegen scheinbare Bedrückungen aufzurufen und Regenten neuerfundene Pflichten einzuschärfen«. Die Folgerung ist ein politischer Maulkorb für Intellektuelle und das rbot jeglicher öffentlichen Kritik an den Regierenden: »Ein jeder Gelehrte wird also besser bei seinem Leisten bleiben und sich nicht einbilden dürfen, daß, wenn er gewesen, die Sachen ganz anders gehen würden« Hier wird ein Topos vorgeprägt, der sich bis tief in das 20. Jahrhundert hinein beim deutschen Bildungsbürger finden wird - daß nur derjenige nämlich, der in der Praxis den Beweis erbracht hat, daß er es besser machen kann, über das Recht zur Kritik verfügt. Carl Augusts Brief datiert vom 14. September 1792 und ist an Voigt gerichtet, der zwar schreibt, daß sich »über Serenissimi Meinung wegen Preßfreiheit« sich »pro und contra disputieren« ließe, aber dem Kern der Argumentation aus Angst vor einer Revolution durch den Pöbel voll zustimmt. Wegen des möglichen Mißbrauchs sei es nicht gut, dem Volk »Abstractionen von Menschenrechten und Gleichheit« als »unverjährbare Befugnisse« vorzustellen und dazu die Preßfreiheit zu nutzen. »Ich will lieber«, schreibt Voigt, »alle Jahre die Hälfte meiner Kunst- und Grunderzeugnisse für den Staat hingeben und mit dem Überrest in Sicherheit leben als in der Willkür des großen Haufens stehen, auf welchen ein Bösewicht mehr wirken kann als zehn brave Leute«

Als der Weimarer Herzog seine mahnenden Zeilen an Voigt richtet, liegt er als preußischer General mit seinem Kürassier-Regiment in rdun und nimmt an jenem verhängnisvollen Krieg gegen das revolutionäre Frankreich teil, welcher auf die Radikalisierung der Revolution und das Heraufziehen der Schreckensherrschaft von großem Einfluß ist. Auf seinen Wunsch reist ihm der durch und durch unmilitärische Goethe nach. Die Preußen ziehen mit riesigem Troß ins Feld, der Dichter und sein Fürst leben nicht ohne Komfort in diesem ersten ideologischen Interventionsfeldzug der Geschichte: Carl August mit einem großen S von Bedienten, Geheimsekretär und Küchenpersonal, Goethe mit dem Diener Paul Götze, der seine Kutsche lenkt, und dem Sekretär Paul Vogel, dem er im Zelt diktiert, durch dessen Bahnen das Wasser tropft. Als Kriegsbeobachter, Freund und Berater seines Fürsten ist er zu einer Koalitionsarmee gestoßen, die meint, in einem Spaziergang nach Paris den souveränen Herrscher in seine alten Rechte einsetzen und die Rebellen einem großen Strafgericht unterziehen zu können. Doch die Camne bleibt im Regen und Schlamm der Chamne stecken, wird vom vielgerühmten militärischen Genie der Zeit und Schüler des großen Friedrich, von Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, schleppend, ja zögerlich geführt und nach der Kanonade von Valmy schließlich abgebrochen, ohne daß es zu einer Entscheidungsschlacht oder gar großen rlusten gekommen wäre. Entgegen allen Erwartungen fliehen die revolutionären Krieger nicht beim ersten Anblick preußischer Husaren in wilder Flucht bis Paris, sondern zeigen sich, überzeugt von der Sache, für die sie kämpfen, als die moderneren, die motivierteren Soldaten, dem Söldnerheer des Ancien regime nicht nur ebenbürtig, sondern an Elan und Taktik überlegen. Goethe läßt auch im Felde nicht von den Arbeiten an seiner Farbenlehre; an einer Tonscherbe in einem Wassertümpel beobachtet er das Spiel der Farben. Er bewundert die »reiche Staffage«, die große Reitermassen in der Landschaft machen, überhaupt sieht er den Krieg eher als Künstler denn als Politiker: »Einige Dörfer brannten zwar vor uns auf, allein der Rauch tut einem Kriegsbild auch nicht übel.« Auf dem Rückzug wechselt er aus seiner vierspännigen Chaise in den bequemeren sechsspännigen Küchenwagen des Herzogs über und liest dort in einem physikalischen Lexikon. Noch auf dem Weg zur Armee hat er seiner Christiane Souvenirs aus dem eroberten Frankreich versprochen und ihr bedeutet, nach dem Einzug in Paris werde es »allerlei geben«. Doch dann kommt die große Wende, als die Generäle Kellermann und Dumouriez auf den Höhen von Valmy in gut befestigten, tief gestaffelten Reihen den Angriff erwarten, die Preußen mit heftigem Artilleriefcuer belegen und der Braunschweiger nach einigen Manövern brüsk erklärt: »Hier schlagen wir nicht.« Übrigens knüpfen sich an diese Kanonade gleich mehrere Legenden. Da heißt es einmal, der Herzog von Braunschweig sei bestochen worden, dann wieder, als Freimaurer habe er der Order seiner Loge gehorcht, die Sache der Revolution zu schonen. Und schließlich gibt es jene Legende, nach der ein politisch unerhört weitsichtiger Goethe den Zusammenbruch der alten Ordnung und das unausweichliche, unaufhaltsame Heraufdämmern einer neuen, egalitären Zeit schon 1792 vor niedergeschlagenen Offizieren prophetisch konstatiert habe: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.«

