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Der Turmbau zu Babel

Der Turmbau zu Babel

Sprachen sind der Spiegel der jeweiligen Kultur und des Zivilisationsstandes einer Bevölkerung. Sie sind in einem unaufhörlichen Adaptierungsprozess begriffen. Je umfangreicher ihr Wortschatz ist -die Weltsprache Englisch hat derzeit rund 600.000 Wörter, das Deutsche 300.000 -, desto ausgeprägter ist die Segmentierung nach sozioökonomischen und demographischen Gruppen, nach Berufsspar ten, Aktionsfeldern usw. Die Weltsprache Englisch bietet hierfür das beste Beispiel. Hier reicht die Palette vom "McDonald's-Englisch bis zu den Weltraumspezialisten, von der Sprache Shakespeares bis zum American Business English. Sprachen waren und sind ein Instrument der Macht sowie der politischen und nationalen Identitäts-findung. Durch die spezifische nationale Sprachpolitik von einzelnen Staaten wurden in der rgangenheit regionale Sprachen und Sprachen von Minderheiten vielfach eliminiert und Staatssprachen eingeführt.

Die Europäische Union unternimmt das größte Sprachexperiment aller Zeiten: In der bürokratischen Kommunikation gibt es nach der EU-Erweiterung im Jahr 2004 insgesamt 20 Arbeits- und Amtssprachen. 2,1 Mio. Seiten an Übersetzungen von Protokollen, Berichten und Formularen werden jährlich erzeugt und verteilt. So will es das Gleichheitsprinzip der rfassung.




Im Spannungsfeld der politischen Machtverlagerungen innerhalb der Europäischen Union, der Globalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen und der nationalen Bestrebungen um kulturelle Identität wird sich eine "neue Mehrsprachigkeit herausbilden, eine neue tandkarte der soziolin-guistischen Differenzierung von Europa entstehen, in der auch Relikte von historischen Sprachen gepflegt und erhalten werden - in einer neuen rnetzung zwischen Weltsprachen und territorialen kleinen Sprachgruppen. Es handelt sich um einen singulären und daher schwierig zu prognostizierenden Prozess.

