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Von Eisenach bis Erfurt

Von Eisenach bis Erfurt

Sie hatte jahrhundertelang eine große wirtschaftliche Bedeutung, die Straße von Frankfurt am Main bis Leipzig mit ihren Fortsetzungen östlich der Saale bis Prag und nördlich von Leipzig nach Berlin. Reichsstraße 40 lautete ihre offizielle Bezeichnung, ein halbes Dutzend Beinamen hat man ihr gegeben, der schönste aber ist schon aus dem 14. Jahrhundert belegt; denn als "des Reiches Straße ist sie in die deutsche Geschichte eingegangen. In seinem heute noch unübertroffenen gleichnamigen Buch hat schon vor fünfzig Jahren der Kulturhistoriker Edwin Redslob die Schicksale dieser Straße lebendig werden lassen, auf der nicht nur die schwerbeladenen Fuhrwagen der Kaufleute zu den Messen nach Frankfurt und Leipzig zogen, sondern an der sich auch eine deutsche Geisteskultur entfaltete, auf der Kaiser und Könige, Minnesänger und Dichter entlang zogen, an der Fulda und Eisenach liegen, beide den Christen in Deutschland gleichermaßen teuer, es ist die "Straße der deutschen Musik, an der ein Schütz, ein Händel und ein Bach wirkten, die "Straße der Dichter, an der uns die bedeutendsten Vertreter der Klassik, der Romantik und des Realismus begegnen, es ist die "Straße des Buches von Mainz über Frankfurt nach Leipzig. Sie führt durch idyllische Landschaft und quer über die Schlachtentcnne Deutschlands, auf der einmal so blutige Kämpfe wie die Schlachten bei Jena und Auerstedt, Roßbach, Lützen und Leipzig ausgetragen wurden. Die unheilvolle Teilung Deutschlands, aber auch der Bau der Autobahnen und die dadurch geänderte Gewichtung der allen Straßen ließen in den letzten Jahrzehnten die Erinnerung an diese Reichsstraße verblassen, doch nun beginnt sie langsam wieder aufzuleben.




Sie gelangte einmal bei Vacha auf thüringisches Gebiet, führte weiter nach Eisenach und über Gotha und Erfurt nach Weimar und Jena, um dann dem Saalctal nordwärts zu folgen und bei Schulpforte, der alten Porta Thuringiac, Thüringen wieder zu verlassen. Wir folgen hier nur einem kurzen Stück von etwa fünfzig Kilometern, eine knappe Autostunde also, mit der Postkutsche waren es aber einmal, die Aufenthalte nicht gerechnet, an die zehn Stunden. Drei der bedeutendsten Städte Thüringens liegen auf dieser Strecke: Eisenach, Gotha und Erfurt.
Wenn Thüringen heute wieder als das "Herz Deutschlands gilt, so war und ist Eisenach trotz seiner Randlage im Westen gewissermaßen das Herz Thüringens, und dieses Ansehen verdankt die Stadt der Wartburg, die zu den historisch bedeutsamsten Plätzen in der deutschen Geschichte und Kulturgeschichte zählt. Mit ihr ist auch die Geschichte Eisenachs eng verbunden. Schon 1067 wurde die Burg von Ludwig dem Springer erbaut, der seinen Beinamen der Sage nach einem kühnen Sprung vom Giebichenstein in die Saale zu danken hat. Er stammte aus dem mainfränkischen Geschlecht der Ludowinger, das hier in Thüringen eine neue Heimat und neue Aufgaben fand. Sein Sohn Ludwig erhielt die Würde eines Landgrafen. Unter ihm und seinen Nachfolgern gewann das Geschlecht zunehmend an Ansehen, erlebten die Wartburg und mit ihr Eisenach eine erste Blütezeit, bis die Ludowinger 1247 im Mannesstamm ausstarben. Mit dem Übergang der Herrschaft gelangte auch Eisenach an die Wettiner, verlor damit seine Bedeutung, blieb aber eine wichtige Durchgangsstation für die Handelszüge auf des Reiches Straße.

An das Mittelalter erinnern heute nur noch ganz wenige Spuren in der Stadt, so etwa die Nikolaikirche und das anschließende Nikolaitor. Durch dieses Tor betrat 1498 der damals knapp fünfzehnjährige Martin Luther zum ersten Male Eisenach. Der strenge Vater hatte ihn erst ein Jahr nach Magdeburg, dann hierher zu Verwandten geschickt, da die Stadt über eine gute Lateinschule verfügte, die Luther nun drei Jahre lang besuchte. Es muß eine gute Zeit für den jungen Schüler gewesen sein, sonst hätte er nicht rückblickend mehrfach von der "guten Stadt gesprochen. Heute noch erinnert das schön renoerte Patrizierhaus am Lutherplatz an seine Schuljahre. Ob er wirklich hier bei der angesehenen Familie Cotta gewohnt hat oder im "Collegium Schalbense, einer Stiftung des Bürgermeisters Heinrich Schalbc, ist immer noch ein Streitpunkt gelehrter Forscher. Hier im ..Lutherhaus, wie es heute heißt, zeigt man jedenfalls im ersten Stock die zwei Stübchen, in denen der Lateinschüler gewohnt haben soll. Aber es gibt auch noch andere Stätten, die an ihn erinnern, die Pfarrkirche St. Georg, in der er Chorknabe war, die Predigerkirche - heute ein Museum -, die er ebenso besucht hat wie die schlichte Annenkirche am Ende der Georgenstraße. Nichts mehr erhalten ist von der Marienkirche am Frauen, in der Johann Braun, der väterliche Freund und Berater Luthers, gewirkt halte. Aber auf diesem Fraucn steht das "Bachhaus, Gedenkstätte an den am 21.3.1685 in Eisenach geborenen Johann Sebastian Bach, von dem E. Redslob sagt, er habe "Luthers Wort von der Kanzel zur Orgel getragen.

Zwischen 1596 und 1741 erlangte Eisenach die Würde einer Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Eisenach, danach kam es zum Herzogtum Sachsen-Weimar, ein kleines, geruhsames Gemeinwesen, in dem sich mit Vorliebe am Fuße der Wartburg seit dem 19. Jahrhundert pensionierte Beamte niederließen. Schöne alte Villen erinnern noch an diese Zeit, unter ihnen auch das Haus des mecklenburgischen Dichters Fritz Reuter, der von 1863 bis zu seinem Tode 1874 in Eisenach lebte. Wer denkt schon daran, daß hier, fern von dessen norddeutscher Heimal, der letzte Teil des Romans "Ut mine Stromtid und die köstliche Erzählung "Dörchläuchling entstanden? Die stattliche Villa beherbergt heute aber nicht nur eine Gedenkstätte an den Dichter, sondern auch ein Richard-Wagner-Museum mit einer bedeutenden Bibliothek. So ist sie am Wege hinauf zur Wartburg zugleich Einstimmung auf eine der bedeutsamsten und schönsten Burgen Deutschlands. Wenn auch mit Wagners "Einzug der Gäste im Ohr, ziehen wir jetzt doch nicht so beschwingt wie diese in die Burg ein; denn der Weg hinauf ist steil, und die von allen Seiten drängenden Besuchermassen könnten einem das Erlebnis gerade der ersten Begegnung etwas verleiden. Aber es gibt immer noch Augenblicke, in denen man die Burg in ihrer ganzen Schönheil und erhabenen Ruhe genießen kann. Eigentlich müßte man eine Tasche Bücher mit hinaufschleppen, nicht nur einen Reiseführer, sondern z.B. auch ein Bändchen mit Goethes Briefen. Am Abend des 13. September 1777 schrieb dieser nämlich von hier oben an Frau von Stein:
"Hier wohne ich nun liebste und singe Psalmen dem Herrn der mich aus Schmerzen und Enge wieder in Höhe und Herrlichkeit gebracht hat. der Herzog hat mich veranlasst heraufzuziehen, ich habe mit den Leuten unten, die ganz gute Leute seyn mögen nichts gemein Wenn ich Ihnen nur diesen Blick der mich nur kostet aufzustehn vom Stuhl hinüberseegnen könnte. In dem grausen linden Dämmer des Monds die tiefen Gründe, Wiesgen, Büsche, Wälder und Waldblösen, die Felsen Abgänge davor, und hinten die Wände, und wie der Schatten des Schlossbergs und Schlosses unten alles finster hält und drüben an den sachten Wänden sich noch anfasst wie die nackten Felsspizzen im Monde röthen und die lieblichen Auen und Thäler ferner hinunter, und das weite Thüringen hinterwärts im Dämmer sich dem Himmel mischt. Liebste ich habe eine rechte Fröhlichkeit dran, ob ich gleich sagen mag dass der belebende Genuss mir heute mangelt, wie der lang gebundne reck ich erst meine Glieder.'
Auch die "Serapionsbrüder von E. T. A. Hoffmann sollten in der Büchertasche nicht fehlen, enthalten sie doch die Erzählung "Der Kampf der Sänger, mit der er die berühmte Sage vom Sängerkrieg auf der Wartburg literarisch gestaltete. Längst wissen wir, daß dieses Lieder-Turnier tatsächlich auf der Burg stattfand. Landgraf Hermann, der Urenkel Ludwigs des Springers, lud um 1200 die berühmtesten Minnesänger seiner Zeit zu einem edlen Wettstreit ein. Walther von der Vogelweide war dabei, Wolfram von Eschenbach, Reinmar der Alte und auch Heinrich von Ofterdin-gen, dessen stürmischer Ehrgeiz die Harmonie des Treffens störte, wie die Sage und, ihr folgend, E. T. A. Hoffmann erzählen:

"Der Kampf der Meister begann. Sei es aber nun, daß Heinrichs durch falsche Lehren irre gewordener Geist sich gar nicht mehr zu fassen vermochte in dem reinen Strahl des wahrhaftigen Gemüts, oder daß besondere Begeisterung die Kraft der anderen Meister verdoppelte: - genug! - Jeder, wie der Ofterdingen singend, jeder ihn_ besiegend, erhielt den Preis, um den dieser sich vergebens mühte. Ofterdingen ergrimmte über diese Schmach und begann nun Lieder, die, mit verhöhnenden Anspielungen auf den Landgrafen Hermann, den Herzog von Österreich Leopold den Siebenten bis über die Sterne erhoben und ihn die hell funkelnde Sonne nannten, welche allein aller Kunst aufgegangen. Kam nun noch hinzu, daß er ebenso die Frauen am Hofe mit schnöden Worten angriff und die Schönheit und Holdseligkeit der Dame Mathilde allein auf heidnische ruchlose Art zu preisen fortfuhr, so könnt' es nicht fehlen, daß alle Meister, selbst den sanften Wolfframb von Eschinbach nicht ausgenommen, in gerechten Zorn gerieten und in den heftigen schonungslosesten Liedern seine Meisterschaft zu Boden treten. Heinrich Schreiber und Johannes Bitterolff bewiesen, den falschen Prunk von Olterdingens Liedern abstreifend, die Elcndigkeit der magern Gestalt, die sich dahinter verborgen, aber Walther von der Vogelweid und Reinhard von Zwekhstein gingen weiter. Die sagten, Olterdingens schnödes Beginnen verdiene schwere Rache, und die wollten sie an ihm nehmen mit dem Schwerte in der Hand.

So sah nun Heinrich von Ofterdingen seine Meisterschaft in den Staub getreten und selbst sein Leben bedroht. Voller Wut und Verzweiflung rief er den edel gesinnten Landgrafen Hermann an, sein Leben zu schützen, ja noch mehr, die Entscheidung des Streits über die Meisterschaft des Gesanges dem berühmtesten Sänger der Zeit, dem Meister Klingsohr. zu überlassen. ,Es ist', sprach der Landgraf, ,es ist nunmehr mit euch und den Meistern so weit gekommen, daß es noch um anderes gilt als um die Meisterschaft des Gesanges. Ihr habt in euren wahnsinnigen Liedern mich, ihr habt die holden Frauen an meinem Hof schwer beleidigt. Euer Kampf betrifft also nicht mehr die Meisterschaft allein, sondern auch meine Ehre, die Ehre der Damen. Doch soll alles im Wetlsingen ausgemacht werden, und ich gestatte es, daß euer Meister Klingsor selbst entscheide. Einer von meinen Meistern, das Los soll ihn nennen, stellt sich euch gegenüber, und die Materie, worüber zu singen, möget ihr beide dann selbst wählen. - Aber der Henker soll mit entblößtem Schwert hinter euch stehen, und wer verliert, werde augenblicklich hingerichtet. - Gehet, - schaffet, daß Meister Klingsor binnen Jahresfrist nach der Wartburg komme und den Kampf auf Leben und Tod entscheide.' - Heinrich von Ofterdingen machte sich davon und so war zur Zeit die Ruhe auf der Wartburg wieder hergestellt. Die Lieder, welche die Meister wie der Heinrich von Ofterdingen gesungen, waren damals der Krieg von Wartburg geheißen.2
Sage und Erzählung gehen weiter, der Kampf wird fortgesetzt, wobei sich Heinrich von Ofterdingen die Hilfe des Zauberers Klingsor zu sichern sucht. Gleich zweimal können wir den Sängerkrieg auch im Bild miterleben, einmal auf einer Miniatur in der berühmten Manessischen Liederhandschrift und das andere Mal hier oben auf der Wartburg im sogenannten Sängersaal auf dem großen Wandgemälde, das Moritz von Schwind 1854/55 malte. Durch diese Szene wurde auch Landgraf Hermann von einem edlen Schimmer umgeben, den dieser nüchlern kalkulierende Machtpolitiker, der im Streit zwischen Staufen und Weifen mehrfach die Fronten wechselte, in dieser Art nicht unbedingt verdient.
Der Zauberer Klingsor, so erzählt die Sage, stammte aus Ungarn. Er soll auch das Kommen und die Schicksale jener ungarischen Königstochter Elisabeth vorausgesagt haben, die 1211 als erjähriges Mädchen aus ihrer fernen Heimat hierher gebracht wurde, um zusammen mit den Kindern des Landgrafen Hermann aufzuwachsen. Im Alter von dreizehn Jahren heiratete sie dann den zwanzigjährigen Landgrafen Ludwig, den Sohn Hermanns. In den knapp sechs Jahren ihrer Ehe, einer glücklichen Ehe übrigens, entfaltete sich die junge Landgräfin zu einer der prägenden Frauengestalten des deutschen Mittelalters. Sie war klug und tiefgläubig, kompromißlos und auch für uns moderne Menschen imponierend, kein süßliches Heiligenbild, sondern trotz ihrer Jugend eine erstaunlich starke Frau. Nach dem Tode des Landgrafen mußte sie die Wartburg verlassen und zog nach Marburg, wo sie ein Hospital gründete und sich ganz der Armenpflege widmen konnte. Aber nur noch weitere sechs Jahre waren ihr gegeben, dann starb sie 1231, noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt. Ein Kranz von Legenden rankt sich um ihr Leben und Wirken, besonders hier auf der Wartburg und in Eisenach. Sie sind in die "Legen-da Aurea, die schönste Sammlung von Heiligenlegenden des Mittelalters, eingegangen, aber auch Chronisten wie der Thüringer Dietrich von Apolda haben ihre Lebensgeschichte erzählt, und nüchtern geradezu klingt die Aussage in dem "Büchlein der er Dienerinnen, die als Augenzeuginnen das Wirken ihrer Herrin miterlebten:
"Zu Lebzeiten ihres Gemahls pflegte sie mit ihren Dienerinnen Wolle zu spinnen und sie für die Kleidung der Minderbrüder und der Armen weben zu lassen. Auch für Täuflinge nähte sie eigenhändig, sorgte für die Taufe und hob sie aus dem heiligen Brunnen, um Patin über sie zu werden und ihnen in dieser Eigenschaft um so freigebiger Wohltaten erweisen zu können. Desgleichen nähte sie eigenhändig Totenhemden für die Bestattung von armen Verstorbenen; sie wusch und bekleidete sie selbst und nahm an ihrer Beerdigung teil. Einen großen, ganz weißen Schleier zerschnitt sie, damit er nur noch bei Begräbnissen (als Leichendecke) diene. Als sie einmal einen armen Kranken besuchte und ihn über einige Schulden klagen hörte, die er nicht bezahlen konnte, beglich sie diese für ihn. Auch duldete sie nicht, daß die Leichen reicher Verstorbener in neue Leintücher oder neue Hemden gehüllt würden; sie sollten elmehr in alten bestattet und die guten den Armen gegeben werden.
Oft besuchte und tröstete sie arme Frauen bei ihrer Niederkunft. Wenn Boten von solchen Wöchnerinnen und anderen Kranken mit einer Bitte zu ihr kamen, erkundigte sie sich nach deren Wohnung, um sich durch einen persönlichen Besuch bei ihnen zu Barmherzigkeit und Milde anzuspornen. Wie weit, wie schmutzig und beschwerlich die Wege dahin auch sein mochten, sie ging zu ihnen. Ohne Widerwillen vor Unsaubcrkeit betrat sie ihre ärmlichen Kämmerchen, brachte ihnen alles Notwendige, spendete Trost und erwarb sich den dreifachen Lohn für Arbeit, Mitleid und Freigebigkeit.3
An ihr Wirken hier oben auf der Burg erinnern die Wandmalereien Moritz von Schwinds in der Elisabethgalerie, die Szenen aus ihrem Leben zeigen. In der Kemenate im Erdgeschoß, wo sich die Heilige wohl meistens aufhielt, ist sie kaum noch gegenwärtig; denn das Mosaik dort mit Szenen aus ihrem Leben entspricht so gar nicht ihrem Geist. Würdiger wohl mahnt unten am Fuße der Burg beim Elisabethbrunnen ein einfaches Kreuz an die große heilige Frau, die an dieser Stelle ihr Hospital zur Aufnahme von Kranken, Bettlern und Obdachlosen hatte errichten lassen.
Drei Jahrhunderte lang blieb die Burg auch in der Zeit nach Elisabeth eng mit der Geschichte des Landes verbunden, wurde neu befestigt, umgebaut und erweitert. Dann, in der Nacht des 4. Mai 1521, gegen elf Uhr, traf ein einsamer Reiter vor dem Tor der Burg ein, wo ihn schon der Burghauptmann Hans von Berlcpsch erwartete, und wurde sogleich in eine große helle Stube der Vogtei gebracht. Als "Junker Jörg verbrachte dieser Mann die nächsten zehn Monate bis zum Frühjahr 1522 auf der Burg, und nur Berlepsch allein wußte, daß sich hinter dem Junker der Mönch Martin Luther verbarg, den Kurfürst Friedrich der Weise hier in der Einsamkeit der Wartburg vor dem Zugriff seiner Feinde in Sicherheit gebracht hatte. Noch heute ist das Aussehen der Wohnstube in der Vogtei unverändert wie zu Luthers Zeiten. Hier kam der damals knapp erzigjährige Reformator nach turbulenten Wochen und Monaten erstmals zur Ruhe, in der holzgetäfeltcn Stube fand er Muße und zugleich die Kraft für seine Übersetzung des Neuen Testaments. Es ist kaum zu glauben, daß er das gigantische Werk ohne umfassende wissenschaftliche Hilfsmittel in nur drei Monaten vollendete!