Sicher stammt der Satz von Goethe, unstreitig hat er seine historische Berechtigung, aber daß er am Ort des Geschehens gesprochen wurde und somit Goethes Klarsicht belegt, ist mehr als unwahrscheinlich. Niemand außer Goethe hat ihn überliefert. Er findet sich in der fast dreißig Jahre später geschriebenen »Camne in Frankreich«, einer sehr freien Erzählung aus der Erinnerung, die sich auf mehrere Quellen stützt, nur nicht die eigenen. Als er die »Camne« schreibt, verfügt der Dichter über den Abstand dessen, der weiß, was die Geschichte inzwischen aus dieser Bataille gemacht hat, und er zitiert, falls er den Satz überhaupt geäußert, dann aus dem Gedächtnis, denn seine Kriegstagebücher hat er auf dem Rückzug sämtlich in Düsseldorfverbrannt. Glaubhafter ist da schon, was er von einer Runde von Offizieren zu erzählen weiß, die mit ihm auf dem Rückzug diskutierten, ob er nicht über die Erfahrungen dieses Feldzugs schreiben solle. Ein alter Husarenhaudegen hält nicht viel davon und sagt: »Glaubt es nicht, er ist viel zu klug! Was er schreiben dürfte, mag er nicht schreiben, und was er schreiben möchte, wird er nicht schreiben.« Hat Goethe sich deshalb vielleicht zum Autodafe in Düsseldorf entschlossen? Valmy ist keine verlorene, sondern eine unentschiedene Schlacht, doch der Rückzug gleicht einer Niederlage - Seuchen und Krankheiten dezimieren die Truppen.

Es kann keinen Zweifel daran geben, daß Goethe hofft, die alte Ordnung ließe sich wenigstens in Deutschland erhalten. Wie er politisch denkt, hat schon ein Besuch auf dem Wege in die Chamne gezeigt, den er Georg Forster in Mainz abstattete. Der Bibliothekar des Mainzer Erzbischofs und Naturforscher Forster, bekannt durch seine Reise um die Welt mit James Cook, war 1785 in Weimar Gast im Hause Goethe gewesen, aber den späteren Jakobiner konnte der Dichterminister in seinem Besucher damals nicht erahnen. Beide schätzten einander, der bis ins höchste Alter intellektuell stets neugierige Goethe interessierte sich für einen Mann, der in jungen Jahren Tahiti und die Osterinseln, Neuseeland und das südliche Polarmeer kennengelernt hatte. Sie hielten Kontakt und tauschten Werke aus. Kurz vor dem Interventionskrieg gegen Frankreich schickte Forster noch seine »Ansichten vom Niederrhein«, Goethe revanchierte sich mit einigen seiner Beiträge zur Optik. Politisch aber trennen sie Welten. Anders als der konservative Goethe will Forster liberale, demokratische Zustände hier und heute. Als Goethe ihm und seinen Freunden in Mainz gegenübersitzt, wird Zündstoff sorgsam ausgespart. »Von politischen Dingen war die Rede nicht, man fühlte, daß man sich wechselseitig zu schonen habe: denn wenn sie republikanische Gesinnungen nicht ganz verleugneten, so eilte ich offenbar, mit einer Armee zu ziehen, die eben diesen Gesinnungen und ihrer Wirkung ein entschiedenes Ende machen sollte«, schreibt Goethe in seiner »Camne«. Kaum haben die Franzosen Mainz besetzt, wird Forster engster Berater des schnauzbärtigen Revolutionsgencrals und Ex-Marquis Custine und gründet die »Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit«. Als führender Kopf des Mainzer Jakobinerclubs zählt er zu den Begründern der ersten (Mainzer oder Rheinischen) Republik auf deutschen Boden; Goethe und sein Herzog dagegen nehmen wenig später an der Belagerung des besetzten Mainz teil - auch wenn das große »Zeilehnungsgenie« (so Heine über Goethe) sich auch hier wieder mit der Farbenlehre, aber auch den homerischen Hexameter-rsen zu seinem »Reineke Fuchs« beschäftigt. Er hat zwei Jahre persönlich das fürchterliche Zusammenbrechen aller rhältnisse erlebt und hält sich für seine Person immer fest an diese Studien wie an einen Balken nach einem Schiffbruch. Während der Kriegshandlungen um die Stadt stehen der Bibliothekar aus Mainz und der Dichter aus Weimar einander allerdings nicht direkt gegenüber, denn Forster ist mit zwei anderen Deputierten der Rheinischen Republik nach Paris geeilt, um die Aufnahme des revolutionären rheinischen Gebiets um Mainz in die Französische Republik zu erreichen. In der »Camne«, auch in der später folgenden »Belagerung von Mainz« liest man keine negativen Außerungen über Forster - ein Zeichen von Goethes Respekt vor dem Weltreisenden, dem Naturwissenschaftler und großen Prosaschriftsteller. Fs finden sich freundlich-belanglose Floskeln, die Goethe-Biograph Conrady schlicht damit erklärt, daß Goethe die Konsequenz des zum Revolutionär gewordenen Intellektuellen »fremd« bleibt, er sie nicht verstehen und schon gar nicht nachvollziehen kann. Forster seinerseits ersparte sich, zweifellos aus Höflichkeit, in dem Gespräch in Mainz bittere Bemerkungen über Goethes »Groß-Cophta«, in dem er keine Zeile fand, die er behalten oder wiederholen mochte.

