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Die Strukturierung der Linguistik aus semiotischer Perspektive

Die Strukturierung der Linguistik aus semiotischer Perspektive



Wenn die Sprache als Zeichensystem und Kommunikationsmittel charakterisiert wurde, so gilt es jetzt ihre Struktur zu ermitteln.

Die einzelnen Zeichen bilden die grundlegenden Einheiten der Sprache, mit denen wir im Zeichenverkehr operieren; sie bilden die fundamentalen Ausdrucks-Inhalts-Einheiten, mit deren Hilfe zusam-mengesetzte, komplexe Zeichen aufgebaut werden.



Aus semiotischer Perspektive, kann die Sprache aus drei unter-schiedlichen Gesichtspunkten beschrieben werden, je nachdem welcher Aspekt von Zeichen bzw. Zeichenystemen im Mittelpunkt der Betrachtung rückt.



Innerhalb eines Zeichensystems muss das sprachliche Zeichen nämlich in drei Dimensionen eingebunden gesehen werden:

a) das sprachliche Zeichen besitzt eine Form und lässt sich mit anderen Zeichen kombinieren (Zeichenkonstitution; Zeichenkom­bination)

b) das sprachliche Zeichen bzw. die Zeichenkomplexe haben eine Bedeutung (Zeicheninterpretation)

c) das sprachliche Zeichen, bzw. die Zeichenkomplexe werden von Zeichenbenutzern (Sprachträgern) eingesetzt, um mit ihrer Hilfe zu kommunizieren (Zeichenapplikation)





Entsprechend den drei wichtigen Betrachtungsweisen der Sprache entwickelt die Linguistik Teildisziplinen, die die Regularitäten des Zusammenwirkens sprachlicher Zeichen analysieren und erklären.



Die Grammatik i.w.S. stellt sich zur Aufgabe die Zeichenkonstitution bzw. die Zeichenkombination zu untersuchen. Dabei wird in der Phonetik/Phonemik/Graphemik vornehmlich der Aufbau der Zeichen­formen, der signifiants untersucht.



Die Phonetik untersucht die Zeichenform unter materiellem Aspekt, unter dem Aspekt der Substanz als konkretes, physikalisch messba­res Phänomen in einem ganz bestimmten, einmaligen Sprechakt. Sie analysiert die Produktion, Übermittlung und Rezeption der Laute als physikalische Erscheinungen.

Die Phonemik bzw. Graphemik untersucht die Konstitution verbaler Zeichen unter dem Aspekt des Aufbaus der Zeichenform aus kleinsten, bedeutungsdifferenzierenden (bedeutungsunterscheiden­den) Elementen. Phoneme sind akustische bedeutungsunter­scheidende Elemente, die in der gesprochenen Sprache aktualisiert werden, Grapheme sind optisch wahrnehmbare unterscheidende Elemente, die der geschriebenen Sprache eigen sind. Die Merkmale sowie die Struktur der Phonem-bzw. Graphem-Inventare gehören auch zum Forschungsgegenstand der Phonemik/Graphemik.

Phonetik und Phonemik sind Teilbereiche der Phonologie. In der Phonologie werden auch andere, beim Sprechen aussagekräftige Aspekte – suprasegmentale Merkmale, - wie Akzent, Pause, Into­nation usw. untersucht, die in der Kommunikation eine bedeutende Rolle spielen.

Die Analyse der Kombination sprachlicher Zeichen fällt in den Aufgabenbereich der Morphologie, Syntax und Textlinguistik.

Dabei kann von den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten aus­gegangen und untersucht werden, wie sich immer größere Einheiten konstituieren (vom Morphem zum Text) – das ist die aszendente Vorgehensweise – oder man geht deszendent vor, von der größten Einheit, dem Text, bis zu den Morphemen.



Die Bedeutung von Zeichen und Zeichenkombinationen werden in der Semantik interpretiert, d.h. sie werden unter dem Aspekt der Relation zwischen Zeichenform und Zeicheninhalt untersucht. Dabei geht es wesentlich um die Erkenntnis von Bedeutungstrukturen einer Sprache auf der Ebene des Wortes, des Satzes und auch des Textes. Von Wichtigkeit ist dabei die Frage nach den syntagma­tischen und paradigmatischen Bedeutungsrelationen, dem Zusam­menhang von denotativer Bedeutung und konnotativer Bedeutung, dem rhältnis von lexikalischer und aktueller Bedeutung usw.



Die linguistischen Disziplinen, die dem Aspekt der Zeichen-applikation unterzuordnen wären sind vor allem Pragmalinguistik, Psycholinguistik, und Soziolinguistik. Dabei werden die sprach­lichen Zeichen unter dem Aspekt ihrer Benutzung und rwendung durch die Sprachträger untersucht. Sprache wird dabei in ihren Beziehungen als Instrument interindividueller gesellschaftlicher Kom­munikation gesehen.



Die Pragmalinguistik erforscht die Bedingungen der rwendung und Wirkung sprachlicher Zeichen. Dabei geht es um Probleme der Sprecher-Intention und Hörer-Reaktion, um Sprecher- und Hörer-Strategien, um Information und/oder Persuasion in Sprache, um Manipulation mit Sprache, um Herrschaft durch Sprache, um den Zusammenhang von Aktion und Kommunikation.



Die Psycholinguistik untersucht die psycho-physischen Bedingungen von Sprache und Sprachgebrauch. Probleme des pri­mären (Muttersprache) und sekundären (Fremdsprache) Sprach­erwerbs (Sprach-Lerntheorien) werden ebenso behandelt wie die des Sprachverlusts (Aphasie). Darüber hinaus werden Aussagen ge­macht über die Problematik des rhältnisses von Sprache und Denken.



Die Soziolinguistik untersucht die Bedingungen verbaler Kommunikation in und zwischen ‘sozialen Gruppen’ und die damit verbundenen sozialen Implikationen. Es geht um die Problematik areal-, schichten-, gruppen-, berufs- institutions-, generations- und geschlechtsbedingten und – spezifischen Sprachverhaltens, um die Problematik sprachlicher Sozialisation und, damit verbunden, um das Problem sprachlicher Normen und Normgebung. Im weitesten Sinne handelt es sich hier um Untersuchungen zur Problematik, wie sie mit dem rhältnis von Sprache, Individuen und Gesellschaft gegeben ist.



In der Historiolinguistik werden die drei Betrachtungsweisen in gewissem Sinne vereint; sie erforscht die Entwicklung der Sprache, ausgehend von älteren Sprachstufen bis in die Gegenwart in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung (diachro­nische Betrachtung). Dabei rücken sowohl Aspekte der ränderung von Zeichenformen als auch von Zeichenbedeutungen sowie von Zeichenverwendung in den Mittelpunkt des Interesses.















1. Die Zeichenkonstitution. Die Phonologie



Die Sprache begegnet uns konkret in mündlichen oder schriftlichen Außerungen ganz verschiedener Größe, die wir Texte nennen. Die erste Aufgabe besteht in der Analyse der Grundbestandteile, also darin, Texte zu segmentieren (in kleinere Einheiten zu zerlegen). Das erfolgt stufenweise (“herabsteigend”), bis zu den kleinsten unterscheidenden sprachlichen Einheiten, den Phonemen, oder (“aufsteigend”), von den Phonemen über Morphem, Wort, Satzglied, Satz, Absatz zu dem Text.

Für didaktische Zwecke eignet sich der zweite Weg.





1.1. Phonetik



Die Phonetik ist eine Naturwissenschaft auf der Grundlage von Anatomie, Physiologie, Physik (Akustik) und Mathematik.

Ihre Aufgabe ist die materielle Analyse sprachlicher Außerungen bzw. Laute als eine der Grundlagen

a) der theoretischen Linguistik und Dialektologie und

b) für die Lösung praktischer Probleme in der Patholinguistik, Sprachdidaktik und Computerlinguistik.

Die Laute sind physikalisch wahrnehmbare, messbare Einheiten, die von Lauthervorbringung zu Lauthervorbringung sowohl bei einem identischen Sprecher als auch bei verschiedenen Sprachteilhabern einer unendlichen Vielzahl von Nuancierungen bzw. Varianten unterworfen sind.

Sie sind der wisschenschaftlichen Untersuchung unter zwei getrennt zu haltenden Aspekten zugänglich:

1) augehend von ihrer konkreten Erscheinungsform im gegebenen Sprechakt und ihrer Produktions-und Rezeptionsform; eine solche Untersuchung ist eindeutig parole-bezogen und wird im Rahmen der Phonetik unternommen.

2) wenn die Laute hinsichtlich ihrer Reduzierbarkeit auf eine endliche Anzahl von Einheiten mit dem Ziel der Beschreibung ihrer Struktur, d.h. ihrer Funktion für das Sprachsystem untersucht werden, gehört eine solche Untersuchung in den Bereich der Phonemik und ist langue-bezogen.



Während die Phonetik die Substanz der Sprachlaute erforscht, wird in der Phonemik ihre Form ergründet.



Aus dem jeweiligen Ort im Kommunikationsprozess (Sprecher – Text – Hörer) ergeben sich 3 Teilgebiete der Phonetik mit verschiedenen Aufgaben:

1) Die artikulatorische Phonetik beschreibt die Produktion der Laute, und zwar nach Artikulationsart und – ort.

2) Die akustische Phonetik beschreibt die Laute nach ihren physikalischen Eigenschaften: Dauer, Frequenz, Intensität. Sie erstellt z.B. nach dem Visible-Speech-rfahren mit Hilfe des Sonagraphen Sonagramme, ist also von aufwendigen technischen Hilfsmitteln abhängig.

3) Die auditive Phonetik untersucht die Rezeption und Analyse sprachlicher Zeichen durch Ohr, Nervenbahnen und Gehirn.



Die akustische Phonetik ist eine Disziplin, die in den Bereich der Physik hineinreicht, während die auditive Phonetik ein medizinisches Gebiet ist und im Rahmen der Hals-Nasen-Ohren-Kunde bzw. der Neurophysiologie erforscht wird.

Es wird hier nur auf die artikulatorische Phonetik eigegangen.



Die Segmentierung von Außerungen ergibt ein Lautinventar, eine Liste der Laute einer Sprache. Je genauer die Untersuchung dabei ist, je feiner die unterschiedenen Nuancen, desto länger wird diese Liste, z.B. können Laute wie /k/ oder /a/, in verschiedenen lautlichen Umgebungen und von verschiedenen Sprechern geäußert, fast beliebig viele messbar verschiedene Varianten ergeben. Eine recht grobe Liste soll als Grundlage für den nächsten Schritt, die Ermittlung von Phonemen (Lautmustern) dienen.


























Liste der deutschen Laute und ihre Schreibungen


Kurzvokale

Langvokale

Diphtonge


 Ball

 schnell, Wände

 Sinn

 offen, Ort

 um, Mutter

 Mitte

( aber)

 Hölle

 Lücke (Symbol)

: Gras, Bahn, Saal

: wen, mehr, Teer

: Bibel, ihr, Wiese

: Rose, Rohr, Moor

: Mut, Uhr

: Bär, Ahre

: Öl, Möhre

: über, kühn, (Typ)

 Mai, Seife

 grau, (Kakao)

 Heu, bläulich (Boy)

 pfui






Ein weiteres Problem besteht in der Transkription der ermittelten Laute. Da die orthographische Schreibung in den Einzelsprachen nicht streng phonetisch ist, sondern aus historischen und praktischen Gründen verschieden und inkonsequent, muss man sich einer internationalen Lautschrift bedienen, z.B. der der IPA (International Phonetic Association).



Diese Liste der deutschen Laute ergibt 17 Vokale, 4 Diphtonge und 25 Konsonanten. Eine genaue Festlegung ist aber schon aus folgenden Gründen unmöglich:

Z.B. können unbetonte Langvokale als halblange Vokale gelten (vgl. z.B. Magie, legal, Minute, tonal, zuvor, Asthet, Ökonom, Büro, Physik).

Die rhältnisse im An-, In- und Auslaut sind verschieden. So können b, d, g am Silbenende im Wort stimmlos – aber unaspiriert – werden (vgl. Abfall, endlich, wegfahren: b, d, g, = p, t, k – nicht = p‘, t‘, k‘! wie bei der Auslautverhärtung.

Fremdwörter bringen fremde Laute ein, die nur zum Teil angeglichen oder in das System eingebaut werden: a Chance,  pardon,  Parfum,  Journal,  Jeans, w, Whisky u.a.

Schwierig einzuordnen sind „Halbvokale“ wie , ,  (etwa in: Lilie, Statue, evtl. auch Qual, zwei, Etui), die zwischen i un j. bzw. u/y und v liegen.



Fehlerquellen durch die deutsche Ortohographie liegen besonders in der uneinheitlichen Bezeichnung der Dehnung (a, ah, aa, ie, etc.), in der Geltung der Buchsen v, s, ch und der „Auslautverhärtung“ von b, d, g, v, z zu p‘, t‘, k‘, f, s, (ob, und, weg, brav, lies).



Der nächste Schritt nach der Segmentierung ist die Klassifizierung der Laute.

Für die Vokale empfiehlt sich die Darstellung in sogenannten „Vokal-Drei- oder Vierecken“, die horizontal die Zungenstellung von vorn nach hinten und vertikal die Zungenhöhe andeuten, also vor allem die Qualität der Vokale, weniger die Quantität und die Lippenrundung (bei den o-, u-, ö-, ü- Lauten).

Natürlich kann das Vokalschema auch als Übersicht oder Stammbaum dargestellt werden. Die Merkmale sind dabei immer:

Zungehöhe: hoch – mittel – tief

(ihr entspricht die Mundöffnung: eng – mittel – weit)

Zungenstellung: vorn – neutral – hinten

Lippen: gerundet – ungerundet

Quantität: lang – kurz











Für die Diphthonge käme noch „Variabilität“ der ersten drei Merkmale hinzu. Während im Deutschen die Vokalquantität besonders charakteristisch ist, spielt sie etwa in den romanischen Sprachen eine geringe Rolle. Das Französische wiederum ist durch nasale Vokale gekennzeichnet (vgl.  – franc,  - cinq,  - bon,  - un), während das Rumänische den Laut /i/ hat, der Ausländern Aussprachschwierigkeiten bereitet.



Für die Konsonanten lassen sich Artikulationsart und –ort leichter angeben wie z.B. in dem nächstfolgenden Schema:




Laute

Artikulationsart




















sth

Explosive

(rschluss-




’



’





’





stl,aspir

laute)


















stl

Affrikaten (Expl. Spir.)




















sth

Spiranten




















stl

(= Reibelaute)




















sth

Nasale




















sth

Laterale Li-
















{



sth

Schwing- quide

laute




glottal (Kehle)



uvular (Zäpfchen)



velar (hinterer Gaumen) oft unzutreffend als

“guttural”zus.gefasst

palatal (vorderer Gaumen)



alveolar (postdental)



dental (Zähne)



labio-dental (Unterlippe, Zähne)



bilabial (Lippen)

Artikulationsort





(Gross, 1990: 39)





Im Deutschen gibt es sowohl stimmhafte wie stimmlose rschluss- und Reibelaute, jedoch nur stimmlose Affrikaten und nur stimmhafte Sonore (= Nasale Liquide; die Bezeichnungen Nasale und Laterale weisen übrigens auch auf den Artikulationsort: Luftstrom durch die Nase bzw. an den Zugenseiten entlang). Typisch für die deutsche Aussprache ist ferner ein „Knacklaut“ (?) am Anfang jeder vokalisch anlautenden Silbe, („er ist uralt“- ? ? ?: ’), was vielen Deutschlernern schwerfällt, die gewohnt sind, Silben und Wörter zu „binden“.

Nichtaspirierte stimmlose Explosive (p, t, k/ b, d, g – je nach Atemdruck) finden sich z.B. im Rumänischen (geschrieben p, t, c,) und im Französischen.





1.2. Phonemik



Bei der akustischen Untersuchung der Wörter



Wind, Wand, Wort, Wunde, Wende

würde man fünf sich voneinander deutlich unterscheidende, physikalisch messbare Laute w-Laute herausstellen, während die artikulatorische Phonetik für jede Erscheinungsqualität der fünf Laute voneinander abweichende Artikultationsvorgänge festellen würde. Trotz dieser deutlichen Abweichungen, werden die Hörer bei der akustischen Perzeption das allen /w/-Lauten Gemeinsame, Idelatypische herausfiltern und erkennen.

Dieses Gemeinsame, Idealtypische, kann aufgefasst werden als die Grenzen einer Norm, wobei innerhalb der Norm unterschiedliche Realisationen möglich sind. Diese Norm, die psychisch ist, diffe­renziert die Bedeutung und markiert den jeweiligen Geltungsbereich, die Bandbreite von Realisationsmöglichkeiten.

Die Norm bezeichnen wir als Phonem; die Realisationen der Phoneme sind die Phone. Phoneme sind auf der Ebene der langue, Phone auf der Ebene der parole anzusiedeln.

Die Phonemik ist die rein linguistische Disziplin, die die Laute nicht materiell, sondern funktionell (in ihrer kommunikativen Funktion) und relational, d.h. in ihren Beziehungen zueinander, also als System untersucht. Die Phonemik wurde von Trubetzkoy und anderen in den 30er Jahren begründet und basiert auf dem Begriff des Phonems.



Phoneme werden durch Segmentierung der Zeichenformen ermittelt, mit dem Ziel der Identifikation bedeutungsunterscheidender Ein­heiten.

So unterscheiden sich die Wörter:

Wind, Wand

jeweils dadurch, dass in der syntagmatischen Anordung der Laute zwei von ihnen, ein Paar, in einer ganz bestimmten Entweder-oder-Beziehung (paradigmatischen) zueinander stehen, also nicht gegeneinander austauschbar sind. Sie stehen damit im rhältnis der Opposition. Die Wörter Wind und Wand bilden ein Minimalpaar, weil sie sich durch die geringstmögliche Opposition von zwei Lauten – // und /a/ unterscheiden.



Das rhältnis der beiden bedeutungsunterscheidenden Laute zueinander ist eines der distinktiven oder phonolgischen Opposition.



Die Methode zur Ermittlung der Phoneme ist die Austauschprobe (der Kommutationstest):



Wert - Wirt – Wort

Wert bildet mit den zwei anderen Wörtern Minimalpaare, da jeweils nur eine Lauteinheit in distinktver Opposition steht.

Die Phoneme sind die kleinsten Einheiten des Sprachsystems mit bedeutungsunterscheidender Funktion.



Im Gegensatz zum Phon als einer Größe, die stets an die lautliche Substanz gebunden ist, ist das Phonem eine Abstraktion, die all das umfasst, was eine Klasse von Phonen, die bedeutungsun­ter­schei­dend (distinktiv) wirken, gemeinsam haben, also alle /k/ gegenüber allen /m/. Andersherum gesehen kann man sagen, dass das Phon die Realisation eines Phonems im konkreten Außerungsakt ist. Aus diesem Blickwinkel bezeichnet man das Phon als Allophon eines Phonems. So sind also z.B. die verschieden artikulierten [k] in “Kuss” und “küssen” Allophone des Phonems /k/.

Nach allgemeiner Konvention werden Phone in eckigen Klammern, Phoneme zwischen Schrägstrichen geschrieben.



Phoneme werden nach distinktiven phonetischen Merkmalen geordnet und definiert (siehe obenstehende Tabelle) z.B. /t/ als „stimmloser dentaler rschlusslaut“. Dass /t/ im Deutschen aspiriert ist /t‘/ spielt für das rstehen der Wortbedeutungen keine Rolle, allerdings für die reine Aussprache und somit für den Fremspra­chen­unterricht.

Die Phonemik stellt Phoneminventare für Sprachen auf und vergleicht diese kontrastiv.



Trotz aller hier betonten Unterschiede zwischen Phonetik und Phonemik soll der enge Zusammenhang zwischen beiden Disziplinen nicht vergessen werden. Aus diesem Grunde wird hier eine Skizze gegeben, die die Artikulationsorte der Laute und die Systemhaftigkeit der Phoneme gleichzeitig räumlich veranschau­lichen soll (vorn stimmhaft, hinten stimmlos; von links nach rechts: labial – dental – usw.) Dabei sind in [ ] auch Laute angeführt, die heute im Deutschen keine Phoneme sind, z.Telefon: aber in Dialekten oder anderen Sprachen oder es einmal im Deutschen waren (kx im Schweizerdeutsch,  im Bairischen,    w im Englischen,  im Französischen;  ist ein bilabiales ). – Aufschlussreich ist auch die Beobachtung, dass beim Spracherwerb die Phoneme in bestimmter Reihenfolge gelernt werden, z.B. /a/ vor /i/ vor /u/, Labiale (mama, baba, papa) vor Dentalen vor „Gutturalen“, Explosive vor Spiranten und Affrikaten.













Besonders wichtig für Ausspracheschwierigkeiten ist die Untersuchung von Phonemkombinationen (die schliesslich auch zu größeren sprachlichen Einheiten überleitet).





1.3 Suprasegmentale Merkmale



Manche lautliche Erscheinungen sind an größere Außerungs­einheiten (Silben, Wörter, Sätze) gebunden: Quantität, Sprechtempo, Rhythmus, Intonation, Ton, Akzent, Lautstärke, Stimmqualität usw. Solche Phänomene werden unter dem Begriff Suprasegmentalia zu­sam­­mengefasst, da sie sich über mehr als ein Segment er­stre­­cken.

Einige dieser Suprasegmentalia (z.B. Akzent, Dauer, Intonation, Ton) können sprachliche Funktionen wahrnehmen: Der semantische Unterschied zwischen “úmfahren” und “umfáhren” wird durch den unterschiedlichen Wortakzent ausgedrückt; schweizerdt. [d] und [t] unterscheiden sich nur in der Dauer der Plosion usw. In diesen Fällen spricht man meist von prosodischen Eigenschaften. Oft werden “prosodisch” und “suprasegmental” synonym gebraucht.

Andere suprasegmentale Eigenschaften tragen vor allem Information über bestimmte Aspekte der Kommunikationssituation. So kann der Sprecher beispielsweise durch Flüstern signalsieren, dass er die Mitteilung als vertraulich einstuft. Solche Phänome bezeichnet man als paraverbal.

Schließlich können Suprasegmentalia Hinweise auf Eigenschaften des sprechenden Individuums geben (Geschlecht, Alter, Emotionen usw.), d.h. sie haben indexikalische Funktion.



a) Der Akzent ist die (linguistisch funktionelle) Hervorhebung einer Silbe innerhalb eines Wortes. Für die phonetische Realisierung dieser Kategorie existieren verschiedene Möglichkeiten: Die akzen­tu­­ierte Silbe hat eine höhere Grundfrequenz, größere Intensität, län­ge­re Dauer, andere Klangfarbe (z.B. keine ungespannten Vokale in Akzentsilben). Jede Sprache verwendet eine andere Zusam­men­stellung dieser Parameter. Traditionell unterscheidet man den dyna­mi­schen, d.h. durch höhere Intensität erzeugten, vom melodischen, d.h. durch Erhöhung der Grundfrequenz bewirkten Akzent. Das Deu­tsche gilt als Sprache mit dynamischem Akzent und ist gekenzeichnet durch den sogenannten Wurzelakzent, d.h. den Akzent auf dem Kernlexem am Anfang des Wortes:



Árbeit, Árbeiter, árbeiten, beárbeiten, geárbeitet



Die Präfixe bleiben hierbei unbetont (mit wenigen Ausnahmen).

Im Deutschen hat der Akzent nicht nur morphologische, sondern auch syntaktische Funktion:



Vgl. Héute so, mórgen so. (mit der Bedeutung ‘jeden Tag gleich’)

Heute só, morgen só. (mit der Bedeutung ‘jeden Tag anders’).



b) Die Intonation basiert auf bestimmten Mustern des Grund­frequenzverlaufs in Außerungen, die zum Ausdruck gramma­tikalischer Kategorien dienen können. Ein bekanntes Beispiel ist die häu zu beobachtende rteilung von steigender Intonation für Fragen und fallender für Aussagen. Durch die Intonation lassen sich vielfältige Nuancen auf allen Ebenen der Kommunikation aus-drücken.



c) die Pause oder Junktur kann bedeutungsdifferenzierende Funktion sowohl auf morphologischer als auch auf syntaktischer Ebene erfüllen:



vgl. verreisen und vereisen

wo in der gesprochenen Sprache nur die eingeschaltete Pause die Unterscheidung bewirkt oder



Sie dachte er wird kommen.

wo durch die Position der Pause unterschiedliche Bedeutungen aktualisiert werden:



‘Sie / / dachte er / / wird kommen’.

‘Sie dachte / / er wird kommen’.