Das Sprachenmosaik in Europa

Eine umfassende europäische Sprachgeschichte ist noch nicht geschrieben. Ebenso gibt es keine genauen Daten über die Umgangssprache von Minderheiten, vor allem dort, wo die Staatssprache le-gistisch gleichzeitig als einzige Amts- und Schulsprache Gültigkeit besitzt. Die abgebildete generalisierte Sprachenkarte von Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt neben der gegenwärtigen Verteilung von Staatssprachen auch die wichtigsten Sprachen von Minderheiten (Abb. 5.2).
Das Mosaik von Sprachräumen in Europa ist nicht in einem Zuge entstanden, sondern geht auf mehrere Prozesse zurück.
Mehrere große historische Wanderungen und Völkerbewegungen haben hierzu beigetragen, Völker und Sprachen haben einander überlagert und verdrängt.
Das räumliche Verteilungsmuster gerade der heute kleinen Sprachgruppen ist durch das Prinzip des Rückzugs in Gebirgsräume bzw. an die jeweiligen Peripherien von staatlicher Macht zu erklären. Hierfür waren zwei große Wanderungen von Bedeutung. Im Norden des Römischen Reiches hat die Ausbreitung der Kelten im mittleren Streifen von Europa im 3. bis 5. Jahrhundert ältere Sprachgruppen in Randgebiete, insbesondere in Gebirgslagen, geschoben. Dazu gehören die Basken in den westlichen Pyrenäen (rund 800.000), die Angehörigen von rätoromanischen Splittergruppen in den Alpen: die Räter im Engadin (rund 50.000), die La-diner in Südtirol (rund 56.000) und die Friuli (rund400.000) in dem nach ihnen benannten ehemaligen Passstaat Friaul in Italien. In Südosteuropa haben sich die Albaner, Nachfahren der Illyrer, im Dinarischen Gebirge halten können (rund 6 Mio. in Albanien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro).
In der Völkerwanderung wurden die Kelten in England durch das Eindringen der Angelsachsen auf die irische Insel und in die Berggebiete, nach Schottland, Wales und Cornwall, abgedrängt. Während das Kornische in Cornwall schon im 19- Jahrhundert ausgestorben ist, wird das Gälische in Schottland noch von ca. 66.000 Menschen gesprochen Dagegen ist das Kimbrische in Wales für mehr als 500.000 Menschen die Muttersprache geblieben und wird auch in Industriegebieten gesprochen. Das Irische ist zwar seit dem Selbständigwerden von Irland nach dem Ersten Weltkrieg wieder Staatssprache, konnte sich jedoch gegenüber dem vorherrschenden Englisch nur in einzelnen Regionen durchsetzen. Es wird nach unterschiedlichen Schätzungen von 300.000 bis 1.095.000 Personen als Zweitsprache gesprochen bzw. verstanden. Das Bretonische in Frankreich, welches als Amtssprache nicht zugelassen ist, sollen noch 180.000 bis 250.000 Personen verstehen (Euromosaic 2004).
Die Angelsachsen waren ein Teil der großen Völkerwanderung germanischer Stämme, welche aus den Räumen um die Ost- und Nordsee nach Süden gewandert sind. Zwei weiteren Gruppen von Stämmen sind östlich von den Angelsachsen dauernde Reichsbildungen gelungen: den Franken, die eingeschmolzen in die keltisch-römische Grundlage Galliens mit dem Frankenreich die Plattform für das christliche Abendland des Mittelalters geschaffen haben, und den unter den deutschen Kaisern geeinten Stämmen der Schwaben, Bayern, Sachsen, Franken und Thüringer.
Die Nord-Süd-Wanderung der Germanen traf in der Mitte Europas mit der Ost-West-Bewegung der slawischen Völker zusammen. Die Slawen bildeten ursprünglich eine von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichende, wenig differenzierte Gruppe von Stämmen. Erst der Vorstoß der zentralasiatischen Nomaden, deren Nachfahren einerseits die Ungarn und andererseits die Bulgaren darstellen, trennte die Süd- von den West- und Ostslawen. Eine religiöse Spaltung, die gleichzeitig auch eine kulturelle war, trat ein. Im Gefolge der Christianisierung gerieten die Ostslawen (Russen, Ukrainer, Weißrussen) und die östlichen Südslawen, darunter die Serben und die slawisierten Bulgaren, in den Einflussbereich von Byzanz und der griechisch-orthodoxen Religion, während sich die weiter westlich sesshaft gewordenen Stämme der Kroaten und Slowenen nach Rom hin orientierten. Damit entstand die Ostgrenze des Abendlandes, welche mit der der Papstkirche identisch war.
Für die Ausbildung der heutigen Schriftsprachen war die Form der Sprachkodifizierung entscheidend. Hierbei spielten die Kanzleien eine Rolle. So übernahm Luther bei seiner Bibelübersetzung weitgehend die sächsische Kanzleisprache, die sich aus dem Prager Kanzleideutsch der Luxemburger entwickelt hatte.
Im neuzeitlichen Absolutismus wurde die Pflege von Staatssprachen zu einem Anliegen der Herrscherhäuser. Mit der Emanzipation vom Lateinischen begann die politische Instrumentalisierung der Sprache mit der darin wurzelnden Auffassung von Sprache als Ausdruck nationaler Identität. Frankreich setzte das Beispiel. Ein königlicher Erlass bestimmte 1539, dass statt des Lateinischen die "lan-gage maternel francis in der Verwaltung und vor dem Gericht zu verwenden sei (Trabant 2001, S. 8).
1635 wurde die Academie Franchise gegründet, welche die "Reinheit, Vornehmheit und Eleganz der französischen Sprache als Zielsetzung erklärte. Etwa gleichzeitig begann der Siegeszug des Französischen als Sprache der Höfe und der guten Gesellschaft. 1789 war zum Leidwesen der Revolutionäre nur ein Drittel des Volkes des Französischen mächtig, die Bürger der Republik sprachen mehrheitlich andere Sprachen und Dialekte. 150 Jahre nach der Revolution war der Prozess der Erlernung eines eleganten Französisch durch die Bürger abgeschlossen. Zur gleichen Zeit begann jedoch der Rückgang der Weltgeltung des Französischen zugunsten des Englischen.