Nun zählen Goethes frühe rsuche, sich auf der Bühne mit der Französischen Revolution auseinanderzusetzen, wahrlich nicht zu seinen gelungensten Stücken. Die beiden ersten sind Lustspiele, wenn nicht Farcen, und werden dem Anspruch, sich mit dem großen, alles überragenden Zeitthema ernsthaft auseinanderzusetzen, nicht im geringsten gerecht. Sein »Groß-Cophta« handelt von der Halsbandaffäre, von Hofintrigen und einem betrügerischen Grafen, der für Cagliostro steht - betont leichte Kost, in einem beliebigen Kleinstaatmilieu angesiedelt, eine Komödie wenn nicht mit Happy-Fnd, dann doch mit gnädigem Ausgang. »O welch' ein Klein-Cophta!« urteilt Börne in seinen Briefen aus Paris. »Statt in der Hofgeschichte Weltgeschichte zu sehen, sieht er in der Weltgeschichte eine Hofgeschichte.« Schließlich der »Bürgergeneral«, der bedeutungsträchtig »Schnaps« heißt und in einem Dorfidyll spielt. Der Revolutionär und General wird als armer Trottel dargestellt, der sich von Jakobinern in der fernen Stadt als Sendboten hat schicken lassen - mit Säbel, roter Freiheitsmütze und Kokarde - und nun versucht, beim Bauer Märten eine patriotische Kontribution in Form einer Milchsuppe samt Frühstück einzutreiben. Der Edelmann vom nahen Rittergut legt die Lappalie gütlich bei: »Kinder, liebt euch, bestellt euren Acker wohl und haltet gut Haus Was in der Welt geschieht, wird Aufmerksamkeit erregen; aber aufrührerische Gesinnungen ganzer Nationen werden keinen Einfluß haben. Wir werden in der Stille dankbar sein, daß wir einen heitern Himmel über uns sehen, indes unglückliche Gewitter unermeßliche Fluren verhageln.« Weil der Dichter innerlich mit der Revolution nicht fertig wird, kann Goethe sie nicht gestalten, meint Wilhelm Mommsen in seiner grundlegenden Untersuchung über »Die politischen Anschauungen Goethes« und kommt zu dem Urteil, der größte deutsche Dichterfürst habe die »demokratischen Kräfte in ihrer Geburtsstunde« bekämpft. Als entscheidendes Motiv nennt er die Angst des Dichters vor dem Aufstieg der Massenkräfte, die »reine Bildung und echtes Menschentum bedrohen«. In der Tat: Massenkräfte bei Goethe sind stets unheimlich, gefährlich und destruktiv, eine eigentlich geistige Kultur kann für ihn nur in einer »aristokratischen Bildungsschicht« lebendig sein. »Freiheit ist ein herrlicher Schmuck, der schönste von allen«, heißt es in den »Xenien«, aber er steht »nicht jeglichem an«. Revolution, das ist der Umsturz alles Vorhandenen, ohne daß man die mindeste Ahnung davon hat, was denn besseres, ja nur anderes daraus erfolgen solle. So rügt er in seiner »Camne in Frankreich« die deutschen Sympathisanten der Jakobiner: »Man schien nicht zu fühlen, was alles erst zu verlieren sei, um zu irgendeiner Art zweideutigen Gewinnes zu gelangen.« Wenn er sagt, es sei besser, »dass Ungerechtigkeiten geschehen, als dass sie auf eine ungerechte Weise behoben werden«, stellt er mit dieser »reaktionären Maxime« (Terence Reed) seinen tiefverwurzelten, instinktiven Sinn für Ordnung über alle Politik. Reed verfolgt diese Maxime Goethes bis zu ihrem Ursprung, an das Ende der Belagerung von Mainz zurück. Dort nämlich drohen, als die Jakobiner mit den kapitulierenden Franzosen abziehen, empörte Mainzer Rache an, werden jedoch von Goethe - seiner eigenen Schilderung nach - zurückgehalten. Der Dichter betrachtet Mob-Justiz als schrecklichstes Symptom von Unordnung, die er ohnehin zutiefst verabscheut: »Es liegt nun einmal in meiner Natur, ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als Unordnung zu ertragen.« Die Ungerechtigkeit, die er selbst begeht - das ist für ihn die Tatsache, daß er die Jakobiner vor gerechter Empörung retten muß, und zwar um der Ordnung willen. Im Alter spricht Goethe gar von den Franzosen als den »Tollfranken«, von der Pariser Gleichheit als »Aufregen des untersten wüsten Pöbels« und vom rbreiten »mörderischer, mordbrennerischer Sitten« als ansteckender Krankheit, durch welche ein »idyllischer Zustand, insofern er im 18. Jahrhundert möglich war«, von Grund auf zerstört wird. Kein Zweifel: Goethe ist ein durch und durch konservativer Mensch mit Zügen, die der deutsche Spießer in rkennung des ganzen Goethe später mit Vorliebe für sich reklamieren wird. Ist es Zufall, wenn ausgerechnet »Hermann und Dorothea«, ein Epos in neun Gesängen, das er später niemals ohne Rührung vorlesen kann und bei dessen Vortrag Wieland in Tränen ausbricht, zum populärsten Goethe-Werk des deutschen Bürgertums des 19. Jahrhunderts avanciert, beliebter und verbreiteter noch als der »Werther«? In zweitausend Hexameter-rsen wird hier die Geschichte einer Kleinbürger-rlobung erzählt - des Mädchens Dorothea, das mit einem Treck von Revolutionsflüchtlingen vor den »Neufranken« flieht, in eine intakte deutsche Kleinstadt kommt und sich in Hermann verliebt, den Sohn des herrischen Wirts. Goethe selbst sagt, er habe eine bürgerliche Idylle gefertigt. In wirren Zeiten wurden hier bürgerliche Gesinnung und bürgerlicher Besitz besungen, meint Conrady, »da war Solidität verbürgt, und an vielen schönen Sentenzen konnte man sich trefflich erbauen«. Viel bewundert wird die biedermeierliche Idylle »Luise« mit dem traulichen Pfarrhaus, unter den Linden, dem Besuch des Bräutigams, dem Auftragen der Speisen und der Hochzeit. Auch wenn Goethe den Stoff keinesfalls konfliktfrei schildert, ebnet allein das antike rsmaß die Gegensätze ein und schafft den Eindruck einer alles überstrahlenden Harmonie:

»Da entstand ein Geschrei der gequetschten Weiber und Kinder
Und ein Blöken des Viehs, dazwischen der Hunde Gebelfer
Und ein Wehlaut der Alten und Kranken, die hoch auf dem schweren
Übergepackten Wagen auf Betten saßen und schwankten.
Aber aus dem Gleise gedrängt, nach dem Rande des Hohlwegs
Irrte das knarrende Rad; es stürzt' in den Graben das Fuhrwerk,
Umgeschlagen, und weithin entstürzten im Schwünge die Menschen Mit entsetzlichen Schrein in das Feld hin, aber doch glücklich.«

Übrigens klingt in »Hermann und Dorothea« erstmals rständnis dafür an, daß man in der Erühphase der Revolution mit der Sache der Jakobiner hat sympathisieren können:

»Und wir waren zuerst, als Nachbarn, lebhaft entzündet.
Darauf begann der Krieg, und die Züge bewaffneter Franken
Rückten näher; allein sie schienen nur Freundschaft zu bringen.
Und die brachten sie auch: denn ihnen erhöht war die Seele
Allen; sie pflanzten mit Lust die munteren Bäume der Freiheit,
Jedem das Seine versprechend, und jedem die eigne Regierung;
Hoch erfreute sich da die Jugend, sich freute das Alter,
Und der muntere Tanz begann um die neue Standarte
Aber der Himmel trübte sich bald. Um den Vortheil der Herrschaft
Stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig das Gute zu schaffen.
Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen
Nachbarn und Brüder, und sandten die eigennützige Menge «