Von der Wartburg aus hatte der Geist der Nächstenliebe durch die hl. Elisabeth neue wesentliche Impulse empfangen, nun erlebte dreihundert Jahre danach die reformatorische Bewegung durch diese Bibelübersetzung ihre Sternstunde. Und noch einmal dreihundert Jahre später erreichte die junge nationale und demokratische Bewegung im damaligen "Deutschen Bund ihren ersten Höhepunkt, als sich am 18. Oktober 1817 Vertreter von neun Universitäten, allen voran die Studenten aus Jena, in Erinnerung an den 300. Jahrestag des Thesenanschlags und den erten der Völkerschlacht von Leipzig zu einem Treffen zusammenfanden. Es wurden Reden voll Palhos und Hoffnung zugleich gehalten, wie ein Augenzeuge berichtet:
"Als alles zur Ruhe gekommen war, hielt ein Student ungefähr diese Rede; über den Zweck der Zusammenkunft der gebildeten Jünglinge aus allen Kreisen und Volksstämmen des deutschen Vaterlandes, über das verkehrte Leben früher, über den Aufschwung und die erfaßte Idee des deutschen Volkes jetzt, über verfehlte und getäuschte Hoffnungen, über die Bestimmung des Studierenden und die gerechten Erwartungen, welche das Vaterland an sie mache, über die Verwaistheit und gar Verfolgtheit der sich den Wissenschaften widmenden Jugend; endlich wie sie selbst bedacht sein müssen, unter sich Ordnung, Regel und Sitte, kurz Burschenbrauch einzuführen, ernstlich und gemeinschaftlich bedacht sein müsse auf die Mittel und Wege, ihrer Bestimmung mit Würde entgegen zu gehen, die Blicke des erwachsenen Volkes, das leider nichts mehr zu erreichen vermag, getröstet und aufmunternd auf sich zu lenken, und ihm einst zu werden, was es will, daß sie soll. - Die Anwesenden, und wir Männer waren zu Tränen gerührt - aus Scham, daß wir nicht so getan, aus Schmerz, daß wir an solcher Trauer schuld sind, aus Freude über diesen schönen, reinen und klaren Sinn, und unsere Söhne so erzogen zu haben, daß sie einst erringen werden, was wir verscherzten.
Von diesem und jenem wurde noch ein und das andere Ermunternde gesprochen; dann ging man auf den Burghof, bis die Tafeln gedeckt wären. Da bildeten sich hier Gruppen, dort Haufen, die gingen, jene standen. Was soeben in einem kirchlichen Akt vorgetragen worden, wiederholte sich nun im freundlichen, geselligen Kreise.
Damals wehten auf der Wartburg zum ersten Mal überhaupt Fahnen in den Farben Schwarz-Rot-Gold, die Jenaer hatten sie mitgebracht, sie waren wohl hervorgegangen aus den Farben der Lützowcr Jäger. Noch niemand konnte ahnen, daß sie gleichsam die Wechsel waren auf eine bessere politische Zukunft in einem freien und geeinten Vaterland, die sich erst in unseren Tagen einlösen lassen.
Auf der nahen Göpelskuppe steht heule das Burschenschaftsdenkmal. Seine neun Säulen erinnern an die neun Burschenschaften, die sich auf der Wartburg trafen. Von hier geht unser Blick noch einmal hinüber auf Burg und Stadt, bevor die Fahrt auf der alten Reichsstraße fortgesetzt wird, vorüber zuerst einmal an den weißen Muschelkalkrücken der Hörseiberge. Der Große Hörselberg wirkt eigentlich gar nicht unheimlich und ist doch eine der sagenumwobensten Stätten nicht nur in Thüringen, sondern in ganz Deutschland. Der germanische Gott Wodan soll hier residieren und in sturmerfüllten Nächten mit seinem Wilden Heer über das Land brausen, aber auch Frau Holle soll hier wohnen und wurde schon seit allen Zeiten in anderen Sagen gleichgesetzt mit Frau Venus, die hier immer noch hofhält. Sie zwang den Minnesänger Tannhäuser, einen jüngeren Zeitgenossen Walthers und Wolframs, in ihren Bann, wie jedenfalls die Sage und, ihr folgend, das Lied vom "Dannhauser erzählen:

"Nun will ich heben an,
Von dem Dannhauser zu singen
Und was er Wunders hat getan Mit Venus, der edlen Minne.
Dannhauser war ein Ritter gut, Wann er wollt Wunder schauen, Er wollte in Frau Venus-Berg Zu andern schönen Frauen.
.Herr Dannhauser, ihr seind mir lieb.
Daran sollt ihr gedenken!
Ihr habt mir einen Eid geschworn,
Ihr wollt von mir nit wenken.'