Auch andere suprasegmentale Merkmale wie Rhythmus, Sprech-tempo oder Lautstärke können kommunikative Aufgaben erfüllen und wichtige Informationen über den Sprecher, seine Intentionen, seine seelische rfassung, sein Temperament vermitteln.









































2. Die Zeichenkombination. Die Grammatik





2.1.Gegenstand der Grammatik



Der klassische Gegenstand der Grammatik zerfällt in die Lehre vom Wort einerseits und die Lehre vom Satz andererseits.

Grammatikforschung kann von zwei Gesichtspunkten aus betrieben werden: extensional oder intensional.

Extensional ist Sprachbetrachtung dann, wenn angestrebt wird, alle Gegenstände aufzulisten, die zur Grammatikschreibung gehören müssen, intensional ist sie, wenn sie sich zum Ziel setzt, die Grammatik zu definieren und die Merkmale zu erfassen versucht, die grammatischen Gegenständen eigen sind.



A. Extensionale Grammatikbestimmung

Bei der extensionalen Auffassung lassen sich folgende Schwer­punkte bestimmen:

a) die Lehre vom Wort

b) die Lehre vom Satz

c) die Laut-und Buchsenlehre

d) die Lehre vom Text

e) Lehre vom Wortschatz; Lexikon



a) die Lehre vom Wort in der extensionalen Grammatikschreibung bezieht sich nicht spezifisch auf die Behandlung des gesamten Wortmaterials einer Sprache – was Aufgabe der Lexikologie oder Lexikographie zu sein hat – sondern stellt in den Mittelpunkt der Betrachtung jene Wortklassen (Wortarten), die nach gram­ma­tischen Kriterien gebildet werden. Zwei Aspekte sind bei der Klassifizierung der Wortarten zu beachten:

1) die gemeinsamen formalen Eigenschaften der Wörter, die derselben Wortklasse angehören;

2) die syntaktischen Regularitäten bei der rwendung dieser Wörter.



1) Bei den formalen (morphologischen Ausprägungen) Eigen­schaften unterscheiden wir vornehmlich die Flexion, aber auch die Wortbildung und zwar als Lehre von der regulären Bildung neuer Wörter aus vorhandenem Wortmaterial. Die Lehre von den Flexionsformen und den Wortbildungsprozessen machen in dieser Auffassung den Kernbereich der Morphologie aus, die auch als Lehre vom Bau der Wörter zu bestimmen ist.

Grundbaustein der Morphologie ist das Morphem, das noch zu definieren ist.

2) in Bezug auf die syntaktischen Regularitäten bei der rwendung bestimmter formal ausgeprägten Wörter muss gesagt werden, dass dieser Forschungbereich als Teil der Lehre vom Satz oder Syntax aufgefasst werden kann; aus diesem Grunde wurde auch der Begriff Morphosyntax geprägt, der zum Ausdruck bringen soll, dass die Trennung von Wort- und Satzlehre eigentlich nicht möglich ist, weil es zwischen ihnen einen engen Form-Funktions-Zusammenhang gibt.



b) Die Lehre vom Satz

untersucht die Regeln, wonach in einer Sprache aus den Wörtern zu­sam­mengehörige Wörtgruppen (Syntagmen Phrasen oder Satzglieder), einfache Sätze und schließlich komplexe, aus mehreren Teilsätzen zusammengesetzte Sätze gebildet werden. Eine Lehre vom Satz umfasst auch verschiedenartige Typologien von Sätzen, wie die Satzbaupläne (z.B. ist im Deutschen ein Satzbau eine Sequenz wie: Subjekt Pädikat Dativobjekt Akkusativobjekt: Er gibt ihr die Blumen) oder die Satzarten (Aussage-Aufforderungs-Fragesatz).



c) In einer extensionalen Grammatikschreibung wird auch der Laut-und Buchsenlehre ein besonderer Platz eingeräumt, wobei die genaue Inventarisierung und Beschreibung der Laute oder Phoneme verfolgt, aber auch die Regeln der Lautkombinatorik formuliert werden (Phonologie). Gleichfalls gehören die supra­segmentalen Phänomene, die die lautliche Ebene der Phoneme überlagern, in die Lautlehre. Die Graphematik, als Lehre die sich mit den einzelnen Schriftzeichen, den Graphemen beschäftigt, wird auch der Laut-und Buchsenlehre in dieser Auffassung zugeordnet.



d) Die Begründung der Lehre vom Text, die neueren Datums ist, liegt in der Beobachtung, dass es Phänomene innerhalb der Sätze gibt, die mit bloßem Blick auf den Einzelsatz nicht oder nur unzureichend erfasst werden können. Deshalb wird besonders in der jüngeren Linguistik der Standpunkt vertreten, dass die Grammatik über die Satzgrenze hinausgreifen und die Texte als umfangreichere sprachliche Gebilde analysieren sollte. Aus dieser Sicht ist es, besonders im Hinblick auf die Funktion von rweiselementen und rknüpfungselementen (Pronomina, Pronominaladverbien usw.), sinnvoll, textgrammatische oder textsyntaktische Regeln zu formu­lieren, die der Konstitution von Texten Rechnung zu tragen haben.



e) Die Lehre vom Wortschatz oder Lexikon

Besonders unter dem Einfluss der generativen Grammatik-forschung, die den Anspruch erhebt, sämtliche Ausdrücke einer Sprache umfassend zu beschreiben, wird auch die Erforschung und Erschließung des Wortschatzes der Grammatik integriert. Eine solche theoretische Ausrichtung wird sowohl das Lexikon als Inventar sämtlicher Wörter einer Sprache mit all ihren Eigenschaften, als auch die Regeln der Wortbildung der Grammatik unterordnen. Im Rahmen der Linguistik hat sich, besonders in den letzten zwanzig Jahren, eine wissenschafltiche Disziplin eliert: die Lexikologie. Sie begreift sich als jene linguistische Teildisziplin, die eine umfassende Lehre vom Wort, seiner Form-und Bedeutungseite, den Eigenschaften der syntaktischen rwendbarkeit einschließt. Die Lexikologie als integrale Wortbildunglehre umfasst sowohl die Morphologie des Wortes (die Zusammenstellung der Zeichenform/ Ausdrucksform, des signifiant) als auch die lexikalische Semantik (die Zeichenbedeutung/Inhaltsform, das signifié).



B. Intensionale Grammatikbestimmung

In der intensionalen Grammatikbestimmung wird der rsuch gemacht, festzulegen, welches die spezifischen Merkmale grammatischer Forschungsgegenstände sind.

Die Beschreibung der Ausdrucksseite, der signifiant-Seite oder formalen Seite sprachlicher Ausdrücke wurde seit jeher als wichtigstes Aufgabengebiet der grammatischen Forschung be-trachtet; Sprache wurde dabei als ein System von minimalen Ein­heiten aufgefasst, die sich regelhaft kombinieren lassen, um größere, komplexere Einheiten zu bilden. Die Ergründung der Bedeutungseite der Sprache (Semantik) sowie die Bedingungen der rwendung sprachlicher Ausdrücke in der sprachlichen Kommu­nikation (Pragmatik) wurden zumeist in der traditionellen Grammatikschreibung ausgeblendet.

Die jüngeren theoretischen Richtungen in der Grammatik unter-nehmen den rsuch, diese im Grunde genommen, eng mit-einander verbundenen und sich gegenseitig bedingenden Ebenen der Form, der Bedeutung und der rwendungsmöglichkeiten in ein grammatisches Gesamtkonzept zu integrieren. In der Regel liegt diesen Unternehmungen ein erweiterter Grammatikbegriff zugrunde, wobei zwei Richtungen beobachtet werden können:



a) Zum einen die Auffassung, dass Grammatik alles umfassen muss, was sich über irgendwelche sprachliche Ausdrücke kontextfrei sagen lässt (über Form und Inhalt), unabhängig von den Bedingungen (der Situation) in der der sprachliche Ausdruck verwendet wird. In diesem Sinne sprechen wir von System­linguistik, die als Gegenbegriff zur Pragmatik (die gerade die kontextuelle rwendung sprachlicher Ausdrücke erforscht), betrachtet werden muss.



b) Die zweite bedeutende Richtung, die die pragmatische Seite verstärkt berücksichtigt, versteht Sprache als Sprache in Funk­tion, als wichtigstes Kommunikationsmittel für den Menschen. Für die rtreter dieser Richtung ist die Sprache ein in der zwischenmenschlichen Kommunikation entstandenes und gewachsenes System, dessen Kategorien und Regeln von dieser Ebene der Kommunikation her beschrieben, so weit als möglich auch fundiert und erklärt werden müsse. Denn – so wird argumentiert – die Aufgabe einer Grammatik besteht nicht nur darin, die formalen Regeln des Aufbaus sprachlicher Ausdrücke festzulegen, sondern auch die semantischen und pragmatischen Regeln des Gebrauchs solcher Ausdrücke zu bieten. Die funktionalen Grammatiken sind dieser Richtung zuzuordnen.







2.2. Die Typen von Grammatikbeschreibungen. Klassifizierung.



Die Klassifizierung der wichtigsten Grammatiken kann nur unter Einbeziehung unterschiedlicher Kriterien erfolgen, die die Typologien, - neben den sprachtheoretischen Grundsatzentschei­dun­gen – bestimmen:



1) Nach dem inneren Aufbau kann zwischen aszendenten und deszenten Vorgehensweisen eine Unterscheidung getroffen werden.

a) Aszendente Grammatiken beginnen die Beschreibung mit den Lauten, über die Wörter zum Satz und dem Text;

b) Deszendente gehen vom größeren Sprachgebilde aus, dem Text, und beschreiben die sprachlichen Erscheinungen bis hinab zu den Lauten;



2) Nach dem Vollständigkeitsanspruch unterscheidet man zwi­schen:

a) Grammatiken, die einen umfassenden Überblick über das grammatische System einer Sprache anstreben und solche,

b) die einen exemplarischen Ausschnitt aus der Sprache näher ergründen;



3) Nach der Zweckbestimmung kann von

a) Problemgrammatiken oder wissenschaftlichen Gram­ma­­tiken gesprochen werden, die zu ausgewählten Fragen umfangreiche wissenschaftliche Diskussionen aufrollen und

b) Resultatsgrammatiken, in denen nicht die theoretische Kontroverse im Mittelpunkt gerückt wird, sondern in denen die Hilfestellung für punktuelle sprachliche Probleme angeboten wird;



4) Die Einstellung zum Gegenstand begründet die Differenzierung in:

a) deskriptive Grammatiken, die die Möglichkeiten und Grenzen eines Sprachsystems aufzeigen und

b) präskriptiv-normativen Grammatiken, die Normen und Regeln für den Sprachgebrauch als mögliche Alternativen bewerten, mit der Absicht, überregional eine einheitliche Standardsprache zu elieren.



5) Nach dem Gegenstand selbst kann danach unterschieden werden, ob eine Grammatik

a) ein bestimmtes Sprachsystem,

b) zwei oder mehrere Sprachsysteme im rgleich (kontrastiv) beschreibt oder

c) den Anspruch erhebt, die Universalien menschlicher Spra­che zu erforschen, d.h. die Gemeinsamkeiten auszuar­beiten, die allen Sprachen eigen sind: das sind allgemeine oder universelle Grammatiken.





2.1 Die Lehre vom Wort. Morphologie.





2.1.1 Grundsätzliches. Das Morphem



Der Begriff Morphem wurde mehrfach unreflektiert gebraucht, ohne näher bestimmt zu werden. Das soll jetzt nachgeholt werden. Der Begriff stammt aus dem amerikanischen Strukturalismus.

Wörter bestehen aus Morphemen, den kleinsten Einheiten der Sprache mit bedeutungstragender Funktion, die nicht in kleinere zerlegt werden können.

Eine andere mögliche Definition wäre: Morpheme sind minimale Phonem-Sequenzen mit einer Bedeutung oder einer Funktion. Sie sind die minimalen Zeichen im Saussureschen Sinne des bilateralen Zeichens.

Morpheme sind der Gegenstand der Morphemik. Die Aufgaben dieser Disziplin sind vor allem:

· Die Erarbeitung der Morphemdefinition und – klassifikation

· Die Ermittlung des Morpheminventars einer Sprache

· Die Untersuchung der Morphemstruktur von Wörtern.



Als Methoden zur Ermittlung der Morpheme dienen die Segmentierung und Gegenüberstellung von Minimalpaaren:



Fall auf-fall-en

Fall-e fäll-ig

fall-en Un-fall-wagen

Die Morpheme lassen sich nach ihrer Selbständigkeit in 2 Gruppen einteilen:

1. Freie Morpheme (= Lexeme; sie können als selbständige Wortformen auftreten)

a) lexikalische Morpheme (=Grund-/Basis-/Wurzel-/Kernmorpheme) (mit eigener Referenz auf Außersprachliches: grau, Haus)

b) deiktische Morpheme (mit mittelbarer Referenz: dein, dies, darauf).



2 Gebundene Morpheme (unselbständig; mit kategorialer Bedeutung)

a) Flexionsmorpheme (= Flexeme: dein-e, wag-t-en, alt-er)

b) Wortbildungsmorpheme (= Derivateme: er-fahren, Ein-ge-ständ-nis).



Die lexikalischen Morpheme bilden eine offene, die übrigen geschlossene Klassen; die freien Morpheme werden uns noch in der Semantik, die gebundenen bei der Flexion und Wortbildung beschäftigen.

Die Bezeichnung der freien Morpheme als „Lexeme“ und ihre Unterteilung beruhen übrigens nicht auf formalen, sondern auf semantischen Kriterien und liegen damit methodisch auf einer anderen Ebene.



Viele Morpheme sind – isoliert betrachtet – mehrdeutig, z.B.:



Reif: a) ‘Ring’ Bank: a) ‘Sitzmöbel’

b) ‘gefrorener Tau’ b) ‘Geldinstitut’

Es handelt sich also nur um gleiche Lautfolgen – sogenannte Morphe -, jedoch um verschiedene Morpheme.

Das gilt auch für gebundene Morpheme. Ein im Deutschen sehr häues gebundenen Morphem ist “-er”.

Das gebundene Morphem –er ist in:



Bruder – bedeutungslose Phonemfolge:

neu-er : Deklinationsmorphem

ein neu-er-er: Deklinationsmorphem Komparationsmorphem

Kind-er: Pluralmorphem

Arbeit-er- : Wortbildungsmorphem

Als Wortbildungsmorphem dient es semantisch der Bezeichnung von Personen und Berufen (Spani-er, Arbeit-er) sowie Werkzeugen u. dgl. (Loch-er, rgas-er).

Wir sagen, „-er“ ist ein Morph, das bedeutungsmäßig zu verschiedenen Morphemen gehört:





Morphem1 (ein) neu-er -/MaskNom/Sing

Morph Morphem2 -er Kind-er /Pl/

Morphem3 Spring-er Personenbezeichnung



Umgekehrt können verschiedene Morphe bedeutungsmäßig zu einem Morphem gehören, wir sprechen dann von Allomorphemen:



Morph 1 =Allomorph 1 Lehrer-Ø

Morph 2 =Allomorph 2 Tag-e

Morph 3 =Allomorph 3 Morphem Kind-er Plural

Morph 4 =Allomorph 4 Bett-en

Morph 5 =Allomorph 5 Auto-s



Alle Pluraltypen der Substantive im Deutschen bilden die Allomorphe eines Pluralmorphems.

Beim Plural und anderen Kategorien treten Allomorphe auf, die aus Umlaut Endung bestehen, also aus getrennten Teilen (Haus – Häuser). Eine ähnliche Erscheinung stellt das Partizip II dar, das aus ge- -t gebildet wird (sag – ge-sag-t). Man spricht hier von diskontinuierlichen Morphemen.

Ein vergleichbares Phänomen – diskontinuierliche Konstituenten – tritt auch in der Syntax auf.



Morpheme bilden – alleine oder kombiniert – die Wörter der Sprache. Diese werden phonetisch und semantisch als Einheiten erkannt, auch wenn die meisten veränderbar sind.

Bei komplexen Wörtern kann die Morphemstruktur mit Hilfe der Weglassprobe (des Eliminierungstests) ermittelt und hierarchisiert werden:



Unanständigkeit Unanständigkeit

unanständig

(Anständigkeit) unanständig -keit

anständig

Anstand un- anständig

Stand

Anstand -ig



An- stand



Für den ersten Schritt des „Eliminierens“ gibt es bei diesen Beispielen also zwei Möglichkeiten, von denen die primäre nur historisch nachgewiesen werden könnte, synchronisch gelten sie als gleichberechtigt.

Diese Art der Analyse leitet schon zur Wortbildung und die Methode auch zur Syntax (Ermittlung der Satzstruktur) über.






2.1.2. Die Wortarten und ihre Klassifizierung



Die Wörter sind zwar akustisch-semantische Einheiten, sie sind jedoch nach Bedeutung und Funktion keineswegs einheitlich. Der rsuch, sie zu klassifizieren, ist sehr alt und hat zu immer neuen Einteilungen geführt, je nachdem welche Kriterien dabei in den Vordergrund gerückt werden. Dabei sind so viele neue Termini eingeführt worden, dass selbst Fachleute oft verwirrt werden.

Für die deutsche Grammatik bleiben die 10 Wortarten der traditionellen Grammatik mit ihren lateinischen Termini bis zur Mitte unseres Jahrhunderts unangefochten. Nur für die unteren Schulklassen wurden (und werden) auch deutsche Bezeichnungen verwendet.

Die herkömmliche – traditionelle – Grammatik gliedert den Gesambestand des Wortschatzes, die Wörter einer Sprache, in Wort­­arten. Die Aufgliederung erfolgt dabei unter ganz unter­schiedlichen Kriterien, so z.B.

· Unter dem Aspekt der Bedeutung: „Die Welt der Dinge findet ihren sprachlichen Niederschlag in den „Dingwörtern“ (den Substantiven): die Kennzeichnung von Eigenschaften, Merkma­len und Urteilen übernehmen die „Eigenschaftswörter“ (die Adjektive); Tätigkeiten und Vorgänge werden durch die „Tätig­keitswörter“ (rben) ausgedrückt…“ (Jung, 1968: 170).

· Unter dem Aspekt der Form: Deklinierbare (Substantive und Adjektive) und flektierbare (rben) Wörter werden undeklinier­baren (z.B. Adverbien, Präpositionen) gegenübergestellt.

· Unter dem Aspekt der Funktion: So wird z.B. vom Adverb ge­sagt, dass es „rben, Adjektive, Partizipien und übergeordnete Adverbien näher bestimmt” (Jung, 1968: 315).



Es handelt sich also keineswegs um eine systematische Klassi­fikation, sondern vielmehr um eine intuitive Aufgliederung des Wortschatzes.




A. Flektierbare Wortarten

Für die deutsche Sprache werden herkömmlicherweise neun oder zehn Wortarten benannt, die zu größeren Gruppen zusammen­gefasst werden können:

1. rben (z.B. gehen, arbeiten, sich erinnern auffordern)

2. Substantive, auch Nomen genannt (z.B. Haus, Heft, Überzeu­gung, Heimkehr, Hass)

3. Adjektive (z.B. klein, schön, gut, böse)



Begleiter und Stellvertreter des Substantivs

4. Artikel (z.B. der, die, das, ein)

5. Pronomen (z.B. er, sie, es)

6. Numerale oder Zahlwörter (zwei, drei, mehrere, hundert)



Den bisher genannten Wortarten ist gemeinsam, dass sie flektierbar, veränderbar sind. Die Flexion beim rb wird als Konjugation, bei den übrigen genannten flektierbaren Wortarten als Deklination bezeichnet.



B Unflektierbare Wortarten

Den flektierbaren Wortarten werden die unflektierbaren gegenüber­gestellt:

Partikeln

7. Adverbien (z.B. bald, sehr, gern, dort)

8. Präpositionen (z.B. in, auf, vor, hinter)

9. Konjunktionen (z.B. und, daher, weil, dass)

10. Interjektionen oder Ausrufe (z.B. oh, pfui, au)



Die Interjektionen stellen keine Wortart im eigentlichen Sinne dar.

Die Heterogenität der Gliederungskriterien des Wortschatzes bringt es mit sich, dass Abgrenzungen der einzelnen Wortarten im kon­kreten Fall schwierig bzw. problematisch sind, so z.B. zwischen Adjektiv und Adverb, oder bei dem Numerale, das sehr wohl als Mengenadjektiv (z.B. zwanzig Seiten) oder als Substantiv (ein Viertel, Hunderte von Seiten) auftreten kann.

Darüber hinaus ist auf den Wortartenwechsel hinzuweisen, d.h. die Möglichkeit, dass z.B. ein Adjektiv oder rb substantiviert wird (das Gute, das Schöne bzw. das Schreiben, das Lesen) bzw. ein Sub­stantiv zum Adjektiv wird (der Ernst, es wird ernst).



Folgende Tabelle vermerkt die Unterschiede in den Klassi­fizerungsvorschlägen:




Einige Wortartensysteme im Deutschen


Tradit. Schulgram

glinz 56

erben

schmidt

glinz 71


rb -Tuwort

Zeitwort

Aussage.

Zeitwort

rb


Substantiv - Hauptwort

Namenw

Nennwort

Dingwort

Nomen


Adjektiv - Eigenschaftsw.

Artwort

char. Beiw.

Eingenschw.

Adjektiv


Artikel – Geschlechtsw.

Anzeige-wort

größen-

bezog.

Stellvertr.

Pro-


Pronomen - Fürwort

(Beglei-ter

Formwort

u. Begleiter

no-


Numerale – Zahlwort

u. Stellv.)

--------------

---------------

men


Adverb – Umstandsw.

Lage-

wort

--------------

Fü-

Par-


Präposition - rhältnisw.

(Par-

Füge-

ge-

ti-


Konjunktion - Bindew.





tikel)

wort

wort

kel


Interjektion – Ausrufew.

Ausru-

fewort.

--------------

Ausdrucksw.

----------


(Gross, 1990: 51)



Es zeigt sich, dass die Neuerungen nicht den Bereich der drei Hauptwortarten betreffen, sondern vor allem die Zusammenfassung der kleinen Strukturwörter zu Gruppen und die Aufgabe der Wortart Numerale (z.Telefon: auch Adverb und Interjektion).

Die Neuklassifizierung von Glinz 71 schließlich verdeutlicht, dass er – wie andere auch – wieder zu den lateinischen Termini zurück­gekehrt ist. Diese suggerieren keine zu speziellen Bedeutungen, sie sind aber jeder Generation geläu und vor allem international verständlich, weshalb auch nur sie für den Fremdsprachenunterricht geeignet sind.



Die rschiedenheit der Einteilungen beruht darauf, dass nach verschiedenen Kriterien klassifiziert werden kann. Nach morpholo­gischen Kriterien ergeben sich zwei große Gruppen: die flektier­baren (deklinierbare und konjugierbare) und die unflektierbaren Wortarten. Zur weiteren Differenzierung kann man syntaktische und semantische Kriterien benutzen. Als Beispiel für solch eine Klassifizierung wird hier die Duden-Grammatik ( Aufl.) angeführt, vgl. die nächstfolgende Tabelle.


Wortartenklassifizierung in der DUDEN-Grammatik (51995)




Merkmale


Wortart

Morpholog

Syntaktisch

Semantisch/

Pragmatisch


Flektierbare:


rb

Konjugation

Funktion: v.a.Prädikat

Distribution: in Kongru-enz mit dem Subjekt (Personalform)

Zustände, Vorgänge, Tätigkeiten, Handlungen


Substantiv

Deklination

Funktion: Subjekt, Ob-jekt, adverbiale Bestim-mung, Attribut

Distribution: mit Artikel

Lebewesen, Sachen, (Dinge), Begriffe (Abstrakta)


Adjektiv

Deklination

Komparation

Funktion: Attribut, adverbiale Bestimmung

Distribution: mit Sub-stantiv bzw. rb

Eigenschaften, Merkmale


Artikel, Pronomen

Deklination

Funktion: Attribut oder Substantivstellvertreter (mit ensprechender Funktion)

Distribution: mit oder an Stelle eines Substantivs

rweis,

nähere Bestimmung


Unflektierbare:


Adverb







Partikel









Präposition







Konjunktion



Funktion: Attribut oder

Umstandsangabe

Distribution: mit Sub-stantiv, Adjektiv, rb

Funktion: Satzgliedteil/

Attribut

Distribution: v.a. bei Hauptwortarten oder syntaktisch isoliert

Funktion: Präpositionalkasus

Distribution: vor Sub-stantiven (Pronomen)

Funktion: rbindung,

Einteilung, Unterordnung

Distribution: zwischen Sätzen, innerhalb von Satzgliedern und Attributen

nähere Umstände







Sprecherein-stellung, -bewertung







rhältnisse,

Beziehungen





rknüpfung im logischen, zeitli-chen, begründenen, modalen

u.ä. Sinn


(Duden5, 1995: 88)

Diese Tabelle lässt gut erkennen, wie die Kriterien von der relativ exakt beschreibbaren Morphologie über die Syntax zur ungleich komplizierteren Semantik hin immer problematischer werden. Als syntaktische Kriterien gelten die Funktion und die Distribution, die semantischen und pragmatischen Merkmale werden zusammen genommen und bleiben zweifellos durchweg schwammig. Die Interjektion verschwindet als Bezeichnung ganz aus der Bestands­aufnahme, dafür wird im rgleich zur dritten Auflage des Dudens (1973) die Partikel eingeführt und kommunikativ-pragmatisch be­stimmt.