Es sind dies Zeilen, die in die Irre führen könnten, denn Goethe selbst ist von Anfang an ein erklärter Gegner der Jakobiner, Sansculottismus führt er stets als Schmähwort im Munde. Nur kann er sich 1797, als er »Hermann und Dorothea« beendet, in Übereinstimmung mit den ursprünglichen Sympathisanten in Weimar fühlen, die erst nach Beginn der Schreckensherrschaft der Sache der Revolution keinerlei rständnis mehr entgegenbringen. Folgt man Borchmeyer, dann sind Herder, Wieland und teils wohl auch Schiller jenen Liberalen zuzurechnen, die erst durch die Jakobinerdiktatur zu Feinden der Revolution werden; Goethe indessen gehört zu jenen Konservativen, welche die Französische Revolution notwendig von ihren Anfängen an - der Theorie wie der Praxis nach - verwerfen. Allerdings ist er nicht unbedingt Gegner der Ziele, welche durch Umsturz angestrebt werden, sondern der Methode - eben der Gewalt. Er zieht Evolution vor, Revolution, wenn sie denn kommt, hat nach seinem rständnis stets ein rsagen der Herrschenden zur Voraussetzung, historisch betrachtet er sie als »Schuld«, aber nicht als eine des Volkes, sondern als jene der Regierung. Weil sie nicht rechtzeitig für zeitgemäße rbesserungen gesorgt hat, muß das »Notwendige von unten her erzwungen« werden. Er steht ganz unter dem Einfluß des »herrlichen Justus Moser«, den er in »Dichtung und Wahrheit« als »unvergleichlichen Mann« bezeichnet und den Karl Mannheim unter die frühen konservativen Denker von Bedeutung in Deutschland zählt, vergleichbar einem Edmund Burke in England. Moser, Ratsherr und politischer Philosoph aus Osnabrück, tritt in seinen »Patriotischen Phantasien« für Tradition und Vielfalt, Privilegien und überkommene Rechte ein, ja er hält den deutschen Partikularismus für einen Segen, wenn nur der Kleinstaat richtig gelenkt und verwaltet wird. Wenn man so will, sind beide, Moser wie Goethe, als rteidiger des lebendig Gewachsenen frühe Anhänger des Organismus-Gedankens, wie er später in der Romantik entwickelt wird. Als Pragmatiker denken sie von der Praxis aus und lehnen jeden übergreifenden rationalistischen Entwurf zur rwirklichung einer künftigen politischen Ordnung ab. Noch im Januar 1824 bekennt sich der inzwischen fünfundsiebzigjährige Goethe gegenüber Eckermann als erklärter Feind der Revolution, auch wenn er erstmals einräumt, daß sie auch »wohltätige Folgen« hatte, die er erst später habe erkennen können. Alle rsuche, Goethe 1949 als geistigen Mentor für den Aufbruch in den linken, angeblich von der Arbeiterklasse geführten Hammer- und Zirkelstaat zu requirieren, muten vor dieser gesicherten Erkenntnis einigermaßen grotesk an.

Ganz anders als Goethe natürlich Herder, der das »Maschinenwerk der Revolutionen« als notwendige Weiter- und Fortentwicklung des Menschengeschlechts bejaht: In den Revolutionen der Erde nur Trümmer auf Trümmern zu sehen, ewige Anfänge ohne Ende, sei »grausenvoll« und gehe nicht an. Revolutionen seien »unserm Geschlecht so nötig, wie dem Strom seine Wogen, damit er nicht ein stehender Sumpf werde«, meint der Autor der »Briefe zur Beförderung der Humanität«. Er ist ein humanistischer Visionär, der als besten Regenten jenen bezeichnet, »der mit allen seinen Kräften dazu beiträgt, daß die Regenten (wann wird das geschehen?) dem Menschengeschlecht in der Zukunft überflüssig werden « - so in einer (freilich zu seiner Zeit nicht veröffentlichten) Fassung des politischen Kapitels seiner »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«. Herder verurteilt den Interventionsfeldzug gegen die Revolution, den Goethe bejaht und an dem er teilnimmt. Das auseinandergehende Urteil über die Vorgänge in Frankreich ist nach Emil Adler »ein wesentlicher Grund für die Abkühlung der Beziehungen Herders zu Goethe und spielte in dem Bruch mit diesem eine gewisse Rolle«. In der ursprünglichen Fassung des »17. Briefes zur Beförderung der Humanität« stellt er die Revolution in eine Reihe mit der Einführung des Christentums, der Renaissance und der Reformation. Die Unterschiede sind unübersehbar: Dczidiert rechtfertigt Goethe die Vorrangstellung durch Geburt, Herder dagegen nennt die Prinzipien des Adels ein »Monument menschlicher Dummheit«, Erbmonarchen erscheinen ihm als Anachronismus, denn ein König muß nach seiner Auffassung seine Stellung durch eignes rdienst legitimieren. Er will die Führung durch große, weise, edle Männer und tritt damit, wie Christoph Fasel unterstreicht, für eine »Aristodemokratie« ein. An diesen Grundüberzeugungen hält er fest, auch wenn er unter dem Eindruck des Pariser Terrors von radikaleren Anschauungen abrückt und Luther zitiert: Dem Pöbel dürfe man nicht viel pfeifen, denn er »hat und weiß keine Maße und steckt in einem jeglichen mehr denn fünf Tyrannen«.