1975 wurde die so genannte Loi Bas-Lauriol gegen die Verwendung englischer Wörter in bestimmten öffentlichen Texten erlassen, 1992 haben die Franzosen ihre Verfassung durch den lapidaren Satz ergänzt: "Die Sprache der Republik ist das Französische (Trabant 2001, S.10). 1994 folgte die Loi Toubon. Sie wendete sich gegen die exklusive Besetzung der wichtigsten Diskurse durch das Englische und damit auch gegen das Herausbrechen ganzer Sprachregister aus der Gesamtarchitektur des Französischen. Dahinter stehen zwei Motive: Das erste Motiv ist die Frankophonie, vor allem in den afrikanischen Staaten des ehemaligen Kolonialreiches. Warum sollten dort die Eliten Französisch sprechen, wenn die Franzosen selbst Englisch als Zweitsprache verwenden? Das zweite Motiv ist die Patrimoinee, d.h. die Pflege des und die Sorge um das kulturelle Erbe, zu dem die Franzosen ihre Sprache zählen.


Die historische Abfolge der Sprachen der Eliten

In der gegenwärtigen Diskussion um die europäische Mehrsprachigkeit wird die historische Tradition dieses Phänomens übersehen. Die europäischen Eliten waren stets zumindest zweisprachig.
Das europäische Mittelalter kannte bereits die Zweisprachigkeit. Es waren die Papstkirche und die Reformen von Karl dem Großen, welche das Nebeneinander von Latein und vielen Volkssprachen begründet haben. Karl dem Großen ist es gelungen, das Latein der Kirchenväter als allgemeines Verständigungsmittel für sein Vielvölker-reich neben den sich entwickelnden romanischen Sprachen durchzusetzen und damit eine Situation herbeizuführen, welche in ganz West- und Mitteleuropa, Polen und Ungarn eingeschlossen, bis zum 17. und 18. Jahrhundert geherrscht hat (Fuhrmann 2001, S.3).
Nur unter dieser Konzeption des Lateinischen als allgemeiner Bildungssprache ist es verständlich, dass - Modulen vergleichbar - die Strukturen des Städtesystems in Hinblick auf das Stadtrecht, die Grund- und Aufrissgestaltungen und Funktionen ebenso wie die Organisationsformen des ländlichen Raumes, die Aufschließungsformen der Kolonisation und das politische System des Feudalismus, die Organisation des Rittertums und der Burgenbau zu das christliche Abendland umspannenden Phänomenen geworden sind.
Mit dem Lateinischen wurde ab der Renaissance das Griechische zu einer Elitensprache. Das umfangreiche "Lexikon des altgriechischen Spracherbes im Wortschatz der deutschen Sprache belegt die nahezu unglaubliche Fülle von Begriffen, welche von der griechischen Antike nicht nur in die Sprache der Intellektuellen, der Kunst, Wissenschaft und Politik, sondern auch in die Alltagssprache eingegangen ist. "Mag das gehobene Bildungsgut des 19. Jahrhunderts heute mehr und mehr verblassen, umso nachdrücklicher kommt der Einfluss von Medizin und Naturwissenschaften zur Geltung, das Gen und die Photographie, das Trauma und das Megabyte, die Psychoanalyse und das Poster, die Chaostheorie und die Kybernetik seien als Beispiele genannt. In der Alltagssprache ist der Polizist dabei, aber auch der Strolch und der Pirat; Historiker und Geographen haben teil und Pädagogen, ebenso wie Ökonomen und Ökologen (Kytzler etal. 2002, S. XI).
"Von Polen bis Portugal, von Skandinavien bis Sizilien wird ein und dieselbe griechische Wurzel verwendet, um Musik oder Philosophie zu bezeichnen, um Tyrannei zu geißeln und Demokratie zu bejahen, um weltweit die Olympischen Spiele zu feiern (ebenda, S. XIV).
Aus dem Lateinischen stammen die meisten Fremdwörter im Deutschen. Dieser Prozess der Anregung durch die römische Zivilisation und die lateinische Sprache begann mit den ersten Berührungen zwischen Römern und Germanen. Militärische Begriffe wie Kampf und Kastell, Pfeil und Wall, Meile und Straße werden übernommen. Der Name des Imperators selbst, Cäsar, ging als Kaiser ins Deutsche, als Zar ins Russische ein (Kytzler et al. 2002, S. X). Zahlreich sind die Zeugnisse in der Architektur: Ziegel und Schindel, Kalk und Mauer, Pforte und Pfeiler, Fenster und Kammer. Mit der Christianisierung im frühen Mittelalter erfolgte eine weitere Welle im Althochdeutschen mit "der Dom und die Kapelle, der Altar und die Messe, die Religion und die Predigt (ebenda, S. XI), hierzu traten Ämterbezeichnungen wie Abt, Prälat und Dekan. Die Klöster waren Zentren der Mission und der Bildung. Wörter wie Schule, schreiben, Tinte und Zettel, Griffel und Linie, Brief und Siegel wurden übernommen.
Latein war die Sprache nicht nur der Kirche, sondern ebenso jene der auf die Karolingerzeit zurückgehenden Kloster- und Domschulen bis zu den Artistenfakultäten der Universitäten (Fuhrmann 2001, S.4).