Der Artikel wird hierbei weggelassen. Im Übrigen erscheint jede Klassifizierung angreifbar und als nur eine von vielen möglichen Lösungen.

Den konsequentesten Weg haben die amerikanischen Struktura­listen beschritten (Bloomfield, Harris, Fries u.a.), indem sie als einheitliches Kriterium nur die Distribution zuließen, d.h. die syn­tag­matische Umgebung und die paradigmatische Substitution (Ersetz­barkeit) der Wörter.

Dabei lässt sich z.B. zeigen, dass manche Pronomen die gleiche Funk­tion wie Artikel haben, andere (auch Adverbien) nicht Stellver­treter des Substantivs, sondern ganzer Nominal-und Präpositionalgruppen sind, und dass schließlich infinite rbgruppen eine Sonderstellung einnehmen, vgl.:






Der

alte

Mann

sitzt



auf

der

Bank,




und

vie-le



Kinder

spie-len


Im

Park,




aber

wir

müs-sen

nun

heim

(ge-hen),


denn

un-ser



Be-such
Ist

eben

aus



Köln

ange-kom-men.









2.1.2.1. Flexion



Bei der Wortartenklassifizierung diente als morphologisches Krite­rium hauptsächlich die Flexion. Sie ist eine typologisches Kenn­zeichen der indoeuropäischen Sprachen und im Deutschen noch relativ stark erhalten.

Unter Flexion versteht man die formale Abänderung („Beu-gung“) der Wörter zum Ausdruck grammatischer Kategorien.



Die deutsche Flexion hat drei Hauptgruppen, die Konjugation der r­ben, die Deklination der „Nomen“ und die Komparation der Adjek­tive.




1. Konjugation der rben


Person - 3 Personen: 1., 2., 3. Person

Numerus (Zahl) - 2 Numeri: Singular, Plural

Tempus (Zeit) - 6 Tempora: Präs., Prät., Perf., Plusqu.,

Fut.I, II

Modus (Aussageweise) - 3 Modi:Indikativ, Konjunktiv, Imperativ

Genus verbi (Handlungsrichtung) - 2 Genera: Aktiv, Passiv




2. Deklination der Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomen


Genus (Geschlecht) - 3 Genera: maskulinum, femininum, neutrum

Kasus (Fall) - 4 Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusat.

Numerus (Zahl) - 2 Numeri: Singular, Plural


3. Komparation der Adjektive (und mancher Adverbien)


Positiv (Grundstufe)

Komparativ (rgleichs-, Höherstufe)

Superlativ (Höchststufe)




Im Zusammenhang mit der Felxion können hier nur einige Hauptpro­bleme herausgegriffen und besprochen werden. So z.B. soll darauf hingewiesen werden, dass die verbalen Kate­gorien Tempus, Modus und Genus verbi besonders im DaF-Unterricht erhebliche Schwie­rigkeiten bereiten, da sie nicht nur gram­ma­tische, sondern auch pragmatische Bedeutungen haben.

Zu den Tempora
Traditionelll wird den Tempora die Bedeutung von Zeitstufen zuge­ordnet, daneben manchmal auch die Kategorien der Abge­schlossen­heit eines Prozesses.







Unabgeschlossen

Abgeschlossen

Zeitstufe




Präsens



- Gegenwart




Präteritum

Perfekt, Plusquamperfekt

- rgangenheit




Futur I

Futur II

- Zukunft































rgleicht man aber die Beispiele in der folgenden Tabelle:






Bed.

Tempus

ZUKUNFT

GEGEN-WART

VERGAN.

ALLG.

(zeitlos)

BEFEHL


Päsens

Morgen reist Tante Ilse ab.

Es klingelt.

Da treffe ich gestern Olaf. (HIST: PRAS)

2x4 ist 8.

Rauchst du?

Du hältst den Mund!


Fut I

Sie wird bald abreisen.

( HYPOTH:)

Er wird jetzt (wohl) essen.

(HYPO-

THET.)



Ein Idealist wird das nie zugeben.

Du wirst

den Mund

halten!


Prät.

Was gab‘s noch morgen in der Oper

(SUBJ.

PRAT.)

Wer bekam hier das Bier?

(SUBJ.

PRAT.)

Gestern traf ich Olaf.






Perf.

Das hab ich bald erledigt.



Vorhin hab ich ihn getroffen.

Ein Un-

glück ist

gesche-

hen.




Fut. II

Das werde ich bald erledigt haben.



Er wird (wohl) gelogen haben.

(HYPO-THET.)






Plusqu.





Davor hatte er mich gesehen.








so können aufgrund dieser – keineswegs vollständigen – Tabelle über die Tempusbedeutungen folgende Aussagen gemacht werden:



· Abgesehen vom Plusquamperfekt sind alle Tempora polyfunk­tional (erfüllen sie mehrere Funktionen).

· Welches Tempus für welche Zeitstufe am meisten gebraucht wird, muss die Statistik ergeben, etwa für die Zukunft: Präsens vor Futur I, für die Gegenwart: Präsens, für die rgangenheit: Perfekt vor Präteritum, zumindest in der gesprochenen Sprache.

· Die nichtzeitlichen Kategorien zeigen, dass die Sprecher flektie­render Sprachen in einem gewissen „Zwang“ stehen, formale Ka­tegorien zu verwenden.

· Ist die Bedeutung „Hypothetisch“ (Ausdruck der rmutung) eine zeitliche Kategorie?

Das Nebeneinander von Perfekt und Präteritum schließlich ist im Deutschen ein so komplexes Thema (es betrifft die Sprachge­schichte, Dialekte, Medium, Stil usw.), dass es hier nicht erörtert wer­den. (Gross, 1990: 56)





2.1.2.2. Zum Konjunktiv





Beim Konjunktiv I und II herrscht hinsichtlich der Form und der rwendung selbst bei manchen deutschen Sprechern Unsicherheit. Die Erklärungen in den Grammatiken tradieren oft eine veraltete Norm und sind häu mehr an spitzfindiger Logik orientiert als an der Sprachwirklichkeit. Z.B.

1) Er sagte: „Ich bin nicht benachrichtigt worden.“ IND.

2) Er sagte, er sei nicht benachrichtigt worden. KONJ. I

3) Er sagte, er wäre nicht benachrichtigt worden. KONJ. II

4) Sie haben (Er hat) es nicht gewusst. IND.

5) Sie sagten, sie haben (er habe) es nicht gewusst. KONJ. I

6) Sie sagten, sie hätten (er hätte) es nicht gewusst. KONJ. II

7) Sie werden (Er wird) damit nicht fertig. IND.

8) Sie sagten, sie werden (er werde) damit nicht fertig. KONJ: I

9) Sie sagten, sie würden (er würde) damit nicht fertig. KONJ. II

10) Er sagte, er ist nicht benachrichtigt worden. IND.



Der Unterschied zwischen (2) und (3) ist kein semantischer. Beide zeigen die indirekte Rede im rgleich zur direkten (1). Das Nebeneinander von (2) und (3) erklärt sich aus dem Gesamtsystem der Konjugation in der Sprachgeschichte: Heute fällt der Konj. I in einigen Fällen formal mit dem Indikativ zusammen (sie haben, werden) – vgl. (4) und (5) sowie (7) und (8). Um die Form eindeutiger zu machen, wird dort eher der Konj. II benutzt – vgl. (6) und (9). Schließlich wird der Konj. II auch auf die anderen Personalformen übertragen, um das System zu vereinheitlichen, wobei aber die Konj. I-Formen weiter benutzt werden. Übrigens werden Konj. I und II für die indirekte Rede heute in der Um­gangssprache durch den Indikativ verdrängt, und man hört meist Außerungen wie (10).

Der Konjunktiv dient nicht nur zum Ausdruck der indirekten Rede, sondern auch zum Ausdruck von Wunsch, Befehl, Aufforderung, Skepsis, Zweifel und vor allem Irrealität (konditional und rgleich: wenn, als, ob).



Die deutschen Bezeichnungen „Wirklichkeits-„ und „Möglich­keitsform“ (oder gar „Höflichkeitsform“) für Indikativ und Konjunktiv sind eher irreführend und sollten höchstens zum Ausdruck gewisser semantisch-pragmatischer Funktionen verwendet werden.





2.1.3. Die Wortbildung



In dem Abschnitt zur Morphemik wurde gesagt, dass aus Mor-phemen Wörter gebildet werden, dass es komplexe Wörter gibt und dass Wörter akustisch-graphische und semantisch-funktionale Einheiten der Sprache sind.

Wie entstehen Wörter? Die Sprachgeschichte lässt sich nicht so weit zurükverfolgen, um die Entstehung eines „Stammwortschatzes“ zu erklären, darüber gibt es nur einige Hypothesen. Nur selten kann man neue, sogenannte Wortschöpfungen beobachten, z.B. als Laut­malerei. Aber wir erleben ständig, wie aus Stammwörtern neue Wörter gebildet werden. Diese Erscheinung heißt Wortbildung. Ihre Typen und Muster, vor allem die (heute noch) produktiven, unter­sucht die Wortbildungslehre. Sie ist ein Teil der Grammatik und ge­hört zur Morphologie, teilweise aber auch zur Syntax.

Wenn Morpheme zusammentreten und dadurch neue Wörter ent­stehen, so sind hierbei grundsätzlich zwei Strukturtypen zu unter­schei­den:

1. Lexeme, d.h. frei auftretende Morpheme, werden miteinander kombiniert z.B.:



Fenster-brett

Magister– arbeit

feuer- fest

Dieser Strukturtyp wird hierbei als Zusammensetzung oder Kompo­sition bezeichnet, das entstandene neue Wort wird Zusammen­setzung oder Kompositum (Plur. Komposita) genannt.



2. Lexeme werden mit gebundenen Wortbildungsmorphemen kom­bi­niert .

Hier ist nun zu differenzieren zwischen zwei Funktionsklassen von Morphemen:

· Wenn durch die rbindung eines Lexems mit einem oder meh­re­ren Morphemen ein neues Wort entsteht, z.B.



Wahr – heit

Miss– erfolg

folg-sam

Spring – er

so handelt es sich bei diesen Morphemen um lexikalische Morphe­me, die uns hier unter dem Aspekt der Wortbildung interessieren.



Der Strukturtyp, der durch die Kombination eines Lexems mit einem oder mehreren lexikalischen Morphemen gegeben ist, wird als Ablei­tung oder Derivation bezeichnet, das entsprechende neu entstan­de­ne Wort wird Ableitung oder Derivat genannt.



· Wenn dagegen durch die rbindung eines Lexems mit einem oder mehreren Morphemen kein neues Wort, sondern vielmehr eine neue Form eines Wortes entsteht z.B.



spiel-en - er spiel-te

Dummheit - Dummheit-en

Haus - Häus-er,

so handelt es sich bei diesen Morphemen um grammatische Mor­phe­me, die grammatische Kategorien anzeigen und im Zusammen­hang mit der Morphematik besprochen wurden.





2.1.3.1. Zusammensetzung – Komposition



A Paradigmatische Strukturen

Ein typisches Kennzeichen der deutschen Sprache besteht in der Möglichkeit Lexeme zu Morphem-Gefügen zu kombinieren und so Komposita zu bilden, die erheblichen Umfang haben können z.B.



Donaudampfschifffahrtsgesellschaft

Kernkraftwerkerrichtungsgenehmigung

Wenn diese Beispiele auch als Extremfälle angesehen werden müssen, so handelt es sich bei der Komposition doch um eines der produktivsten Wortbildungsmuster der deutschen Gegenwartsspra­che, bei dem eine Vielzahl von Wortarten, so z.B. Substantiv, Adjek­tiv, rb, Numerale, Adverb und Pronomen vielfältig kombinierbar sind. Z.B.:



Haus – tür acht- zehn

haus- hoch himmel – blau

haus – halten fort – gefahren

jeder – zeit

usw.

Exemplarisch für die Zusammensetzung soll an dieser Stelle die Kom­po­sition beim Substantiv und Adjektiv erwähnt werden.

Es sind sowohl reine Substantivkompositionen vom Typ ‘Haus-tür‘ wie Substantiv Adjektiv-Komposita ‚haus-hoch‘ bzw. ‚Hoch-haus‘ wie auch reine Adjektivkonstruktionen ‚hell-blau‘ möglich. Darüber hinaus sind z.B. auch Substantivkomposita mit einem verbalen (‚Trinkwasser‘) oder einem präpositionalen Kompositionsglied (‚Vorfreude‘) zu beobachten, was die hohe Variabilität dieses Wort­bil­dungsmusters schon an dem hier beobachteten Ausschnitt de­monstriert.



B Syntagmatische Relationen

In Kompositionen wie:



Fenster-brett; Wohn-zimmer; Woll-pullover; Schafs-käse; Suppen-topf; glas-klar; dunkel-blau usw.

wird das zweite Kompositionsglied (Grundwort) durch das erste nä­her bestimmt, determiniert. Deshalb werden Zusammensetzungen dieses Typs als Determinativkomposita bezeichnet.

Beim Determinativkompositum richtet sich die Zugehörigkeit zur be­treffenden Wortart und zum Genus nach dem zweiten Komposi­tionsglied:

Fenster-brett Substantiv, Neutrum

glas-klar Adjektiv

Suppen-topf Substantiv, Maskulinum

Woll-pullover Substantiv, Maskulinum

Bei den Determinativkomposita ist nun aber darauf hinzuweisen, dass dieser Wortbildungstyp, in syntagmatischer Hinsicht, ganz unterschiedliche semantische Relationen repräsentieren kann:

So ist :



ein Fenster-brett - ein Brett am Fenster

ein Wohn-zimmer - ein Zimmer zum Wohnen

ein Woll-pullover - ein Pullover aus Wolle

ein Suppen-topf - ein Topf, in dem Suppe gekocht wird

Schafs-käse - Käse, der aus Schafsmilch zubereitet wird

Husten-bonbons - Bonbons gegen Husten

glas-klar - bedeutet: klar wie Glas

dunkel – blau - bedeutet: ein dunkles Blau

Die Tatsache, dass ein und dieselbe Struktur sehr stark differierende se­­mantische bzw. logische rhältnisse ausdrücken kann, hat z.B. für die rmittlung des Deutschen als Fremdsprache ganz erheb­liche didaktische und methodische Implikationen.

Von den Determinativkomposita abzuheben sind die seltenen und dementsprechend unwichtigen Kopulativkomposita, bei denen sich die beiden Kompositionsglieder nicht im rhältnis der Determination befinden, sondern gleichberechtigt, additiv zur Bedeutung der Zu­sam­mensetzung beitragen und damit im rhältnis der Koordination stehen, z.B.



taub-stumm - taub stumm

Königin-mutter - Königin Mutter

Eine spezielle Form der Zusammensetzung stellt die Zusammen­rückung dar, deren präzise Abgrenzung von der Komposition proble­matisch bzw. umstritten ist und am ehesten und sichersten für spon­tan gebildete Kombinationen zu leisten ist wie z.B.



Ohne-mich-Standpunkt

Jetzt-oder-nie-Mentalität

usw.





2.1.3.2. Ableitung – Derivation



Im Gegensatz zur Komposition besteht der als Ableitung oder Deri­vation bezeichnete Wortbildungstyp aus einem Lexem und ei­nem/

mehreren lexikalischen Morphemen (Wortbildungsmorphemen).

Z.B.



lieb-en lieb-lich

Lieb-e Lieb-lich-keit

Die lexikalischen Morpheme können hierbei sowohl semantisch wie auch grammatische Funktion haben, d.h. die Überführung in eine an­de­re Wortart leisten z.B.



Liebe - Substantiv

lieb-lich - Adjektiv

Die lexikalischen Morpheme werden traditionell als Affixe, d.h. Hin­zu­fügungen zum Lexem bezeichnet.

Die Affixe werden differenziert in:

Präfixe (Vorsilben), die vor das Lexem treten, z.B.

rbalpräfix: er-zählen

Nominalpräfix: Erz-bischof

Der entsprechende Prozess wird Präierung genannt.



Suffixe (Nachsilben, die hinter das Lexem angehängt werden, z.B.:

Neig- ung

lieb-lich

Der entsprechende Prozess wird als Sufierung bezeichnet.



Infixe (Einfügungselemente oder Einfügungsilben), die zwischen die Kompositionsglieder bei Zusammensetzungen treten, z.B.

Arbeit-s-moral

Rind-er-braten

Mann-es-wort

lesen-s-wert



A. Paradigmatische Strukturen

Neben der Zusammensetzung ist die Ableitung das wichtigste Wort-bildungsmuster im Deutschen. Dieses ist erklärbar aus dem Grund­prinzip der Ökonomie menschlicher Sprache dessen Glieder sich gegenseitig semantisch stützen, motivieren, z.B.



lehren, Lehrer, Lehre, Lehrling, belehren, Belehrung usw.

Ableitungen können durch Sufierung (Lehr-ling), Präierung (Miss-ernte) sowie durch Präierung und Sufierung gebildet werden (Er-öffn-ung).

Es lassen sich zwei Formen von Ableitungen unterscheiden:

· Derivationen mit erkennbarem Suffix (Glück – glücklich), die als explizite Ableitungen bezeichnet werden,

· Derivationen ohne Suffix, aber z.B. ränderung des Hauptvokals des Lexems (trinken – Trank), die implizite Ableitungen genannt werden.



Im Gegensatz zu den Zusammensetzungen, bei denen die Anzahl möglicher Kompositionsglieder beliebig groß ist, ist das Inventar der Derivationsmorpheme zahlenmäßig begrenzt, überschaubar. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine geschlossene Klasse wie bei den grammmatischen, den Flexionsmorphemen, weil neue Ableitungsmorpheme entstehen können.

So nimmt das ursprüngliche Substantiv ‚Weise‘ in der deutschen Gegenwartssprache unter gleichzeitiger semantischer Entleerung immer mehr die Funktion eines Suffixes an, z.B. glücklicher-weise, ausnahms-weise, interessanter-weise usw.

Ableitungsusffixe beim Substantiv sind z.B.:



-e: sich sorgen – Sorge; fragen – Frage

-ei: melken – Molkerei: fragen – Fragerei

-er: lesen - Leser; stecken - Stecker

-ler: betteln – Bettler; Sport – Sportler

-heit/ -keit: schön – Schönheit; selig - Seligkeit

-nis: verstehen - rständnis; denken - Gedächtnis

-ung: üben - Übung; Licht - Lichtung

-schaft: Arbeiter – Arbeiterschaft; Burder - Bruderschaft

-tum: heilig – Heiligtum; Herzog – Herzogtum

-chen/-lein: Maus – Mäuschen – Mäuslein



Fremdsuffixe sind z.B.:

-tät: Universität; Abnormität

-ur: Rasur, Reparatur

-ier: Bankier, Quartier



Ableitungssuffixe beim Adjektiv sind z.B.:



-bar: Frucht – fruchtbar; essen – essbar

-haft: Grauen – grauenhaft; Knabe - knabenhaft

-ig: Gier – gierig, finden – findig

-isch: Neid - neidisch; Dieb - diebisch

-lich: Brief - brieflich; arm - ärmlich

-sam: Arbeit - arbeitsam; streben –strebsam



Präfixe beim Substantiv und Adjektiv sind z.B.:



ur-: Großvater – Urgroßvater; alt – uralt

un-: Summe – Unsumme; freundlich – unfreundlich

miss-: Erfolg – Misserfolg; trauen - Misstrauen – misstrauisch

Besonders ausgeprägt ist die Präierung beim rb und hat hier so starke semantisch und syntaktische Konsequenzen, dass sie deshalb teilweise nicht der Ableitung subsumiert, sondern als eigen­ständiger Wortbildungstyp aufgefasst wird.



B Syntagmatische Strukturen

Die syntagmatischen Relationen, die die einzelnen Ableitungs­mor­pheme eingehen können, sind in quantitativer wie qualitativer Hin­sicht so differenziert, dass hier eine der Hautpschwierigkeiten bei der rmittlung des Deutschen als Fremdsprache liegt.



So ist z.B. das Suffix –bar ganz eindeutig das produktivste adjektivische Derivationsmuster zur Ableitung aus jedem transitiven, passivfähigen rb (z.B. nutzbar, trinkbar, begreifbar, isolierbar).

Im Gegensatz hierzu ist die sprachhistorisch ältere und ur­sprün­gliche Ableitung mit diesem Suffix aus Substantiven heute nicht mehr möglich, d.h. dieses spezielle Wortbildungsmuster ist unproduktiv, die entsprechenden Adjektive in der deutschen Gegen­wartssprache müssen als idiomatisiert angesehen werden (z.B. fruchtbar, dankbar, ehrbar, wunderbar, kostbar). Die Funktion als denominales Ableitungssuffix hat hier teilweise –sam, übernommen (z.B. kleidsam, gewaltsam, bildsam).

Nun steht das Suffix –bar in sehr enger Beziehung zu –lich, und zwar in einem Maße, dass sie teilweise die gleiche Distribution haben z.B.:



unbegreifbar - unbegreiflich

unersetzbar - unersetzlich

Andererseits sind aber ganz eindeutige Kombinationsrestriktionen zu beobachten z.B.:



waschbar - waschlich

brauchbar brauchlich

auffindbar - auffindlich

deklinierbar deklinierlich

oder aber, je nach dem Gebrauch des entsprechenen Suffixes, tritt eine deutliche semantische Differenzierung ein z.B.:



nützlich nutzbar

begreiflich begreifbar

verantwortlich verantwortbar

löslich lösbar



So lässt sich schon anhand dieser Beispiele sehr deutlich aufzeigen, wie vielfältig und kompliziert die syntagmatischen Beziehungen innerhalb eines Wortbildungsmusters sind.



Im Bereich des Substantivs ist die Derivation mit dem Suffix -ung das produktivste Wortbildungsmuster der deutschen Gegenwarts­sprache, und zwar werden mit diesem Suffix aus rben Substantive mit weiblichem Geschlecht abgeleitet, die eine Tätigkeit bezeichnen z.B.:



Übung, Ladung, Bestimmung, Werbung usw.

Interessant ist nun, dass ein Großteil derartiger Ableitungen so wie die genannten Beispiele semantisch doppeldeutig im Hinblick darauf angelegt ist, ob der mit dem Wort bezeichnete Vorgang oder das Resultat gemeint ist: der Vorgang der ‚Übung‘ oder ‚Werbung‘ oder deren Produkt.



Diese Doppeldeutigkeit (Ambiguität) einer Vielzahl der Derivate aus dem produktivsten Wortbildungsmuster zur Ableitung von Sub­stantiven ist sprachstrukturell hochökonomisch, weil ein und das gleiche Wort je nach dem Kontext, in den es eingebettet ist, unterschiedliche Nuancierungen der Aussage bewirken kann.



Die wenigen hier möglichen Aussagen haben schon deutlich machen können, dass die Untersuchung der semantischen Konsequenzen der syntagmatischen Strukturen im Bereich der einzelnen Wortbildungsmuster die vordringlichste und schwierigste Aufgabe der Wortbildung darstellt, die noch weitgehend einer geschlossenen und zusammenhängenden Darstellung bedarf.















































2.2. Die Lehre vom Satz. Syntax/Syntagmatik



2.2.1. Zur Begriffs-und Gegenstandsbestimmung



Der Terminus Syntax kommt von altgriech. syntaxis und heißt ursprünglich soviel wie “Zusammenstellung” oder “Anordnung”. Üblicherweise wird in der Grammatik darunter die Lehre von der Anordnung der Wörter zu Sätzen verstanden. In dieser Bedeutung wird der Begriff hier verstanden.

