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Naturales Questiones oder die antiken Naturwissenschaften


Naturales Questiones

oder die antiken Naturwissenschaften





1. Griechische Ursprünge




Naturphilosophie als Vorgänger der Naturwissenschaften



DIE FRÜHEN NATURPHILOSOPHEN  (AS: 3-8)

Von den vorsokratischen [= vor Sokrates (470 - 399 v. Chr.) gelebt habenden] (Natur-) Philosophen sind uns keine  Schriften ganz erhalten, übrig blieben nur Fragmente, die meist als aus dem Zusammenhang herausgerissene Splitter (z.B.: Zitate) nicht mehr als einige wenige Zeilen umfassen. Den Großteil unseres Wissens beziehen wir aus Quellen wie Platon und Aristoteles, welche sich ausführlich mit den Vorsokratikern beschäftigt haben, sodaß wir dennoch in der Lage sind uns ein Bild von den damaligen Vorstellungen zu machen.

Das älteste im Wortlaut erhaltene Fragment eines Vorsokratikers ist der berühmte Satz des Anaximander von Milet über Werden und Vergehen der Dinge; auf ihn geht auch der allgemeine später sehr oft verwendete Buchtitel "Über die Natur" ìús).

Während die ersten Schriften in Prosa verfaßt wurden, gingen einige Autoren (Xenophanes, Parmenides, Empedokles)  bald dazu über ihre Gedanken in Form eines Lehrgedichtes zu kleiden; in der Spätphase der vorsokratischen Philosophie kehrte man schließlich wieder zur Prosa zurück, wahrscheinlich wegen der Behandlung komplizierter Sachverhalte.

Thales, Anaximander, Anaximenes (alle von Milet) und Heraklit von Ephesos (alle 6.Jh nach dem Alter geordnet) begründeten mit ihrer unvoreingenommenen Betrachtungsweise und grundsätzlichen Fragestellung nach dem Aufbau der Welt, nach Sein und Werden, nach dem Wahrnehmen und Erkennen die griechische Philosophie. All diesen Denkern gemeinsam ist ein kompromißloses Streben, den Dingen auf den Grund zu gehen, die Ursprünge í/principia) aufzuspüren, verknüpft mit dem unverrückbaren Glauben, mit denkerischer Kraft die Antwort auf diese Fragen zu finden. Dieses Streben nach dem Grundsätzlichen, der Wille zur Systematisierung und Abstrahierung, führte freilich oft zu heute seltsam anmutenden Spekulationen, zu kühnen Verallgemeinerungen, die ihre Eigendynamik entwickelten und sich recht wenig um die Erfahrung der alltäglichen Sinneswelt kümmerten. So bezeichnet auch der Begriff "Physiker" ós), wie die ersten Denker genannt wurden, mehr den Naturphilosophen als den Naturwissenschaftler, wobei diese zwei Bereiche lange Zeit eine unzertrennliche Einheit bildeten und sich erst im Hellenismus aufzuspalten begannen.


Zu den zentralen Problemstellungen, mit welchen sich die ionische Naturphilosophie befaßte bzw. aus denen sie überhaupt erst hervorging, gehörte die Frage nach dem Aufbau der Materie, nach dem Werden und Vergehen der Dinge, nach den im Kosmos wirkenden Kräfte (daher der Name Kosmologie). Sie wagten den Versuch, die ganze Vielfalt der stofflichen Erscheinungswelt auf ganz wenige, nur noch verstandesmäßig erschließbare grundlegende Faktoren i/elementa) zurückzuführen, auch Urstoffe genannt (z.B.: Thales: Wasser; Anaximenes: Luft; Heraklit: Feuer). Ihren reifsten Ausdruck hat die vorsokratische Elementenlehre schließlich im Lehrgedicht des Empedokles von Akragas (ca. 500-430 v. Chr.) gefunden, in welchem die später klassisch gewordenen vier Elemente vorgeführt werden, die über Platon und Aristoteles bis übers Mittelalter hinaus ihre Gültigkeit behalten haben.

Ein besonderer Aspekt der Elementarlehre ist das Problem der Verwandlungsfähigkeit der Materie. Weit davon entfernt, Elemente im heutigen Sinne des Wortes zu sein, handelt es sich bei diesen Urelementen mehr um hypothetische Grundkomponenten der Materie, die im stetigen Austausch miteinander stehen, sich in einander verwandeln, sich in neue Mischungen gruppieren und sich wieder auflösen können.

Ein weiterer wichtiger Punkt der sich aus diesen Fragen ergibt ist die Distanzierung von der Mythologie, wie zum Beispiel von frühen Schöpfungsmythen.

Ein scharfer Gegensatz in der Erklärung der gestaltenden Kräfte tat sich im 5.Jh auf: während Anaxagoras, der Lehrer des Sokrates, erklärte, daß der ganze Kosmos vom Geist ûs) beherrscht und durchwaltet sei, und damit zum erstenmal die Polarität Geist - Materie erkannte, machten die Atomisten ein physikalisches Prinzip is), und den Zwang á: ein unabänderliches Kausalitätsprinzip) für alle Vorgange im All verantwortlich.


Einige Einzelprobleme: (AS: 8-11)

Vorwegnehmend sei angemerkt, daß egal wie naiv die einzelnen Probleme auch erklärt werden das Entscheidende daran der Wille mythologische Vorstellungen abzulegen und Erscheinungen rational zu erklären ist.

Astronomische Beobachtungen: Vorhersage der Sonnenfinsternis vom 28.5.585 v. Chr., Mond erhält sein Licht von der Sonne

Erdvorstellungen: Form (Zylinder, Scheibe), Weltkarte

Meteorologische Erscheinungen: Donner, Blitz, Regenbogen, Erdbeben, Entstehung des Meeres und dessen Salzgehaltes (Verdunstung)

Geologische Erscheinungen: Versteinerungen (Muschelabdrücke im Steinbruch früher: Meer), Anziehungskraft des Magnetsteines

Mathematische Erkenntnisse: Lehrsätze (Thaleskreis)



PYTHAGORAS UND DIE PYTHAGOREER                 (AS: 11-14)

Da man nicht genau weiß, welche Erkenntnisse und Überlieferungen genau auf Pythagoras (geb.: 532 in Samos, gründete in Kroton in Unteritalien religiös- philosophische Lebensgemeinschaft) zurückgehen und welche auf seine Schüler, tut man gut daran, nicht von ihm, sondern von den Pythagoreer zu sprechen. Man versteht darunter zunächst den Kreis jener Schule welche im 5.Jh./Anf. 4.Jh. v. Chr. ihre Blüte erlebte, sich aber über Jahrhunderte bis tief  in die Spätantike fortsetzte. Die Atmosphäre dieser Schule, in der sich Spekulation und Wissenschaft, Mystik und Philosophie in eigenartiger Weise zusammenfanden, war zum einen der Nährboden für eine reiche Legendenbildung und zum anderen aber auch die Quelle vielseitiger, vor allem mathematischer Erkenntnisse. Der Grundgedanke pythagoreischer Weltvorstellung bestand darin, daß sich die ganze Weltordnung auf Zahlen und Proportionen zurückführen lasse, daß der ganze Kosmos eine "Harmonie" í) sei.

Beispiele für Lehrsätze u. Erkenntnisse: Pythagorassatz, Irrationale Zahlen, Winkelsumme,

In ihrem Kreis wurde auch erstmals das geozentrische Weltbild in Frage gestellt.