Die Aufklärung und die Säkularisierung aller Lebensbereiche sowie das Vordringen des Nationalstaatsgedankens und der Nationalsprachen im 19. Jahrhundert beendeten endgültig das lateinische Zeitalter.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist das humanistische Bildungsideal nach den zwei großen Weltkriegen in eine Existenzkrise geraten. Naturwissenschaften und moderne Sprachen verdrängten die humanistische Tradition.
Mit dem Modell von Versailles begann im 17. und 18. Jahrhundert das Französische seine Erfolgstournee zunächst an den Höfen der Herrscherhäuser, beim Adel und schließlich bei breiten bürgerlichen Schichten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs konnte sich das Französische als Bildungssprache einer bürgerlichen Gesellschaft gut behaupten. Daneben nahm das Deutsche im gesamten östlichen Mitteleuropa, in Nord- und auch in Südosteuropa den ersten Rang unter den Fremdsprachen ein. Vor allem im polnischen Raum hatte die Mischsprache zwischen dem Hebräischen und dem Deutschen, das so genannte Jiddische, die Funktion einer Lingua franca, welche die Kommunikation in diesen vielsprachigen Gebieten in Handel und Gewerbe beherrscht hat.
Der Zweite Weltkrieg hat die Nationalitäten- und Sprachenkarte Europas in dem beschriebenen Zwischeneuropa grundlegend verändert. Gleichzeitig ist mit dem Aufstieg der USA das amerikanische Englisch zur neuen globalen Verständigungssprache geworden, der sich auch die Bürger der Europäischen Union nicht entziehen können (vgl. unten).