In der Semiotik wird unter Syntaktik ganz generell die Zusam­menstellung von Zeichen verstanden bzw. es ist eine der drei möglichen Relationen von Zeichen: neben der semantischen Relation zwischen einem Zeichen und seinem Bezeichneten und der pragmatischen Relation zwischen einem Zeichen und seinem Zeichenbenutzer ist die syntaktische Relation die Relation zwischen einem Zeichen und anderen Zeichen, mit denen es – im System oder in der rwendung – zusammensteht. In diesem semiotischen Sinne von kombinatorischem Prozess spricht man oft von Wort­syntax oder auch von Textsyntax.

In dieser Einführung wird der Begriff auf die Kombination von Wörtern zu Satzgliedern bzw. zu Sätzen eingeschränkt.

Die – aus Morphemen gebildeten – Wörter werden in der Kom­muni­kation zu Sätzen kombiniert. Zwischen den Ebenen „Wort“ und „Satz“ lässt sich mit Hilfe von Proben noch eine Ebene Satzglied ermitteln:



1) durch die Umstellprobe (rschiebeprobe, den Permuta­tionstest)



Die Mutter kocht eine gute Suppe - ABC

Eine gute Suppe kocht die Mutter. - CBA

Kocht die Mutter eine gute Suppe? - BAC

dass, die Mutter eine gute Suppe kocht. - ACB



2) durch die Ersatzprobe (den Substitutionstest)



Die Mutter kocht eine gute Suppe.

Oma macht etwas

Sie tut es.



Bei diesen Proben zeigt sich, dass bestimmte Wortgruppen zusammen verschoben oder ersetzt werden, die Satzglieder. Der Beispielsatz besteht aus 5 Wörtern, aber nur aus 3 Satzgliedern. – Das Attribut betrachten wir als „Satzglied-Teil“.



Mit den Satzgliedern, Sätzen, ihrer Struktur und ihren Bildungsreglen beschäftigt sich die Syntax (Satzlehre).

Wenn Syntax im engeren Sinne sich damit beschäftigt, wie aus Wörtern Sätze werden, dann scheint Syntax auf die folgenden beiden Fragen eine Antwort geben zu müssen:

· Wie genau, nach welchen Regeln, werden aus Wörtern Sätze?

· Was ist ein Satz?



Zur ersten Frage kann behauptet werden, dass die meisten Menschen, die im deutschen Kulturkreis aufgewachsen sind und durch die schulische Ausbildung einen gewissen reflektierenden Umgang mit der Sprache gewohnt sind, keine Schwierigkeiten haben werden folgende Strukturen zu identifizieren:

a) Er hat den ganzen Tag fleißig gelesen. – als wohlgeformten deutschen Satz;

b) den ganzen Tag. – nicht als vollständigen Satz, aber als wohlgeformte Wortgruppe;

c) Fleißig den ganzen Tag er gelesen. – als keinen korrekten deutschen Satz;

d) ganzen den Tag. - als keine wohlgeformte Wortgruppe;

e) Er den ganzen Tage fleißige lesen. – als keinen wohlgeformten Satz.



Aus diesen Auslegungsmöglichkeiten lässt sich Folgendes schließen:

· Damit eine Gruppe von Wörtern eine wohlgeformte Wortgruppe oder ein wohlgeformter Satz genannt werden kann, genügt es nicht, beliebige Wörter zusammenzustellen, sodern es braucht dazu bestimmte Wörter mit spezifischen grammatischen Eigenschaften.(Satz e))

· Es genügt nicht, die passenden Wörter mit den spezifischen Eigenschaften irgendwie zusammenzustellen (wie in c)); vielmehr muss eine bestimmte Ordnung eingehalten werden.

· Damit etwas ein vollständiger Satz ist, muss ein bestimmtes Minimum an Wörtern gegeben sein; in b) haben wir zwar einen wohlgeformten Ausdruck, aber eben keinen Satz.

Die grundlegende Frage müsste nun lauten: Was ist ein Satz? Sie ist auch schon oft gestellt und versuchsweise beantwortet worden. In den 30er Jahren haben Ries und Seidel 223 Satzdefinitionen gesammelt, z.B.:



a) Ein Satz ist der Ausdruck des Gedankens. psychologisch

b) Ein Satz besteht aus Subjekt und Prädikat. logisch

c) Ein Satz ist eine Klangeinheit unter einem

Spannbogen. intonatorisch

d) Ein Satz wird durch Punkt, Frage- oder Ausru-

fungszeichen abgeschlossen. orthographisch

e) Ein Satz ist eine rbalphrase. dependentiell.

f) Ein Satz ist eine verbale Setzung. operational



Aber schon diese wenigen Definitionen sind kaum miteinander zu vergleichen, da sie von ganz verschiedenen Aspekten, Kriterien und Ebenen der Sprache ausgehen. Eine kurze allgemeingültige Satzdefinition kann es deshalb nicht geben.



Bevor im Weiteren die syntaktischen Theorien etwas detaillierter besprochen werden, soll ein kurzer Exkurs in die Entwicklung der Linguistik zum Teil schon Bekanntes in Erinnerung rufen und ergänzen.



Ausgehend von der historisch-vergleichenden Perspektive der Sprachwissenschaft im 19.Jahrhunderts und der allgemeinen Schulpflicht entwickelte K.F. Becker (1820/30) auf der Grundlage der lateinischen eine deutsche „Schulgrammatik“, die von der Wissenschaft meist ignoriert wurde, aber trotzdem bis heute als „traditionelle Grammatik“ weiterlebt und für pädagogische Zwecke benutzt wird. Sie betrifft vor allem die Lehre von den Formen, Wortarten und Satzgliedern und stimmt in groben Zügen mit der wissenschaftlichen Grammatik überein.

Die große Wende zur modernen Linguisitk im 20.Jahrhundert brachte der von F. de Saussure begründete Strukturalismus. Er basiert vor allem auf dem Zeichenbegriff, auf der Struktur des Sprachsystems („langue“) aus Elementen und Regeln sowie auf dem Prinzip der Synchronie gegenüber der früheren historischen Orientierung.

Im Anschluss an Saussure bildeten sich linguistische Schulen in Genf, Prag (Jakobson, Trubetzkoy: Phonologie), Kopenhagen (Hjelmslev: Glossematik) und besonders in den USA, wo die Erforschung der Indianersprachen Tradition war (Boas, Sapir) und ein geeignetes Feld für die strukturelle Methode bot. Dort wurde auf der Grundlage eines strengen Formbegriffs (Bloomfield) die Syntax der Konstituentengrammatik (Fries, Harris) und daraus schließlich die GTG – Generative Transformationsgrammatik (Chomsky) entwickelt, die weltweite Beachtung und rbreitung fand.

Weniger einflussreich waren andere strukturelle Grammatiktheorien wie die inhaltsbezogene (Weisgerber), die operationale (Glinz), die funktionale (in der DDR), die stratifikationale (in England) u.a. Wichtig dagegen ist auch die Dependenz- oder Valenzgrammatik (Tesnière) geworden.

Besonders die Prinzipien der Konstituenz und Dependenz in der Form der GTG und der Valenzgrammatik haben eine starke Wirkung auch auf die pädagogische Grammatik ausgeübt, ohne allerdings die traditionelle Grammatik völlig zu verdrängen.



Gegen Ende der 60er Jahre führte die Kritik an der „reinen“ Linguistik des Strukturalismus zu einer Erweiterung des For-schungsbereichs durch Einbeziehung von Nachbarwissenschaften bei der Untersuchung und Beschreibung der Sprachverwendung. So wurde der Blick von den syntaxorientierten Grammatiktheorien auf umfassendere Fragen gelenkt, vor allem auf philosophisch-pragmatische, semantische, textwissenschaftliche, soziologische, psychologische und didaktische.





2.2.2 Die traditionelle Syntax



Die traditionelle Grammatik, (Schul-)Grammatik wird hier nicht dargestellt, sondern vorausgesetzt und etwas problematisiert. Ihre Syntax analysiert den Satz nach Wortart, Satzglied und morpho­logischen Kategorien .

Die traditionelle Grammatik hat sich aus der Logik entwickelt und die Termini ‘Subjekt’ und ‘Prädikat’ in die Sprachlehre übernommen. Dabei spaltete man für einen Fall wie Die Erde ist rund oder Die Erde ist eine Kugel das Prädikat weiter in Kopula ist und Prädikativ rund, bzw. Prädikatsnomen eine Kugel.

Nun gibt es in einer natürlichen Sprache unzählige Aussagesätze, die wesentlich komplexer sind. Das brachte mit sich, dass man die Satzglied-Liste ergänzte, und zwar einmal um die Objekte, die man nach Kasus (bzw. nach Präsposition und Konjunktion) differenzierte: Ich liebe dich, Ich helfe dir, Ich gedenke deiner, Ich denke an dich, und dann um die Adverbialbestimmungen, die man semantisch klassifizierte: Sie liegt vor lauter Langeweile (Grund) den ganzen Tag (Zeit) dösend (Art und Weise) im Bett (Ort).

Schließlich führte man die Kategorie des Attributs (als Satzgliedteil) ein für Ergänzungen zu Satzgliedern: Die gute alte (Attribut) Frau ist immer für uns da.

Das ergab schließlich folgende Liste von Satzgliedern:

1) Subjekt

2) Prädikat (rb) (Sonderfall: Kopula sein und Prädikativ/ Prädikatsnomen)

3) Objekt (Genitiv-, Dativ-, Akkusativ-, Präpositionalobjekt)

4) Adverbiale/Adverbialbestimmung/Umstandsbestimmung (des Or­tes, der Zeit, der Art und Weise, des Grundes)

5) Attribut



Diese Satzgliedtheorie hat einige Inkonsequenzen, die von den neueren grammatischen Theorien bemängelt wurden:

a) sie bietet keine übergreifende, allgemeine Definition von Satzglied;

b) eine solche Definition kann es nicht geben wegen der uneinheitlichen Klassifizierung;

c) besonders bei den Attributen stellt sich heraus, dass sie selber keine Satzglieder, sondern nur Teile von Satzgliedern sind, demnach auch einen anderen kategorialen Status haben: es ist unklar, ob in die alte Frau nur alte oder die alte Attribut ist;

d) bei der Subklassifizierung der Satzglieder werden uneinheitliche Kriterien herangezogen: Objekte werden nach der Form, Adverbiale nach der Semantik eingeordnet;

e) die Unterscheidung von Objekt (Ich denke an dich) und Adver­bial­bestimmung (Ich hänge das Bild an die Wand) ist problematisch;

f) Es ist der Theorie nicht gelungen, die Satzglieder einwandfrei zu bestimmen und auseinanderzuhalten;

g) die Hierarchie der Satzstruktur bleibt unberücksichtigt;



In Bezug auf die Sätze unterscheidet die traditionelle Grammatik zwi­schen einfachen und komplexen Sätzen. Komplexe Sätze bestehen aus mehreren sogenannten Teilsätzen. Diese bilden zu­sammen einen Ganzsatz. Die Teilsätze werden nach Haupt-und Nebensätzen unterschieden, wobei verschiedene Kriterien, wie die Stellung des rbs oder die syntaktische Selbständigkeit entscheidend sind. Die zahlreichen Abweichungen von diesen Kriterien bezeugen ihre theoretische Unzulänglichkeit. Nach der rknüpfung wird zwischen Parataxe, d.h. Nebenordnung gleich-rangiger Teilsätze und Hypotaxe, d.h. Unterordnung ungleich­rangiger Teilsätze differenziert.



Trotz der zahlreichen Mängel behält die traditionelle Grammatik ihre Bedeutung wegen ihrer grundlegenden Terminologie, ihrer interna­tionalen rbreitung und für den Sprachunterricht.





2.2.3. Die strukturelle Syntax



Im Gegensatz zur traditionellen Grammatik bemühten sich die Strukturalisten um exakte, nachprüfbare Methoden, einheitliche Kriterien und um die Entdeckung von Strukturen.

Die wichtigsten Methoden waren dabei:

· Die Segmentierung und Klassifizierung von Elementen;

· Proben: Austausch-, Weglass-, Umstell- und Ersatzprobe;

· die Untersuchung der Distribution von Elementen;

· die graphische Darstellung von Strukturen durch Schemata.



Die Hauptziele der strukturellen Syntax sind:

· Die Struktur von Sätzen zu beschreiben und

· die Regeln für grammatisch richtige Sätze zu finden.



Im Folgenden werden 3 strukturalistische Grammatiktheorien behan­delt.





2.2.3.1. IC-Grammatik (IC-Analyse Konstituentenstruktur-grammatik)



Die im amerikanischen Strukturalismus entwickelte KS-Grammatik geht vom Satz als der größten Einheit grammatischer Beschreibung aus (Boomfield) und analysiert diesen durch fortschreitende Teilung als ein Gebilde, das sich aus konstitutiven Einheiten zusammensetzt.

Dabei werden alle Einheiten von Sprachzeichen, die geteilt werden, Konstitute genannt, alle Folgen von Sprachzeichen oder Sprachzeichen, die aus der Teilung hervorgehen, als Konstituenten dieses Konstituts bezeichnet. Die durch Teilungen betriebene Analyse des Satzes ist dann beendet, wenn die Ebene der letzten, der terminalen Konstituenten erreicht ist, wobei diese je nach der Zielsetzung der Fragestellung die Wort- bzw. die Morphem-Ebene sein kann.

Konstituenten, die durch Teilung unmittelbar aus einem Konstitut hervorgehen, sind die unmittelbaren Konstituenten (immediate constituents –ICs) dieses Konstituts. Nach dieser Bezeichnung hat auch das gesamte Analyseverfahren seinen Namen: Immediate Constituents Analysis, deutsch: IC-Analyse.

Die Beziehung zwischen unmittelbaren Konstituenten wird als Konstruktion bezeichnet.

Je nach Blickrichtung können alle Konstitute zugleich auch Konsti­tuenten der nächsthöheren Teilungsebene sein mit Ausnahme der terminalen Konstituenten und des Satzes. Da der Satz nämlich die größte Einheit grammatischer Beschreibung darstellt und nicht aufgrund grammatischer Beziehungen oberhalb der Satzgrenze strukturell gebunden ist, kann er nur Konstitut, nicht aber Konstituent sein.



Die IC-Analyse geht immer von einer Zweiteilung des Satzes in die Subjekt- und die Prädikatsphäre aus. Das Prinzip der Zweiteilung sollte bei der syntaktischen Analyse möglichst befolgt werden, was aber nicht durchgängig möglich ist. Die Analyse wird in Form eines Baumgraphen dargestellt:



Im obenstehenden Beispiel wird der Satz als Konstitut in seine unmittelbaren Konstituenten „Die Mutter“ und „kocht eine Suppe“ geteilt. Diese ICs stehen im rhältnis einer Konstruktion, die die traditionelle Grammatik ‚Subjekt‘ – und ‚Prädikatsphäre‘ nennt. Bei der weiteren Teilung sind nun die Folgen von Sprachzeichen : „Die Mutter“ und „kocht eine Suppe“ ihrerseits Konstitute, die in die unmittelbaren Konstituenten „die“ und „Mutter“, die bereits terminale Konstituenten sein können einerseits, und „kocht“ und „eine Suppe“ andererseits geteilt werden.

Die Konstruktion zwischen den ICs „kocht“ und „eine Suppe“ nennt die traditionelle Grammatik z.B. ‚Prädikat-Akkusativobjektrelation‘. Zwischen „Mutter“ und „eine Suppe“ besteht keine direkte Relation in Form einer Konstruktion, da es sich hierbei nicht um unmittelbare Konstituenten eines Konstituts handelt. Diese Konstituenten sind nur über die Tatsache, dass sie in einen Satz eingebettet sind, miteinander in Beziehung.



Die IC-Analyse verwendet nicht die Terminologie der traditionellen Grammatik, sondern benutzt zur Kennzeichnung der Konstituenten rein formale Beziehungen und vermeidet damit problematische Abgrenzungen, wie sie z.B. zwischen ‚Präpositionalobjekt‘ und ‚Adverbiale‘ in der traditionellen Grammatik vorliegen.

Die Konstituenten werden an den rzweigungs-bzw. Endstellen der Aste des Baumgraphen, den Knoten, durch die Angabe der jeweiligen Distributionsklasse gekennzeichnet. Die Aste bilden die jeweiligen syntaktischen Funktionen ab.

Die wichtigsten distributionellen Konstituentenbezeichnungen sind:



S = Satz

NP = Nominalphrase

VP = rbalphrase

PP = Präpositionalphrase

V = rb

N = Substantiv

ADJ = Adjektiv

ADV = Adverb

PRAP = Präposition

PRON = Pronomen

ADV = Adverb



Nach diesem Baumgraphen können durch Einwählen von Zeichen aus den entsprechenden Distributionsklassen nun die unterschiedlichsten Sätze mit der gleichen syntaktischen Struktur gebildet werden wie: „Der Schüler schreibt einen Aufsatz“, „Der Fuchs jagt den Hasen“.



Bei doppledeutigen Sätzen wird durch unterschiedliche Baum­graphen die jeweilige Bedeutungsmöglichkeit repräsentiert:



Er grüßt den Mann mit dem Hut.







In beiden Bedeutungmöglichkeiten wird die Folge von Sprach­zeichen „mit dem Hut“ als PP gekennzeichnet. Die unterschiedliche syntaktische Funktion wird durch die divergierende Anordnung der Aste gekennzeichnet: Als präpositionales Attribut in Baumgraph 1 ist PP von der NPakk nicht permutierbar.

In Baumgraph 2 dagegen wird die PP als Adverbiale aufgefasst, ist permutierbar („mit dem Hut grüßt er den Mann“) und muss damit als selbständiges Satzglied gleichrangig mit dem Akkusativobjekt in der VP abgebildet werden.

Mit der IC-Analyse kann so sehr klar die hierarchische Struktur von Sätzen ermittelt und beschrieben und jeder Folge von Sprach­zei­chen bzw. jedem Sprachzeichen sein Rang und Platz in dieser Struk­tur zugewiesen werden.



Die IC-Analyse ist typisch für die gesamte amerikanische Linguistik vor Chomsky, die auch taxonomischer Strukturalismus genannt wird. (Taxonomisch bedeutet soviel wie systematisch, segmen­tierend und klassifizierend). Die Wortarten und Satzgliedbegriffe sind dabei distributionell definiert und entsprechen nur zum Teil der traditi­o­ne­l­len Grammatik.





2.2.3.2. Die Dependenz-Grammatik



A Das Dependenzkonzept. Die Valenz des rbs



Auf der Grundlage der vorangehenden ausführlicheren Darstellung der IC-Grammatik kann die Darstellung der Dependenz-Grammatik komprimierter erfolgen.

Wie die IC-Grammatik geht auch die von Lucien Tesnière (1893-l954) entwickelte Dependenz-Grammatik von der hierarchischen Struktur des Satzes aus, die aber unter einem anderen Aspekt analysiert und dargestellt wird.

Während es nämlich der IC-Grammatik um eine Aufgliederung der komplexen Einheit ‚Satz‘ in seine konstitutiven Teile, um das Prinzip der Konstituenz geht, will das Dependenzkonzept die unterschiedlichen Abhängigkeitsrelationen (lat. ‚dependere‘ = ‚ab-hängen von‘) von Sätzen beschreiben, die dadurch gegeben sind, dass die Sprachzeichen eines Satzes in einer Über-bzw. Unterordnungsbeziehung stehen.

So sind in dem Satz:





All diese Abhängigkeitsbeziehungen sind im Rahmen des Satzes kom­plex miteinander verknüpft.



Im Zentrum dieser Dependenzrelationen steht das rb, auf das hin alle untergeordneten Abhängigkeitsbeziehungen ausgerichtet sind und das damit als Dreh- und Angelpunkt des Satzes angesehen wird. Da es wie bei der IC-Grammatik auch bei der Depen­denz­grammatik um die Darstellung der hierarchischen Satzstruktur geht, können auch hier die syntaktischen Beziehungen im Baumgraphen visualisiert werden, an dessen Spitze allerdings nicht der gesamte Satz, sondern das rb steht.





Tesnière hat als Sprachlehrer Satzstrukturen – besonders lateinische und deutsche – oft anhand eines Schlüsselbundes demonstriert: die Satzglieder hängen am rb wie die Schlüssel am Ring. Das erinnert auch an das Atommodel, und dem entspricht der Ausdruck Valenz (oder Wertigkeit) des rbs.

Von der Valenz abhängig sind die direkt von ihm dominierten Satzglieder erster Ordnung, die Aktanten und Zirkonstanten genannt werden.



Als Aktanten nun gelten die von der rbvalenz geforderten obligatorischen Ergänzungen; für das Deutsch können dies die kasusregierten Objekte, das Präpositionalobjekt, das Prädikativ sowie die Adverbiale sein.

Da die Dependenzkonzeption nicht wie die IC-Grammatik zwischen Subjekt- und Prädikatsphäre unterscheidet und das rb alleiniges Organisationszentrum des Satzes ist, steht auch das Subjekt ohne Hervorhebung als ein Satzglied unter anderen in der Reihe der Aktanten. Als Zirkonstanten werden fakultative, freie Angaben bezeichnet, die im Deutschen Adverbiale sind.

Die von Aktanten bzw. Zirkonstanten abhängigen Satzelemente niedrigerer Rangordnung werden Indices genannt, wie z.B. Artikel, Pronomen oder Adjektive.

Ebenso wie bei der IC-Analyse wird auch im Graphen des Dependenzkonzeptes doppeldeutigen Sätzen eine unterschiedliche Strukturform zugeschrieben.





Aus der Spitzenstellung des rbs im Baumgraphen der Dependenz-Grammatik ergibt sich allerdings eine mögliche Un-klarheit bei der Erfassung bestimmter konkreter Sätze hinsichtlich der Funktion der Satzglieder, weil die Reihenfolge der dominierten Satzkonstituenten nicht festgelegt ist, wie sich schon an einem sehr einfachen Beispiel demonstrieren lässt:





Im Gegensatz hierzu ist die Visualisierung der IC-Grammatik eindeutig:





Da die Baumgraphen der Dependenz-Grammatik im rgleich zur IC-Grammatik viel weniger formalisiert sind und z.B. eine Notierung der Distributionsklassen nicht erfolgt, ist es möglich, dass Sätze unterschiedlicher Struktur durch den gleichen Dependenz­baum­graphen repräsentiert werden.



Im deutschen Sprachraum wurde die Dependenzgrammatik von Linguisten wie Gerhard Helbig und Ulrich Engel weiterentwickelt.

So haben sie, ausgehend von Tesnières Erkenntnissen die Ergänzungen (E0 – E9) für das Deutsche ermittelt sowie die Wertigkeit der deutschen rben lexikographisch festgehalten.

Im Deutschen gibt es 0 – 4-wertige rben, z.B.:



0-wertig: regnen, tauen 3-wertig: geben, erzählen

1-wertig: blühen, schlafen 4-wertig: bringen, kaufen

2-wertig: lieben, gehören



Auch bezüglich der Satzgliederabgrenzung bringen sie Präzisie­run­gen.

Zu den Ergänzungen gehören nicht nur das Subjekt (E0) und die Objekte (E1 – E4), sondern auch gewisse adverbiale Bestimmungen (Ort/Ziel, Richtung: E5 – E6), Prädikativa (E7 – E8) und Infinitive (E9). Die Ergänzungen sind teils obligatorisch, teils fakultativ, d.h. syntaktisch weglassbar. Eine Trennung der fakultativen Ergänzungen von den – immer fakultativen – Angaben ist streng formal kaum möglich, vgl.:



Die Kinder spielen (Fußball).- E

Die Kinder spielen (im Garten).- A

Die Kinder spielen (im Garten) (Fußball).- A, E



Zwar wurde als Trennungskriterium die Gliedsatzrolle der Angaben vorgeschlagen, doch befriedigt diese Lösung oft praktisch nicht. Dann muss aus der Angabe meist ein „kommentierender“ Satz gebildet werden (b):



a) Die Kinder spielen im Garten.

 Die Kinder spielen, während sie im Garten sind.

b) Die Kinder spielen heute.

 Die Kinder spielen. Das geschieht heute.



Semantisch jedoch ist die Trennung deutlich. Ergänzungen sind immer von der Bedeutung her eng zum rb gehörig, man sagt „sinn-notwendig“. Wenn gespielt, gegessen, gelesen usw. wird, ist klar, dass etwas gespielt, gelesen wird. Wo, wann, wie oder warum das geschieht, ist jedoch beliebig.