DIE ATOMISTEN               (AS: 14-21)

Von den Begründern der antiken Atomphysik, von Leukipp von Milet (Anf. 5.Jh. v. Chr.) und Demokrit von Abdera (ca. 460 - 400 v. Chr.) sind kaum Fragmente im ursprünglichen Wortlaut erhalten, die sich direkt auf die Atomlehre beziehen, sondern nur aus indirekter Überlieferung recht eingehende Berichte. Die Atomistik ist nicht nur ein Versuch die Materie zu erklären, sondern stellt ein geschlossenes weltanschauliches Konzept dar, welches nur als Antithese zur vorangegangenen und noch über Jahrhunderte weiterwirkenden Naturphilosophie verstanden werden kann. Anders als vorher ist bei den Atomisten alles einem physikalischen Gesetz, dem Zwang, unterworfen und sie kennen nur einen unbegrenzten, unzentrierten Raum mit "vielen Kosmen" , leerem Raum und unveränderlichen Atomen. Der Begriff "ás" bezeichnet die Unteilbarkeit dieser Teilchen, die so winzig sind, daß sie sich unseren Sinnesorganen entziehen und die sich ständig ungeordnet bewegen (demokriteische Wirbel). Die Atome unterscheiden sich lediglich durch ihre Form, ihre Lage und innerhalb von Stoffverbindungen durch ihre verschiedenartige Anordnung, die gerne mit der Anordnung von Buchstaben innerhalb eines Wortes  verglichen wird.

Die Grenzen des Atomismus werden im geistig- seelischen Bereich mit allen Wahrnehmungen und Empfindungen sichtbar, so besteht nach Demokrit auch die Psyche aus Atomen. Die Lehre der Atomisten stieß bei zeitgenössischen und folgenden Philosophen auf heftigen Widerspruch; so kam es auch, daß sie vom überwiegenden Einfluß des Aristoteles und seiner Schule verdrängt wurde. Trotz dieses Widerstandes wurde sie von Epikur wieder aufgegriffen und in einigen Punkten modifiziert, sowie später von einigen hellenistischen Arzten.




DIE UNIVERSALE NATURPHILOSOPHIE DER KLASSISCHEN UND NACHKLASSISCHEN ZEIT:



1. Platon (427 - 348/47)       (AS: 21-26)

Im Timaios, seinem Spätwerk, sollte sein kosmologisches Denken eine abschließende Darstellung finden und der seit Beginn  der ionischen Naturphilosophie zur Diskussion stehenden Frage nach den Ursprüngen der Welt, die unter den Atomisten eine bedrohlich materialistische Richtung eingeschlagen hatte, eine geisterfüllte Antwort zu geben. Die ganze Weltauffassung Platons ist erfüllt vom Gedanken, daß der ganze Kosmos eine sinnhaft und zweckmäßig geordnete, beseelte Einheit bildet, die von einer geistigen Instanz, dem ûs, gestaltet und durchwaltet ist. Ein knappes astronomisches Weltbild wird entworfen mit sieben konzentrisch um die Erde sich drehenden Sphären des Mondes, der Sonne und der (damals bekannten) fünf weiteren Planeten, deren Bahn "schräg" ist gegenüber einer achten, ruhenden Sphäre der Fixsterne, welches das Werk eines Schöpfers darstellte.

Im selben Werk macht er auch den ersten Versuch einer Klassifizierung der die Erde bevölkernden Lebewesen: es gibt nach ihm vier Gattungen é): die der himmlischen Götter, der Vögel, der Wassertiere und der Landtiere.

Besonders ausführlich wird die Anthropologie dargelegt, die mit ihren (nicht buchstäblich zu verstehenden, teils mit Humor vorgetragenen) Erklärungen über Aufbau und Funktionen des Körpers und einem Exkurs über die Krankheiten eine Auseinandersetzung mit damaligen medizinischen Theorien verrät.

Die spätere Geschichte der Naturwissenschaften ist aber von dieser Schrift kaum beeinflußt worden.


Im Staat zählt Platon außerdem die folgenden vier Disziplinen auf, deren Kenntnis als "Vorbereitung" auf höhere Studien für den künftigen Philosophen notwendig ist: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Harmonik, womit die Fächeraufteilung des späteren Quadriviums bereits vorgegeben ist.


2. Aristoteles (384 - 322)     (AS: 26-35)

Das naturphilosophische Denken des Aristoteles ist einerseits demjenigen Platons verwandt, was die ganzheitliche Auffassung des Kosmos und den unerschütterlichen Glauben an die Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit der Natur betrifft; auf der anderen Seite aber unterscheidet sich Aristoteles grundsätzlich von Platon darin, daß er von den Dingen der Sinneswelt ausgeht und gelegentlich mit unglaublicher Sorgfalt den einzelnen Erscheinungen der Natur nachspürt, wobei er eine besondere Liebe zu den einzelnen Phänomenen entwickelte.

Den Begriff Bewegung ís) versteht Aristoteles in einem umfassenderen Sinn, als wir es heute tun, indem er grundsätzlich jede Veränderung als Bewegung bezeichnet. Recht ausführlich  untersucht Aristoteles die Gesetzmäßigkeiten des freien Falls und des Wurfes mit den dazugehörenden Komponenten Raum und Zeit. Richtig erkannt hat er jedenfalls den Zusammenhang von Bewegung und Zeit, wenn er die Zeit als "Maßzahl der Bewegung" bezeichnet.

Die einzelnen Bestandteile des aristotelischen Denkens fügen sich zu jenem Weltbild zusammen, das über mehr als ein Jahrtausend die weltanschaulichen Vorstellungen des Abendlandes prägte und erst in der Renaissance und der Aufklärung Stück für Stück zu Fall gebracht wurde:

Im Zentrum des Weltalls befindet sich unverrückbar und unbeweglich die Erde in Gestalt einer Kugel. In der diese umschließende Himmelssphäre bewegen sich die Himmelskörper in ewigen, vollkommenen Kreisbewegungen. Der ganze Raum, der nicht unbegrenzt und leer ist, wird von der unveränderlichen Fixsternsphäre umgeben, die ebenfalls Kugelform besitzt. Die Fixsterne sind fest auf ihr angebracht und kreisen mit ihr in stetiger Kreisbewegung um die im Zentrum befindliche Erde.



3. Die stoische Physik          (AS: 35-39)

Die von Platon und Aristoteles eingeschlagene Richtung der Naturbetrachtung hat ihre Fortsetzung in der Naturphilosophie der Stoa (gegründet von Zenon von Kriton, 334-263 v. Chr.) gefunden, die in die drei Bereiche Logik, Physik und Ethik geteilt wurde, wobei die Physik alle Bereiche der toten und lebenden Natur des irdischen und überirdischen Raumes umfaßt und somit Kosmologie und Theologie mit einschließt. Auch bei den Stoikern bildet die Natur eine unzertrennliche Einheit und wird - ähnlich einem Lebewesen - von einer geistigen Kraft ós/ratio) durchdrungen und gelenkt. Wobei die Natur hier letztlich mit Gott identifiziert wird, daher auch die Forderung nach einem "naturgemäßen Leben".


Die Leistung der älteren Stoa besteht nicht in einer selbständigen Erforschung der Natur, und ihren Details, sondern vielmehr im Blick für die Einheit und die vollendete Schönheit der ganzen Natur.