Die Sprachenpolitik der EU

Die Europäische Union ist offiziell als eine vielsprachige Gesellschaft errichtet worden, wobei allerdings das Problem der Minderheitensprachen bisher nicht einer europäischen Lösung zugeführt worden ist. Vor der fünften EU-Erweiterung hatte die EU elf Amts- und Arbeitssprachen. Durch die Erweiterung hat sich deren Zahl auf 20 vermehrt.
Die offizielle Sprachenpolitik der EU sieht vor, dass die Kommission im Kontakt mit den Bürgern alle Anfragen in der Sprache beantworten soll, in der sie verfasst wurden, vorausgesetzt, dass es sich um eine Amtssprache handelt. Die Sprachenvielfalt verlangt einen umfangreichen Sprachendienst. Der Service Commun Interpretation Conferences (SCIC) ist der weltweit größte Übersetzungsdienst. Allerdings gilt das Vollsprachenregel nur für Treffen der Regierungschefs und die Ministerratsebene sowie für die Abfassung der offiziellen Schriftstücke im EU-Parlament.
Neben dem offiziellen Amtssprachenmodell ist auch ein Arbeitssprachenmodell der EU für den internen Amtsgebrauch die gängige Praxis, wonach Englisch, Deutsch und Französisch als Amtsund Arbeitssprachen verwendet werden. Dieses Modell wird durch die Effektivität und Funktionalität begründet, vor allem dort, wo es um ausländisches und internationales Patent-, Urheber-, Wettbewerbsrecht und dergleichen geht. Für die interne schriftliche Kommunikation belegen statistische Daten, dass die Verteilung der Dokumente sich signifikant in Richtung Englisch entwickelt. Waren es 1997 noch 45%, so betrug der Anteil 2001 bereits 59%. Französisch ging in diesem Zeitraum von 40 auf 29%, Deutsch von 5% auf 4% zurück (Greimel 2003, S.31).
Die Sprachenpolitik der EU wird mit der EU-Erweiterung zu einem Dauerthema avancieren. Nicht nur wird das Sprachenlernen als eine der wichtigsten Bildungsaufgaben betrachtet, sondern es wird angenommen, dass das Erlernen von zwei Fremdsprachen im Bildungssystem der EU-Staaten zur Regel gemacht werden könnte.
Angesichts einer rasch fortschreitenden wirtschaftlichen Integration der EU und eines schleichenden Angleichungsprozesses in Wirtschaft, Medien und Informationstechnologien wird mittelfristig der nationale Sprach-, Kultur- und Bildungsbereich als einer der wenigen verbleibenden Unterschiede innerhalb der EU akzeptiert.
Unter diesen Voraussetzungen weist die Sprachpolitik daher auch beachtliche nationale Unterschiede auf. Sie wird im Gegensatz zur Wirtschaftspolitik im Verein mit der Bildungspolitik an Bedeutung gewinnen. Versuche, die Bildungspolitik der europäischen Staaten anzugleichen, sind bisher nur zaghaft erfolgt (Neide 2001, S. 28). Nur im Universitätsbereich mit seiner internationalen Verflechtung sind bereits Europäisierungstenden-zen vorhanden.

Allein mit dieser "Bildung von europäischen Eliten, welche auf verschiedenen Universitäten studieren, kann sich Europa auch global profilieren. Diese Eliten werden mehrsprachig sein. Hierbei ist zu erwarten, dass diese europäische Mehrsprachigkeit der Eliten, definiert als die Beherrschung von zwei Fremdsprachen neben der Muttersprache, im Zuge der Globalisierung auch in steigendem Maße außereuropäische Sprachen, wie das Chinesische oder das Arabische, einschließen wird.