Das Dependenzprinzip bezieht sich auch auf die Binnenstruktur von rbalkomplexen (Sie muss dort verdammt schäbig behandelt worden sein. – Ein Brötchen soll damals 2 Pfennig gekostet haben.), und es erlaubt die direkte Darstellung komplexer Satzstrukturen ohne Transformationen (allerdings tauchen dabei Kategoriensymbole für den Nebensatz-Anschluss auf ). Vgl. die Sätze:





B Valenzwörterbücher



Die Valenzgrammatik wurde in Leipzig und Mannheim in Form zweier Valenzwörterbücher ausgearbeitet, die zunächst eine kleinere Zahl von rben (knapp 500 Lexeme mit ca. dreimal soviel Varianten) nach ihrer Valenzstruktur beschreiben. Sie sind in erster Linie für den DaF-Unterricht gedacht, enthalten aber auch jeweils die Theorie in ausführlichen Einleitungen.



Das Wörterbuch von Helbig/Schenkel (21973) beschreibt die rben und ihre Varianten auf 3 Stufen:

I nach der Zahl der obligatorischen und fakultativen Ergänzungen,

II nach deren Art, d.h. syntaktisch nach Wortart und Form.

III nach deren semantischen Merkmalen (bestimmten Restrik­tionen).

Z.B.:

I zuhören 1 (1) = 2

II zuhören  Sn, (Sd)

III Sn  Hum (Die Kinder hören zu.)

Sd  1. Hum (Sie hören den Eltern zu.)

2. Act (Sie hören dem Singen zu.)



Die wichtigsten Analyse-Kategorien und ihre Symbole sind dabei:





Sn, Sa, Sd, Sg - Substantiv im Nomin., Akk., Dativ, Genitiv

Adj, Adv, Part, p - Adjektiv, Adverb, Partizip, Präposition

unbest Num - unbestimmtes Numerale

Pron, Refl - Pronomen, Reflexivpronomen

- Art - ohne Artikel

def Art/ - def Art - mit bestimmtem/ unbestimmtem Artikel

pS, pAdj, pPart - Subst. mit Präp., Adj. mit Präp., Part. mit Präp

I, Inf - Infinitiv ohne „zu“, Infinitiv mit „zu“

NS dass/ob/w - Nebensatz mit dass/ob/w- Frage



Abstr - Abstraktum Loc - Ortsbestimmung

- Anim - unbelebtes Ding Dir - Richtungsbestimmung

Anim - belebtes Wesen Temp - Zeitbestimmung

- Hum - außer Menschen Mod - Artbestimmung

Hum - menschl. Wesen Caus - Bestimmung des Grundes

Act - Handlung





Im Anschluss an dieses Wörterbuch wurden von Helbigs Mit-arbeitern auch Valenzwörterbücher für Substantive und Adjektive erstellt, denn bei vielen von ihnen kann man ebenfalls sinn-notwendige Ergänzungen nachweisen, z.B. (Ergänzungen unter­strichen):



die Hälfte des Geldes Sie ist böse auf die Chefin.

sein Drang nach Ruhm Sie ist der Chefin böse.



Das kleine Valenzlexikon (KVL) von Engel/Schumacher (11976) beschreibt die rben ebenfalls nach Zahl und Art der Ergänzungen und gibt zusätzliche grammatische Informationen wie z.B. zu den Korrelaten (Ihr gefällt es hier.) und zur Passivbildung. Aber es klassifiziert die Ergänzungen anders (siehe Folgendes) und verzichtet vor allem ganz auf die problematische Semantik.

Beispiel:



zuhören 0 (3 P2 Die Kinder hören der Großmutter zu).



Das bedeutet, „zuhören“ hat ein obligatorisches Subjekt sowie ein fakultatives Dativobjekt und es kann, obwohl es intransitiv ist, ein Passiv bilden (Ihr wirdzugehört.)





C Die Dependenzgrammatik bei Ulrich Engel

Da die von Engel begründete rsion der Dependenzgrammatik relativ weite rbreitung gefunden hat – auch in didaktischen Werken -, folgt hier zunächst eine Liste der Satzglieder gemäß seiner Darstellung – mit Beispielen. Die Methode, Ergänzungen zu bestimmen, beruht auf „Anaphorisierung“, d.h. jeder Ergänzung entsprechen Anaphern, das sind einfachste und allgemeinste Ausdrücke, die die Ergänzungen ersetzen können.



A) rbalkomplex (Vk)

Vv: Vollverben z.B. singen

Nv: Nebenverben: Va Hilfsverben (gesungen) haben

Vm Modalverben (singen) können

Vn Modalitätsverben (zu singen) pflegen

½ Infinitivverben (singen) lassen

Vp Partizipialverben (vorgesungen) kriegen

Vz: rbzusätze: (betonte, trennbare Präfixe) vór(singen)





B) Ergänzungen Anaphern Beispiele Tradit.

E0 Nominativ-E. er, sie,… Ich schlafe. Subjekt

E1 Akkusativ-E. ihn, sie… Ich sehe ihn. Akk.obj.

E2 Genitiv-E. dessen, deren Ich gedenke seiner. Gen.obj

E3.Dativ-E. ihm, ihr,… Ich danke ihr. Dat.obj.

E4 Präpositiv-E dar-(auf…) Ich denke an dich. Präp.obj.

E5 Situativ-E. da, dort, dann Ich wohne hier. Adv.Best.

E6 Direktiv-E. von da/ dahin Ich fahre dorthin. Adv.Best.

E7 Subsumtiv-E. so, es Ich bin Lehrer. Präd.Nom.

E8 Qualitativ-E. so, es, solch- Ich bin krank. Präd.ivum

E9 rbativ-E. es (zu) tun Ich lasse bitten. Inf.konstr.



Nachtrag zur E3:

ES3 Dativus commodi (sympath.) - Er kauft ihr ein Buch.

Ei3 Dativus incommodi - Die Vase ging mir kaputt.

Ee3 Dativus ethicus - Na, du bist mir einer.

Ep3 Pertinenzdativ - Er sah ihr ins Gesicht.

(entspr: Pertinenz-Akkusativ) - Er trat ihn/ihm auf den Fuß.



C) Attribute (von Substantiven oder Adjektiven)

als E: Sie hat Hunger auf Kuchen.

Wie sind neugierig auf alles Fremde.

Er ist uns bekannt.

als A: Der neue Mantel war recht teuer.

„Als Vaters Bart noch rot war“ (ein Romantitel)



D) Angaben (für das Kategorialsymbol I kann auch A stehen)



Ik kausal deshalb, aus diesem Grunde

konditional dann, unter dieser Bedingung

konsekutiv also, infolgedessen, folglich

It temporal damals, vorher, nachher

Iloc lokal dort, im Taxi

If final dazu, zu diesem Zweck

konzessiv trotzdem, trotz dieser Umstände

(instrumental) damit, mit/mittels einer Notlüge

Ikr konkomitant mit den Eltern, ohne Krawatte

restriktiv betreffs, hinsichtlich dieses Umstandes

Iv Valuativa fast, endlich

indefinit temporal immer, oft, manchmal, selten

Iex Existimatoria vermutlich, erstens, immerhin,

(5 Subklassen) eigentlich, tatsächlich

Imod Modificativa Er übt fleißig, Er übt lange.

Ineg Negations-Ang. nicht, nie (Letzteres indefinit temporal?)

In „adjungierte Mach nur so weiter. Sie spielt sogar

Averbialia” Bass. Es wird schon klappen. Er ist eben faul.

(8 Subklassen) (=Modalpartikeln)



Fast alle aufgelisteten Satzglieder können auch durch Gliedsätze vertreten werden, d.h. Nebensätze eben in der Position von Satz-gliedern, wodurch sich eine detaillierte inhaltliche Einteilung der Nebensätze ergibt.

Während die Hauptsätze nur 3 Arten aufweisen:



1. Konstativsatz („Aussagesatz“) V in Zweitstellung .: Er lügt.

2. Interrogativsatz („Fragesatz“)

a) Ergänzungsfrage V in Zw.st., Fragew.: Wer lügt?

b) Entscheidungsfrage V in Spitzenstellung: Lügt er?

3. Imperativsatz („Befehlssatz“) V in Spitzenstellung: Lüg nicht!,

können die Nebensätze zunächst formal in 2 Gruppen eingeteilt werden:

a) eingeleitete (V in Endstellung) und b) nicht eingeleitete:

1. Infinitivsatz (reduzierter S.) Er begann, laut zu schreien.

2. Konjunktionalsatz Du willst also, dass ich gehe.

3. Relativsatz Das ist der Typ, den ich meine.

4. Indirekter Fragesatz Ich weiß genau, wo das ist.

b) 1. abhängiger „Hauptsatz“ Sie sagt, sie kommt um zwei.

2. konditionale u. konzessive Klappt es nicht, ist es auch egal.

3. Partizipialsatz (I und II) Alles überdenkend, ging er fort.



Inhaltlich-funktional ergeben sich je nach dem Satzglied, das ersetzt wird, drei große Gruppen: Ergänzungs-, Attribut- und Angabesätze.



Ergänzungssatz.

E0 Wer wagt, gewinnt. E5 Bleib, wo du bist.

E1 Sie nimmt, was sie kriegt. E6 Ich geh, wohin du willst.

E2 Er rühmt sich, das zu können. E7 Ich bleibe, der ich war.

E3 Sie hilft, wem sie kann. E8 Bleib, wie du bist.

E4 Ich zweifle, ob sie ihn liebt. E9 Hört auf, so zu grinsen.



Attributsatz (hier mit Ergänzungsfunktion zu Nomen und Adj.):

NE2 die Tatsache, dass er glaubt (=seines Glaubens – Genitiv)

NE4 die Frage, ob er glaubt (=nach seinem Glauben-Präp)

AE4 fähig, an etwas zu glauben (=zum Glauben an etw.-Präp.)

AE9 geneigt, das zu glauben ( - Infinitiv)



Angabesatz (hier nach Helbig/Buscha und Duden):

lokal Er arbeitet, wo er will.

temporal Er starb, als er schon über 80 war.

modal i.e.S. Sie grüßte, indem sie leicht nickte.

instrumental Man steigert sich enorm, indem man übt.

spezifizierend Er stört insofern, als er rumalbert.

fehlender Umstand Sie lügen, ohne rot zu werden.

stellvertr. Umstand Ihr redet, statt zu handeln.

restriktiv Soviel ich weiß, ist er Maler.

adversativ Ihr redet, während wir handeln.

proportional Je mehr er übt, desto aufgeregter ist er.

komparativ (gleich) Es ist genauso kalt, wie es gestern war.

komparativ (ungleich) Sie sieht viel jünger aus, als sie ist.

komparat. (irreal, hypoth.) Er schrie, als müsse er sterben. (als ob..)

kausal i.e.S. Er freut sich, weil er Vater geworden ist.

konditional Wenn du willst, gehen wir gleich.

konditional Lässt man ihn los, fällt er sofort um.

konzessiv Er konnte nicht, obwohl er wollte.

konzessiv Ist es auch eisig kalt, geht er doch baden.

konsekutiv Sie schrie so laut, dass es weh tat.

final Sie paukt, damit sie besteht. (um zu….)

(weiterführender NS Regine trinkt, was mich maßlos aufregt.)





D Satzmuster

Die Kombinationen der 10 Ergänzungen ergeben Satzmuster, auch Satzbaupläne genannt. Im Kleinen Valenzlexikon kommen 49 vor, die hier als Liste mit Beispielsätzen (sowie Angabe über die Anzahl der dazugehörigen rben in Klammern) aufgeführt werden:



- (5) Es taut. 046 (2) Sie floh vor ihm nach Peru.

1 (5) Gibt es einen Gott? 048 (11) Er denkt schlecht von uns.

15 (1) Hier gibt es Pizza. 05 (51) Er ist nicht hier.

34 (4) Uns fehlt es an allem. 056 (1) Sie starten um 9 von Basel.

35 (1) Mir gefällt es hier. 058 (4) Das liegt schwer im Magen.

38 (3) Ihm geht es glänzend. 06 (72) Die Tür führt auf den Hof.

4 (2) Klappt es mit der Reise? 07 (9) Hans wird Kellner.

44 (1) Dabei kommt es auf alle an. 08 (41) Ich habe es eilig.

47 (1) Es ist ein Übel mit ihm. 09 (5) Er meinte zu träumen.

48 (2) Damit sieht es schlecht aus. 01 (378) Sie essen Bratäpfel.

5 (1) Es klingelt draußen/ um 9. 011 (4) Sie lehrt ihn das Tanzen.

6 (2) Es regnet ins Fenster. 012 (1) Er versichert uns dessen.

7 (3) Es wird Tag. 013 (60) Er verdankt uns den Sieg.

8 (3) Es ist dunkel. 0134 (2) Er bot uns Geld für die Uhr.

9 (3) Es gilt auszuhalten. 0136 (1) Er bringt es dir ins Büro.

0 (101) Die Wunde blutet. 0138 (1) Er lohnt uns das schlecht.

02 (5) Er bedient sich eines Tricks. 014 (162) Sie hält sich für ein Genie.

03 (33) Das Trinken schadet dir. 0144 (4) Er verkauft es dir für 3 DM.

034 (13) Ich danke dir für den Rat. 0145 (1) Er versteckt es dort vor ihr.

036 (1) Sie folgte ihm nach Nepal. 0148 (2) Er kauft alles billig bei Aldi.

038 (5) Er begegnete uns schroff. 015 (23) Wir glaubten sie in Irland.

039 (1) Er bedeutete uns zu gehen. 016 (73) Sie legt das Buch ins Regal.

04 (228) Sie achtet auf Fehler. 017 (17) Sie nennen ihn einen Guru.

044 (18) Sie reden mit ihm darüber. 018 (44) Er macht die Suppe warm.

045 (1) Er wartet auf uns am Kino.



Aus einer solchen Auflistung ergeben sich syntaktisch-semantische rbklassen klarer und detaillierter als in der traditionellen Gram­matik, z.B. transitive rben (enthalten 01), subjektlose (ohne 0), Richtungsverben (mit 6) usw. Auch statistische Angaben gehen daraus hervor: die Masse der deutschen rben gehört zu den Satzmustern 01, 04, 014 und 0, aber auch Richtungs- und Dativ-rben sind relativ häu.



E Bedeutung und Kritik der Valenzgrammatik

Die Valenz- (oder Dependenz-)Grammatik ist keine Sprachtheorie, sondern eine Syntaxtheorie. Sie ist weder vollständig noch einheitlich.

Sie beruht auf dem Dependenzprinzip und stellt das rb ins Zen­trum des Satzes. Ihre Stärke besteht in der Anschaulichkeit und didaktischen Eignung, besonders bei flektierenden Sprachen.

Viele Linguisten plädieren für eine Kombinatorik der Konstituenten- und der Dependenzgrammatik (z.B. Hays) oder praktizieren eine solche Kombination sogar (z.B. Heringer).



Insgesamt ergänzen sich die beiden vorgestellten Analyse- und Beschreibunsgverfahren sehr fruchtbar: Während die Konstituen­tenstruktur­­ - Grammatik die hierarchische Gliederung des Satzes in seine Konstituenten und deren lineare Abfolge deutlich macht, kommt im Dependenzkonzept die zentrale Position des rbs als Organisationszentrum des Satzes zum Ausdruck.





2.2.3.3. Die Generative Transformationsgrammatik (GTG)



Die GTG wurde von Noam Chomsky begründet und in zwei Phasen entwickelt, die seinen Hauptarbeiten entsprechen, „Syntactic Structures“ (1957) und „Aspects of the Theory of Syntax“ (1965).

Die Theorie kann hier nur knapp in ihren Hauptgedanken – und ohne neuere Weiterentwicklungen – zusammengefasst werden.



Chomsky ging von der IC-Grammatik seines Lehrers Harris aus, kritisierte aber deren statische Konzeption, d.h. die Beschreibung von Zuständen, die reine Identifizierung von Elementen nach Form, Vorkommen und Funktion, und setzte sich zum Ziel, den Prozess der Erzeugung von Sätzen zu beschreiben. (Erzeugung = Generierung, daher generativ). Er stellte hohe Anforderungen an die wissenschaftliche Methode, an Exaktheit, Eindeutigkeit, Wider­spruchsfreiheit und Ökonomie (größtmögliche Knappheit und Einfachheit) und benutzte Mittel der formalen Logik und Mathematik, die zunächst in der Linguistik ungewohnt waren, aber eine geradezu ele­gante“ Darstellung erlaubten. Vielleicht ist seine wissen­schaftstheoretische Leistung höher zu bewerten als die gramma­ti­sche.



In der 1. Phase ersetzte Chomsky die statische IC- oder PS- (=Phrasenstruktur-) Grammatik durch eine generative Grammatik, indem er Erzeugungsregeln zugrundelegte, und zwar Formations- = Ersetzungregeln.

Z.B.



S NP VP (zu lesen: „Ersetze S durch NP VP“,

NP DET N oder: „Expandiere S zu NP VP usw.)

VP V NP





Die Formationsregeln ergeben ein rzweigungsdiagramm (Phrase Marker, P-Marker) ähnlich der IC-Struktur. (s. die folgende Baumstruktur)









Für die Endsymbole (DET, N, V,…) werden mittels Lexikonregeln Lexeme eingesetzt:



DET  der, die

N  Mann, Zeitung

V  liest



Diese Syntax generiert den Satz Der Mann liest die Zeitung. Sie ist aber noch zu einfach, um andere mögliche Sätze auszuschließen wie:



Die Zeitung liest der Mann. (Zeitung = Akkusativ = Objekt wie oben)

 Die Zeitung liest den Mann. (Zeitung = Nominativ = Subjekt)

 Den Mann liest die Zeitung. usw.

( bedeutet „ungrammatisch“)



Ein solche Syntax erzeugt nur Kernsätze. Die meisten Sätze entstehen jedoch durch Transformationen aus diesen Kernsätzen, z.B.:



Der Mann liest die Zeiung. Der Mann liest die Zeitung und

Der Mann raucht Pfeife. raucht Pfeife. (Konjunktions-T)





Du rauchst jetzt nicht mehr. (Aussage)

Du rauchst jetzt nicht mehr. Du rauchst jetzt nicht mehr? (Frage)

Du rauchst jetzt nicht mehr! (Befehl)



Außer Konjunktions- und Intonations-Transformationen werden bei Chomsky auch Kongruenz, Negation und Affirmation, so- und w- Transformationen, Frage- Nominalisierungs- und Adjektiv-Transformationen erwähnt. Sie erklären auch Homonymien als Transformationen aus verschiedenen Kernsätzen:







(alte Männer) und Frauen

alte Männer und Frauen

alte (Männer und Frauen)



X ehrt die Soldaten

die Ehrung der Soldaten

die Soldaten ehren Y



Es wurde der Brief Peter verlas den Brief.

von Peter verlesen. Man verlas Peters Brief.



Als rbindung der bereits angeführten Daten hier eine schematische Darstellung des Aufbaus der GTG:





SYNTAKTISCHE SEMANTISCHE

KOMPONENTE KOMPONENTE



BASISKOMPONENTE interpretiert die

Tiefenstruktur



KATEGORIALE LEXIKON semantisch (d.h.

KOMPONENTE ordnet Bedeu­-

rzweigungs-Regeln Lexikon- tungsstrukturen

Subkategorisierungs-R. einträge zu)

a) strenge Subkat.-R.

b) Selektions-R.





(erzeugt)



TIEFENSTRUKTUR (TS)









TRANSFORMATIONSKOMPONENTE PHONOLOGISCHE

KOMPONENTE

Transformationsregeln interpretiert die

Oberflächenstruktur

(überführt die TS in) phonologisch

(lautlich)

OBERFLACHENSTRUKTUR (OS)





Bei seiner Neukonzeption in der sogenannten zweiten Phase versuchte Chomsky vor allem, Probleme der Semantik zu lösen, ohne dabei die Syntax als Fundament der Grammatik aufzugeben.

So werden mit Hilfe der rzweigungsregeln (branching rules) und der strengen Subkategorisierungsregeln (strict subcategorization rules) wieder wie oben P-Marker generiert, wobei die Regeln kontexhängig funktionieren.

Neu in der Basiskomponente sind jedoch die sogenannten Selektionsregeln (selectional rules), die die syntaktischen Merkmale (syntactic features) wie z.B. [zählbar], [abstrakt], [belebt], [menschlich] usw. bei den Lexikoneinträgen angeben, um sinnlose Sätze zu vermeiden, indem die Merkmale der Einheiten im Kontext kompatibel (verträglich) sein müssen; vgl. die folgenden Beispiele (die Darstellung ist auf das Wesentliche vereinfacht – Kompatibilitäten sind unterstrichen):



Der Junge schläft. Der Junge zählt die Bälle.



DET  der, die

N  Junge (N. MASK) - [ zählb –abstr bel hum]

 Bälle (N, MASK) - [zählb –abstr –bel]

V  schläf- (V, INTRANS - [ bel _____]

 zähl- (V, TRANS) - [bel_____-abstr]









(Der letzte Satz ist ungrammatisch, wenn die Bälle als Subjekt gilt).



Das Resultat der Generierung in der Basiskomponente sind nicht mehr Kernsätze, sondern Tiefenstrukturen (TS). Diese werden in der semantischen Komponente semantisch interpretiert, indem den Einheiten Bedeutungsstrukturen zugeordnet werden, die spezieller sind als die syntactic features. Hier wurde Chomsky durch Arbeiten seiner Schüler, besonders Katz und Fodor, ergänzt.

Eine Tiefenstruktur ist so abstrakt, dass sie schwer darstellbar ist, deshalb wird oft eine „offene“ Schreibung gewählt wie z.B. D – Junge- schlaf-. Die TS ist sozusagen ein Bündel von möglichen Bedeutungen, die nur die semantischen Grundbeziehungen gemein­sam haben. Erst die semantische Interpretation gibt ihr den Sinn des Gemeinten, wonach der Satz später generiert und durch die ent­sprechenden Transformationen konkretisiert wird.

Das Konzept der Tiefenstruktur geht vor allem auf 3 Probleme zurück:

1. diskontinuierliche Konstituenten:

er einhol- du  Er holt dich ein.



2. strukturelle Mehrdeutigkeit:

d- soldat- grüss—(x)

das Grüßen der Soldaten

(x) grüss- d- soldat-



3. synonyme Paraphrasen wie Aktiv/Passiv:



Wir loben ihn.

Wir lob- er

Er wird von uns gelobt.



Die TS werden in der Transformationskomponente durch Transfor­mationsregeln zu Oberflächenstrukturen (OS) transformiert, etwa:





d- Schwester- schreib d- Brief 

 Die Schwester schreibt den Brief. (Aktiv-Transformation)

 Sie schreibt ihn. (Pronominalisierungs-T)

 Der Brief wird geschrieben. (Passiv-T mit Tilgung)

 Schreibt die Schwester den Brief? (Frage- Wortstellungs-T)

 die den Brief schreibende Schwester (Partizip-I-Transf.)

 der von der Schwester geschriebene Brief (Partizip-II-Transf.)



Bei komplexen Sätzen ergibt sich eine ganze „Transformations­geschichte“ (T-Kette). Zunächst sind hier die Tiefenstrukturen dreier Sätze gegeben, dann die Transformationen, schließlich die Kette:



S: d- mädchen- heiß- anna

S‘: d- mädchen- sei- hübsch-

S‘‘: d- mädchen- erzähl- d- geschichte-



S: T Frage (Wortst Inton) - Heißt das Mädchen Anna?

S‘: T adj tilg - (das) hübsche (Mädchen)

T einbettung - Heißt das hübsche Mädchen Anna?

S‘‘: T rel-pron wortst. - das die Geschichte erzählt

T einbettung Heißt das hübsche Mädchen, das die Geschichte erzählt, Anna?





1) T frage (wortst inton) Teinbettung1 T einbettung2



2) T adj tilgung

2

3) T rel-pron wortst





Die wichtigsten Typen von T-Regeln sind:

1.) Hinzufügung (Addition) - z.B. für Konjunktionen,

2.) Tilgung (Deletion) - z.B. für Einbettungen,

3.) Ersetzung (Substitution) - z.B. für Pronominalisierungen

4.) Umstellung (Permutation) - z.B. für die Wortstellung.



(Die Oberflächenstrukturen werden schließlich in der phonologischen Komponente phonologisch interpretiert).



Die GTG als Sprachtheorie

Die GTG ist nicht nur eine Syntaxtheorie, sondern auch eine umfassende Sprachtheorie.

Chomsky geht von einem „idealisierten Sprecher/Hörer“ mit einer perfekten muttersprachlichen Kompetenz aus. Das ist eine methodisch bedingte Abstraktion. Die Kompetenz ist ein intuitives Wissen um grammatische Richtigkeit. In der Performanz entschei­det dann der Sprecher über Sinnlosigkeit und Akzepilität. – Bei­spiel­sätze:



(1) Ich erzähle die junge Freundin auf die Wiese.

(2) Ich erzähle die hübschen Bälle auf die Wiese.