Anders steht es mit dem wichtigsten Repräsentanten der Mittleren Stoa, Poseidonios von Apameia (135 - 51 v. Chr.). In zahlreichen Schriften (nur einzelne Fragmente erhalten) befaßt er sich mit den verschiedensten Erscheinungen der Natur aus den Bereichen der Astronomie, der Geographie und Ethnographie (= beschreibende Völkerkunde). Die wohl bedeutendste Schrift des Poseidonios, der in unermüdlichem Forscherdrang den Einzelproblemen nachging, ist die Abhandlung Über den Ozean ìû). Hier wird seine epochemachende Entdeckung vorgetragen, die den Bewohnern des Mittelmeerraumes bisher verborgen geblieben war, daß die Gezeitenperioden mit dem Mondumlauf im Zusammenhang stehen. Bemerkenswert ist hierzu auch, daß er über 30 Tage genaue Messungen durchgeführt hat, was von einer mustergültigen methodischen Untersuchung zeugt.

Mit Poseidonios haben wir wohl den letzten bedeutenden Universalgelehrten der Antike vor uns, der einerseits einen umfassenden Blick für die Einheit und Zusammengehörigkeit der Natur hatte, andererseits aber mit systematischer Forschung die einzelnen Phänomene zu erhellen suchte.




Die Fachwissenschaften der hellenistischen und spätgriechischen Zeit



DIE ENTSTEHUNG DER FACHWISSENSCHAFTEN (AS: 39-44)

Es lag in der Natur der Sache, daß sich aus der ganzheitlichen Naturbetrachtung, um die sich seit jeher die Philosophie bemühte und die immer ihr Anliegen blieb, allmählich einzelne Fachwissenschaften herauslösten und sich verselbständigten. Damit beginnt sich die Kluft zu öffnen zwischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft, die bis jetzt eine unzertrennliche Einheit bildeten. Im 5.Jh. noch vereinzelt, im 4. und 3. Jh. auf breiter Front setzt jener Prozeß der Spezialisierung ein, dem die Naturwissenschaften ihre erstaunlichen Fortschritte verdanken, der aber auch die Gefahr in sich birgt, den Blick für das Ganze zu rauben.


Die Bildung der Fachwissenschaften begünstigte in hohem Maße die äußeren Bedingungen der hellenistischen Zeit. Die Erweiterung des Gesichtskreises durch die weitgestreckten Grenzen des Alexanderreiches, die Überwindung traditioneller Bindungen und Öffnung gegenüber fremden Einflüssen, die Entstehung neuer Kulturzentren in den nachfolgenden Diadochenstaaten waren besonders geeignet, das wissenschaftliche Denken zu fördern. Das bedeutendste Kulturzentrum wurde unter Ptolemaios I. (305 - 283) Alexandria, der die berühmte Bibliothek gründete - sie soll etwa 400 000 Buchrollen umfaßt haben -, die unter Ptolemaios II. (283 - 247) eine einzigartige Hochblüte erlebte. Die Institution des Museions in Alexandria war - weit mehr als eine bloße Bibliothek - eine eigentliche Lebensgemeinschaft von Wissenschaftlern, die einen ständigen Gedankenaustausch ermöglichte.


Kriterien, inwiefern sich ein Sachgebiet als selbständige Fachwissenschaft emanzipiert, sind etwa, daß eine Fachbezeichnung für die betreffende Disziplin geschaffen wird, daß Gelehrte sich mehr oder weniger professionell mit dem Sachgebiet befassen, daß der Wissensstoff eine gewisse Gliederung und Systematisierung erfährt und ein Schrifttum entsteht, daß sich eine über längere Zeit sich fortsetzende Schultradition bildet, in welcher spätere Generationen die Erkenntnisse früherer verwerten und erweitern können.


Die älteste Fachwissenschaft, die sich herausgebildet hat und die ein reiches Schrifttum besitzt, ist die Astronomie; nicht zufällig konnte sie doch wohl auf babylonische Kenntnisse zurückgreifen. Die Fachbezeichnung (1) astronomia bzw. astronomikos - vorerst noch gleichbedeutend mit astrologia bzw. astrologos - erscheint schon bei den Vorsokratikern und ist im 5. Jh. ein geläufiger Begriff.

Die (2) mathematike - zunächst allgemein für ein wissenschaftliches Stoffgebiet gebraucht - wird als Fachbezeichnung für Mathematik beim Pythagoreer Archytas (Anf. 4.Jh.), bei Plato und Aristoteles  geläufig, reicht der Sache nach jedoch in vorsokratische Zeit zurück.

Etwas später scheint die Fachbezeichnung (3) geographia aufgekommen zu sein, die bei Strabon (1.Jh v. Chr.) als geläufiger Ausdruck erscheint.

Fachbezeichnungen wie (4) biologia/biologos oder gar zoologia/zoologos sind dagegen in der Antike nicht belegt, obwohl ein ganz beachtliches Schrifttum erhalten ist.

Weit verbreitet ist dagegen der Ausdruck (5) physikos, der aber ganz allgemein den Naturwissenschaftler oder Naturphilosophen bezeichnet und nicht unserem Physiker entspricht. Aber eine selbständige Fachdisziplin, die mit unserer heutigen Physik verglichen werden könnte, existierte in der Antike nicht, wenngleich durchaus einzelne physikalische Fragen behandelt wurden.

Ganz spät, erst im 4.Jh. nach Christus, erscheint in den alchemistischen Schriften der Begriff (6) chymeia/chemeia, wobei diese Fachrichtung zwar ansehnliches eigenes Schrifttum produziert hat, aber nie das Niveau einer eigentlichen Wissenschaft erreichte.



DIE FACHWISSENSCHAFTEN IM EINZELNEN

ad (1)Astronomie (AS: 44-60)

Daß die Astronomie als älteste griechische Wissenschaft, babylonische und ägyptische Kenntnisse übernehmen konnte, ist unzweifelhaft. Ganz verschiedene Bedürfnisse waren es (Babylon: Astrologie; Agypten: Kalender; Phönizier: nautische Astronomie) die seit ältesten Zeiten den Menschen veranlaßten, den Sternenhimmel zu beobachten; der kühne Entwurf eines geschlossenen Weltbildes aber, wie er bereits bei den ersten Vorsokratikern (vgl. Seite 1) vorliegt, und das Bemühen, mit mathematischen Gesetzen den Lauf der Gestirne zu erfassen, dürfte die eigene Leistung der  Griechen sein. Die Astronomie war zur Zeit Platon, der gerne auf sie Bezug nimmt, längst als Fachwissenschaft etabliert.

Der erste in umfangreichen Fragmenten erfaßbare Astronom ist der etwas jüngere Zeitgenosse und Schüler Platons, Eudoxos von Knidos (ca. 391 - 338 v. Chr.), der sich vor allem dadurch einen Namen machte, daß er versuchte, mit mathematischen Überlegungen die Planetenbahnen zu erfassen. Er formulierte eine für den Beobachter von der Erde aus gesehen brauchbare Erklärung für die verschiedenen scheinbaren Unregelmäßigkeiten der Planetenbewegungen wie Stillstände, Rückläufe und Schleifen, indem er für die Himmelskörper mehrere sich um verschiedene Achsen drehende Himmelskugelschalen annimmt (z.B.: drei für die Sonne). Eine weitere, für die Folgezeit bedeutende Leistung des Eudoxos besteht darin, daß er eine Beschreibung der Sternbilder und ihrer Lage zusammenstellte.