Wir wissen, wie es weitergeht, daß Tannhäuser doch Frau Venus verließ und ihn die Reue erfaßte. Und wir kennen die tragische Geschichte von seiner Buße, der verweigerten Absolution durch den Papst und dem Fingerzeig Gottes, den der Sünder nicht mehr erfährt, weil er in seiner Verzweiflung in den Hörselberg zurückgekehrt ist.
Richard Wagner hat in einem kühnen Griff in seiner Oper "Tannhäuser die Motive dieser Sage mit der Geschichte vom Sängerkrieg auf der Wartburg verbunden, Heinrich von Oftcrdingen gegen den Tannhäuser ausgetauscht und ihn in die Nähe der hl. Elisabeth gerückt, die er in seinem Werk zu einer. Nichte des Landgrafen macht. Vielleicht lohnt es sich, einmal an der Venushöhle (Hörsel-loch) eine kleine Rast einzulegen und beim Warten auf Frau Venus, die ja auch heute noch einmal erscheinen könnte, über die verschiedenen Sagen und Geschichten nachzudenken und dabei die ineinander verwobenen Fäden etwas zu entwirren.
Bald ist von hier aus auf der Weiterreise Gotha erreicht. Vor 150 Jahren erzählte Gottfried Wilhelm Becker in seiner "Fröhlichen Reise nach Thüringen von seinem Besuch in der Stadt:
"In Gotha war Markttag und ein lebhafter Verkehr. Unserem Gasthof gegenüber erhob sich das stattliche Rathaus auf einem ansehnlichen Berge, und hinter demselben breitete sich das herzogliche Residenzschloß, noch el höher gelegen, gar stattlich aus. In dieser Stadt ist der Haupthandcl Thüringens, und seit Jahren machte sich dieselbe durch el Tätigkeit für Kunst und Wissenschaft berühmt. Eine politische Zeitung, sonst die Natio-nalzcitung der Deutschen, der .Allgemeine Anzeiger der Deutschen', das Not- und Hilfsbüchlein, die berühmte Erziehungsanstalt im nahen Schnepfenthal, die Sternwarte gleich vor der Stadt, die mancherlei Fabriken von Arnoldi, die Lebensver-sicherungs- und Feuerversicherungsanstalt, von ihm gegründet, das Museum mit Chinas und Ostindiens Seltenheiten prangend, die Bibliothek, die Gemäldegalerie, welche von den Herzögen gegründet sind, haben der Stadt einen Namen in ganz Deutschland erworben und unendlich el Gutes gewirkt Und welche reizenden Anlagen zeigten sich uns, als wir nun zum Tore hinaus wanderten! Wie malerisch stellte sich, von einer ansehnlichen Höhe herabgesehen, unten die herzogliche Orangerie dar, wo man, wie in Italien, unter blühenden Pomeranzen und Zitronen und Lorbeerbäumen herum wandeln konnte! Doch fast noch mehr fühlten wir uns von einer kleinen Insel im herzoglichen Parke angezogen. Unter blühenden Blumen schlummern hier die letzten drei Fürsten dieses vor fünfzehn Jahren ausgestorbenen Hauses. Ein Schwanenpaar rudert um die Insel der Seligen herum, und die allen hohen Bäume wölben sich zu einem Dome, indessen der Weltgcist oben durch ihre Wipfel säuselt: daß alles vergänglich ist, daß auch Fürstenpracht und Größe dem Staube anheim fällt!

Gotha entstand schon im 12. Jahrhundert, im Spätmittelalter war es ein Mittelpunkt des Handels mit Waid, einem begehrten Blaufärbeniittel, das aus dem in der Umgebung angebauten Waidkraut (Isatis) gewonnen wurde. Die große Zeit Gothas begann aber erst 1640, als es Residenz der Herzöge von Sachsen-Gotha wurde. Klein, aber fein - das war hier die Dese. Zählte das Herzogtum knapp 28 Quadralmcilen, so die Stadt kaum 1000 Häuser. Mit Herzog Ernst erhielt das kleine Land einen tüchtigen Regenten, der nicht nur seinen Beinamen "der Fromme verdiente, sondern ebensogut "der Sparsame hätte genannt werden können. Seine Dese lautete: "Nicht reichliches Einnehmen, sondern sparsames Ausgeben macht reich. Wie der Kalif in den Märchen aus 1001 Nacht mischte er sich unerkannt unter seine Bauern, kümmerte sich um ihr Wohlergehen, sorgte sich um Schulen und Volksbildung und ließ sogar die Erwachsenen über Katechismusfragen und Religion prüfen. Kein Wunder, daß in ganz Thüringen das Sprichwort umging: "Ein Gothascher Baucr hat zehnmal mehr Mores, als anderswo Adlige oder Doctores.

Nur den Damen des Adels und des wohlhabenden Bürgertums ging es unter seiner Herrschaft nicht so gut; denn er verordnete, "daß sie alle Arten der Tracht, welche zu Üppigkeit und unzie-menden Entblößung des Leibes an Hälsern, Brüsten und Armen erfunden werden und an sich selbst zu Wohl der Ehrbarkeit und christlicher Zucht zuwider als der Gesundheit schädlich sind, gänzlich vermeiden und forthin dermaßen bedeckt gehen sollen, damit wir und die nachgesetzten Obrigkeiten nicht zu ernstem Einsehen und Strafe bewogen werden.

Bald nach seinem Regierungsantritt ließ er mit dem Bau des Schlosses Friedenstein beginnen. Der Name hat symbolische Bedeutung, ist es doch die erste deutsche Schloßanlagc, die nach den Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges im Frieden errichtet wurde. Und wenn wir vom Markt aus zum Schloß hinaufsteigen, können wir vor dessen Fassade am Denkmal des frommen und tüchtigen Herzogs seinem Andenken eine Reverenz erweisen. Verdient hat er es jedenfalls mehr als seine Nachfolger in den nächsten drei Generationen, die sich durch Bauleidenschaft, Kunstliebe, aber auch durch Vorliebe für Soldatenspiel auszeichneten und die Mittel dafür nicht wie der Ahnherr durch Sparsamkeit, sondern durch Truppenhandel zu erwirtschaften suchten. Unter Herzog Friedrich I. wurde im Westturm des Schlosses das erste ständige Hoftheater in einem deutschen Fürstentum eingerichtet. Noch heute kann man dort die originalgetreue Bühnenkulisse von 1683 bewundern. Das kleine Theater trägt aber zu Recht den Namen Conrad Ekhofs, der als einer der Erneuerer des deutschen Theaters gilt. 1774 war er mit seiner Truppe aus Weimar hierher nach Gotha gekommen. Er bot ein festes Programm, spielte Moliere und Lessing in anspruchsvoller Inszenierung, sorgte sich aber auch um die soziale Absicherung seiner Schauspieler. Der berühmte Schauspieler August Wilhelm Iffland hat Ekhof in Gotha erlebt und in seinen Erinnerungen berichtet:
"In älteren Zeiten hielt man die Theaterproben mit großer Genauigkeit, ja mit solcher Pünktlichkeit, welche an Pedanterie grenzte. Damit waren aber manche Punkte der Darstellung gesichert, welche jetzt oft vergessen scheinen - um nicht zu sagen, daß sie vernachlässigt werden.
Auf dem Hoftheater zu Gotha war eine Probe von dem Trauerspiel ,Ines de Castro' angesagt. Zwei jungen Schauspielern wurde jedem die Rolle eines Grand'Esne zugeschickt, welche in der Mitte des Stückes vorkommen, aber nichts zu reden, sondern nur zu erscheinen hatten. Es war einer der ersten angenehmen Frühlingsmorgen, die beiden Schauspieler verloren sich in die angenehmen Promenaden um Gotha und dachten, für stumme Personen würden sie genug getan haben, wenn sie der Verfassung die Achtung bewiesen, vor gänzlicher Endigung der Probe sich einen Augenblick auf dem Theater sehen zu lassen.

