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Musil Robert


 

Robert Musil wird am 6. November 1880 in Klagenfurt als einziger Sohn des Ingenieurs Alfred Musil und seiner Frau Hermine, geborene Bergauer, geboren. Der Vater stammt aus einer altösterreichischen Familie, die Vorfahren der Mutter sind Deutschböhmen. In den ersten beiden Jahren seines Lebens wohnt er mit seiner Familie in Komotau (Böhmen). 1882 ziehen sie nach Steyr und dort besucht er bis 1891 die Volksschule und das Realgymnasium. Seine Ausbildung setzt er ab 1892 in der Militär-Realschule und danach (1897) an der Technischen Militärakademie in Wien fort. Nach dem Abbruch der Offiziersausbildung beginnt er mit einem Maschinenbaustudium. In dieser Zeit betätigt er sich auch das erste Mal dichterisch. Musil absolviert 1901 dann die Ingenieurstaatsprüfung und wird Volontärassistent an der Technischen Hochschule Stuttgart (1902-1903), wo er auch mit der Arbeit an dem Roman "Die Verwirrungen des Zögling Törleß" beginnt. Das Werk vervollständigt er allerdings erst 1906, mitten in seinem Philosophiestudium, das er 1908 mit einer Dissertation über "Beiträge zur Beurteilung der Lehren Machs" abschließt. Musil verzichtet auf die Möglichkeit einer Habilitation (=Nachweis der wissenschaftl. Reife für eine Lehrstelle an der Hochschule) zugunsten des freien Schriftstellerberufes. Daraufhin arbeitet er bis 1910 bei einer Berliner Zeitschrift ("Pan") und als Praktikant und Bibliothekar an der Technischen Hochschule Wien (1911-1914). 1911 heiratet er Martha Marcovaldi. Im 1. Weltkrieg (1914-1918) muß er als Hauptmann an die italienische Front; aus dieser Zeit stammen verschiedene militärische Aufzeichnungen. Am 22. Oktober 1917 wird Musils Vater geadelt. Da dieser Adel erblich ist steht er auch den Nachkommen zu (Robert Edler von Musil). Bis 1931 betätigt sich Musil als Theaterkritiker, Essayist und freier Schriftsteller in Wien. In diesem Zeitraum wird er Vizepräsident des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Österreich und lernt Hugo von Hofmannsthal kennen. 1924 wird im der Kunstpreis der Stadt Wien für die Erzählungen "Drei Frauen" verliehen. Im Jahre 1931 erscheint der erste Band, 1933 dann der erste Teil des zweiten Bandes des Romans "Der Mann ohne Eigenschaften". Nach Errichtung des Dritten Reichs verläßt Musil ohne äußeren Zwang Deutschland und kehrt nach Wien zurück. 1936 erleidet er einen Schlaganfall. Nachdem Musils Bücher in Deutschland und Österreich verboten werden, emigriert er von Wien nach Zürich und danach nach Genf, wo er am 15. April 1942 isoliert und verarmt stirbt. Ein Grab Musils existiert nicht. Seine Frau verstreute seine Asche nach Familiensitte in einem Wald bei Genf. Ein Jahr nach seinem Tod gibt Martha Musil den unvollendetem Nachlaßteil des Romans "Der Mann ohne Eigenschaften" im Selbstverlag heraus.




Robert Musil war Romancier, Dramatiker und Essayist und somit einer der bedeutendsten Schriftsteller der literarischen Moderne. Am literarischen Leben dieser Zeit nahm der junge Musil zwar lange kaum Anteil, doch mit 18 Jahren hatte er immerhin Nietzsche für sich entdeckt. Seit der Veröffentlichung seiner umfangreichen "Tagebücher", läßt sich belegen, daß Nietzsche für Musil zeitlebens wichtig blieb. "Entscheidende geistige Einflüsse" schreibt Musil im Rückblick auf diese Zeit auch Dostojewskij, Emerson und Novalis zu. Doch erst das Jahr 1902, in dem er eine fünf Jahre andauernde Beziehung zu Herma Dietz, später unter dem Namen Tonka in Musils gleichnamiger Novelle nachgebildet, bringt ihn der Literatur deutlich näher.