Ihren Höhepunkt erlebte die griechische Astronomie zweifellos unter Aristarch von Samos (ca. 310 - 230 v. Chr.) und Hipparch von Nikaia (ca. 180 - 125 v. Chr.), die beide wenigsten zeitweise in Alexandria wirkten. Aristarch hatte es unternommen, unter Anwendung trigonometrischer Gesetze das Abstandsverhältnis zwischen Erde - Mond und Erde - Sonne zu berechnen. Seine kühnste Leistung, die in Fragmenten eindeutig bezeugt ist, bestand darin, daß er das hergebrachte geozentrische Weltbild verwarf und durch seine Lehre einer doppelten Bewegung der Erde um ihre eigene Achse und um die Sonne zum erstenmal klar ein heliozentrisches Konzept vertrat, das leider bei seinen Nachfolgern unberücksichtigt blieb und erst von Kopernikus wieder aufgegriffen wurde. Für die Qualität der wissenschaftlichen Forschungen Hipparchs zeugen seine Präzisionsmessungen.

Die umfassendste Darstellung des astronomischen Wissens der Antike enthält zweifellos die Syntaxis mathematica des Klaudios Ptolemaios (ca. 100 - 170 n. Chr.), der nicht nur reiches Material früherer Gelehrter in vorbildlicher Systematik handbuchartig zusammenstellt, sondern eine Menge eigener Beobachtungen und Berechnungen miteinbezieht. Das unter dem arabischen Titel Almagest bekannt gewordene, 13 Bücher umfassende Werk fand in arabischer, später in lateinischer Übersetzungen eine riesige Verbreitung und bestimmte bis zu Kopernikus das astronomische Weltbild des Abendlandes. Sehr ausführlich geht er den scheinbaren Anomalien der Planetenbewegungen nach.

Das Geheimnis antiker erstaunlich präziser Meßresultate beruht im Prinzip auf Visiergeräten mit genauen Gradeinteilungen und auf Langzeitbeobachtungen.



ad (2)Mathematik

Dieses Gebiet wird nicht weiter behandelt, da es, moderner Gewohnheit folgend, nicht zu den Naturwissenschaften gezählt wird.


ad (3)Geographie (AS: 60-75)

Die infolge der griechischen Kolonisation über den ganzen Mittelmeerraum und das Schwarze Meer sich erstreckenden Handelsbeziehungen ließen das Bedürfnis aufkommen, das noch von Homer geprägte fabulöse Erdbild durch gesicherte, auf Erfahrung beruhende Kenntnisse zu ersetzen. Eine entscheidende Erweiterung über diesen Bereich hinaus nach Osten und Süden erfuhr das damalige Weltbild durch die Perserkriege und die immer häufiger werdenden Kontakte mit Agypten.

Der Indienfeldzug Alexanders des Großen brachte eine bedeutende Erweiterung des Horizonts nach Osten. Etwa zur selben Zeit unternahm Pytheas von Marseille seine viel umstrittene Entdeckerfahrt der Nordküste Europas entlang bis über Britannien hinaus, wo er von der sagenhaften, nie sicher lokalisierten Insel Thule hört, die von nun an gewöhnlich die Nordbegrenzung der Oikumene (bewohnte damals bekannte Welt) bildet. Überdies ist der Umstand beachtenswert, daß Pytheas völlig richtig die Erscheinung der Mitternachtssonne in der Polarregion schildert.

Die zahlreichen Vorstöße in die Weltmeere hinaus nach Süden, Osten und Norden und die bald besser verbürgten, bald phantasievoll ausgeschmückten Nachrichten aus weitentfernten Regionen riefen nach dem Entwurf eines neuen, auf wissenschaftlicher Grundlage beruhenden Erdbildes. Es ist zweifellos das Verdienst des Eratosthenes von Kyrene (ca. 285 - 210 v. Chr.), des hervorragenden Gelehrten und Bibliothekars von Alexandria, eine solche "Richtigstellung der Geographie" geleistet zu haben, weshalb er nicht zu unrecht gemeinhin als der Begründer der wissenschaftlichen Geographie gilt. Seine Hauptleistung liegt darin, daß er die Geographie auf mathematisch- astronomische Grundlagen zurückführt. Er sah seine Hauptaufgabe darin eine Erdkarte zu entwerfen und führte dazu als Grundlage ein rechtwinkeliges Koordinatensystem ein von Parallelkreisen und Meridianen.

Die angesprochene mathematische Ausrichtung der Geographie in der Hochblüte der hellenistischen Wissenschaft mit ihren nicht immer widerspruchslosen Berechnungen und ihren oft kühnen Spekulationen hinsichtlich der Grenzen der Oikumene führte zur Reaktion, daß man sich auf eine praxisorientierte, allgemeiner zugängliche Länderbeschreibung zurückfand und in der Geographie nicht mehr ein Anwendungsfeld der Mathematik, sondern vielmehr ein Ergänzungsgebiet der Geschichtsschreibung sah. Das umfassendste länderkundliche Werk der Antike ist die Geographia des Strabon (64/63 v. Chr. - 20 n. Chr.) mit eben einem starken Bezug zur Geschichtsschreibung.

Ein letztes Monument alexandrinischer Wissenschaft, in welchem das bisherige Wissen, verbunden mit eigenen Beobachtungen und Überlegungen, zusammengefaßt und gleichsam als Vermächtnis der Nachwelt überliefert wird, ist das geographische Werk des Klaudios Ptolemaios (ca. 100 - 170 n. Chr.).


ad (4) Biologie (und Mineralogie) (AS: 75-92)

Zwar hat sich die Biologie in der Antike nie zu einer selbständigen Wissenschaft entwickelt, doch ist ein reiches zoologisches und botanisches Schrifttum erhalten. Wir verdanken dieses zum überwiegenden Teil dem breitgefächerten Interesse des Aristoteles und seiner Schüler, die nicht nur großräumig das Wesen des ganzen Kosmos zu ergründen suchten, sondern auch mit unermüdlicher Hingabe allen Details der Natur nachgingen und in liebevoller Kleinarbeit Tiere, Pflanzen und sogar Steine beobachteten, in denen sich das sinnvolle Walten der Natur ebenso zeigen konnte wie in den Bahnen der Gestirne.

Das zoologische Werk des Aristoteles steht einzig da; es hat in der Folgezeit keine Fortsetzung gefunden, die sich auch nur entfernt mit dem wissenschaftlichen Niveau aristotelischer Forschung vergleichen ließe. Zwar zeigt sich in hellenistischer und römischer Zeit ein verbreitetes Interesse an der Tierwelt - so sind von Ptolemaios II. große Tierschauen veranstaltet worden, und bildliche Darstellungen besonders exotischer Tiere waren beliebt -, doch war dieses Interesse weitgehend auf das Merkwürdige und Außergewöhnliche ausgerichtet, mit dem sich auch leicht das Fabulöse verband.

Der eigentliche Begründer der wissenschaftlichen Pflanzenkunde ist der bedeutendste Schüler des Aristoteles und spätere Schulleiter des Peripatos, Theophrast von Eresos (370 - 285 v. Chr.), dessen botanische Forschungen in zwei Werken überliefert sind, in der Historia plantarum und in den Causae plantarum. Theoprast zeichnet sich jedoch gegenüber Aristoteles aus durch eine stärkere Gewichtung der Beobachtung und einer spürbaren Zurückhaltung gegenüber der Theorie. Die Nachwirkungen der botanischen Studien des Theophrast in späthellenistischer und römischer Zeit waren vielfältig, wenngleich das Niveau hellenistischer Wissenschaft nie mehr erreicht wurde.