Sie erschienen mit etlichen leichten Entschuldigungen, ungemein freundlich vorgetragen, vor Ekhof, der sie ganz ausreden ließ, sich dann umwandte, die Damen und Herren herbeirief und nun also begann: .Meine Herren, Sie haben weniger aus üblem Willen gefehlt als aus Unverstand; damit Sie die unangenehmen Folgen davon nicht tragen mögen, habe ich die Herren und Damen gebeten noch da zu bleiben, damit Sie lernen, was Sie heute abend zu tun haben, in Gegenwart von Zuschauern zu tun.'
Die von der vorhergegangenen Probe anwesenden Mitglieder wurden nun vorn auf der Bühne verteilt. Die beiden Schauspieler sehr entrüstet über das, was ihnen nach ihrer Empfindung zur Ungebühr widerfuhr, meinten, es sei ja in ihren Rollen nichts zu reden.
Ekhof: .Aber zu tun! Und wie werden Sie das tun?'
Die Schauspieler sahen in ihre Rollen: .Wir haben aus einem Zimmer zu kommen und über die Bühne zu gehen; belieben Sie uns anzuzeigen, von welcher Seite wir kommen, so ist die Sache abgetan.'
Ekhof: .Nicht völlig. Denn wie werden Sie durch das Zimmer gehen?'
Die Schauspieler: ,Wie? Wir gehen eben durch das Zimmer und '

Ekhof: ,Nicht so! Sie haben Ihre Rollen nicht gelesen, oder nicht begriffen. (Ein ernster Blick gebietet Schweigen.) Dort stellen Sie sich beide hin, dort ist die Tür, wo Sie herauskommen.'7
Und Iffland berichtet im Folgenden weiter, wie Ekhof die beiden Herrchen noch eine Stunde lang plagte, bis sie ihren Part endlich begriffen hatten.
Daß der Hof von Gotha seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hohes Ansehen als eine Pflege-stättc von Kunst, Literatur und Musik genoß, verdankte er der Herzogin Louise Dorothee, der Gattin des Herzogs Friedrich III., einer der "anmutigsten Frauengestalten des deutschen 18. Jahrhunderts (Redslob). Sogar Voltaire weilte gerne als ihr Gast in Gotha. Sie mag auch das Erscheinen jenes Hofkalenders angeregt haben, der erstmals 1765, zwei Jahre vor ihrem Tode, erschien und fortan als "Der Gotha alljährlich die familiären Veränderungen aller deutschen Fürstenhäuser registrierte und zusammen mit dem "Taschenbuch des deutschen Adels unentbehrliches Nachschlagewerk in Fragen des Adels wurde.
Wir lächeln heute elleicht über den hier manifestierten Adelsstolz, aber nachdem das kleine Fürstentum 1826 mit dem um nichts größeren Herzogtum Sachsen-Coburg vereinigt wurde, erwies sich das Herrscherhaus erstaunlich aktiv in einer geschickten Heiratspolitik, und es bedarf-schon des genauen Studiums der Stammbäume, um alle Verbindungen aufzuzeigen, die auf den belgischen Thron ebenso führten wie auf den portugiesischen oder den bulgarischen und vor allem natürlich nach England, wo die Mutter der Queen Victoria und Prinz Albert, der Gemahl Victorias, beide aus diesem deutschen Fürstenhaus stammten.
1785 eröffnete der Buchhändler Justus Perthes in Gotha einen Verlag, der innerhalb kurzer Zeit den Rang des bedeutendsten kartographischen Instituts in Deutschland gewann und von 1816 an auch die Herausgabe der genealogischen Taschenbücher übernahm. Die in diesem Verlag seit 1855 erschienenen "Petermanns Mitteilungen blieben jahrzehntelang das führende Organ der geographischen Wissenschaft. Es gab kaum einen bedeutenden deutschen Entdecker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der nicht die Ergebnisse seiner Forschungsreisen zuerst in dieser Zeitschrift vorstellte. Schenkte der Verlag Perthes Weltoffenheit, so erwies sich die kleine thüringische Residenz auch in anderer Hinsicht höchst fortschrittlich, wurde hier doch schon 1818 die erste deutsche Handelsschule und 1820 die erste Feuerversicherungsanstalt gegründet, die als "Gothaer Feuer-Versicherungsbank auch heute noch - wenn auch mit dem Sitz in Köln - ebenso fortlebt wie die 1827 gegründete "Gothaer Lebensversicherung. In einer Zeit, in der wir buchstäblich alles versichern lassen und jedes Risiko auszuschalten suchen, kann man kaum mehr ermessen, was die Gründung dieser beiden Versichcrungsinstitute bedeutete! Es ist kein Zufall, daß in Gotha schon 1863, el früher als in allen anderen thüringischen Ländern, die Gewerbefreiheit verkündet wurde. 1857 war hier auch der erste Arbeiterverein entstanden, und als sich 1875 die Anhänger der "Sozialdemokratischen Arbeiterpartei unter August Bebel mit dem von Ferdinand Lassalle gegründeten "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zur "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammenschlössen, bedeutete der hier gefundene Kompromiß des "Gothaer Programms einen ersten Schritt zu einer neuen politischen Entwicklung der jungen Sozialdemokratie.