"Die Verwirrungen des Zögling Törleß"


Der Zögling Törleß wird im Konvikt zu W. unterrichtet. Obwohl er anfangs darauf gedrängt hat, von zu Hause fortzugehen, packt ihn bald das Heimweh. Weder der Unterricht, noch die Spiele nach der Schule und alles andere, was den Zöglingen noch geboten wird, kann Törleß fesseln. Beinahe täglich schreibt er einen Brief nach Hause. Er fühlt sich sehr unzufrieden und tastet ständig nach etwas Neuem, an das er sich stützen könnte. Eines Tages kommt ein junger Fürst ins Institut, mit dem er sich sofort anfreundet, obwohl die anderen den Neuling auslachen und fad finden. Doch nach einiger Zeit kommt es zum Bruch zwischen den beiden, und bald darauf tritt der Fürst wieder aus dem Konvikt aus. In dieser Zeit wird es wieder sehr still um Törleß.

Als die Zöglinge wieder einmal zwei Tage frei haben, kommen Törleß´ Eltern ihn im Institut besuchen. Alle haben große Freude am Wiedersehen mit ihren Eltern und verbringen eine schöne Zeit. Nachdem alle die Eltern wieder zum Bahnhof gebracht haben und wieder auf dem Heimweg sind, gehen Törleß und sein älterer Kamerad Beineberg noch in eine Konditorei, da die beiden die Erlaubnis zu längerem Ausbleiben haben. Beineberg erzählt Törleß von seiner Familie, doch Törleß, der mit seinen Gedanken nicht beim Thema ist, hört gar nicht zu, was sein Freund spricht. Auf dem Heimweg besuchen die beiden noch eine Freundin Beinebergs, eine Prostituierte namens Bozena, von der Törleß ziemlich angetan ist. Zurück im Heim schleichen sich die drei Kameraden Beineberg, Reiting und Törleß in ihr gemeinsames Versteck. Dort berichtet ihnen Reiting, daß er denjenigen ausfindig machen konnte, der einigen Mitschülern Geld gestohlen hat. Es ist Basini, der Reiting und Mitschülern Geld schuldet und stiehlt, um es zurückzahlen zu können. Daraufhin beschließen Reiting und Beineberg, Basini für seine Taten zu bestrafen, indem sie ihn sich dienstbar machen. Törleß ist aber über die Tatsache, daß Basini ein Dieb ist und er nicht öffentlich angeklagt und aus dem Konvikt ausgeschlossen wird, entsetzt. Reiting und Beineberg halten das Eigentumsdelikt Basinis geheim, um ihn zu quälen und sexuell zu mißhandeln. Sie mißhandeln Basini physisch, und Törleß quält ihn mit psychischen Mißhandlungen, denn er will Auskunft über die fremde Unmoral seiner aufkeimenden Gefühle erlangen. Vom "animalischen" Gehabe seiner Kameraden zugleich angetan und abgestoßen, verharrt Törleß in einem Zustand der Ichspaltung. Der pubertäre Zögling verwandelt die gegebene Realität in Bilder sehnsüchtiger Phantasien, die sich als Symbole einer noch unbekannten Sexualität bemerkbar machen und sieht bald eine Verwandtschaft zwischen seinen sexuellen Phantasien und Basinis Diebstahl. Ferner wünscht er Aufklärung über Basinis homosexuelles Verhältnis zu Reiting und Beineberg. All das gipfelt in einer Nacht, in der sich Törleß von Basini verführen läßt. Als die anderen Zöglinge nach den freien Tagen wieder ins Heim kommen, beginnt Törleß Basini vor den Intrigen Reitings und Beinebergs zu warnen. Törleß gibt ihm den Rat, sich wegen des Eigentumsdelikts selbst zu stellen und so Beineberg und Reiting zuvorzukommen. Die beiden herrschsüchtigen und skrupellosen Kameraden hetzen mittlerweile die Klasse gegen Basini auf. Als sich diese in laienhafter Lynchjustiz austoben, entsteht ein schulinterner Skandal, als dessen Folge nun auch Törleß sein Verhalten rechtfertigen muß; die homosexuelle Phase kann jedoch vertuscht werden. Basini wird strafweise aus dem Konvikt entlassen. Törleß´ Wunsch, das Internat zu verlassen und der Entschluß des Lehrerkollgeiums, ihn zu entlassen, da man sich der Erziehung nicht länger gewachsen fühlt, gehen konform.