Das Interesse an der Pharmakologie wuchs mit der Entfaltung der medizinischen Wissenschaft. Schon Theophrast hatte eine Zusammenstellung von Heilkräutern angeführt. In späthellenistischer Zeit wurde die Heilmittelkunde weiter ausgebaut. Das bedeutendste und umfangreichste pharmakologische Werk der Antike schließlich ist die etwa 60 n. Chr. entstandene Materia medica des Dioskurides, welche neben tierischen und mineralischen Heilstoffen zum überwiegenden Teil pflanzliche Pharmaka anführt.

Ein Versuch der systematischen Gesamtbetrachtung der Mineralogie liegt ebenfalls in der Schrift des Theophrast vor, dessen Verdienst es ist, mit den bescheidenen Mitteln die ihm zur Verfügung standen, die mineralischen Stoffe geordnet zu haben. Da noch keinerlei Einsicht in den chemischen Aufbau der Materie, ja noch nicht einmal der Begriff des chemischen Elements vorhanden war, mußte sich eine systematische Betrachtung der Mineralien - übrigens bis ins 18.Jh. hinein - mit der Feststellung sehr äußerlicher Merkmale begnügen.


ad (5)Physik (und Technik) (AS: 92-101)

Physikalische Probleme - so zeigen die geringen erhaltenen Spuren - wurden schon von den Vorsokratikern angegangen. Genauere Einblicke  in die Diskussion physikalischer Sachfragen erhält man bei Aristoteles, der in seinen naturphilosophischen Schriften auf verschiedene Probleme eingeht. Wenn auch viele seiner Thesen widerlegt sind, so ist doch bedeutend, daß Aristoteles zum ersten Mal physikalische Lehrsätze aufstellt.

Zu den wenigen erhaltenen physikalischen Schriften, gehören zwei Abhandlungen des Archimedes (287 - 212 v. Chr.), des wohl berühmtesten Mathematikers und Ingenieurs der Antike, der durch die Erfindung und Konstruktion seiner Kriegsmaschinen den Römern, die seine Heimatstadt Syrakus belagerten, lange zu schaffen machte.

Neben dieser mehr mathematischen Betrachtung physikalischer Fragen richtete sich besonders in der späteren Zeit das Interesse auch auf die praktische Anwendung, das sich in einer Reihe technischer Schriften niedergeschlagen hat, die kein wissenschaftliches Niveau beanspruchen.


ad (6)Chemie (und Alchemie) (AS: 101-111)

Eine selbständige Fachwissenschaft der Chemie hat sich in der Antike nie herausgebildet, fehlten doch alle Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Analyse der Stoffe. Das schließt jedoch nicht aus, daß auf rein empirischen Wege vielfältige Erkenntnisse in stofflichen Belangen gewonnen wurden, die man bald mit spekulativen Theorien der Naturphilosophie in Verbindung brachte, bald mehr im Lichte der Magie und Zauberei betrachtete.

Die Bezeichnung chymeia bzw. chemeia kommt erst bei den spätantiken Alchemeisten auf, doch bereits Demokrit hat eine Schrift verfaßt, in welcher er - so lassen die wenigen Spuren erkennen - den Versuch machte, die geschmackliche Wirkung von Stoffen wie süß, bitter, salzig u. a. auf bestimmte Atomformen (wir würden sagen Molekularstrukturen) zurückzuführen.

Das 4. Buch der Metereologica des Aristoteles bietet eine geschlossene Darstellung des auch sonst bei ihm bezeugten Materiekonzepts mit den vier Grundelementen, denen je zwei Grundqualitäten zugeordnet sind (vgl. gr. Klassik: Aristoteles). Er weiß sehr wohl zwischen rein mechanischen Stoffmischungen und Stoffverbindungen (chemische Verbindungen), "bei denen die sich verbindenden Stoffe sich verwandeln und eine neue Einheit bilden", zu unterscheiden. Diese Anschauung, daß sich bei einer Stoffverbindung die Stoffe tiefgreifend verändern (= Transmutationslehre), wird zur unentbehrlichen Grundlage des späteren alchemistischen Denkens.

In der Alchemie werden einerseits uralte handwerkliche Erfahrungen vor allem aus dem Gebiet der Metallurgie, Färberei und der Glasherstellung verarbeitet, auf der anderen Seite aber auch naturphilosophische Spekulationen miteinbezogen, so besonders die Transmutationslehre, die das Ziel der Alchemie aller Zeiten erreichbar erscheinen ließ, aus minderwertigen Stoffen Gold herzustellen; vielfach gibt eine magisch-okkultistische Komponente dem Ganzen noch einen mystisch-sakralen Anstrich.

Ein Großteil der alchemistischen Bemühungen dreht sich um metallurgische Probleme, sei es, daß Metalle in gediegener Form dargestellt wurden, die in der Natur gewöhnlich nur in Form von Oxyden oder Sulfiden vorkommen, sei es, daß Legierungen gesucht wurden, die als Ersatz oder als Fälschung kostbarer Stoffe wie Gold oder Silber dienen konnten. Eine ganze Menge von Rezepten ist auch der Färbung von Textilien und Steinen gewidmet.

Zur Einleitung chemischer Prozesse bediente man sich der verschiedensten Geräte und teilweise recht anspruchsvollen Apparaturen, von denen Beschreibungen und Skizzen erhalten sind.












2. Weitere Entwicklung



Die Naturbetrachtung in der römischen Zeit



EINFÜHRUNG        (AS: 111-112)

Es ist eine Tatsache, daß die wesentlichen Forschungsarbeiten und kreativsten Leistungen der antiken Naturwissenschaften im griechischen Kulturkreis des 4. - 2.Jh. v. Chr. erbracht worden sind und daß in römischer Zeit kaum mehr entscheidende neue Impulse hinzugekommen sind. Es wäre vermessen, letztlich erklären zu wollen, weshalb die Römer so ganz andere Interessen hatten; daß sie von Natur aus mehr auf die Praxis der Politik ausgerichtet waren und mehr Sinn für Recht und Rhetorik als für theoretisches Denken und Forschen hatten, sind nur schablonenhafte Erklärungsversuche, die etwas Wahres an sich haben mögen, die aber das Problem nicht grundsätzlich erklären können. Nun darf aber nicht übersehen werden, daß sich in römischer Zeit zwei ganz neue Aspekte in den Vordergrund getreten sind, die der Geschichte der Naturwissenschaften eine neue Wendung gegeben haben: einerseits das Abrücken von der Spezialisierung der Fachwissenschaften hin zur Gesamtschau einer enzyklopädischen (Enzyklopädie = umfassendes Nachschlagewerk in lexikalischer Form, in dem Informationen zu allen Wissensgebieten oder zu einem Fachgebiet enthalten sind) Naturbetrachtung und andererseits die Transponierung (= Brückenschlagen bzw. Übersetzen) des wissenschaftlichen Stoffes auf eine gemeinverständliche Ebene der Schule, die zu einer Verbreitung und Weitergabe gewonnener Einsichten, aber schließlich auch zu einer Reduzierung und Trivialisierung des breiten Stoffes führte.