Unionssprachen und Sprachen von Minderheiten

Die EU hat die Staatssprachen zu verpflichtenden Sprachen gemacht und die Frage der Sprachen der Minderheiten bisher den einzelnen Staaten überlassen. Die Sprachencharta von 1999 hat noch keine reale Bedeutung erhalten.
In Hinblick auf die Stellung der einzelnen Unionssprachen bestehen sehr beachtliche Unterschiede (Abb. 5.3):
■ Die Sprachen ehemaliger Kolonialmächte haben ihre Schwerpunkte außerhalb der EU: allen voran das Englische (375 Mio. Sprecher), gefolgt vom Spanischen (352 Mio.) und Portugiesischen (170 Mio.). Auch das Französische besitzt noch einen Sprachraum außerhalb der EU (76 Mio.).
■ Im Hinblick auf das Volumen der Unionssprachen ist die Polarisierung bemerkenswert. Von den insgesamt 20 Unionssprachen besitzen sechs Sprachen (Deutsch: 95 Mio., Englisch: 54 Mio., Französisch: 56Mio., Italienisch: 54Mio., Spanisch: 40 Mio., Polnisch: 38 Mio.) insgesamt einen Anteil von 75% und andererseits elf Sprachen (Portugiesisch: 10 Mio., Tschechisch: 10 Mio., Schwedisch: 9 Mio., Dänisch: 5,9 Mio., Slowakisch: 5,2 Mio., Finnisch: 4,6Mio., Litauisch: 2,6 Mio., Slowenisch: 2 Mio., Lettisch: 1,4 Mio., Estnisch: 1 Mio., Maltesisch: 0,35 Mio.) nur einen Anteil von 12%. Drei weitere Sprachen (mit jeweils mehr als 10 Mio.: Niederländisch mit 22,5 Mio., Neugriechisch mit 12,5 Mio. und Ungarisch mit 14 Mio.) umfassen 13%.
m Deutsch steht mit rund 95 Mio. Sprechern in der Europäischen Union mit Abstand an erster Stelle. Deutsch war als Wissenschaftssprache vor dem Zweiten Weltkrieg international hoch angesehen und überall als Konferenzsprache vertreten. Es hat diesen Status durch den Zweiten Weltkrieg verloren und bisher nicht zurückgewinnen können. Alle Minderheitensprachen zusammen erreichen keine 5% der EU-25 mit ihren 455 Mio. Einwohnern. Aus der historisch-politischen Landkarte von Europa ist das Übergreifen von Unionssprachen über die jeweiligen Staatsgrenzen zu erklären, wie u.a. das der deutschen (Südtirol, Elsass) bzw. der ungarischen Sprache. Von TtMio. Ungarn leben ^Mio. in den Nachbarstaaten, die einst ein Teil der ungarischen Reichshälfte der Donaumonarchie gewesen sind. Ferner gibt es das Nebeneinander mehrerer Staatssprachen, wie in der Schweiz (welche nicht zur EU gehört) und in Belgien, und schließlich das zur Schriftsprache gewordene mainfränkische Mittelhochdeutsche des Lützel-burgischen, welches die Luxemburger als Muttersprache neben der Zweitsprache Deutsch und der Staatssprache Französisch sprechen. Irland stellt eine Besonderheit dar. Hier wurde Irisch als keltische Sprache mit der staatlichen Selbständigkeit nach dem Ersten Weltkrieg wieder eingeführt und hat als Zweitsprache auch eine gewisse Bedeutung gegenüber dem Englischen erhalten, sich jedoch als Erstsprache nur regional durchgesetzt.
Durch die Anerkennung des Maltesischen, einer arabischen Sprache mit nur 350.000 5prechern, hat die Union die Größenskala der Unionssprachen ganz wesentlich nach unten erweitert, und zwar unter die größenmäßige Obergrenze von Minderheitensprachen, und überdies eine semitische Sprache mit einem lateinischen Alphabet in den Sprachenkanon integriert. Das Problem der Minderheitensprachen wird in der EU unterschiedlich gelöst. Die sprachenpolitische Landkarte von Europa ist dementsprechend bunt, und auch die Zukunftschancen der Minderheitensprachen sind sehr verschieden zu beurteilen:

Das Prinzip der Einsprachigkeit wird rigoros von Frankreich vertreten, das u.a. das Deutsche im Elsass und das Bretonische in der Bretagne als regionale Dialekte bezeichnet und bei den Volkszählungen nicht registriert. Dasselbe gilt für Minderheitensprachen in Griechenland, darunter das Aromunische mit rund 100.000 Sprechern. Von Griechenland werden nur Religionsgruppen und damit die Türkisch sprechenden Thraker anerkannt.

Ein Schutz von Minderheitensprachen besteht in Großbritannien mit dem Walisischen, in den Niederlanden mit dem Friesischen, in Deutschland mit dem Sorbischen sowie in Österreich mit dem Kroatischen, Ungarischen und Slowenischen.
Schließlich gibt es die politische und sprachliche Autonomie des Katalanischen (6,5 Mio.) und Baskischen in Spanien sowie des Deutschen in Südtirol in Italien.

English only?