(3) Ich werfe die von dem bei meinem besten Freund wohnenden und mir besonders stark verbundenen blonden Mädchen vor zwei Tagen zum Geburtstag geschenkten roten, riesengroßen, hübschen Bälle auf die Wiese.



Satz (1) ist zwar sinnvoll, aber ungrammatisch, d.h. grammatisch falsch. Satz (2) dagegen grammatisch, aber normalerweise sinnlos. Satz (3) schließlich ist grammatisch und sinnvoll, aber praktisch nicht akzepel.



Die muttersprachliche Kompetenz wird vom Kind erworben, indem es die sprachlichen Elemente „speichert“ und die grammatischen Regeln internalisiert (verinnerlicht, automatisiert). Dass Kinder unbewusst abstrakte Regeln anwenden, sieht man einmal daran, dass sie richtige Sätze hervorbringen bzw. verstehen können, die sie so nie zuvor gehört haben. Zum anderen machen sie oft Fehler, indem sie durch Analogie anstatt unregelmäßiger richtiger Formen (bringen - brachte) „regelmäßige“ falsche bilden (bringte), die ihnen niemand beigebracht hat.

Damit argumentiert Chomsky gegen die schematische Lerntheorie des Behaviorismus und für einen Mentalismus, der schon in der Tradition des deutschen Sprachphilosophen W. v. Humboldt liegt. Wiederholt beruft sich Chomsky auf dessen Satz, die Sprache mache von endlichen Mitteln unendlichen Gebrauch.



Dass die Wirkung seiner wissenschaftlichen Methode auf die Linguistik vielleicht seine Wirkung auf die Grammatikforschung noch übertrifft, wurde oben schon angedeutet. Seine „Aspects“ enthalten eine komplette Metatheorie zur deskriptiven Grammatik und bieten eine schon lange notwendige Differenzierung unklarer Begriffe.

So stellt die GTG ein eindrucksvolles Gebäude über den Bereichen generative Linguistik, Sprachtheorie, Psycholinguistik, Sprachphilo­sophie und Wissenschaftstheorie dar. Wirkungsvoll war sie auch für die Sprachdidaktik und ist es bis heute besonders für die Computer­linguistik.





Kritik an der GTG

Die GTG hat aber nicht nur schnell Anerkennung und weite r­brei­tung gefunden, sondern ist auch auf Kritik gestoßen.

Zunächst waren es Schüler und Anhänger von Chomsky selbst, die eine interne Kritik übten, d.h. Kritik innerhalb der generativen Grammatik. Sie forderten eine Ersetzung der Syntax durch die Semantik als Fundament der Grammatik.

Die externe Kritik betraf vor allem folgende Punkte:

· Statt der traditionellen Beschränkung der GTG auf die Satzgrenze wurde eine Erweiterung zur Textgrammatik gefor­dert.

· Die GTG wurde mitunter als leere Kombinatorik, formalistisch und neopositivistisch bezeichnet. Statt dessen sollte eine prag­ma­tische Orientierung an Intentionen und Funktionen stehen.

· Zum Teil wurde der GTG auch eine rein computerlinguistische Ausrichtung nachgesagt und ihr Anspruch, mentale Prozesse zu beschreiben, verneint.









































3. Die Zeicheninterpretation: Semantik



Das zentrale Charakteristikum von Sprache liegt in ihrer Bedeutsamkeit: in der Tatsache, dass Sprachzeichen Bedeutung haben und dass wir beim Sprechen oder Schreiben etwas mitteilen können. Unter diesem Aspekt der Bedeutsamkeit können wir Sprache betrachten als ein System, das zwischen einem Universum von inneren gedanklichen Konzepten und einem Universum von äußeren Lauten oder Schriftzeichen vermittelt.

Die Semantik als sprachwissenschaftliche Teildisziplin be­schäftigt sich mit der Dimension der systematischen Bedeut­samkeit von sprachlichen Außerungen. Sie ist die Lehre von den Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten bestimmter Aspekte der signifié-Seite von Sprachzeichen.

Aufgabe jeder semantischen Theorie ist:



a) Bedeutungen zu beschreiben. Eine sprachwissenschaftliche Semantik hat im Prinzip für jeden natürlichsprachlichen Ausdruck die ihm zukommende(n) Bedeutung(en) zu nennen, also jenen Teil unserer Sprachkenntnis zu beschreiben, der darin besteht, dass uns sprachliche Ausdrücke ‘etwas sagen’; oder anderes formuliert: Semantik muss sich mit der Frage beschäftigen, welches signifié einem bestimmten signifiant zukommt.

b) Bedeutungsbeziehungen zu beschreiben. Eine sprachwis­senchaftliche Semantik hat jenen Teil unserer Sprachkenntnis zu beschreiben, der darin besteht, dass wir zwischen der Bedeu­tung sprachlicher Ausdrücke verschiedenartige Bezie­hungen ausmachen können (Beziehungen der Gegensätzlickeit: Anfang - Ende, Beziehungen der Ahnlichkeit: fröhlich – heiter usw.) In dieser Hinsicht beschäftigt sich Semantik mit dem signifié unter dem besonderen Aspekt der paradigmatischen signifié-signifié-Relation.



3.1. Das Problem der ‚Bedeutung‘



Bei der Darstellung des verbalen Zeichens ist darauf hingewiesen worden, dass es sich hierbei um eine bilaterale Einheit handelt, die aus signfiant und signifié besteht. Die rbindung zwischen signfiant und signifié ist arbiträr und nicht naturgegeben, auch die Onomatopoetika sind hierfür nicht als Gegenbeleg ins Feld zu füh-ren.

Eine Ausdrucksform ruft bei allen Sprachteilhabern eine Vorstellung hervor, die individuell nuanciert ist, und dies sowohl hinsichtlich des Denotats als auch des Konnotats. Bisher wurde dieser Prozess so beschrieben, dass der materialisierbare Teil des Zeichens, sein signifiant, das Zeichen als Ganzes aufruft. Detaillierter könnte dies so formuliert werden, dass der signifiant das dazgehörige signifié aktiviert.

Das signifié eines Zeichens wird häu auch als dessen Bedeutung bezeichnet, die von den Sprachteilhabern in Sprecherwerbs­prozes­sen internalisiert worden ist.



Hier ist nun die Frage zu stellen:

· Was haben wir uns unter dem Begriff ‚Bedeutung‘ vorzustellen?

· Welche Funktion hat die ‚Bedeutung‘ eines Zeichens im semio­ti­schen Prozess?



z.B.



Ein Ausländer fragt einen Deutschen:

„Was bedeutet eigentlich ‚Hund‘?”



Wenn wir diese Frage linguistisch deuten, dann wird mit ihr um die Interpretation des signifiant gebeten, denn nichts anderes stellt ja die Erläuterung des dazugehörigen signifié dar.

Wir können aus dieser Beobachtung einen ersten wichtigen Schluss ziehen: Semantische Fragestellungen gehen immer vom signifiant, von der Ausdrucksform aus.

Zurück zu unserem Beispiel: Wie können wir diese Frage überhaupt beantworten, was wir ohne Zögern tun würden, wo doch alle Hunde sich unterscheiden, anders aussehen, was schon darin deutlich wird, dass sie von ihren Besitzern mit Namen gekennzeichent und damit differenziert werden?

Immerhin könnte hier eigewendet werden, dass alle Hunde biologisch gemeinsame Merkmale tragen, die sie als Spezies kennzeichnen.



Der Ausländer fragt:

„Was bedeutet ‚Tisch‘?“

Hier ist die Erklärung für unsere Beantwortung der Frage schon weitaus schwieriger, denn die Erscheinungsformen dieses Gegen­standes sind außerordentlich vielfältig, auch hinsichtlich des Materials, und die Funktionen sind hochvariabel: Wir kennen Ess-, Rasier-, Konferenz-, Spiel-, Beistell- und sogar Klapptische.

Vielleicht ließe sich aber doch gerade in Bezug auf die Funktion dieses Gegenstandes ein Basiskriterium benennen, das die Aufgabe der Bedeutung plausibel macht.



Der Ausländer fragt weiter:

„Was bedeutet ‚Wahrheit‘, ‚Schönheit‘, ‚Güte‘?“

Mit diesem Beispiel wird nun endgültig klar, um welche Problematik es hier geht. Denn sofort stellen sich nun eine Vielzahl von Fragen ein, von denen nur einige formuliert werden sollen:

· Haben die Phänomene, die wir als ‚wahr‘, ‚schön‘, oder ‚gut‘ bzw. ‚gütig‘ bezeichnen, etwas gemeinsam?

· Wenn sie etwas gemeinsam haben, besteht diese Gemein­sam­keit dann in der Realität oder in unserer Vorstellung?



Wenn die Gemeinsamkeit nur in unserer Vorstellung besteht:

· Sind die ‚Bedeutungen‘ dieser Zeichen ‚Begriffe‘ oder ‚Ideen?

· Wie kommt die Gemeinsamkeit zustande? Gibt es so etwas wie ‚Urideen‘?

· Wie steht es mit der rbindlichkeit dieser ‚Bedeutungen‘? ‚bedeutet‘ z.B. ‚Demokratie‘ das gleiche für einen Sozialisten, Christdemokraten, Kommunisten, Monarchisten oder Anar­chi­sten?



rweisfunktion

Wenn die Problematik, die mit der Diskussion der Beispiele aufgeworfen ist und deren angemessene Behandlung weit über das Feld der Sprachwissenschaft hinausreicht, auf ihre linguistische Dimension hin betrachtet wird, so kann sehr schnell erkannt werden, dass sie darin besteht, dass mit jeweils ein und demselben signifiant auf ganz unterschiedliche Dinge, Sachverhalte, Phänomene ver­wiesen wird. Im semiotischen Prozess werden also ganz oder relativ verschiedene Phänomene bezeichnet.



Dies kommt im semiotischen Dreieck in der sogenannten „klassischen Theorie der Bedeutung“ zum Ausdruck, die Ogden/Richards, „The Meaning of Meaning“ (1923), vorlegten.



Bedeutung



Zeichenform Bezeichnetes



In dem semiotischen Dreieck kommt zum Ausdruck, dass Zeichenform und Bedeutung zusammen das sprachliche Zeichen ausmachen. Nur durch das Zwischenschalten von einem Konstrukt, das Bedeutung genannt wird, ist es möglich, im Modell dafür eine Lösung anzubieten, dass wir mit ein und demselben signifiant, mit einer Zeichenform, ganz Unterschiedliches bezeichnen können.

Damit ist jedoch noch nicht geklärt, was wir uns unter Bedeutung vorzustellen haben. Aber der Ort der Fragestellungen ist nun genau lokalisierbar. Es geht um die Relation zwischen Bedeutung und Bezeichnetem.



Hierzu ist festzuhalten:

Das Bezeichnete ist die außersprachliche Wirklichkeit, englisch referent, französisch chose, rumänisch lucru das also, worauf man sich bezieht, worauf verwiesen wird, die Bedeutung eine innersprachliche Relation.



Damit kommen wir zur Darstellung des rhältnisses Bedeutung – Bezeichnetes.

Die Bedeutung einer Zeichenform bezieht sich ihrerseits auf einen Begriff, der als eine kognitive Einheit gekennzeichnet werden kann.



Im Begriff! ‚Student‘

sind alle wesentlichen Kriterien enthalten wie:

-Schulabschluss

-an einer Hochschule immatrikuliert

-männlich/weiblich

-noch nicht im Berufsleben stehend usw.



Hiervon zu differenzieren sind die unwesentlichen Kriterien wie:

-kurze/lange Haare

-dick/dünn

-politisch links/ rechts stehend usw.



Wie im oben stehenden Beispiel ist ein Begriff sehr häu identisch mit dem, was im Modell als Bedeutung einer Zeichenform benannt ist, das muss aber nicht zwangsläu so sein: Ein Begriff kann durchaus auch durch zwei Bedeutungen aufgerufen werden:



Begriff Zeichen

dt. ‚Abwesenheit von Licht‘ „dunkel“ und „finster“

engl. ‚vebergen‘ „to hide“ und „to conceil“

rum. ‚sagen‘ „a spune“ und „a zice“



Intensionaler Aspekt

Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens bezieht sich also auf einen Begriff. Und zwar müssen die Merkmale der Bedeutung bzw. des signifé so beschaffen sein, dass sie den Begriff aufrufen, repräsentieren können. Die Bedeutung bezieht sich damit auf den wesensmäßigen Inhalt des Begriffs, der auch als intensionaler Aspekt des Begriffs bezeichnet wird.









Extensionaler Aspekt

Hiervon scharf zu trennen sind nun die unwesentlichen Merkmale, die die Bedeutung mit einschließen kann, und die es möglich ma­chen, ein jeweils ganz spezielles Phänomen zu bezeichnen z.B. ein Exemplar der Spezies ‚Student‘.

Diese möglichen Merkmale werden auch bezeichnet als extensionaler Aspekt des Begriffs.

Begriffe sind – wie schon erwähnt – nicht bereits vorgegeben oder in der ‚Welt‘ enthalten, sondern werden je nach Kultur bzw. Zivilisation zur Erfassung der Umwelt geprägt. In der Sprache kommt damit von Sprache zu Sprache unterschiedlich eine ganz bestimmte Sicht und Erfassung der Umwelt zum Ausdruck. Indem wir in einer Sprache aufwachsen, übernehmen wir die in ihr enthaltene Begriffsbildung und werden von ihr in unserer Sicht und Orientierung der Umwelt geprägt. Bei jeder bewusst inszenierten Sprachlenkung geht es darum, diese Begriffsbildung zu beeinflussen, und zwar dadurch, dass ein sprachliches Zeichen in einem ganz bestimmten Bezeich­nungs­prozess immer wieder verwendet wird.



Wenn z.B. das Zeichen „Student“ immer wieder im Zusammenhang mit Kriterien wie ‚staatsverdrossen, destruktiv, faul, unproduktiv, parasitär‘ gebraucht wird, dann kann es schließlich dazu kommen, dass unwesentliche also extensionale Aspekte des Begriffs zu intensionalen werden und damit schließlich eine ränderung der Bedeutung des Zeichens herbeiführen.





3.2 Bedeutung‘ und ‚Sinn‘



Ein sprachliches Zeichen liegt dann vor, wenn einer Zeichenform eine Bedeutung zugeordnet ist. Kriterium für die Zeichenhaftigkeit ist also die Bedeutung, das kommt in der Definition der Elemente der ersten Gliederung der Sprache zum Ausdruck, der Morpheme, die als kleinste bedeutungstragende Einheiten definiert sind.

Nun treten Zeichen aber in aller Regel nicht isoliert auf, als Unikate, sondern im rbund mit anderen Zeichen im Rahmen einer Außerung. Und hier kann der zunächst paradox erscheinende Sachverhalt eintreten, dass in einer Außerung die einzelnen verbalen Zeichen durchaus eine Bedeutung haben, die Außerung aber dennnoch nicht akzepel ist.

z.B.

Colourless green ideas sleep furiously (chomsky).

(Farblose grüne Ideen schlafen wütend.)



Bedeutung und Sinn

Dieser Satz ist nicht akzepel, obwohl jedes der einzelnen Zeichen Bedeutung trägt. Wir haben also zu unterscheiden zwischen Bedeutung und Sinn. Im Zeichenverband der Außerung haben die Zeichen die Funktion, auf etwas zu verweisen, etwas zu bezeichnen. Wenn diese Funktion den Erfahrungsnormen der Sprachteilhaber entspricht, wird sie als sinnvoll akzeptiert.



Sie wird als sinnlos und damit nicht akzepel zurückgewiesen, wenn diese Prämisse nicht erfüllt ist, und zwar auch dann, wenn jedes einzelne Zeichen für sich Bedeutung hat.

An dieser Stelle der Überlegungen wird deutlich, dass semantische Fragestellungen sich nicht auf der Ebene der einzelnen Zeichen, die Wortebenen beschränken lassen, sondern auch die Satz- und Textebenen einschließen müssen. Hier können ausführlicher nur wortsemantische Probleme und Forschungsansätze dargestelllt werden, auf satz- bzw- textsemantische Aspekte werden lediglich Hinweise gegeben.











3.3 Wort und Name



Die Feststellung, dass verbale Zeichen eine Bedeutung haben und damit die Funktion erfüllen können, mittels einer Zeichenform auf etwas verweisen zu können, betrifft nur einen Teil des Wortschatzes, des Lexikons einer Sprache, wenn auch den größten.



z.B.

Das Wort ‚Schmied‘ – der Name ‚Herr Schmied‘



Das Wort hat eine ganz bestimmte Bedeutung und kann damit die Funktion erfüllen, als Berufsbezeichnung auf ganz unterschiedliche Individuen zu verweisen.



Identifikation

Im Gegensatz hierzu hat der Name keine Bedeutung, er hat vielmehr einzig und allein die Funktion, ein und nur ein Exemplar zu bezeichnen, und zwar zu identifizieren.

Der Wortschatz wird deshalb traditionell differenziert in die Wörter, auch nomina appellativa genannt und die Namen, auch als nomina propria bezeichnet.

Die Grenzen zwischen den Appellativa und den Namen ist teilweise fließend. So gibt es sogenannte ‚reine‘ Namen wie z.B. die Familien­namen:



dt. Müller

engl. Churchill

rum: Popa



oder die Ortsnamen:

dt. Hamburg

rum. Craiova

Diese Namen sind für den normalen Sprachteilhaber nicht ausdeutbar und sind damit auch nicht übersetzbar in eine andere Sprache.

So käme wohl niemand auf die Idee, den Namen Popa ins Deutsche mit der Pfarrer zu übersetzen.



Aber: Da fast alle Namen aus Wörtern entstanden sind, also appellativischen Ursprung haben, sind bei näherem Hinsehen die appellativischen Bedeutungen in vielen Namen noch erschließbar:



Im dt. Familiennamen Kaufmann so die Bedeutung ‚Kaufmann = Händler‘

Im rum. Ortsnamen Campulung die Bedeutung ‚Campulung = langes, breites Feld‘.



Namen, bei denen die appellativische Komponente noch lebhaft ist, können übersetzt werden:

So der deutsche Name Schwarzwald in das Englische Black Forrest und das Rumänische P`durea Neagr`.



Kriterium des Namens ist also die Funktion der Identifizierung und damit seine Eindeutigkeit. Diese ist bei Ortsnamen meistens gesichert oder wird durch Zusätze bei Namensgleichheit bewirkt.



Viele Städte in Deutschland tragen den Namen Neustadt. Die Differenzierung erfolgt durch Zusätze:



Neustadt, Kreis Marburg

Neustadt an der Aisch

Neustadt am Rübengebirge

usw.

Bei Personennamen wird Eindeutigkeit durch Namenkombination hergestellt:



Fritz Müller

Horst Müller

Lieschen Müller

usw.

Diese Eindeutigkeit als Kriterium des Namens wird in bestimmten Sprachvarietäten angestrebt, in denen es auf hohe sprachliche Präzision ankommt, z.B. in Technik und Wissenschaft.

In einem intensionalen Normungsprozess werden Zeichen hier so hinsichtlich des Geltungbereichs des Bezeichneten festgelegt, dass eine dem Namen vergleichbare Eindeutigkeit angestrebt wird:



H2O, Denotat, Phonem, Meter, Ringschlüssel, Kugellager, Kegelrollenlager, usw.



Terminus

Ein derart im Geltungsumfang festgelegtes Zeichen wird Terminus genannt. Termini sind Kriterien von Fachsprachen







Lexikologie/Lexikographie

Die linguistischen Disziplinen, die sich mit der Untersuchung und Darstellung des Wortschatzes, und zwar der Appellativa beschäftigen, sind die Lexikologie und die Lexikographie, die eine Erfassung des Lexikons in Wörterbüchern betreibt.





Onomastik

Mit den Namen, den Nomina Propria dagegen befasst sich die Namenkunde oder Onomastik (von griech. Onoma = Name).





3.4. Lexikalische Polymorphie



„Hätte ich die Aufgabe, eine menschliche Kunstsprache zu entwerfen, ein in sich konsequentes und kohärentes Informa-tionssystem zu konstruieren, so würde ich selbstverständlich jede Funktion durch eine bestimmte Form, und selbstverständlich nur durch die eine Form kennzeichnen, würde Formen und Funktionen einander monosystematisch d.h. umkehrbar eindeutig oder, wie die Mathematiker heute sagen ein-eindeutig zuordnen. Welches Zeichen ich auch immer wählen würde, um z.B. den Begriff „Mehrzahl“ zu symbolisieren, dieses einmal gewählte Zeichen würde dann immer und überall die Aufgabe haben, „Mehrzahl“ zu bedeuten und nichts anderes“. (Wandruszka 1971: 56)



In natürlichen Sprachen ist dieses ideale monosystematische rhältnis natürlich nicht gegeben, es besteht vielmehr ein Überangebot an Formen, so z.B. auch an Pluralformen:



Das Haus – Die Häuser

Die Maus – Die Mäuse

Die Frau – Die Frauen

Der Bau – Die Bauten



Lexikalische Polymorphie

Auch im Bereich des Lexikons besteht ein Überangebot an Formen für die gleiche Funktion; dieses Phänomen kann als lexikalische Polymorphie bezeichnet werden. Es zeigt sich in unserem Zusammenhang im asymmetrischen rhältnis in der Relation von signifiant und signifié.

Um auf das Zitat zurückzugreifen: Im Idealfall des verbalen Zeichens müsste hier einem signifiant jeweils ein signifié zugeordnet werden, bzw. zugeordnet sein und umgekehrt. Dies aber ist nicht der Fall.





3.4.1 Synonymie



Ein signifié kann durch zwei oder mehrere signifiants aufgerufen werden.



Liebe, Zuneigung

Etage, Stockwerk, Geschoss

Metzger, Fleischer, Schlachter, Fleischhauer.



Synonymie liegt dann vor, wenn die in Frage kommenden Zeichen in der identischen Umgebung stehen können, also gleiche Distri­bution haben.

Wenn sich also ein Satzpaar nur durch zwei verschiedene Zeichen in der gleichen syntaktischen Position unterscheidet, aber den absolut identischen Inhalt hat, dann handelt es sich bei diesen Zeichen um Synonyme.



1. Er wohnt in der zweiten Etage.

Er wohnt im zweiten Stockwerk.



2. Sein Vater ist Metzger.

Sein Vater ist Fleischer.

Synonyme sind häu durch den Umstand gegeben, dass neben dem deutschsprachigen ein fremdsprachiger signifiant im Sprachsystem vorhanden ist:



Stockwerk – Etage

Anzeige – Inserat – Annonce

Auskunft – Information

Ein zweiter Grund für die Existenz von Synonymen ist die Aufnahme von zunächst regional geltenden Zeichen in das standardsprachliche System.



Sonnabend – Samstag

Fleischer – Schlachter – Fleischhauer – Metzger

Rechen – Harke

Treppe- Stiege

kehren - fegen

Bei näherer Betrachtung stellen wir aber fest, dass tatsächliche Synonymie, die dann gegeben ist, wenn zwei oder mehrere signifiants ein und dasselbe signifié ausrufen, selten ist.

Denn auch bei den oben stehenden Beispielen kann im Falle von ‘Anzeige – Inserat – Annonce‘ oder ‚Auskunft – Information‘ bereits sowohl Sozialstatus des Sprechers/Schreibers als auch Textsorte distributionsbeschränkend wirken, im Falle von ‚Fleischer – Schlachter- Fleischhauer – Metzger‘ dagegen die Region.



Im Falle von Synonymen wie:



Beerdigung – Bestattung

Antlitz – Gesicht

Haupt- Kopf

anfangen – beginnen

aufmachen – öffnen

zumachen – schließen

gesund werden – gesunden

krank werden – erkranken

alt werden – altern

sind unter stilistischem Aspekt ganz eindeutige Distributionsbe­schrän­kungen zu erkennen, die Zeichen in der rechten Spalte haben einen höheren Stilwert.



Diese Distributionsbeschränkungen können aber auch in engerem Rahmen kontextuell bedingt sein, wie folgende Beispiele demon­strieren sollen:



Er begreift sehr schnell für ‚geistiges Erfassen‘: aber nicht:

versteht

Bitte etwas lauter, ich kann Sie nicht verstehen für ‚hören‘; aber nicht: begreifen



Das Mädchen wird rot/errötet.

Der Apfel wird rot; aber nicht: errötet.

In den meisten Fällen von Synonymie handelt es sich nur um eine teilweise, partielle Synonymie.