DIE PHILOSOPHSCHE NATURBETRACHTUNG      (AS: 112-116)

In der Tradition der ganzheitlichen Naturbetrachtung, wie sie in der griechischen Philosophie der vorklassischen und klassischen Zeit begründet, von der Stoa und Epikur weitergeführt worden war, stehen auf römischer Seite auch zwei Werke, die nicht eigentlich naturwissenschaftlichen Charakter haben, aber einen wichtigen Platz in der Entwicklung dieser einnehmen: Es sind dies auf epikureischer Seite die 6 Bücher De rerum natura des Lukrez und auf stoischer Seite die Naturales Questiones des Seneca:

Das Lehrgedicht des T. Lucretius Carus (97 - 55 v. Chr.) erhebt den Anspruch, das Wesen (natura) der ganzen sinnlich wahrnehmbaren Welt (rerum) aus atomistischer Sicht erklären zu können. Eine besondere Leistung des Lukrez liegt darin, daß er zum erstenmal griechische Naturphilosophie in den römischen Kulturbereich einführt und, nachdem hellenische Dichtung, Historiographie (Geschichtsschreibung) und Rhetorik längst ihren Einzug gehalten haben, den Römern nun auch den Zugang zur Naturbetrachtung eröffnet.

Eine weitere wesentliche Bedeutung des lukrezischen Lehrgedichts besteht darin, daß es die umfangreichste und detaillierteste Darstellung der Atomphysik aus der ganzen Antike enthält und somit nicht nur für die Kenntnisse der atomaren Vorstellung Epikurs aufschlußreich ist, sondern auch eine Fülle von Material, das über Epikur hinaus auf Demokrit und seine Umgebung zurückgeht. Er trägt im Zusammenhang mit der Beweisführung zur Existenz von Atomen eine ganze Beispielsreihe von Naturbeobachtungen zusammen - Stoffe, die verdunsten, sich abnützen oder sonstwie verflüchtigen -, welche das Vorhandensein unsichtbarer materieller Vorgänge veranschaulichen sollen.



Naturales Questiones


Vorläufer und Quellen (Rec.: 516-520)

Anfangs war es das Hauptanliegen der griechischen Philosophen, Naturvorgänge, die mythologisch gedeutet wurden, rational zu erklären. Den Griechen blieb systematisches Experimentieren so gut wie unbekannt; sie begegneten den Naturphänomenen vorwiegend spekulativ, erklärten auch das kosmische Geschehen eher biologisch als mathematisch-mechanisch. Dies wirkt bei Seneca nach; auch er versucht die Wahrheit viel mehr durch Argumente als durch Experimente zu erkennen.

Die Vorsokratiker zitiert er nicht so sehr aus erster Hand, sondern übernimmt ihre Ansichten aus Referaten bei Aristoteles, Theophrast und anderen Doxographen. Auch platonische Denkformen wirken wohl bei Seneca ein.

Eine meteorologische Literatur gibt es erst seit Aristoteles, der die Meteorologie wissenschaftlich begründete. Dessen Grundmuster scheint bei Seneca durch, besonders auch der physikalische Grundsatz der Verwandlung der Elemente ineinander. Es ist zwar nicht zu beweisen, daß er das Buch des Aristoteles unmittelbar benützte, doch spricht alle Wahrscheinlichkeit für gründliche Lektüre.

Kallisthenes, der Großneffe des Aristoteles, schrieb mehrere Bücher über den Untergang der Städte Helike und Buris (373 v. Chr.). Seneca zitiert sie mehrfach, doch ist auch hier unmittelbare Verwendung nicht zu beweisen; vielleicht ist Poseidonios Zwischenquelle.

Auch Theophrast, der Nachfolger des Aristoteles, schrieb über meteorologische Fragen unter anderem über die Nilschwelle. Hier geht er an mehreren Stellen (namentlich) auf diesen zurück. Derselbe stellte auch die Ansichten seiner philosophischen Vorgänger über physikalische Probleme zusammen, und es ist wahrscheinlich, daß Seneca diese Zusammenstellung benützte.

Trotz des Aufschwungs der Einzelwissenschaften im Hellenismus fanden die Philosophen keinen rechten Zugang zu ihnen. Erst Chrysipp (ca. 281 - 208 v. Chr.) erklärte die Fachwissenschaften zur Vorschule der Philosophie. Auch er schrieb naturwissenschaftliche Untersuchungen (Physika zetemata) und wurde so Vorläufer Senecas.

Von dem Weltbild der Stoa übernahm Seneca den ausgeformten Physisbegriff, der auf ein organisches, ebenso theologisch wie physikalisch als Einheit zu erfassendes Weltganzes zielt, dazu die Vorstellung der Weise müsse im Einklang mit der Weltseele "naturgemäß" leben. Das stoische Weltbild wurde durch die sympatheia ergänzt. Alle Elemente stehen in Zusammenhang miteinander und hängen voneinander ab. Zugleich kristallisiert sich stoische Physik im zentralen Begriff des Kontinuums in Raum, Zeit, Materie und der kontinuierlichen Ausbreitung der physikalischen Erscheinungen.

Poseidonios, der durch Reisen und Durchforschung der älteren Literatur das Beobachtungsmaterial vermehrte, hat mit Sicherheit auf die Naturales Questiones eingewirkt, auch wenn er den Sinn für Beobachtungen nicht weitergegeben hat, weil sich seine Nachfolger zumeist mit dem von ihm erbrachten Material begnügen.

Auch daß Seneca kosmologische und psychologische Fragen gleichermaßen behandelt, geht vielleicht auf Poseidonios zurück. Zudem könnte er die Überzeugung, daß die erklärende Naturbetrachtung Geist und Charakter zugleich bildet, ihm verdanken.

Römisches verwendet Seneca kaum. Mit Lukrez ist er insofern verwandt, als beide durch rationales Ergründen der letzten Dinge die Menschen von quälenden Vorstellungen befreien wollen, doch scheint er weder Lukrez viel benützt zu haben, noch finden sich bei ihm größerer Spuren des Römers Varro.

Da sich Seneca schon früh mit naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigte, las er wohl nahezu zeitlebens zu diesem Thema, doch wissen wir nicht, wieweit er die über dreißig Autoren, die er zitiert, selbst ausgewertet hat. Er wird vielfach aus dem Gedächtnis zitieren, denn seine Referate aus (z.B.) Aristoteles sind manchmal ungenau. Am meisten scheint er Poseidonios direkt auszuwerten. Vieles sonstige mag aufbereiteten Doxographien entstammen, doch wird Seneca, neben der Lektüre vieler Originalwerke, nicht nur eine einzige Zusammenstellung verwendet haben, sondern mehrere nebeneinander.

Seneca verschwieg wohl auch die Namen von Theoretikern; ihm kam es nicht in erster Linie auf eine Doxographie an, sondern auf die Inhalte von Theorien, und er wollte auch nicht als Kleinigkeitskrämer erscheinen. Im übrigen verwendet Seneca die Quellen nach eigenem Urteil und gibt nicht fremde Ideen mechanisch wieder, sondern kommentiert sie selbständig. Er würdigt Gelehrte auch nicht nach Schule oder Weltanschauung, sondern einzig nach ihrem naturwissenschaftlichen Scharfsinn. Freilich, auch er übernahm aus seinen Quellen die Schwäche griechischer Naturforschung: rasche Systembildung auf schmaler Faktenbasis.