Die derzeitige Ideologie der Mehrsprachigkeit in der EU wird durch die Praxis vielfach obsolet. Zahlreiche Analysen belegen die fortschreitende Vormachtstellung des Englischen schon allein deshalb, weil die EU keine abgeschottete Insel ist, sondern in einem globalen Zusammenhang steht. Englisch ist ein Werkzeug, ohne das man heute in der internationalen Kommunikation nicht auskommt. 375 Mio. Menschen sprechen Englisch als Muttersprache, ungefähr die gleiche Zahl lebt in Staaten, in denen Englisch die zweite Landessprache ist, und rund 750 Mio. Menschen benützen es als Fremdsprache mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

Ein weiterer Aspekt betrifft die höchst unterschiedliche Fähigkeit von Personen, Fremdsprachen zu lernen, so dass besonders in den Volksschulen die Tendenz auf Englisch ausgerichtet ist.
Gekoppelt mit der Ausbreitung einer neuen proletarischen globalen Konsum- und Spaßgesellschaft geht der weltweite Vormarsch des amerikanischen Englisch als Verkehrssprache in der reduzierten Form einer Lingua franca mit der medialen Werbung von immer neuen Konsumgütern und immer neuen Destinationen des Tourismus Hand in Hand weiter. Diese Bewegung erfolgt gleichsam von unten her und hat wenig gemein mit der Ausbreitung des Englischen in der wissenschaftlichen Welt, überall dort, wo allgemeingültige Aussagesysteme möglich sind, nämlich im naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich. Diese Entwicklung einer globalen analytischen Wissenschaftssprache ist nicht grundsätzlich neu. Das Lateinische hatte eine ähnliche Funktion im Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit. Auf das Englische als einzige globale Lingua franca richten sich die Hoffnungen von allen, die in der Sprachenvielfalt immer schon ein lästiges Übel gesehen haben (Weinrich2001,S.6).
Allerdings wird die Europäische Kommission nicht müde zu betonen, dass es in Europa nicht nur eine Lingua franca geben darf, sondern dass nur durch die Vielsprachigkeit auch die kulturelle Vielfalt des Kontinents gewahrt werden kann.
Gegen die "English only-Politik sind inzwischen nationale Sprachenpolitiker zu Felde gezogen, allen voran die französische Gesetzgebung. Andere Staaten sind gefolgt, darunter als einer der ersten Polen. Im Gesetz über die polnische Sprache 1999 wird diese als elementare Grundlage der nationalen Identität und als nationales Kulturgut definiert, welche im Prozess der Globalisierung geschützt werden muss (Weinrich 2001, S.6).

Das kulturräumliche Muster der "neuen Mehrsprachigkeit

Im Februar 2001 hat INRA den Bericht über "Euro-peans and Languages herausgegeben, welcher auf einer umfangreichen Stichprobe beruhte und die Frage der Mutter- und Fremdsprachen in der EU thematisierte (Abb. 5.3), Die Analyse erbrachte die Rangordnung der Fremdsprachen, bei denen Englisch mit 41% an erster Stelle steht, gefolgt vom Französischen mit 19%, Deutsch mit 10%, Spanisch mit 7% und Italienisch mit 3%. 47% der Befragten gaben an, keine Fremdsprache zu beherrschen.
Die Nord-Süd-Gegensätze in Europa spiegeln sich deutlich in den Englischkenntnissen. Schweden, Niederländer und Dänen stehen mit rund 80% zu Buche, während Italiener, Spanier und Portugiesen nur zu 39 bzw. 36% Englischkenntnisse angegeben haben. Auch dieses Ausmaß der Kenntnisse erscheint jedem, der öfter in Italien und auf der Iberischen Halbinsel gereist ist, als eher unwahrscheinlich hoch. Der Unterschied zwischen den romanischen und den germanischen Sprachen kommt in diesem Nord-Süd-Profil zum Tragen, ebenso der höhere Grad der Volksbildung in den nordeuropäischen Staaten. Die absolute Dominanz von Englisch als Fremdsprache wird auch bestätigt, wenn man den prozentuellen Anteil von Schülern in den höheren Schulen der Europäischen Union zum Vergleich heranzieht, wobei allerdings die EU-Erweiterungsstaaten niedrigere Anteilswerte aufweisen als die EU-15-Staaten (Eurostat Schuljahr 1996/97).
Welche Sprachen besitzen noch eine Chance, als erste oder zweite Fremdsprache im Bildungskanon der höheren Schulen verwendet zu werden?
Die Anteilswerte der Schüler am Fremdsprachenunterricht in den höheren Schulen der EU-25 bieten einen Vorgriff auf die sprachliche Zukunft des Kontinents (Abb. 5.4):
Französisch, einst die erste Sprache des Bildungsbürgertums, hat diese Position noch keineswegs zur Gänze verloren. Es ist die Staatssprache mit 98% in Luxemburg, mit 85% in Wallonien, ferner verpflichtende Fremdsprache mit 100% in Zypern, die erste Fremdsprache mit 70% der Schüler in Irland und 74% im künftigen EU-Erweiterungsstaat Rumänien. Als Zweitsprache behauptet sich Französisch mit Schüleranteilen von 63% in Griechenland, 34% in Italien, 23% in Spanien, 24% in Deutschland und 13% in Österreich.