Im Ortsteil Gotha-Siebleben erinnert ein Wohnhaus daran, daß hier von 1851 bis zu seinem Tode 1879 der aus Schlesien stammende Dichter Gustav Freytag lebte. Hier entstanden seine "Bilder aus der deutschen Vergangenheit (1859-67), die heute noch zu den besten deutschen Kulturgeschichten zählen, hier schrieb er seine Romane "Soll und Haben, "Die verlorene Handschrift und sein breit angelegtes Familienepos "Die Ahnen, das in sechs Bänden die deutsche Geschichte von der Germanenzeit bis ins 19. Jahrhundert, von Thüringen bis nach Ostpreußen und Oberschlesien aufzuarbeiten sucht. Mag das einmal ungemein beliebte Werk auch manche gestalterischen Schwächen aufweisen, so hat es doch nicht verdient, völlig vernachlässigt zu werden und heute in Vergessenheit zu geraten. Der zweite Teil des Romans, das "Nest der Zaunkönige, führt zurück an den Beginn des 11. Jahrhunderts, und zu seinen Schauplätzen gehört auch die Mühlburg südöstlich von Gotha, die zusammen mit Burg Gleichen und der Wachsenburg das Burgenensemble der Drei Gleichen bildet. Selbst der eiligste Reisende auf der Autobahn wird nicht versäumen, einen Blick auf diese reizvoll-romantische Kulisse zu werfen. Vielleicht rasten wir am Fuß der Berge oder oben im Hotel auf der Wachsenburg; denn wieder lohnt es sich, ein paar literarischen Spuren zu folgen und die entsprechenden Texte nachzulesen. Eigentlich sollte es hier das ganze "Nest der Zaunkönige sein, wie die Mühlburg in Freytags Roman genannt wird, aber wir begnügen uns mit einer Szene, dem Streit der Brüder vor der Burg um das Erbe:
"Auf einem Vorsprunge des Mühlbergs waren die streitbaren Söhne Irmfrieds versammelt, dazu die Dienstmannen, welche die Burg und die Warttürme der nächsten Höhen besetzt hielten. Hinter den Männern erhob sich die starke Burgmauer, welche die beiden Türme und das hohe Dach eines Herrensaals umschloß, seitwärts ragten die Gipfel und Bergleiten des langgezogenen Ringwalls. Gerade unter dem Vorsprung war der Ring gegen das Tal geöffnet, gegenüber dem Mühlberg stand ein hoher Vorberg, die beiden Höhen beschützten gleich Schanzen den Zugang. Durch die Talöffnung dazwischen warf die Abendsonne ihr Licht in die umschlossene Tiefe, auf Ackerstücke und Wiesen, und auf den großen mit hohem Rohr bewachsenen Teich, über welchem dichte Schwärme von Staren und Wasservögeln auf- und niederflogen in unaufhörlichem Schwatzen und Zanken. Hoch aber über ihnen zogen zwei Bergadler ihre Kreise, bis sie in die Wolken der flatternden Vögel hinabstießen, ihre Beute zu holen, dann schrie und rauschte der ungeheure Schwärm und stob in wildem Getümmel auseinander.
Immo stand seinen Brüdern gegenüber. Er sagte ihnen, daß er für die Tage seiner Zukunft den Schwertgurt gewählt habe statt der Stola, und er bat sie mit herzlichen Worten, ihn als Bruder in ihre Genossenschaft zu nehmen und ihm als sein Recht die Ehren des Altesten zu gewähren und seinen Anteil am Erbe. Er gestand ihnen auch, daß er dem König zuziehen wolle, und daß seine Ehrenicht gestatte, als Landloser unter den anderen Edlen zu reiten.
Als er seinen Willen verkündete, ein Kriegsmann zu werden, riefen ihm die Dienstmannen Heil und schlugen ihre Waffen zusammen, die Brüder aber standen mit umwölbter Stirn und waren nicht willig, ihm nachzugeben. Endlich begann Odo: ,Hat sich dein Sinn so gewandelt, daß du gegen den Willen der Eltern ein Kriegsmann werden willst, so siehe zu, wie du dich vor unserer Mutter entschuldigst. Darüber mit dir zu rechten, steht uns Brüdern nicht zu. Die Teilung des Vatererbes aber vollbringen wir erst in Jahr und Tag, wenn das Kind Gottfried sein Schwert trägt und bei der Teilung als Jüngster sein Recht ausüben darf, vorweg zu wählen. Denn so ist es beschlossen, und wir alle haben uns seither in der Gemeinschaft wohl befunden. Die Mühlburg hatten wir widerwillig auf das Bitten der Mutter von dem Erbteil ausgeschieden, doch nur für den Fall, daß du die Pflicht der Weihen über dich nimmst, welche das Geschlecht dir aufgelegt hat. Weigerst du dich, dein Haupt zu scheren, so bestehen wir anderen darauf, daß die Burg uns allen gemeinsam bleibe bis zur Teilung. Die Herrschaft aber im Geschlechte, über Dienstmannen und Höfe gestehen wir dir nicht zu, obgleich du an Jahren der Alteste bist, denn aus dem Kloster kommst-du, fremd dem Lande und fremd kriegerischer Sitte, und wir vermögen keinem, der von der Schülerbank entlief, die Sorge um unser Wohl und Wehe zu übergeben. Ziehe du dem Heer des Königs zu, wenn dich der Wunsch übermächtig treibt, versuche, ob du dort als Altester Ehre gewinnst. Im Walde aber und im Tal der Heimat behaupte ich bis zur Teilung mein Recht, die Brüder und Mannen zu führen.'

Immos Hand ballte sich, und das Blut schoß ihm zum Haupte, aber Berthold, der alte Dienstmann, welcher in der Mühlburg gebot, trat schnell in den Ring und begann gegen Odo: ,Traurig ist dieser Tag für einen Alten, der euch beide auf dem Arme hielt, als ihr noch lachende Kinder wäret. Euch Herrensohnchen steht wohl an, heiß nach Ehre und Macht zu streben, doch hörte ich den Mann noch höher rühmen, der sich friedlich mit seinem Geschlecht verträgt. Aber deiner Rede, Herr Odo, muß ich widerstehen. Denn nicht zwischen euch allein schwebt der Streit, auch uns verdirbt er das Leben. Das Erbe der Väter mögt ihr teilen, wann es euch gefällt, über die Ehre des Altesten aber müßt ihr euch zur Stelle entscheiden.'

Aber mehr noch als an den jungen Ritter Immo und seine Kämpfe erinnern wir uns hier wohl an die Sage vom Grafen von Gleichen. Dieser war 1227 ins Heilige Land gegen die Ungläubigen gezogen und hatte sein Weib und seine beiden Kindlein allein zurückgelassen. Er geriet in Gefangenschaft des Sultans von Agypten und wurde erst nach sieben Jahren durch dessen Töchterlein unter der Bedingung befreit, daß er sie heirate. Der Graf willigte in der Hoffnung ein, seine rechtmäßige Gemahlin und vor allem die Kirche werde dieser aus der Not erwachsenen Bigamie zustimmen, und tatsächlich willigten Ehefrau und Papst ein -letzterer, nachdem sich die Prinzessin hatte taufen lassen -, und die drei lebten nach der Rückkehr des Grafen in die Heimat glücklich miteinander auf der Burg Gleichen.
Carl August Musäus hat in seinen "Volksmärchen der Deutschen die Sage unter dem Titel "Melechsala schon 1782 zu einem heiteren Märlein umgestaltet, dessen Höhepunkt gut hier in die Gegend paßt:
"Die Vermählung wurde mit Prunk und Pracht vollzogen, Frau Ottilia, welche die Stelle der Hochzeitsmutter vertrat, hatte reichlich zugeschickt, und alle thüringischen Grafen und Ritter kamen weit und breit zusammen, diese ungewöhnliche Hochzeitsfeier mitbegehen zu helfen. Ehe der Graf die schöne Braut zum Allare führte, tat sie ihr Schmuckkästlein auf und verehrte ihm den ganzen Schatz der Juwelen, so el ihr die Dispensationsspesen davon übriggelassen hatten, zum Heiratsgute, und er beleibzüchtete sie dafür auf Ehrenstein zur Gegensteuer. Die keusche Myrte schlang sich am Vermählungstage um eine güldene Krone, welchen Hauptschmuck die Tochter des Soldans als ein Dokument ihrer hohen Geburt beibehielt auf ihre Lebenszeit, weshalb sie auch von den Untertanen nur die Königin genannt und von ihrem Hofgesinde als eine Königin bedient und geehrt wurde.
Wer für fünfzig Guineen die teure Wohllust erkauft hat, eine Nacht in Doktor Grahams himmlischem Bett in London zu rasten, nur der kann sich das Entzücken träumen, welches Graf Ernst von Gleichen empfand, als die dreischläfrige Belt-sponde ihren elastischen Rumpf öffnete, den Verlobten zweier Geliebten nebst seinem Komitat aufzunehmen. Nach so elen kummervollen Nächten drückte ein bescheidener Schlummer der Gräfin Ottilia an der Seite ihres wiedergefundenen Eheherrn bald die Augen zu und verstattete ihm die unbeschränkte Freiheit, mit der zärtlichen Angelika nach aller Bequemlichkeit den Endreim auf Muschirumi zu suchen. Sieben Tage lang dauerte das hochzeitliche Wohlleben, und der Graf gestund, daß er dadurch reichlichen Ersatz für die sieben traurigen Jahre, die er im vergitterten Turm zu Großkairo zubringen mußte, erhalten habe, welches kein höfisches Kompliment zu sein scheint, das er seinen beiden getreuen Gattinnen machte, wenn anders der Erfahrungssatz richtig ist, daß ein einziger froher Tag den bitteren Gram und Harm eines trüben Jahres versüßet.