Anders als Goethe auch Wieland, der die Revolution im »Teutschen Merkur« aufmerksam verfolgt, aus Straßburg und Paris täglich die nouveautes du joitr bezieht und zu seiner großen Überraschung als »un des plus celebres ecrivains de FAllemagne« und »rteidiger der französischen Freiheit« zum Ehrenmitglied des vom Abbe Fauchet gegründeten cercle social ernannt wird. Eingefleischter Aufklärer und Feind der »Pfaffen und Bonzen«, der er ist, begrüßt Wieland mit einem großen »Gefühl der Freude« das Dekret der Nationalversammlung über die Aufhebung der Klöster und Klöstergelübde als »rbannung des Mönchsgeists«. Wenn er die Revolution in seinem »Merkur« in langen, oft umständlichen Dialogen pro und contra kritisch begleitet, erweist er sich nach einem Wort Walter Brufords als betont »vorsichtiger Liberaler«. Inwieweit taktische Rücksichtnahme auf die Haltung des Weimarer Hofes dabei mitschwingt, bleibt dahingestellt. »Unsereiner«, schreibt er allerdings seinem Schwiegersohn, dem Philosophieprofessor und Fichte-Vorgänger Reinhold nach Jena, »darf nicht alles sagen, was er auf dem Herzen hat; aber wenn unsere mit der unbegreiflichsten Blindheit geschlagenen Gewalthaber nicht bald andere Wege einschlagen, so werden die Steine zu schreien anfangen.« Was im »Merkur« über »dieses größte und interessanteste Drama« auf dem Weltschauplatz zu lesen steht, entspricht allen Regeln der Ausgewogenheit, auch wenn Wieland schon im ersten Gespräch zwischen Walthcr und Adelstan im September 1789 unter der Maske Walthers Partei für die Nationalversammlung nimmt. Ausdrücklich verteidigt er die »Rechtmäßigkeit des Gebrauchs, welchen die französische Nation dermalen von ihrer Aufklärung und Stärke macht«. Aber immer wieder meldet er konstitutionelle Bedenken und Einwände an. Historische Erfahrungen mit einer demokratischen »Nazio-nal-Glückseligkeit« liegen noch nicht vor, und so fürchtet er, daß die im Freiheitstaumel begriffene Nation jenseits des Rheins den monarchischen Despotismus« mit einem anderen vertauschen werde. Der Demokratie, die es noch nie gegeben hat und die notwendig »unbehülflich« und unsicher ist, zieht er eine »durch hinlänglich sichergestellte Rechte des Volkes in ihren wahren Grenzen eingeschränkte Monarchie vor« und plädiert damit für das englische Modell. Nach Wielands Meinung taugt die französische rfassung bestenfalls für ein unverdorbenes Drei- bis Viermillionen-Volk in den englischen Kolonien Nordamerikas, nicht aber für die Franzosen -die seien nun einmal von jener Einfalt und Reinheit der Sitten weit entfernt, ohne die sich eine glückliche Demokratie voraussichtlich nie praktizieren lasse. Auch nach dem großen terreur bleibt er seinem Dialogmuster treu: In den »Gesprächen unter vier Augen« kritisiert ein Monarchist die Direktorialverfassung und sagt dem Republikaner »eine militärische Despotie hinter einer militärischen Maske« voraus. Es ist die Zeit, da der junge General Bonaparte in Italien Sieg auf Sieg an die revolutionären Fahnen heftet. Später wird Wieland stolz darauf verweisen, daß er die Machtergreifung Napoleons vorausgesagt hat.