Die Absicht des Werkes (Rec.: 521-522)

In den Naturales quaestiones liegt Seneca die Stellung des Menschen in der Welt fest. Wie Cicero Rom den Zugang zur Philosophie bahnte, will er seiner Zeit die ganze Philosophie darstellen, will, wie er sagt, die Welt durchschreiten, ihre Ursachen und Geheimnisse ergründen und anderen zur Kenntnis bringen. So wird der Mensch Bürger im großen und wahren Staat des Kosmos. Physik wird Theologie, erschließt den Sinn des Lebens, der in Erkenntnis des Alls, Gottes und der wahren Natur des Menschen besteht.

Immer schon wurde bei den Naturales quaestiones nach dem Verhältnis von Fachwissenschaft und ethischen Teilen gefragt. Es ist ein alter Vorwurf, das Werk klaffe in Naturerklärung und ethischer Lehre auseinander. Doch ist es falsch, von einer Verbindung physikalischer Probleme mit ethischer Paränese (= 1. Mahnpredigt 2. (beabsichtigte) Nutzanwendung einer Predigt) zu sprechen, denn Naturerkenntnis ist für Seneca Grundlage jeder Ethik, und sowohl die naturwissenschaftlichen Ausführungen wie die moralischen waren ihm gleichwertige Teile seines Werkes. Senecas Ethik ruht auf naturwissenschaftlicher Grundlage, und selbst Erörterungen wie die über den Spiegel dienen der Erhellung der Begriffe, die ihrerseits zur Erfassung der Natur und rechter Lebensgestaltung hilft.

Die Klärung schwieriger Sachverhalte bildet die Vorstufe zur Zergliederung philosophisch-ethischer Probleme. Seneca macht es dabei dem Leser nicht leicht. Seine eigene Ansicht zu einem Problem ließe sich meist auf zwei Seiten darstellen, doch läßt er uns miterleben, wie er forscht und sucht und er weiß, daß so geübter Scharfsinn auch anderen Fragen gewachsen ist. Im Verstehen des Weltprozesses erlangte das Denken Leichtigkeit und führt die Seele zur Weisheit.

Der forschende Mensch erkennt die Natur, und dies ist das größte Erreichbare. Obschon die Dinge selbst dem Bereich des Unwichtigen (Adiaphora) angehören, nimmt von ihrer transsubjektiven Gegenständlichkeit das sittlich-religiöse Leben seinen Ausgang. Anfangs eröffnen die Sinne den Zugang zur Wirklichkeit, doch dann wird der Zusammenhang der Welt begrifflich erforscht. Im Erfahren göttlichen Wirkens kehren wir zum Urgrund, zur Gottheit zurück.

Naturwissenschaft schenkt uns Einsicht in den gottdurchwirkten Kosmos; Naturerkenntnis wird Erkenntnis der Gottheit. Zugleich erweist sich die Gottheit als vollkommene Vernunft und als Norm zur Heranbildung eines ebenso vernünftigen Seelenhegemonikons in unserem Inneren. So entsteht eine ethisch wertvolle Haltung aus der Erkenntnis der göttlichen Vernunft, die Kosmos und Mensch durchdringt. Die Erkenntnis des Weltlogos gibt uns Klarheit über die eigene Bestimmung. Sie ermöglicht vernunftgemäße Lebensführung, rechten Verstand und Gesundheit der Seele,; in diesem naturgemäßen Leben liegt der Schlüssel zum Lebensglück. Die Einsicht in den Weltprozeß läßt den stoischen Weisen jene Vollendung erreichen, die Tugend genannt und der zur höchsten Erkenntnis fähigen Vernunft gleichgesetzt wird.

Seneca verwendet die Vorstellung vom göttlichen Urfeuer und seine Keimkräften, die bei rechter Lebensweise zur Entfaltung kommen. Luxus ist dann Abwendung von der Natur. Zugang zur Natur bietet aber auch deren Schönheit, so daß neben die Erkenntnis der Naturgesetze auch das ästhetische Erleben tritt; doch verfolgt Seneca diesen Gedanken nicht sehr weit.       


Senecas Naturbild (Rec.: 524-525)

Die Wissenschaft unserer Tage beschreibt die Natur als mathematisch faßbares Netz von Phänomenen; der Römer hingegen folgt dem in Hellas (Griechenland) ausgeformten Physisbegriff, der auf ein organisches, theologisch und physikalisch als Einheit zu fassendes Ganzes zielt. Die Rationalität der Welt ist das Werk einer überlegenen Intelligenz. Der Mensch besitzt einen Teil dieser Intelligenz, verwendet ihn aber nicht selten falsch. Die Welt wird durch die Vorsehung Gottes gelenkt. Gott ist der Geist des Universums, ist Logos und Vorsehung zugleich. Er ist der Schöpfer der Welt, Ursache der Ursachen, Natur und Fatum, schöpferischer Seinsgrund und schaffende Vernunft. Er vermischt sich mit Natur und Welt, durchwaltet sein Werk und sorgt für die Erhaltung des Geschaffenen und damit seiner selbst.

Der menschliche Geist erkennt, daß die Natur im ganzen harmonisch, jedoch aus Gegensätzen zusammengesetzt ist. Alles hat eine Ursache, die wir freilich nicht immer erkennen. Die Natur ist ein lebendes Wesen. Die Elemente, die sie bilden, befinden sich in dauerndem Austausch und Kreislauf. Alles entsteht aus allem. Urelement war das Feuer, das die Verdichtung der übrigen Elemente erzeugte. Das Feuer ist mit dem Weltgrund und Gott identisch. Es kreist im All und nähert sich von den Ausdünstungen der Erde, so daß ein ständiger Austausch zwischen Himmel und Erde erfolgt. Auch die Gestirne erhalten Nahrung von der Erde.

Ein solcher Energiestrom setzt Spannung der Elemente voraus. Sie ist der tonos , der die Einheit der Welt stiftet und besonders in der Luft erscheint, die das große Band des Universums bildet. Die Luftspannung erklärt das Wachsen der Pflanzen, das Ansteigen des Wassers, das Erdbeben. Kleanthes hatte diese Lebenskraft in der Wärme erblickt, Poseidonios im Pneuma, Seneca, wie gesagt, in der Luft. Der Kosmos, der als Organismus dem Gesetz des Alterns unterliegt, zerstört und erneuert sich nach den ewigen Regeln des in ihm wirkenden Logos. Der in Perioden auftretende Weltbrand (ekpyrosis) reinigt die Welt von allem Schlechten.   





DIE NATURKUNDL. ENZYKLOPADIE DES ALTEREN PLINIUS (AS: 116-120)

Plinius(23 - 79 n. Chr.) hatte es sich (erstmals in der römischen Literatur) zur Aufgabe gemacht, angefangen von der Kosmologie über die Geographie, Anthropologie, Zoologie und Botanik bis hin zur Metallurgie und Mineralogie und - zum krönenden Abschluß - zur Edelsteinkunde eine umfassende (37 Bücher), systematisch geordnete Naturkunde in seiner naturalis historia anzulegen.

Was für eine Arbeitsleistung hinter dem Riesenwerk steht, kann man ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Plinius nach seinen eigenen Angaben 2000 Volumina (Buchrollen) gelesen und 20 000 Gegenstände (res dignae cura) - Nachzählungen ergeben sogar 34 000 - behandelt hat. Als Quellen nennt er in seinem Registerband 146 römische und 327 ausländische (meist griechische) Autoren, von denen er freilich nur etwa 100 auserlesene aus erster Hand kennt.