Neugierigen sei versichert, daß es hier auf den Gleichen heute das erwähnte dreischläfrige Bett nicht mehr gibt, im Hotel Wachsenburg aus allgemein verständlichen Gründen sowieso nicht, aber leider auch nicht mehr auf der Burg Gleichen; denn dort wurde das berühmte Möbelstück, das angeblich echte, in der napoleonischen Zeit ausgerechnet von den Franzosen zu Feuerholz zerspalten!
Die Burg Gleichen hat auch Ludwig Bechstein zum Schauplatz seines Märchens "Seline gewählt, in dem er von der Liebe eines Ritters zu einer Nixe erzählt. Das Motiv des Grafen von Gleichen, also der glücklichen Liebe und Ehe zu dritt, suchte 1776 auch der junge Goethe in seiner "Stella zu gestalten, aber die Ablehnung des von den Zeitgenossen als frivol empfundenen Stoffes veranlaßte ihn, dieses "Schauspiel für Liebende in einer zweiten Fassung dreißig Jahre später in ein Trauerspiel mit tragischem Ausgang umzuwandeln.
Von den Drei Gleichen aus ist es nicht mehr weit bis nach Erfurt, doch lohnt es sich, auf halbem Wege noch in Molsdorf eine kurze Pause einzulegen, erinnert doch das Lustschloß, das hier im Bereich einer spätmittelalterlichen Wasserburg angelegt wurde, samt seinem schönen barocken Garten an eine interessante Figur des 18. Jahrhunderts. Gustav Adolf Gotter war, wie schon der Vorname andeutet, Sproß einer Pfarrersfamilie, sein Vater brachte es zum Kammerdirektor am Hofe in Gotha, der Sohn aber wurde sogar Vertreter des Herzogs am Kaiserhof in Wien, wo er dank seiner charmanten, lebenslustigen Art vor allem die Damen für sich gewann, bald auch als einer der fähigsten Diplomaten in Wien galt. Friedrich Wilhelm I. von Preußen übertrug ihm daraufhin die Vertretung Preußens am Kaiserhofe. Er wurde 1740 zum Grafen erhoben, von Friedrich dem Großen nach Berlin geholt und mit Amtern geradezu überhäuft. Gotter hatte inzwischen in seiner thüringischen Heimat das Rittergut Molsdorf erworben und dort das reizvolle Schloß erbaut, in dem er getreu seiner im Festsaal angebrachten Dese "Vive la Joie lebte.
Dann aber erreichen wir Erfurt, heute die größte und bedeutendste Stadt Thüringens und ihr administratives Zentrum im weiten Talbogen der Gera, die hier früher einmal von einer Furt durchquert wurde. Diese begegnet uns wieder im Namen jener bäuerlichen Siedlung "Erphesfurt, die schon 742 erstmals urkundlich erwähnt wird, als Bonifatius hier ein Bistum gründete. Es wurde zwar schon bald in das Bistum Mainz überführt, aber die Siedlung selbst blühte zu einer der bedeutendsten deutschen Städte des Mittelalters auf und erlebte vom 14. bis 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Wie in Gotha, so spielte auch hier der Waidhandel eine wichtige Rolle und bildete die Grundlage des bürgerlichen Reichtums. Noch heute erinnert die Krämerbrückc an die alte Furt durch die Gera. Zweiundsechzig Häuser standen hier einmal, doppelt so ele als heute. Die wohlhabende Stadt imponierte auch den deutschen Königen, immer wieder wurde sie zum Schauplatz von Reichstagen - allein sechsmal unter Friedrich Barbarossa, und auch Rudolf von Habsburg begünstigte sie besonders und wählte sie als Ausgangspunkt für seine Unternehmen gegen die im thüringischen Raum besonders zahlreichen Raubritter. Neunundzwanzig von ihnen starben in Erfurt unter dem Schwert des Henkers.

In einem Klima des Wohlstandes gediehen auch Kirchen und Klöster, ihren 36 Pfarrkirchen und 15 Klöstern verdankte die Stadt den Beinamen "die Turmreiche - Erfordia Turrita. Sie alle aber wurden übertroffen von der "Akropolis der Gotik, wie man den Domhügel mit Dom und Se-verikirche einmal zu Recht genannt hat, gehören die beiden Gotteshäuser doch zu den schönsten Zeugnissen der Gotik. Wenn wir ihre Architektur und die Fülle der Kunstwerke bewundert haben, bleibt uns sicher noch Zeit, hier sozusagen auch einen alten Bekannten zu besuchen; denn im Dom steht an der rechten Seitenwand des Langschiffs der Grabstein des Grafen von Gleichen mit seinen zwei Frauen, und ein wenig enttäuscht werden wir den Worten des Domführers entnehmen, daß dieser Stein die unschuldige Ursache für die -Sage wurde, weil der Graf zwar mit zwei Frauen vermählt war, aber nicht gleichzeitig, sondern nacheinander!
Zu den großen Predigern, die im Mittelalter in Erfurt wirkten, gehört der Dominikaner Meister Eckhart. Er war ein Sohn Thüringens, ausgebildet an der Ordensschule in Köln und seit etwa 1295 Prior des Predigerklosters in Erfurt. Sein Werk auszuloten, fällt auch heute noch schwer; denn er gilt als der wohl bedeutendste religiöse Denker an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert in Deutschland. Die Zeitgenossen haben ihn nie voll erfaßt, und seine Schriften wurden bald nach seinem Tode als ketzerisch verurteilt. Und doch schrieb er in Erfurt so nachdenkenswerte Sätze:
"Gott ist nirgends. Von Gottes Geringstem sind alle Kreaturen voll, seine Größe aber ist nirgends. Gott ist weder hier noch da, weder in der Zeit noch im Räume. Die Gottheit ist eine Stätte der Seele, namenlos Kommt die Seele in diese namenlose Stätte, da empfängt sie ihre Ruhe. Wo alle Dinge in Gott sind, da ruht sie. Die Stätte der Seele, Gott, ist namenlos. Wer etwas in Gott hineindenkt und ihm Namen anklebt, das ist Gott nicht. Gott ist über Namen und Natur. Wir lesen von einem guten Manne, der zu Gott betete und ihm Namen geben wollte. Da sagte ein Bruder: Schweige, du erniedrigst Gott! In der Tat wir können keinen Namen finden. Ich sage: Gott ist unaussprechlich. Sankt Augustin sagt indessen: Gott ist nicht einmal unaussprechlich; denn wäre er unaussprechlich, das wäre ja schon ein Spruch über ihn. Er ist eben eher ein Schweigen, als ein Sprechen.10
Schon 1392 erhielt Erfurt eine Universität, die sich bald zu einem bedeutenden geistigen Zentrum in Deutschland und zu einer weltoffenen Bildungsstätte entwickelte. 1501-l505 studierte Martin Luther in Erfurt und lehrte hier bis 1511 als junger Dozent. Vom alten Hauptgebäude dieser Universität hat nur das Eingangstor den Zweiten Weltkrieg überdauert, erhalten blieb aber der Lehrsaal der Theologischen Fakultät über dem östlichen Kreuzgang des Domes, das "Auditorium Coelium - das Himmelsauditorium - mit seiner Sternendecke, in dem auch Luther seine Antrittsvorlesung hielt.
Es ist wohl kein Zufall, daß gerade die Erfurter Universität und ihre Studenten ausdrücklich in den Volksbüchern von Till Eulenspiegel und von Doktor Faustus erwähnt werden, denn sie waren auch den einfachen Leuten im Reich bekannt. In Erfurt lehrte Eulenspiegel bekanntlich einem Esel das Lesen, und Doktor Faustus führte den Studenten die Gestalten der Homerischen Epen leibhaftig vor Augen.
Die Universität war auch die Heimat jener Männer, die mit den "Epistolae rorum obscuro-rum - den Briefen der Dunkelmänner 1515 und 1517 eine köstliche Satire auf mönchische Engstirnigkeit und Dummheit verfaßten. Sie sind in einem holprigen Kirchenlatein, wie es die Ungebildeten sprachen und schrieben, abgefaßt, Zeugnisse für die zunehmenden Spannungen zwischen den Humanisten und den Vertretern der alten Kirche am Vorabend der Reformation. Der spottsüchtige Rektor der Universität Crotus Rubanus gehörte ebenso zu den Verfassern wie der junge Ritter Ulrich von Hütten. Das Gelächter des gelehrten Deutschlands war willkommener und verdienter Lohn. Der Dichter Conrad Ferdinand Meyer hat in seinem Epos "Huttens letzte Tage dieses Treiben in Erfurt lebendig nachempfunden:

"Wir scharten uns zu lustgem Mummenschanz, Kapuzen über vollem Lockenkranz! Wir trugen Pfaffenlarven, heuchlerisch Und blitzten draus mit Augen jugendfrisch. Wir schlurften tappig mit Sandalentritt, Wir äfften nach bis auf der Kutte Schnitt. Gründlich studierten wir beim Becherklang Der Mönchlein närrischen Gedankengang. Die Dummheit haben wir mit Witz verziert, Die Torheit mit Sentenzen ausstaffiert! Wir haben sie zum Spott der Welt gemacht, Wir haben uns und sie zu Tod gelacht! Zu Tode? Nein. Wir haben sie geweiht Aristophanischer Unsterblichkeit. Schleiferius! Caprimulgius! Ochsenhom! Schlaraff! Der saubre Täufling Pfefferkorn! Wir brachen keck in ihre Zellen ein, Wir hausten schlimm in ihrem Bücherschrein. Wir sprachen ihr Latein - ergötzlich Spiel! -Und schrieben Briefe wir im Klosterstil: ,Laetificor archiangelicae Cum una speciosa rginae!' Hellauf! Der Narren Glöcklein schriller Schall! Und heissa, hussa, Jagd und Peitschenknall! Die Pfaffen sprangen über Stock und Stein- -Der Esel bockte, grunzend lief das Schwein.

Es ist merkwürdig, daß eine so wohlhabende, weltoffene und der Reformation gegenüber aufgeschlossene Stadt politisch stets eine Art Fremdkörper in Thüringen darstellte, da sie seit Auflösung des Bistums im 18. Jahrhundert mehr oder minder fest offiziell jahrhundertelang zum Erzbistum Mainz gehörte. Als sie nach dem Dreißigjährigen Krieg ihre Selbständigkeit zu erringen suchte, griff 1664 der Erzbischof von Mainz energisch ein und eroberte die Stadt. Sie erhielt zwar völlige Religionsfreiheit für ihre Bürger, aber gleichzeitig auch einen katholischen Statthalter. Daß dies nicht unbedingt ein Schaden sein mußte, bewies der letzte Statthalter Karl Theodor von Dalberg, unter dessen Verwaltung Erfurt zu einem Mittelpunkt aufgeklärten Geisteslebens in Thüringen wurde.
Wenn man am Anger spazierengehl und diese so schön restaurierte Prachtstraße Erfurts mit ihren stattlichen Bürgerhäusern genießt, dann erinnert einen das Dacherödensche Haus (37/38) mit seinem schönen Renaissanceportal zugleich auch an diese Dalberg-Zeit, traf sich doch der Statthalter mit Goethe, Schiller, Herder und Wilhelm von Humboldt, der hier Caroline von Dacheröden kennenlernte, die seine Frau wurde. Und beglückt schrieb er die folgenden Zeilen:
"Im kleinen Raum von Erfurts reichen Auen Bis wo aus Schwarzburgs engem Felsenthale, Sich lieblich windend, rauschend strömt die
Saale, Vermocht ich wohl, mein keimend Glück zu schauen.
Ich sah den Morgen dort des Lebens grauen, Wenn Morgen heißet, wann zum ersten Male Hernieder aus der Liebe goldner Schale Dem Geist des tiefen Sinnes Perlen thauen.

Nur ein paar Schritte weiter liegt am Ende des Angers die ehemalige Statthalterei, die 1711-l720 aus zwei Bürgerhäusern als Repräsentativbau für den Vertreter des Erzbischofs errichtet worden war. Hier bezog Kaiser Napoleon während seines Aufenthalts in Erfurt 1808 Quartier. Für kurze Zeit machte er die thüringische Stadt während des Erfurter Fürstentages zum Mittelpunkt der großen Politik. Er traf sich hier mit den deutschen Fürsten und mit dem Zaren Alexander I., dem er im Kreise der Verbündeten seine Macht demonstrieren wollte. Hier empfing er auch am 2. Oktober 1808 Goethe, und dieser berichtet selbst über das denkwürdige Zusammentreffen:
"Ich wurde um elf Uhr vormittags zu dem Kaiser bestellt. Ein dicker Kammerherr, Pole, kündigte mir an, zu verweilen. Die Menge entfernte sich. Präsentation an Savary und Talleyrand. Ich werde in das Kabinett des Kaisers gerufen. In demselben Augenblick meldet sich Daru, welcher sogleich eingelassen wird. Ich zaudere deshalb.
Werde nochmals gerufen.
Trete ein. Der Kaiser sitzt an einem großen runden Tische frühstückend; zu seiner Rechten steht, etwas entfernt vom Tische, Talleyrand, zu seiner Linken ziemlich nah, Daru, mit dem er sich über die Kontributionsangclegenheiten unterhält. Der Kaiser winkt mir heranzukommen.
Ich bleibe in schicklicher Entfernung vor ihm stehen.
Nachdem er mich aufmerksam angeblickt, sagt er: ,Vous etes un homme.' Ich verbeuge mich. Er fragt: ,Wie alt seid ihr?' ,Sechzig Jahr.' ,Ihr habt euch gut erhalten' - ,Ihr habt Trauerspiele geschrieben.'
Ich antwortete das Notwendigste. Hier nahm Daru das Wort, der, um den Deutschen, denen er so wehe tun mußte, einigermaßen zu schmeicheln, von deutscher Literatur Notiz genommen. Er sprach dem Kaiser von meinen Werken und fügte hinzu, daß ich auch aus dem Französischen übersetzt habe und zwar Voltaires .Mahomet'. - Der Kaiser versetzte: ,Es ist kein gutes Stück!' und legte sehr umständlich auseinander, wie unschicklich es sei, daß der Wcltübcrwinder von sich selbst eine so ungünstige Schilderung mache. Er wandte sodann das Gespräch auf den Werther, den er durch und durch mochte studiert haben. Nach verschiedenen ganz richtigen Bemerkungen bezeichnete er eine gewisse Stelle und sagte: .Warum habt ihr das getan? Es ist nicht naturgemäß!' Welches er weitläu und vollkommen richtig auseinandersetzte.

Der Fürstentag hatte noch einmal einen Höhepunkt in der Stadtgeschichte bedeutet, von da an führte der Weg in die bescheidene Mittelmäßigkeit. 1815 fiel Erfurt an Preußen, ein Jahr später wurde die altehrwürdige Universität geschlossen. Ein neuer Aufschwung gründete sich auf Blumen.

Schon zu Luthers Zeiten hatten die Erfurter als die "Gärtner des Heiligen Römischen Reiches gegolten. Erfurter Brunncnkresse hatte auch der Feinschmecker Napoleon eigens in Versailles abbauen lassen. Ende des 18. Jahrhunderts hatte man mit der Intensierung der Samenzucht begonnen, 1838 fand die erste Gartenbauausstellung statt, und bis heute wird diese Tradition erfolgreich weitergepflegt, wie sich jeder Besucher unschwer auf dem Gelände der Internationalen Gartenbauausstellung von 1961 überzeugen kann. Dem Ruf Erfurts als Garten- und Blumenstadt konnte auch die wachsende Industrialisierung seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nichts anhaben. Dank der elen Arbeiter gewann Erfurt, ähnlich wie Gotha, in der Geschichte der Sozialdemokratie Bedeutung, als 1891 hier auf einem Parteitag jenes Programm der "Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beschlossen wurde, in dem sich die marxistischen Tendenzen durchsetzten und das bis 1921 die sozialdemokratische Politik bestimmte.







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