Schon bei Wieland klingt an, was bei Schiller in seiner Ablehnung der Revolution dann die zentrale Rolle spielen wird: Demokratie setzt einen sittlichen Standard voraus, über den die heutige verderbte Generation nicht verfügt, Tugenden, die sich die Menschheit erst mühsam erarbeiten muß - und das kann nach Schiller hundert oder mehr Jahre dauern. So verfolgt er mit Spannung, höchstem Interesse, aber betont nüchtern die Nachrichten von dem revolutionären Umsturz jenseits des Rheins im französischen »Moniteur«, liest über die rhandlungen des Konvents und lernt, wie er Körner schreibt, »die Franzosen in ihrer Stärke und Schwäche kennen«. Skeptisch, wie er nun einmal ist, entdeckt er mehr Schwächen denn Stärken. Zu seiner großen Überraschung findet er im September 1792 die Meldung, daß ihm das französische Volk, vertreten durch seine Nationalversammlung, »in Begeisterung der ersten Tage seiner Freiheit« und nicht ahnend um des Geehrten abgrundtiefe Skepsis, zusammen mit George Washington, Thomas Paine, Alexander Hamilton, Joachim Heinrich Campe, Klop-stock u. a. am 26. August den Titel eines »Citoyen Francois« verliehen hat. Daß es sich hierbei nicht um konspirative Einvernahme für den Umsturz, sondern um eine hochherzig gemeinte idealistische Geste handelt, die von der Universalität des revolutionären Guts der Menschenrechte zeugt, geht aus der Begründung hervor. Der Titel eines französischen Bürgers, heißt es da voller Menschheitspathos, gebühre all jenen, wo immer sie auch wohnten, die ihre »Kräfte eingesetzt haben, um die Sache der Völker gegen den Despotismus der Könige zu verteidigen, die Vorurteile von der Erde zu verbannen und die Grenzen menschlichen Wissens zu erweitern«. Natürlich gilt die Ehrung vor allem dem Dichter der »Räuber«, dem damals allein in Frankreich übersetzten und bekannten Werk Schillers, und die genaue Namensschreibweise des um die Sache der Freiheit verdienten Autors ist den Ausfertigern der Urkunde unbekannt: Sie wird auf einen Monsieur »Gille, puhliciste Allemand« ausgestellt; weder Wohnort noch Provinz sind benannt, so daß sie den Adressaten erst sechs Jahre später auf dem Umweg über Campe in Weimar erreicht. Goethe gratuliert ironisch zu dem »Bürgerdekrete«, das Schiller »aus dem Reiche der Toten zugesendet worden«, er wünscht Glück insofern, »als es Sie [Schiller] noch unter den Lebenden angetroffen hat; warten Sie ja noch eine Weile, ehe Sie ihre verewigten großen Mitbürger besuchen«. In der Tat: Die Revolution hat längst ihre Kinder gefressen, Innenminister Roland, der das Dekret ausgefertigt, Claviere, der es unterzeichnet, Danton, der es gegengezeichnet hat, auch General Custine, der es mit den vordringenden französischen Truppen überbringen sollte, sind allesamt unter der Guillotine hingemordet. Handelt es sich bei der rleihung um eine »bizarre Ironie«, wie manche behaupten? Sicher ist, daß das umstürzlerische Dokument die Weimarer Idylle des aufgeklärten Absolutismus stört. Charlotte von Stein gibt wohl die Meinung des Hofes wieder, wenn sie an Charlotte von Schiller schreibt, man glaube, ihr Gemahl werde es »natürlicherweise ausschlagen und auf diese Ehre vor jetz keinen Anspruch machen«. Doch Schiller denkt nicht daran, das Bürgerdiplom formell zurückzuweisen - schon mit Rücksicht auf seine Kinder, die später einmal wünschen könnten, sich in Frankreich niederzulassen. So läßt es der Herzog aus dem Umlauf ziehen, indem er seinen Hofrat Schiller anweist, es zur Aufbewahrung der Amalia-Bibliothek zu übergeben und sich mit einer Abschrift zu begnügen, deren Richtigkeit wiederum Goethe und sein Ministerkollege, der Geheime Rat Voigt, bezeugen.