Prinzip der Ökonomie

Ein Grundkriterium menschlicher Sprache ist das Prinzip der Ökonomie, nach dem mit endlichen Mitteln unbeschränkte Varia­tions­­möglichkeiten bereitgehalten werden. Im Bereich der Phone­matik haben wir gesehen, dass mit einem ganz kleinen Inventar von Elementen, den Phonemen, die signifiants aller Zeichen der deutschen Sprache gebildet werden können. Diesem Prinzip der Ökonomie würde ausgeprägte Synonymie in einer Sprache zuwider­laufen. Deshalb sind echte Synonyme sehr selten.





3.4.2. Polysemie



Bei der (echten) Synonymie rufen zwei oder mehrere Zeichenformen einen Zeicheninahlt auf.

Es gibt nun hinsichtlich der Asymmetrie des Sprachzeichens quasi den umgekehrten Fall, dass eine Zeichenform zwei oder mehrere Zeicheninhalte aufruft:



„Lauf“ - Laufen als sportliche Übung: 100-Meter-Lauf

- Wasserlauf

- Gewehrlauf

- In der Jägersprache: Bein des Schalenwildes z.B. des Rehs

- Folge von Tönen im Musikstück

- Ablauf der Zeit

Wichtig hierbei ist, dass die Zeicheninhalte nicht voneinander unab­hän­gig sind, sondern vielmehr „vom Sprecher als zusammengehörig empfunden werden“ (ullmann,1967: 111). Dann ist die Zeichenform mehrdeutig oder polysem.

Unter anderem Aspekt könnte dieser Befund sprachtheoretisch auch so formuliert werden, dass bei der Polysemie das signifié eines Zeichens eine extreme Ausweitung des Bezeichnungsumfanges (extensionaler Aspekt des Begriffs) aufweist.



Polysemie liegt auch dann vor, wenn ein und dasselbe Zeichen ganz unterschiedliche semantische Distribution haben kann:



scharfes Messer - ‚geschliffen‘

scharfer Geruch -‚unangenehm‘

scharfe Säure -‚ätzend‘

scharfes Getränk -‚stark‘ oder ‚bitter‘

scharfer Wind -‚kalt‘

scharfe Stimme - ‘durchdringend‘

scharfes Bild - ‚konturiert‘ und ‚stimulierend‘

scharfe Kurve -‚gefährliche‘

scharfe Kritik -‚radikal‘

scharfe Antwort -‚barsch‘

scharfes Tempo -‚schnell‘

scharfer Hund -‚wachsam‘

(aus: Spillmann, 1992: 132)



Das oben stehende Beispiel wurde deshalb so ausführlich zitiert, um zu demonstrieren, wie ausgeprägt und quantitativ bedeutend die Polysemie im lexikalischen Bereich ist.

Die Polysemie des verbalen Zeichens macht die hochökonomische Funktion des Zeichens aus, denn mittels nur eines Zeichens kann, je nach seiner kontextuellen Einbettung, ganz Unterschiedliches be­­zeich­­net werden.



Fachsprachen, die eine 1:1 Relation von signifiant und signifié ihrer Zeichen anstreben und Polysemie bewusst ausschließen wollen oder müssen, bezahlen ihre Eindeutigkeit durch ein ungeheueres Ansteigen des Fachwortschatzes und durch hohe Schwerfälligkeit. Für natürliche Sprachen dagegen bedeutet Polysemie „Biegsamkeit, Geschmeidigkeit, Beweglichkeit“ (WandrusZka 1971: 72).



Auch Syntagmen können polysem sein. Allerdings sind Syn­tagma­bedeutungen auch mehr als die Summe der beteiligten singifiés. Einerseits kommt die Bedeutung der Syntaxregel hinzu, die ein Syntagma zusammenschließt. Zum anderen werden durch den Kontext im Syntagma die semantischen Merkmale eines Wortes neu geordnet, eine potentielle Mehrdeutigkeit wird durch Kontextselektion einer bestimmten Bedeutung beseitigt:



Nicht jeder große Mann ist ein großer Mensch.

(Ebner-Eschenbach).



Es ist nicht schlimm, wenn ein Musikus flöten geht.



Ein schwarzer Läufer lag auf dem Boden. Mehrere Männer standen um ihn herum und betrachteten ihn aufmerksam. Einer ließ sich auf die Knie nieder, öffnete eine kleine Tasche und entnahm ihr einige Gegenstände, mit denen er den Läufer fachkundig untersuchte:



Sportler? Teppich? Schachur? In idiomatisierten Redewendungen ist die freie Austauschbarkeit der Wörter eingeschränkt. Das Ge­samt­­­syntagma hat oft „übertragene“ (metaphorische) Bedeutung angenommen und muss mit seinem bildhaften Aussageinhalt ver­standen werden.



Bei der Satzsemantik ist zu beachten, dass die Wort- und Syntagmabedeutungen durch die Bedeutung des syntaktischen Satzbaumusters ergänzt werden. Stellung im Satz und rknüpfung mit grammatischen Morphemen ergeben selbst bei lexikalischen Leer­sym­bolen (in der Sprache nicht vorhandenes Wortbildungs­morphem) den Grundriss einer Satzbedeutung:

z.B.

Der wimmende Wimmer wimmte eine wimmige Wimmung.

Im Übrigen gibt es eine syntaktisch begründete Satzpolysemie, die nicht auf die Mehrdeutigkeit eines Wortes zurückzuführen ist:



Die rfolgung der Soldaten dauerte Stunden.

Soldaten = rfolger oder rfolgte?





3.4.3. Homonymie



Wenn der Sonderfall von Polysemie vorliegt, dass die verschie-denen Zeicheninhalte, die eine Zeichenform aufruft, von den Sprechern nicht mehr als zusammengehörend, sondern vielmehr als vollkommen disparat empfunden werden, sprechen wir von Homonymen.



Schloss (Türschloss) - Schloss (Wasserschloss)

Bank (Sitzmöbel) - Bank (Geldinstitut)

Wie im vorliegenden Beispiel sind sehr viele Homonyme sprach­historisch aus Übertragungen entstanden und damit zu irgendeinem Stadium zunächst polyseme Zeichen gewesen.



So wie ein Schloss einen Raum verschließt, bezeichnet das übertragene Zeichen Schloss entweder den umschlossenen, befe­s­tig­ten Raum oder das durch dieses Bauwerk abgeschlossene, gesicherte Tal.

Und auf der Bank ruhen die Gelder wie der Körper auf dem Sitzmöbel.



Zu einem Zeitpunkt in der Sprachentwicklung wird dieser Zusam­menhang von den Sprechern nicht mehr empfunden, und diese Zeichen sind für sie dann vollkommen verschiedene Wörter, die rein zu­fäl­lig die gleiche Lautgestalt haben.



Homonyme können aber auch dadurch entstehen, dass durch pho­no­logische Entwicklungen die Zeichenformen zweier vollkommen unterschiedlicher Zeichen schließlich zusammenfallen:



Ton (Laut) - Ton (Erde)

Reif (Ring) -Reif (gefrorener Tau)

Homonyme lassen sich in zwei Gruppen klassifizieren:



Homophonie

Bei den Homophonen ist der signifiant phonetisch identisch, bei graphetischer Repräsentation jedoch nicht:



Mohr - Moor

Rat - Rad

engl. night - knight

engl. flour - flower



Homographie

Bei den Homographen ist die graphische Repräsentation identisch, die phonetische jedoch nicht:

‚verfaulen‘ [`‘mo:drn]

modern

‚zeitgemäß [mo:‘drn]



‚lesen‘ [ri:d]

engl. read

‚gelesen‘ [rd]



Schließlich kann Homophonie mit Homographie zusammen fallen:



Ton - Ton

Bank - Bank

Homonymie in Form von Homophonie ist weitaus häuer als Homo­graphie.

Die Tatsache, dass es überhaupt Homonyme gibt, ist ein Beleg für die Arbitrarität des verbalen Zeichens, genauer formuliert, für die Arbitrarität der rknüpfung von signifiant und signifié.



Die Homonymie ist aber auch auf der Satzebene zu beobachten:



z.B.

Später wurde der Brief von Klaus verlesen.

Dieser Satz kann so paraphrasiert werden:

-Ein Brief wurde verlesen, den Klaus geschrieben hat.

oder

-Irgendein Brief wurde von Klaus verlesen.



engl. - We can fish.

Dieser Satz kann folgendermaßen paraphrasiert werden:



Wir können angeln.

oder

Wir konservieren Fische (in Konservendosen).



3. Strukturen im Wortschatz



3.1 Paradigmatische Strukturen



Ein sprachliches Zeichen kann in unterschiedliche paradigmatische Relationen eingebunden werden, die damit zugleich Strukturmerk­male des Wortschatzes einer Sprache darstellen. Z.B.



Belehrung



1 2 3 4

Belehren Unterweisung Bekehrung Täuschung

Lehre Unterricht Bekleidung rschleierung

Lehrer Ausbildung Beschreibung u.s.w

Gelehrt Anleitung Befolgung

Lehrling Schulung usw.

usw. usw.





3.1.1 Wortfamilie



Kernlexem

Die in der Kolumne 1 aufgelisteten Zeichen haben mit dem Ausgangswort „Belehrung“ alle das Kernlexem ‚Lehr-‚ gemeinsam. Die sich hieraus abzeichnende Struktur kann als lexemidentisches Feld bezeichnet werden. Eine andere gebräuchlichere Bezeichnung hierfür ist Wortfamilie.

Die lexemidentischen Strukturen des Lexikons haben ganz unterschiedliche Größe; so umfasst die Struktur, in die das rb „ziehen“ gehört ca. 1000 Einheiten bzw. Wörter, während das Feld um „drohen“ von ganzen 7 Wörtern gebildet wird.

Die sprachstrukturelle Form der Wortfamilien ist die gegenseitige Stützung, Motivation der zugehörigen Wörter und damit im Hinblick auf den Sprachteilhaber eine hochökonomische Reduzierung seiner aufzuwendenen Lern- bzw. Gedächtniskapazität.

Diese Funktion kann deutlich an Fällen nachgewiesen werden, in denen durch die Sprachentwicklung ein Wort schließlich vollkommen isoliert erscheint und dann verschwindet oder an eine phonematisch ähnliche Struktur angeschlossen wird, mit der es lexikalisch überhaupt nichts gemein hat.

1. Mittehlochdeutsch „lin –wat“ = ‚Leinenes Bekleidungsstück‘. Da „wat“ in Isolierung geraten war, erfolgte eine Stellung zu der Struktur „Wand“ und es ergab sich aufgrund der lautgesetzlichen Entwicklung vom Mittel­hochdeutschen zum Neuhochdeutschen das Wort „Leinwand das mit „Wand” lexikalisch absolut keine Gemeinsamkeit hat.

2. Latenisches ‚arcuballista‘ entwickelt sich zu mlat. (d.h. einer

mittelalterlichen vulgären Form des klassischen Latein) ‚arbalista‘.

Dieses Wort wird nun bei der Aufnahme in das Lexikon der deutschen Sprache an zwei phonematisch ähnliche Strukturen ange­schlossen, mit denen es lexikalisch absolut nichts zu tun haben kann und lautet dann: „Armbrust“.

Ein isoliertes Wort wird also phonematisch ähnlichen „rwandten“ zugesellt, es wird fälschlich etymologisiert.



Derartig entstandene Wörter werden als Pseudoetymologien bzw. Volksetymologie bezeichnet.





3.1.2 Wortfeld



Die unter 2 in unserem Beispiel rubrizierte Kolumne listet die Wörter auf, die im rhältnis der partiellen Synonymie zum Ausgangswort stehen.

Derartige Strukturen des Lexikons einer Sprache werden als Wortfelder bezeichnet. Der Feld-Begriff soll dabei charakterisieren, dass die Wörter wie in einem Magnetfeld in Wechselbeziehungen zueinander stehen und die signifiés der einzelnen Zeichen durch die der Nachbarn in dieser Struktur mitbestimmt werden.



Auf den Begriff der ‚Erregung‘ kann im Deutschen mit folgenden Zeichen des Wortfeldes verwiesen werden: „Nervosität – rwirrung – Tumult – Wirbel – Panik – Alarmstimmung – Unruhe – Arger – Zorn – Wut – Raserei – Amok – Ekstase“ usw.



Wortfeldtheorie

Die Wortfeld-Theorie wurde von Jost Trier in seinem berühmt gewordenen Buch: „Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des rstandes“, 1931, publiziert und hat in Deutschland die linguistische Richtung der Sprachinhaltsforschung hervorgerufen, als deren bedeutendste rtreter Leo Weisgerber und Helmut Gipper zu nennen sind.

Sie geht davon aus, dass die Begriffsbildung, mit der sich eine Sprachgemeinschaft ihre Umwelt verfügbar gemacht hat, durch derartige Wortfelder repräsentiert wird. Innerhalb des Feldes erhält das einzelne Zeichen seine Bedeutung erst dadurch, dass es Feldnachbarn hat, an deren Bedeutungen es anschließt bzw. von deren Bedeutungen es teilweise überlappt wird oder diese überlappt.



Bei dem Worfeld der ‚Temperaturbezeichnungen‘

eiskalt – kalt – kühl – lauwarm – warm – heiß – kochendheiß
Ist es nicht möglich, den exakten Temperaturgrad anzugeben, auf den mit einem entsprechenden verbalen Zeichen verwiesen werden müsste. Vielmehr ist die sprachliche Bezeichnung nur in Relation zu den Feldnachbarn zu leisten:



„kühl“ ist wärmer als „kalt“, aber kälter als „lauwarm“.



Ein Wortfeld ist die gegliederte Menge sinnverwandter, d.h. inhaltlich zusammengehöriger („begriffsverwandter“) Wörter.



Z.B. die „rben des Gehens“: gehen, laufen, wandern, rennen,

oder die „rben der Fortbewegung“: gehen, fliegen, reiten, schwimmen…

Diese Wörter sind in einem bestimmten Kontext austauschbar, d.h. es ergeben sich beim Austauschen sinnvolle Sätze, wenn auch mit unterschiedlichem Sinn.



z.B.: Wir gehen/reiten/fliegen langsam dahin.

(aber nicht:  Wir brüllen langsam dahin.)

oder: Sie gehen/laufen/wandern durch den Park.

(aber nicht:  Sie schwimmen durch den Park.)

Bei der Wortfeldforschung wurde erkannt, dass die Bedeutungen der Wörter einander bedingen und sich im Laufe der Zeit gegeneinander „verschieben“; doch zunächst wurde noch nicht der Strukturgedanke zu Hilfe genommen.



Bekannte Wortfelduntersuchungen betreffen z.B. den „Sinnbezirk des rstandes“ (klug, schlau, weise, listig…), die rben des Sterbens, der Fortbewegung, der Nahrungsaufnahme usw.; die Farben, Gewässer, Sitzgelegenheiten, räumliche Adjektive u. dgl.

Die Relativität der Bedeutungen zeigt sich besonders deutlich am Beispiel eines „unechten“ Feldes (einer künstlichen Terminologie), wie es verschiedene Schulnotenskalen darstellen:











1-4 sehr gut gut genügend ungenügend



1-5 sehr gut gut befriedigend ausreichd. ungenüg.



1-6 sehr gut gut befriedigd. ausreich. mangelh. ungenüg.





Die Wortfeldtheorie stellt fest, dass von Sprache zu Sprache unterschiedlich die für jede Sprachgemeinschaft typische Begriffsbildung und damit rfügbarmachung der Umwelt sprachlich repräsentiert ist, dass also ein sprachliches Netz die Welterfassung in ihrer jeweiligen Spezifik wiedergibt, wobei es sich um unter­schiedliche Maschendichte im Netz handelt. Es ist so denkbar und durch Untersuchungen auch nachgewiesen, dass die sprachliche Repräsentation eine von Sprache zu Sprache unter­schie­­dliche Welterfassung dokumentiert.



Z.B. gibt es in der rumänischen Sprache regional geprägte rwandtschaftsbezeichungen wie: cuscru, soa]`, die im Deutschen keine Aquivalente haben.

Dieses Beispiel weist nach, dass die Maschen des sprachlichen Netzes gerade dort am dichtesten durch Wortfelder markiert ist, wo Schwerpunkte der für eine Sprachgemeinschaft typischen Begriffs­bildung liegen.

Die Wortfeldtheorie bietet - unter aller Berücksichtigung der hinsichtlich ihres methodischen Vorgehens erhobenen Kritik – ein In­stru­ment, mit dem die kulturspezifischen Differenzen des als Prozess immer identischen semiotischen Vorganges nachgewiesen werden können.



In den Aufgabenbereich der Semantik gehört auch die Erforschung der Ursachen und Gründe, die zu Bedeutungs­veränderungen führen. Bei der historischen Betrachtung werden Be­deutungs­verän­derungen deutlich, besonders in zwei Dimensionen:



B.-erweiterung: mhd: vrouwe (adlige Frau) nhd: Frau

B.-verengung: mhd. hochzit (allg.: Fest)  nhd. Hochzeit

B.-„verbesserung“: mhd: houbet (allg.: Kopf) nhd. Haupt

B.- „verschlechterung“: mhd: wip (allg.: Frau)  nhd. Weib

Die Bedeutungserweiterung von vrouwe zu Frau ist übrigens zugleich eine „rschlechterung“, die eine allgemeine Erscheinung darstellt:



mhd: (adlig) - vrouwe nhd: Dame - (hoch)

(Ehefrau) - wp Frau - (neutral)

(Jungfrau) -dierne Weib - (z.Telefon: niedrig)

Dirne - (z.Telefon: vulgär)

Damit ergibt sich ein gemeinsames Arbeitsgebiet für die Disziplinen Semantik, historische und Soziolinguistik, denn die Erklärung für den Vorgang kann nur interdisziplinär aus sprachlichen, historischen und sozialen Ursachen gefunden werden.



Idiolekt

Zur Untersuchung und Darstellung der semantischen Strukturen eines Individualwortschatzes, eines Idiolektes, ist die Wortfeld-forschung nachgewiesenermaßen die erfolgreichste, aussagekräf­tigste und am meisten gehandhabte Methode praktischer semanti­scher Analyse überhaupt. Zahlreiche Texte und Idiolekte der deu­tschen Sprache wie auch anderer z.B. der rumänischen und englischen Sprache, und dies auch für vergangene Sprachepochen, sind mit dem rfahren der Wortfeldforschung untersucht worden, das damit wichtige Beiträge zur jeweiligen Sprachgeschichts­schreibung bereitstellen konnte.





3.1.3 Morphemidentisches Feld



Unter 3 in unserem Beispiel von 3.1. ist eine Liste von Wörtern aufgezeichnet, die nicht wie das lexemidentische Feld hinsichltich eines gemeinsamen Kernlexems übereinstimmen, die vielmehr bei differierendem Lexem alle nach dem gleichen Wortbildungsmuster zusammengesetzt sind, und zwar mit dem gleichen Präfix ‚be-‚ und dem gleichen Suffix ‚-ung‘, die also mit identischen Morphemen gebildet sind.

Eine derartige Struktur nennen wir ein morphemidentisches Feld.









3.1.4 Antonymisches Feld



Im Lexikon lassen sich Strukturen aufweisen, die auf der Bezeichnung von Gegensätzen beruhen, wie diese in der Liste unter 4 in unserem Beispiel zum Ausdruck kommt. Derartige Strukturen werden als antonymische Felder bezeichnet (von griech. ‚anti‘ = ‚gegen, entgegen‘ und ‚Onoma‘ = ‚Name‘). Antonymische Strukturen werden häu den Wortfeldern subsumiert, aus Gründen der Übersichtlichkeit werden sie hier separat dargestellt.



Man kann immer wieder die überraschende Beobachtung machen, dass es oft leichter fällt, zu einem Wort spontan das Antonym zu finden als ein Synonym.



Liebe – Hass ; Leben – Tod; schlafen – wachen; häu – selten; sauber – schmutzig;

fröhlich – traurig; Nutzen – Schaden; Tag – Nacht; damals – heute

Zu dieser Beobachtung stimmt, dass sogar im Bereich der Wortbildung ein umfangreiches Morpheminventar zur Bildung von lexikalischen antonymischen Strukturen bereitgestellt ist in Form von Präfixen:



auf -/zu- auf-/zumachen

schließen

schlagen

ein-/ aus- ein-/auspacken

laden

geben

be-/ ent- be-/entladen

waffnen


sorgen

ver-/ ent- ver-/enthüllen

schleiern

riegeln

zu-/ent- zu-/entkorken

laufen

Un- Glück - Unglück

Lust Unlust

Geduld - Ungeduld



Miss- Erfolg - Misserfolg

Trauen - Misstrauen

billigen - missbilligen

usw.



Besonders viele Adjektive lassen sich zu antonymischen Paaren ordnen, wobei besonders interessant ist, dass viele Bezeichnungen auf die mittels Adjektiven verwiesen wie z.B.



groß – klein; dick – dünn; hoch – tief; gut – böse; billig – teuer

usw.

sich nicht etwa auf naturgegebenen Antonymien beziehen:

So ist z.B. ein kleiner Hund größer als eine große Maus.



Diese Antonymien beziehen sich vielmehr wiederum auf Erwartungs- bzw. Erfahrungsnormen einer ganz bestimmten Sprach­gemeinschaft, die sich als kulturelle Spezifika also – wie bei den Wortfeldstrukturen schon dargestellt – im Lexikon einer Sprache niederschlagen.

Die Tatsache, dass antonymische Strukturen überhaupt so stark im Lexikon nachgewiesen sind, spiegelt nichts anderes als ein gene­relles Prinzip menschlicher Kognition wider. Beim geistigen Erfassen eines Sachverhaltes oder unserer Umwelt sind wir gezwungen, permanente Substitutionen vorzunehmen und zu beurteilen, ob etwas vorhanden ist, stattfindet oder nicht. Gegenüberstellung und Gegen­satzbildung sind elementare rfahren menschlicher Orien­tierung, die sich selbstverständlich auch in der Sprache kon­densieren.



3.2. Syntagmatische Strukturen



Wenn in Kapitel 2.2. auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der Bedeutung eines verbalen Zeichens und dem Sinn einer Außerung hingewiesen wurde unter rweis auf den Satz:



Colourless green ideas sleep furiously

so kann dieser Sachverhalt hier nun detaillierter, quasi unter der Lupe, dargestellt werden.



Syntagmatische Normen

Sprachliche Zeichen müssen in einer Außerung, d.h. in ihrer linearen Anordnung, nicht nur in grammatischer, sondern in semantischer Hinsicht den syntagmatischen Normen der entsprechenden Sprache genügen. Dies bedeutet, dass unter semantischem Aspekt ein Zeichen eine ganz bestimmte Distribution haben kann bzw. muss, die gleichzeitig andere Distributionen ausschließt:

So schließen sich ‚colourless‘ und ‚green‘ ebenso gegenseitig in der linearen Abfolge aus wie ‚colourless green‘ und ‚ideas‘ usw.

Die sprachlichen Zeichen müssen unter semantischem Aspekt also miteinander ‚verträglich‘ kombiniert werden. So setzt z.B. in Prädi­kats­stellung das rb



„bellen“ als Subjekt ‚Hund‘

„grunzen‘ ‚Schwein‘

„fressen“ ‚Tiere‘

„essen“ ‚Menschen‘

voraus.

Als Objekte fordert das rb



„angeln“ - ‚Fische‘

„fällen“ – ‚Bäume‘

„reiten“ – ‚Reittiere‘

„lenken“ – ‚Fahrzeuge‘.



Semantische Kongruenz

Wie im syntaktischen Bereich ist auch im semantischen also eine Übereinstimmung, eine semantische Kongruenz erforderlich.

Der Linguist Eugenio Coseriu (Lexikalische Solidaritäten. In: Poetica 1. 1967, 293 –303.) nennt die Bedingungen, die die Zeichen unter semantischem Aspekt hinsichtlich ihrer normgerechten Distribution erfüllen müssen, lexikalische Solidaritäten. Auf diesen terminologischen Vorschlag aufbauend erweist sich der Ansatz einer Forschungsrichtung der Semantik, der sogenannten Komponen­tenanalyse, als leicht zugänglich.



Semen

Bei der Darstellung des Problems der Bedeutung ist darauf hin­zuweisen, dass man sich das signifié eines verbalen Zeichens (Semem) als ein Bündel von semantischen Merkmalen, Semen, vorzustellen habe. Hieran kann jetzt angeknüpft werden. Lexikalische Solidarität und damit eine von der syntagmatischen Norm gedeckte Kombination von Zeichen ist dann gegeben, wenn sie übereinstimmende semantische Merkmale und nicht ein einziges entgegengesetztes, kontradiktorisches Merkmal haben.



Dies aber ist z.B. der Fall bei dem Zusammentreffen von green, das unter anderem das semantische Merkmal [ farbig] und colourless, welches das semantische Merkmal [-farbig] trägt.