"Die Verwirrungen des Zögling Törleß" war Robert Musils literarischer Erstling und machte ihn über die Grenzen Österreich-Ungarns bekannt. In diesem Roman, der vordergründig das Erwachen sadistisch-triebhafter Gelüste Heranwachsender in der Eliteschule zu W. thematisiert, verarbeitet Musil nicht zuletzt die eigene Internatszeit in Mährisch-Weißkirchen und das Erlebnis homosexueller Neigungen in der Jugendzeit. Auf die unwirtliche Fremde des Instituts reagiert Törleß mit Heimweh nach dem Schutz seiner Eltern - für Musil Anlaß, um in der Figur des Törleß eine Psychologie der Sehnsucht nach einer zweiten, imaginären Wirklichkeit darzustellen. In Törleß inszeniert Musil sich selbst, allerdings nicht in plumper Reproduktion.



"Der Mann ohne Eigenschaften"


Ulrich, dessen Familienname "aus Rücksicht auf seinen Vater verschwiegen" wird - wie sich Musil in ironischer Selbstanspielung ausdrückt -, ist die zentrale Gestalt des Romans. Die Handlung setzt im August 1913 ein. Zu dieser Zeit ist Ulrich 32 Jahre alt und hat schon drei Versuche, als Offizier, Ingenieur bzw. Mathematiker "ein bedeutender Mann" zu werden unbefriedigend hinter sich. Schließlich erkennt er, daß ihm das Mögliche viel mehr bedeutet als das Wirkliche. Er beschließt, "ein Jahr Urlaub von seinem Leben zu nehmen", um die "Ursache und den Geheimmechanismus" dieser Wirklichkeit zu begreifen. Damit zieht sich Ulrich in die Passivität zurück. Er fühlt sich als Mann ohne Eigenschaften, weil er nicht mehr den Menschen, sondern die Materie als Zentrum moderner Wirklichkeit ansieht. Ulrich sieht sich mit den Problemen seiner Zeit, mit den Widersprüchen zwischen Logik und Gefühl, Kausalität und Analogie, Wissenschaftsgläubigkeit und Kulturpessimismus konfrontiert. Im ersten Band tritt Ulrich als Sekretär der "vaterländischen Aktion" auf. Ein Komitee soll die Feiern zum siebzigjährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs I. im Jahre 1918 als "Parallelaktion" zu dem im selben Jahr stattfindenden dreißigjährigen Regierungsjubiläum Wilhelms II. vorbereiten. Ihr ironisches Doppelgesicht erhält die Parallelaktion dadurch, daß das Jahr 1918 den Zusammenbruch der beiden Monarchien bedeutet. Das geplante Jubelfest erhält somit von vornherein die Attribute einer Beerdigungsfeier. Im Umkreis der Parallelaktion begegnet Ulrich der empfindsamen Ermelinda Tuzzi - er nennt sie ironsich Diotima -, deren Mann, dem Sektionschef Tuzzi, dem Grafen Leinsdorf und dem General Stumm von Bordwehr, sowie dem "Großschriftsteller" Arnheim, dem Diotima in plationischer Leidenschaft verfällt. Außerdem treten auf: Ulrichs Jugendfreund Walter, die Nietzsche-Jüngerin Clarisse, der Prophet Meingast, der Bankdirektor Leo Fischl, dessen Tochter Gerda und ihr Freund Hans-Sepp. Ulrichs Schwester Agathe, deren Ehemann Hagauer und Freund Lindner bilden einen weiteren Personenkreis. Entscheidend ist bei diesen Gruppierungen allein der Bezug auf Ulrich. Sie alle personifizieren bestimmte Möglichkeiten und Anlagen Ulrichs. Arnheim fungiert als Gegenfigur zu Ulrich, denn er glaubt gefunden zu haben, was Ulrich sucht: eine neue Moral in der Synthese zwischen Ratio und Seele. Dagegen fühlt sich Walter, wie anfangs auch Ulrich, zu Besonderem berufen. Nach etlichen gescheiterten Versuchen als Zeichenlehrer, Musikkritiker etc., hat er sich schließlich in eine bequeme Beamtenstellung geflüchtet. Extremes Sinnbild der aus den Fugen gegangenen Welt ist die Gestalt des wahnsinnigen Prostituiertenmörders Moosbrugger, bei dessen Gerichtsverhandlung Ulrich als Zuhörer bewußt wird, daß Moosbruggers Wahnvorstellungen mit den Erfahrungen Ulrichs übereinstimmen. Die Erfahrungen mit Diotima und Arnheim sowie der Wahnsinn Moosbruggers zwingen Ulrich wieder zu einer kritischen Überprüfung seines Erkenntnisprozesses.