Schillers Haltung scheint widersprüchlich. Einerseits spielt er mit dem Gedanken, eine rteidigungsschrift für Ludwig XVI. zu entwerfen und an den Konvent zu schicken, eine Absicht, zu der er sich durch die rleihung des Bürgerdiploms besonders legitimiert fühlt und welche durch die von Danton, dem Gegenzeichner seines Bürgerbriefs, befürwortete Enthauptung des Königs natürlich hinfällig wird. Andererseits trägt er sich 1803 in den Hof- und Adreßkalender des Herzogtums als »Herr D. Friedrich von Schiller, Bürger von Frankreich, Herzoglich Mciningscher Hofrat, der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Stockholm, der Kurfürstlichen Akademie der Wissenschaften zu Erfurt, der Kurfürstlichen Deutschen Gesellschaft zu Mannheim Ehrenmitglied« ein. Bekennt er sich etwa offen zum bürgerlichen Frankreich, nachdem die wildeste revolutionäre Zeit durch das Direktorium, dann durch die Ernennung Napoleons zum Konsul auf Lebenszeit beendet ist? Im lieblichen Ilm-Athen jedenfalls gilt dieser Eintrag als grober Mißgriff. Gerhard Schmid hat in einer Untersuchung des Falles nachgewiesen, wie aufgeregt die Geheimräte Goethe und Voigt miteinander korrespondiert haben, um zu klären, wie er überhaupt geschehen konnte. Voigt kommt zu dem peinlichen Ergebnis, daß »der Herr Hofrat Schiller seinen Titel selbst eingegeben habe«, kein anderer als Schiller persönlich also für den mißlichen Eintrag verantwortlich zeichnet. Für den Fall, daß dieses Skan-dalon an die große Glocke gehängt würde, fürchten sie den Entzug der herzoglichen »Ehrenwohltat«, nämlich der Besoldung Schillers.

Das geschieht zwar nicht. Doch die Idee der Freiheit zieht sich durch alle großen Dramen Schillers, und es gibt nicht den geringsten Grund für die Annahme, daß er die großen Ziele der Französischen Revolution abgelehnt hätte. Kühnstes Ideal sei eine »Menschenrepublik allgemeiner Duldung und Gewissensfreiheit«, schreibt er in einem Brief über »Don Carlos«. Um so eindeutiger aber verwirft er die Methoden der Revolution. Er sieht in ihnen die natürliche Konsequenz besonderer französischer Umstände, nämlich jahrzehntelanger absolutistischer Mißwirtschaft und aristokratischer Korruption, aber auch das Werk unzufriedener, leidenschaftlicher Ehrgeizlinge. Der niedere Pöbel, losgebunden durch die Revolution, hat »rohe Triebe« gezeigt, mit denen eine bessere Welt nicht zu errichten ist. »Politische Freiheit bleibt immer und ewig das heiligste aller Güter, das würdigste Ziel aller Anstrengungen und das große Zentrum aller Kultur«, schreibt er dem Erbprinzen Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Augustenburg am 13. Juli 1793 aus Jena, »aber man wird diesen herrlichen Bau nur auf dem festen Grund eines veredelten Charakters aufführen, man wird damit anfangen müssen, für die rfassung Bürger zu erschaffen, ehe man den Bürgern eine rfassung gibt.« Nicht bessere Umstände werden zur Geburt des neuen Menschen führen, der Mensch muß sich vielmehr erst zum neuen Menschen entwickeln, muß zur Freiheit erst erzogen werden, damit er freiheitliche rhältnisse schaffen kann. Gelingen kann diese unerhörte pädagogische Anstrengung nur mittels Kunst und Wissenschaft: »Auf den Charakter wird bekanntlich durch Berichtigung der Begriffe und durch Reinigung der Gefühle gewirkt. Jenes ist das Geschäft der philosophischen, dieses vorzugsweise der ästhetischen Kultur.« Die Schönheit und die Kultur läßt Schiller, wie er einmal sagt, der Freiheit vorangehen, er hofft den Prinzen in seinen Briefen davon zu überzeugen, »daß man, um jenes politische Problem in der Erfahrung zu lösen, durch das ästhetische den Weg nehmen muß, weil es die Schönheit ist, durch welche man zur Freiheit wandert«.

Freiheit ist ein hehres, aber unerreichbar fernes Ziel; wer vorgibt, man könne es hier und heute ansteuern, dem ist grundsätzlich zu mißtrauen. Das gilt auch für liberale, auf Freiheit gerichtete Politik. Als er 1794 die Zeitschrift »Hören« begründet, will er das »beschränkte Interesse der Gegenwart«, alles, was »mit unreinem Parteigeist gestempelt ist«, aus ihren Beiträgen verbannt wissen. Sein Blatt solle sich alles verbieten, »was sich auf Staatsrcligion und politische rfassung bezieht«, kündigt er seinem Mitarbeiter Goethe an. Fröhliche Zerstreuung, heitere und leidenschaftsfreic Unterhaltung für Leser, welche die Zeirbegebenheiten entrüsten und niederschlagen, sollen die »Hören« dem Leser gewähren, sie indes zugleich erziehen, damit sie durch sittliche redlung eines fernen Tages eine bessere Gesellschaft ermöglichen: »Aber indem sie [die >Horen







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