Um zu den oben stehenden Beispielen zurückzukommen: Das rb bellen kann im Deutschen auch durchaus ein anderes Subjekt als Hund haben:



Der Chef bellt schon wieder den Portier an.

Der Mann frisst.

Er grunzt zufrieden.

Die Blondine angelt sich einen Millionär.

Der Boxer fällt seinen Gegner.

usw.

In all diesen Beispielsätzen wird die Norm der lexikalischen Solidaritäten ‚leicht‘ verletzt. Im Fall der Ersetzung von Hund durch Chef in dem Satz



Der Chef bellt ihn schon wieder an

sind die semantischen Merkmale [ belebt] neben allen anderen erhalten, nur das Merkmal [ tierisch] ist durch das Merkmal [-tierisch] ersetzt. Damit aber ist die Übertragung der primären syntagmatischen Struktur auf einen sekundären Geltungsbereich ge­leis­tet. Das aber wird bezeichnet als eine Metapher (von griech. ‚meta =‘hinüber‘ und ‚phoro‘ = ‚ich trage‘).

Metaphorik ist die Übertragung einer semantischen Struktur durch einen graduellen rstoß gegen die Norm der lexika­lischen Solidaritäten.



Proportional zu der rletzung dieser Norm wird die Metapher schwerer verständlich bzw. ausdeutbar und der Text damit unzu­gänglicher bzw. hermetischer.

Als Beispiel hierfür sei der Anfang eines Gedichts von Paul Celan (1920 – 1979) zitiert:



Die Krüge

An den langen Tischen der Zeit

zechen die Krüge Gottes.

Sie trinken die Augen der Sehenden leer und die Augen der Blinden

die Herzen der waltenden Schatten,

die hohle Wange des Abends.



(zit. aus Spillmann, 1992: 142)









3.6 Komponentenanalyse



Das signifié des verbalen Zeichens kann als Bündel von semantischen Merkmalen aufgefasst werden.

Diese Merkmale können nun im Einzelnen bestimmt werden:

Die signifiés der angegebenen verbalen Zeichen haben z.B. folgende Merkmale:



Mann Frau

( Mensch) ( Mensch)

( erwachsen) ( erwachsen)

( männlich) ( weiblich)

usw.

Die signfiés der unten stehenden Zeichen haben folgende Merkmale:



Schimmel Rappe Fuchs

( Lebewesen) ( Lebewesen) ( Lebewesen)

( Tier) ( Tier) ( Tier)

( Pferd) ( Pferd) ( Pferd)

( weiß) ( schwarz) ( braun)



Die Gesamtmenge aller semantischen Merkmale, Seme, aus denen sich das signifié eines Zeichens zusammensetzt, wird als Semem des Zeichens bezeichnet.

Ausgehend von der Sprachtheorie des dänischen Linguisten Louis Hjelmslev haben vor allem die französischen Linguisten A. J. Greimas und B. Pottier rfahren entwickelt und vorgestellt, die die semantische Mikrostruktur von Ausschnitten aus dem Lexikon, die nichts anderes als Wortfelder sind, darstellen. Dies geschieht in Form einer Matrix.

Schon anhand dieser – sehr beschränkten – Matrix kann man aufweisen, dass verbale Zeichen sich mindestens durch ein differierendes Sem unterscheiden, wie am Beispiel ‚Mann‘ – ‚Frau‘ bzw. ‚Junge‘ – ‚Mädchen‘ deutlich wird.

Die Bedeutungsunterschiede zwischen Wörtern, z.B. den Angehörigen eines Wortfeldes oder einer Synonymreihe lassen sich mit dieser Methode erfassen und detailliert darstellen.


















Sem. Merkmal

Mann

Frau

Junge

Mäd-

chen

Kind


(belebt)












(menschl.)












(männl.)



-



-

0


(weibl.)

-



-



0


(erwachsen)





-

-

-


(verheiratet)

0

0

-

-

-




Seme werden auch als Komponenten bezeichnet, und mit ihrer Hilfe können Komponentenanalysen durchgeführt werden.

Die Komponentenanalyse liegt auch der Semantik in der GTG zugrunde.

Zunächst enthalten schon die Lexikoneinträge der Basiskomponente semantische Merkmale. (s. u.)







Die semantische Interpretation der Tiefenstruktur erfolgt aber erst in der semantischen Komponente der GTG. Chomskys Schüler Katz, Fodor u.a. gingen davon aus, dass dort ebenfalls ein Lexikon sowie sogenannte Projektionsregeln fungieren. Das Lexikon enthält die Lesarten (readings) eines Lexems, d.h. die Bedeutungen etwa von Homonymen oder polysemen Wörtern. – Hier das Beispiel bachelor aus Katz/Fodor (original):

















Die Projektionsregeln leiten die Satzbedeutungen ab, indem sie die Lesarten der Lexeme im Satz zusammenfügen, soweit sie kompa­tibel sind, d.h. zusammenpassen.

Nicht nur bachelor hat mehrere signifiés, sondern auch etwa ball, auf deutsch „Ball“, „Kugel“, „großes Tanzfest“. So ergeben sich im Satz verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, die die Lexeme mehr oder weniger disambiguieren, d.h. monosemieren (eindeutig machen), vgl.:



A bachelor ist playing with a ball. - (nicht: „Tanzfest)

A bachelor is invited to a ball. - (nur: „Tanzfest“)

Dabei spielen die SR (selectional restrictions – Selektions­be­schränkungen, semantische Valenzen) auch des rbs eine ent­schei­dende Rolle, womit auch eine rbindung zur Valenzgrammatik gegeben ist.



Die praktische Anwendung der Semantik ist vielfältig und betrifft die Lexikographie, das Definieren, Interpretieren und die Stilistik ebenso wie die Sprachdidaktik, Übersetzung und maschinelle Sprach­ve­rar­beitung.



4. Die Zeichenapplikation. Die Pragmalinguistik



4.1.Allgemeine Fragestellungen der Pragmalinguistik



Die semiotische Disziplin, die die Relationen zwischen Zeichen und ihren Benutzern untersucht, wird als Pragmatik bezeichnet. Wenn es sich um sprachliche Zeichen handelt, wird sie zu einer linguistischen Disziplin und heißt Pragmalinguistik.

Diese beschäftigt sich mit dem kommunikativen Handeln (Agieren) von Menschen untereinander, aber nicht beschränkt auf Bereiche wie Phonologie, Syntax und Semantik wie in der Systemlinguistik, sondern unter Einbeziehung aller Elemente und Faktoren des Kommunikationsprozesses. Sie berührt damit die rhaltensforschung und erforscht nicht die grammatische, sondern die kommunikative Kompetenz von Menschen, z.B.:

· wie sie Kommunikationssituationen erfassen;

· wie sie Intentionen mitteilen und verstehen;

· wie sie die Beziehungen zu Partnern verstehen und verändern;

· welche Rollenerwartungen sie in verschiedenen Situationen haben und welche Rollen sie dabei einnehmen;

· wie sie Konventionen befolgen oder durchbrechen.



Somit beschäftigt sich die Pragmalinguistik nicht mit den Regeln der Sprache, sondern mit den Regeln des Sprachgebrauchs und wird zu einem wissenschaftlichen Bereich, wo sich die Interessen von Linguistik und Kommunikationswissenschaften überschneiden.

Dabei kommt den Zeichenbenutzern, den Sprachträgern eine bedeu­tende Rolle zu.

Mit der Linguistik verbindet die Pragmalinguistik ein Interesse für die sprachlichen Phänomene; mit der Kommunikationswissenschaft ein Interesse für das Phänomen des Handelns, des Tuns. Pragmalinguistik ist Sprach-Handlungs-Theorie. Wir können den Themenbereich der Pragmalinguistik deshalb auch pointiert folgen­der­maßen bestimmen:

Thema der Pragmatik ist das, was im Sprachgebrauch die Form und/oder die Interpretationen sprachlicher Außerungen regel­haft beeinflusst kraft der Tatsache, dass Sprache in einer Situa­tion und zur Kommunikation, zum sprachlichen Handeln mit anderen, gebraucht wird.



Die Systemlinguistik fragt: Welche elementaren sprachlichen Außerungen gibt es? Welche komplexen sprachlichen Außerungen sind möglich? Wie werden sie gebildet? Was bedeuten sie, abstrakt ohne Bezug auf eine Situation?

Die Pragmatik fragt: Welche Eigenschaften der Situation sind dafür bestimmend, dass gewisse sprachliche Ausdrücke, gewählt werden, andere nicht? Was bedeuten die sprachlichen Ausdrücke – nicht als linguistische Strukturen, sondern als Außerungen in diesem Typ von Situation?



Die grammatische Kompetenz spielt dabei eine fundamentale, aber sozusagen untergeordnete Rolle. Ob eine Studentin eine Professorin z.B. mit



“Guten Tag, Frau Professor Koch! Hätten Sie vielleicht eine Minute Zeit?

“Guten Tag, Frau Koch! Haben Sie eine Minute Zeit?”

“Hallo, Frau Koch! Haben Sie mal einen Moment Zeit?”

oder



“Hallo, Maria! Hast du mal’n Moment Zeit?”

anredet, hängt ganz von der Beziehung zwischen beiden Frauen ab, vom Rollenverständnis und konventionellen rhalten der Studentin sowie ihrer Einschätzung der Professorin. Die Benutzung der entsprechenden grammatischen Formen - wie hier etwa des Kon­junk­tivs oder von Modalpartikeln - ist dem Ausdruck der Rollenbe­ziehung dann sozusagen nachgeschaltet.



Die Pragmalinguistik hat seit etwa 1970 einen stetigen Aufschwung erlebt und sich vor allem mit 4 Teilbereichen beschäftigt:



1) Als Sprechhandlungstheorie forscht sie nach den kleinsten kommunikativen Einheiten und hat den Begriff des kommunikativen Akts oder Sprechakts aufgenommen.

Sprechakte sind nicht unbedingt Sätze, sondern intentionale Einheiten, die aus der Gesamtsituation verstanden werden. So äußert die Studentin in den Beispielen oben jeweils einen Ausruf und einen Fragesatz. Den Ausruf können wir leicht als Begrüßung identifizieren. Der Fragesatz stellt aber - intentional gesehen - keine Frage dar, die die Professorin mit “ja” oder “nein” erledigen könnte, sondern eine Bitte, der Studentin ihre Zeit zu widmen (ähnlich wie bei Fragen nach dem Muster “Können Sie mir sagen, wie spät es ist?- Antwort nicht “Ja.”, sondern z.B. “Halb drei.). Explizit müsste der Sprechakt der Studentin also etwa lauten: “Indem ich Sie frage, ob Sie Zeit haben, bitte ich Sie um Ihre Zeit.”

Die Sprechakttheorie ist die am exaktesten ausgeführte Theorie der Pragmalinguistik und soll deshalb unten genauer behandelt werden.



2) Gleichzeitig mit der Pragmalinguistik entwickelte sich auch die Erforschung der gesprochenen Sprache, die gegenüber der geschriebenen zweifellos das Primat (den Vorrang) besitzt und der Gesprächsanalyse im Rahmen der Analyse der sozialen Inter­aktion. Die Gesprächsanalyse untersucht z.B. Dialoge, Interviews, Beratungsgespräche usw. auf ihre stereotypen Muster hin, auf Einleitungs- und Beendigungsformen, Gliederungssignale, Themen­wechsel, die gesamte Binnensegmentierung und Steuerung des Gesprächs u. dgl. - Auch dieser große Bereich kann hier nicht behandelt werden.



3) Schließlich versucht die Pragmalinguistik auch, zur Behebung von Kommunikationsstörungen beizutragen.

Z.B. entstehen viele Beziehungsprobleme zwischen Menschen nicht so sehr aus grammatisch-semantischen Missverständnissen, als vielmehr aus dem gesamten sprachlichen rhalten. Dieses rhalten wird von Psychologen, Psychotherapeuten, Arzten und Seel­sor­gern seit je analysiert, und zunehmend spielen dabei linguistische Theoriebildungen eine Rolle.



4) Ein anderes Untersuchungsfeld stellt die Manipulation durch Sprache dar. Sie ist allgegenwärtig, besonders massiv und ge-sellschaftlich relevant jedoch in den Bereichen der politischen Proanda und der kommerziellen Werbung.

Im Grunde genommen gehören sämtliche Erscheinungen der Sprache der Öffentlichkeit, also der Politik, rwaltung, Medien, des Rechts, des Unterrichts usw. ebenso zu den bevorzugten Forschungsobjekten wie die Sprache der privaten Sphäre.





4.2. Die Sprechakttheorie



Mit der Sprechakttheorie sind vor allem die Namen dreier Sprachphilosophen verbunden. Schon L. Wittgenstein hat in seinen «Philosophischen Untersuchungen» den Begriff des Sprachspiels geprägt (der übrigens als kommunikatives Handlungsspiel in der Texttheorie wieder auftaucht). Sprachspiele sind z.B. Fragen, Antworten, Bitten, Befehlen, Erzählen, rmutungen Außern, Begrüßen, Beschimpfen usw. In Sprachspielen lernen wir die Ge­brauch­sregeln der sprachlichen Einheiten und damit unsere Mutter­sprache.

Die Sprechakttheorie begründet hat dann der Engländer J. L. Austin 1955 mit Vorlesungen, die nach seinem Tod unter dem Titel «How to Do Things with Words» (1962) veröffentlicht wurden.



Austin betrachtet Sätze nicht als philosophische Urteile, sondern als Außerungen, als Handlungen. Außerungen wie



Der Hund ist ein Haustier

oder

Dieser Hund ist bissig

können als Feststellungen von Tatsachen gelten, die wahr oder falsch sind. Einen deutlichen Unterschied dazu zeigen Außerungen wie



Ich taufe dich (hiermit) auf den Namen Angelika.

Ich vermache (hiermit) meinen Erben dieses Haus.

Ich befehle Ihnen (hiermit), sofort zu schweigen.

Ich erkläre (hiermit) dem Nachbarland den Krieg.

Ihr rb steht in der 1. Person Präsens, sie sind weder wahr noch falsch, sondern können nur glücken (Erfolg haben) oder nicht. Austin nennt sie performative Außerungen, d.h. vollziehende, im Gegensatz zu den konstativen, d.h. berichtenden, feststellenden.

Allerdings werden auch konstative Außerungen intentional in einer Situation gemacht, z.B.:



Sie sagt/erklärt: “Dieser Hund ist bissig ”

Du behauptest, der Hund sei bissig.

Er stellte fest, dass der Hund bissig ist.

Ihr meint also, der Hund sei bissig.

Sie warnten, der Hund sei bissig.

Die Sprechakt-rben weisen schon darauf hin, dass auch hier Sprechhandlungen vorliegen, die nur nicht so institutionalisiert oder ritualisiert sind wie die oberen, wo die Handlung durch das Aussprechen des rbs selbst vollzogen wird. Aber selbst dort könnten diese rben fehlen, wenn nur der Sprecher eine autorisierte Rolle einnimmt (Geistlicher, Vorgesetzter usw.), so dass implizite performative Außerungen möglich sind wie:



Du heißt jetzt Angelika. (Taufen)

lhr erbt dieses Haus. (rerben)

Schweigt sofort! (Befehl)

oder sogar:

Der Professor ist missgelaunt. (als Warnung)

Damit werden alle Außerungen - explizit oder implizit - performativ. Austin hat die Unterscheidung konstativ/performativ, die vor allem dazu dienen sollte, den Handlungscharakter von Außerungen aufzu­zeigen, selbst wieder aufgegeben.

Wichtiger ist Austin’s Analyse der Sprechhandlung in 3 Teilakte:

1) lokutionärer Akt = Außerungsakt

a) phonetischer Akt - Außerung von Lauten

b) phatischer Akt - Außerung von Wörtern und Sätzen

c) rhetischer Akt - Außerung von Bedeutungen

2) illokutionärer Akt = Sprechhandlungsakt

3) perlokutionärer Akt = Gelingen des illokutionären Akts



Der lokutionäre Akt betrifft Phonetik, Grammatik und Semantik, also Artikulation und Inhalt einer Außerung wie Gib mir mal das Buch! Zentrum des Sprechakts ist der illokutionäre Akt, also die Spre­cheri­ntention, hier eine Bitte in Imperativ-Form (je nach Rollen­beziehung, Besitzerverhältnis usw. könnte auch eine Aufforderung oder ein Befehl vorliegen). Substanz, Inhalt, Form (Oberfläche), auf der einen Seite und Intention (Tiefe) auf der anderen, müssen klar getrennt werden. Dem entsprechen auch rständnisrückfragen des Hörers wie Das hab ich akustisch nicht verstanden oder Das hab ich inhaltlich nicht verstanden, Was meinst du denn damit?, Wie meinst du denn das? o. dgl.

Problematisch bleibt der perlokutionäre Akt, die Wirkung auf den Hörer, da schwer zu klären ist, ob eine Intention schon erfüllt ist, wenn der Hörer sie versteht, oder erst, wenn er eine vom Sprecher beabsichtigte Anschlusshandlung vollzieht. Das kann aber gegen die Forderung verstoßen, dass die Teilakte gleichzeitig geschehen sollen.



Wichtig bleibt die klare Trennung von Lokution und Illokution, da viele Sprechakte indirekt sind, also implizite performative Außerungen (s.o.). Die lllokution wird dann aus der Situation heraus verstanden. Hilfe können dabei aber auch verschiedene illokutive Indikatoren leisten wie z.B. Mimik, Gestik, Intonation, Wortstellung, Partikeln usw.

Beispiele für indirekte Sprechakte:



Es ist stickig. (Aufforderung zum Lüften)

Dort ist der Bieröffner! (Aufforderung zum Öffnen)

Deutschland fährt Audi. (Aufforderung zum Kaufen)

Können Sie mir sagen, wie spät es ist? (Aufforderung)

Ich rate dir, das nicht noch einmal zu versuchen. (Kein Rat, sondern Drohung)



Die Begriffe “lokutionär, illokutionär, perlokutionär” (nach engl. locutionary usw.) und “lokutiv, illokutiv, perlokutiv” sind übrigens gleichwertig.

Den bedeutsamsten Beitrag zur Sprechakttheorie leistete Austin’s Schüler J.R.Searle mit seinem Buch «Speech Acts» (1969).

Searle unterscheidet sogar 4 Teilakte, indem er den ersten auf­spaltet:



1) Außerungsakt (vgl. bei Austin “phonetisch” und phatisch”)

2) propositionaler Akt (vgl. bei Austin “rhetisch”)

= Referenz und Prädikation. Das entspricht etwa Satzge­genstand und Satzaussage oder Thema und Rhema (siehe Tex­t­lin­guistik) – “Reiner Inhalt.

Beispiel: Der Hund (Ref) bewacht das Haus (Präd.)

3) illokutionärer Akt (wie bei Austin), z.B.:

Behauptung: Der Hund bewacht das Haus.

Frage: Der Hund bewacht das Haus?

Bewacht der Hund das Haus?

rmutung: Der Hund bewacht das Haus.

Zweifel: Ob der Hund wirklich das Haus bewacht?

Hoffnung: Hoffentlich bewacht der Hund das Haus.

Wunsch: Wenn der Hund doch da Haus bewachte!

Voraussage: Der Hund wird das Haus bewachen.

4) perlokutionärer Akt (ähnlich Austin)



Da Searle auf eine möglichst exakte Sprechaktanalyse abzielt und für ihn Sprechen regelgeleitetes Handeln ist, bemüht er sich beson­ders um den Regelbegriff, der auch schon aus der Grammatik bekannt ist. Er unterscheidet 2 Regelarten:

1) regulative Regeln: Sie regulieren schon vorhandene rhal­tens­formen, wie Anstandsregeln, Tischmanieren o.dgl.

2) konstitutive Regeln: Sie konstituieren selbst erst rhaltens­formen, die ohne diese Regeln gar nicht existieren würden, z.B. Spielregeln, Tanzschritte u.dgl.

Ein Kommunizieren ohne “vereinbarte, institutionalisierte Regeln ist nicht denkbar, d.h. auch Sprechakte beruhen auf konstitutiven Regeln, die es zu ermitteln gilt.



Searle demonstriert das am Beispiel des Sprechakts “r­spre­chen” (im Sinne von: jemandem etwas versprechen). Er formuliert zuerst 9 Bedingungen, die hinreichend und notwendig sein sollen, damit ein Akt des rsprechens vollzogen wird. Dabei äußert sich Searle sehr vorsichtig über die Möglichkeiten, für den umgangs­sprachlichen Gebrauch von Wörtern überhaupt treffende Bedin­gungen und Regeln zu finden. 3 dieser 9 Bedingungen gelten für alle illo­kutiven Akte. Aus den restlichen 6 formuliert er folgende 5 Regeln (hier vereinfacht wiedergegeben):

1) Regel des propositionalen Gehalts

Ein rsprechen V muss einen zukünftigen Akt A des Spre­chers S voraussagen (ankündigen).

2) Einleitungsregel I

V darf nur geäußert werden, wenn der Hörer H die Ausfüh­rung von A durch S wünscht - und wenn S das glaubt.

3) Einleitungsregel II

V darf nur geäußert werden, wenn S A unter normalen Um­stän­den nicht tun würde.

4) Aufrichtigkeitsregel

V darf nur geäußert werden, wenn S die Ausführung von A wirk­lich beabsichtigt.

5) Wesentliche Regel

Die Außerung von V gilt als Übernahme der rpflichtung durch S, A zu tun.

Man kann auch sagen: in (1) wird die Proposition isoliert, in (2) und (3) geht es um die Gegebenheiten bei S und H, so dass A Sinn und Zweck hat, in (4) geht es um wirkliche Absichten, aber auch Gefühle von S, und (5) schließlich nennt das Wesen, die “Natur” des jeweiligen illokutionären Aktes.

Mit diesen 5 Regeln hat Searle ein Beispiel gegeben, wie Sprechakte analysiert werden können. Das heißt aber nicht, dass alle Sprechakte in das gleiche Schema passen. Dazu ist inzwischen viel Arbeit geleistet worden und noch viel Arbeit zu leisten.



Ebenso wie Austin hat auch Searle versucht, Sprechakte zu klassifizieren, und gelangte zu folgenden 5 Typen illokutiver rben:

1) Repräsentativa - etwas ist der Fall - (Überzeugung)

2) Direktiva - H soll etwas tun - (Wunsch)

3) Kommissiva - S wird etwas tun - (Absicht)

4) Expressiva - Ausdruck der Einstellung von S - (variiert)

5) Deklarativa - außersprachliche Institution - (variiert)

Beispiele:

zu 1) behaupten, feststellen, beschreiben, berichten,…

zu 2) befehlen, auffordern, erlauben, bitten,…

zu 3) versprechen, ankündigen, drohen,…

zu 4) danken, gratulieren, sich entschuldigen, klagen,…

zu 5) den Krieg erklären, heiraten, kündigen, entlassen,…



Folgendes Schema soll Searles Sprechkattheorie auch graphisch verdeutlichen.



















































Sprechakt

(nach J. R. Searle)






Teilakt

Außerungs-

akt

Propositio-naler Akt







Illokutiver/

Illokutionä-rer Akt

Perloku-tiver/

Perlokutio-närer Akt


Resultat des

Teil-aktes

Außerung

Proposi-tion







Illokution

Perloku-tion


Erläute-rung

Laute

Wörter

Satz

Aussage über

die Welt





Handlungs-

wert

Zweck/inten-dierte Reaktion des Hörer


Berutei-lungs-

krite-rien

grammatisch

wohlgeformt/

grammatisch

nicht wohl-

formt



wahr/falsch

glücken/

nicht glücken

erfolgreich sein/ nicht erfolgreich sein


Beispiel

/   /





BISSIG

(hund)

Mitteilung

oder

Feststel-lung

oder



Warnung

oder

Drohung

oder Empfeh-lung

Hörer weiß, was Sprecher weiß



Hörer lässt von seinem Vorhaben ab



Hörer kauft den Hund






Die praktische Anwendung der Sprechakttheorie ist vielfältig. Sie betrifft etwa den rgleich von Lokution und Illokution bei indirekten Sprechakten, das Aufdecken verschleiernder und manipulierender Sprache (z.B. “Jetzt wollen wir aber schön alles aufessen!”; auch die Werbung sagt nicht geradeheraus: Kaufen Sie doch endlich unsere billige Seife!”) und die Analyse von Sprechaktsequenzen in belie­bigen Texten, besonders aber in Dialogen, Unterrichts- und Beratungsgesprächen (also in vorwiegend asymmetrischer, d.h. un­gleich­rangiger Kommunikation). Hier ist als rtreter der deutschen Spre­chaktforschung z.B. D. Wunderlich zu nennen.









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