Plinius war kein Wissenschaftler und kein Forscher - dazu hätte ihm seine berufliche Beanspruchung als Flottenkommandant keine Zeit gelassen -, sondern ein vielseitig interessierter, unermüdlicher Sammler. Sein Schaffen ist getragen von einem begeisterten, ehrfürchtigem Staunen über die wunderbare Vielfalt der Natur mit ihren Geheimnissen und Gesetzen. Das erste Mal begegnet man hier gewissermaßen einem wissenschaftlichen Apparat: Plinius hatte offenbar gewöhnlich einen Stab von Hilfskräften um sich, einen Lektor, der aus Buchrollen vorlas, einen Sekretär, dem er Angaben diktierte. Wiederholt wird berichtet, wie er Auszüge machte und Notizen aufschrieb; selbst während des Vesuvausbruches (bei dem er schließlich den Tod fand), in unmittelbarer Bedrohung, hat er noch - so berichtet sein Neffe Plinius der Jüngere - eifrig notiert und diktiert.

Abgesehen von ihrem unschätzbaren Wert für die frühe Geschichte der Naturwissenschaften dank der Masse von Zitaten stellt seine Naturkunde eine Fundgrube dar zur Wiedergewinnung antiker Technologien. Daß in dem Riesenwerk auch offensichtliche Irrtümer und Mißverständnisse vorkommen, wird der Gesamtleistung des Plinius keinen Abbruch tun.



DIE NATURWISSENSCHAFTEN IM ENZYKLOPADISCHEN SCHULWISSEN DER SPATANTIKE          (AS: 120- 123)

Varro hat mit seinen heute verlorenen Disciplinae (33 v. Chr.) - sie umfaßte neben den septem artes liberales (Trivium: Grammatik, Rhetorik, Dialektik; Quadrivium: Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik) noch die Medizin und die Architektur - zum erstenmal ein fächerübergreifendes Bildungsprogramm entworfen. Der junge Augustin plante unter demselben Titel ein ähnliches Unterfangen. Die Reihe der enzyklopädischen Sammlungen wurde dann fortgesetzt von Martianus, Capella, Boethius und Cassiodor.


Der Wissensstoff der Antike fand zwar durch diese enzyklopädischen Werke eine beachtliche Verbreitung und tiefgreifende Nachwirkung, prägten sie doch in entscheidendem Maß den Wissenshorizont des Mittelalters. Die Verknappung auf einen Grundstock von immer wieder weitertradiertem, kaum noch reflektiertem Schulwissen führte aber auch zu einer empfindlichen Reduzierung und Verkümmerung der Fülle bisher erarbeiteter naturwissenschaftlicher Forschung. Das breitgefächerte Spektrum antiker Naturwissenschaften ließ sich im Quadrivium nicht unterbringen, fanden doch darin Biologie, Physik und Chemie keinen Platz.


Das letzte bedeutende Werk in dieser Reihe, das den Wissensstoff der Antike, weit über den Rahmen der septem artes liberales hinaus, zusammenfaßt und gleichsam als Vermächtnis ans Mittelalter weitergibt, sind die Etymologiae Bischofs Isidor von Sevilla (600 - 636 n. Chr. Bischof von Sevilla). Die Vermittlerrolle, die dem Werk später in viel umfassenderem Sinn zukam, war schon in seiner Anlage begründet, wollte es doch der nachantiken klerikalen und höfischen Gesellschaft des Westgotenreichs den Zugang zur antiken Bildung eröffnen. Von den 20 Büchern der Etymologiae sind gerade 3 den artes liberales gewidmet; die Bücher 4 - 20 beziehen weitere Berichte der Theologie, der Naturphilosophie, der Anthropologie, der Medizin, des Rechts, der Kulturgeschichte u. a. m. mit ein. Für das Gebiet der Naturwissenschaften von Belang sind innerhalb des Quadriviums die Angaben über die Kosmologie; außerhalb der Freien Künste wird auf die Zoologie, auf die Mineralogie und Metallurgie und auf die Botanik der Nutzpflanzen (im Zusammenhang mit der Landwirtschaft) eingegangen.




Zur Wiederentdeckung der antiken Naturwissenschaften in der Renaissance            (AS: 123)



Abgesehen vom kärglichen Rest antiker Gelehrsamkeit, der sich in den späten Enzyklopädien des Cassiodor und des Isidor ins Mittelalter hinein retten konnten, stand immerhin die Naturalis historia des Plinius die ganze Zeit zur Verfügung; von ihrer Verbreitung und Beliebtheit zeugen über 200 heute noch erhaltene Handschriften aus dem 9.-15.Jh. Ab dem 12. Jh. finden auch Senecas Naturales quaestiones eine respektable Verbreitung. Im Spätmittelalter erweitert sich der Gesichtskreis durch die lateinische Übersetzung griechischer Werke, die - zum Teil auf dem Umweg über das Arabische - Eingang in den abendländischen Kulturbereich fanden. Sie alle konnten aber die typische mittelalterliche Geisteshaltung nicht ändern, getreulich alte Erkenntnisse abzuschreiben, zu lehren und zu kommentieren, aber kaum je sie an den Phänomenen der Natur zu überprüfen oder gar durch eigene Forschung zu erweitern.

Die entscheidenden Impulse zur Neuorientierung der Wissenschaft wurden erst dadurch gegeben, daß zum einen im Vorfeld der Eroberung Byzanz (1453) Hunderte von griechischen Handschriften in den Westen gerettet wurden und man zum anderen auch hier selbst mit ganz neuem Eifer in den Klosterbibliotheken nach verschollenen Autoren zu suchen begann. Dem neuerwachenden Interesse an der antiken Literatur kam nach der Mitte des 15.Jh. die umwälzende technische Neuerfindung des Buchdrucks sehr zustatten, taten sich doch nun ungeahnte Möglichkeiten der Verbreitung wiedergewonnener Texte auf.

Somit standen Ende des 15./Anfang des 16.Jhs. alle einschlägigen Werke der antiken Wissenschaften, soweit sie überhaupt erhalten geblieben waren, einem größeren Leserkreis zur Verfügung und boten vielfältige Anstöße zu neuen Forschungen. So hatte sich Kolumbus für seine Entdeckerfahrten nach Amerika nachweislich von antiken Erwägungen bei Aristoteles und Strabon über die Möglichkeit, von Spanien auf dem Westweg nach Indien zu gelangen, inspirieren lassen.

Ahnlich wie bei der Erweiterung des Erdbildes gingen wenige Jahrzehnte nach Kolumbus auch bei der Konzipierung des neuen Weltbildes entscheidende Impulse von der Antike aus. 1543 erschien das Epochemachende Werk des Kopernikus De revolutionibus orbium caelestium, welches das immer noch gültige ptolemäische Weltbild überwand und das heliozentrische Weltbild begründete. Dabei ist wenig bekannt, daß Kopernikus in seiner bereits 1530 abgefaßten Praefatio an Papst Paul III. sich ausdrücklich auf Aristarch von Samos, den antiken Begründer des heliozentrischen Weltbildes, beruft und die einschlägigen Stellen bei Plutarch u.a. zitiert; die Hinweise des Kopernikus sind dann leider in der erst später erfolgten Drucklegung einer Kürzung zum Opfer gefallen.

Auch in der Biologie (Pflanzen- und Tierkunde) sowie in der Physik (Atomlehre aufgegriffen von Leonardo da Vinci und später von Galilei)  ist antikes Wissen verwertet worden.






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