Die deutsche Sprache hat deutliche Nachbarschaftseffekte der Bundesrepublik in den höheren Schulen zu verzeichnen: mit einem hohen, nicht exakt spezifiziertem Anteil in den Niederlanden, 76% in Dänemark, 44% in Schweden und 35% in Norwegen. In den Nachfolgestaaten der Donaumonarchie konnte die deutsche Sprache Areale zurückgewinnen. In Tschechien wird Deutsch bereits in der Volksschule, und zwar als einzige Fremdsprache (!), angeboten, in Ungarn und in der Slowakei sowie in Kroatien wurde Deutsch wieder als erste Fremdsprache an den höheren Schulen eingerichtet (mit Anteilen von 48 und 62% und einem nicht bekannten Anteil in Kroatien). In Tschechien, Polen und Slowenien wird Deutsch als zweite Fremdsprache geführt, die Anteilswerte der Schüler sind mit 54, 53 und 37% im Vergleich mit dem Englischunterricht (55, 73 und 80%) durchaus beachtlich.
In den an Russland angrenzenden baltischen Staaten und in Bulgarien ist dagegen Russisch nach wie vor als Fremdsprache von Bedeutung (Bulgarien: 31%, Estland: 58%, Lettland: 49%, Litauen: 39%). Ob es diese Position behaupten kann, ist ungewiss.
Frankreich hat sich entschlossen, Spanisch als zweite Sprache in den höheren Schulen zu etablieren (34%). Eine alte Tradition besitzen das Schwedische in Finnland mit 93% und das Dänische in Island mit 61%.
Diese lapidaren Auflistungen belegen, dass die Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union bereits aufgrund des Bildungskanons der höheren Schulen eine gute Chance besitzt.
Weitere Faktoren kommen dazu, welche die räumliche Verbreitung der Mehrsprachigkeit fördern, wie die Gastarbeiterwanderung in den deutschen Sprachraum und nach Frankreich sowie der Tourismus aus dem Norden und der Mitte Europas in den Sunbelt des Erdteils, der als Wirtschaftsfaktor auch zu einer Ausbreitung der weiter nördlich gesprochenen Sprachen führt.
Ein Mehrebenenmodell zur Bewältigung der Sprachenvielfalt in der EU zeichnet sich ab. Auf der obersten Ebene des EU-Parlaments und der EU-Regierung wird ebenso wie im Kontakt mit einzelnen Bürgern die jeweilige Unionssprache (insgesamt 20) Verwendung finden.
In der EU-Administration wird ein Mehrsprachenmodell mit Englisch, Französisch und Deutsch die Kommunikation auch in Zukunft bestimmen.
Die Eliten der EU werden mehrsprachig sein, wobei diese Mehrsprachigkeit keineswegs nur auf der Ebene der sechs größten Sprachen zu suchen sein wird, sondern auch über den europäischen Kontinent hinaus in das Arabische, Chinesische und Japanische ausgreifen wird.
Ein extrem vereinfachtes amerikanisches Englisch wird schließlich als breite Verständigungsplattform von einem Teil der EU-Bevölkerung gesprochen werden, zumindest im Raum der germanischen Sprachen und bei den kleinen Sprachnationen. Die Resistenz des romanischen Sprachraums gegenüber dem Englischen ist derzeit schwierig zu beurteilen.








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