Im zweiten Band versucht Ulrich in der Gemeinschaft mit seiner Schwester Agathe den "anderen Zustand" zu leben. Die Geschwister treffen sich zum ersten Mal nach langer Zeit beim Begräbnis ihres Vaters. Dabei erkennt Ulrich, daß erst bei einem Zusammenleben mit ihr, sein Dasein für ihn einen Sinn hat. Es beginnt eine inzestuöse Beziehung zwischen den beiden, die aber - und Ulrich weiß das -, keine Zukunft hat.


Ulrich, der "Mann ohne Eigenschaften", hieß anfangs Achilles, später Anders, und auch der Titel wechselte mehrfach ("Der Spion", "Die Zwillingsschwester"). 1930 erschien der erste Band (mit den Teilen "Eine Art Einleitung" und "Seinesgleichen geschieht"), der Musils Weltruhm begründete. Auf Drängen seines Verlegers Ernst Rowohlt erschienen 1933 weitere 38 Kaptitel des Romanwerks unter dem Titel "Ins tausendjährige Reich". Martha Musil gab aus dem Nachlaß 1943 weitere 40 Kaptitel heraus, und Adolf Frisé fügte in seiner Ausgabe von 1952 zusätzliche Kapitel hinzu und komponierte auf eine höchst umstrittene Weise den Abschluß des 3. und einen 4. Teil.

Thematische Beziehungen verbinden den "Mann ohne Eigenschaften" mit früheren Werken, den "Verwirrungen des Zögling Törleß" und den Erzählungen "Drei Frauen" wobei es nicht zuletzt um die Erkenntnis einer "Anderen Wirklichkeit" geht.

Der Roman "Mann ohne Eigenschaften" reflektiert und kombiniert die Anschauungen u. a. von Nietzsche, Mach und Freud. Ulrichs Mangel an "Wirklichkeitssinn" entspricht der Vorzug eines "Möglichkeitssinns". Der "Möglichkeitssinn" ist offen für die Erfahrungen eines "anderen Zustands", den Ulrich, im zweiten Band, in der inzestuösen Gemeinschaft mit der Zwillingsschwester Agatha (vergeblich) zu leben versucht.



"Drei Frauen"


Die "Drei Frauen" ist ein dreiteiliger Novellenzyklus.


"Grigia"

Homo, der Frau und Kind verlassen hat, um sich an den Arbeiten einer Bergwerksgesellschaft in einem in Venetien gelegenen Gebirgsort zu beteiligen, entfremdet sich dort seinem bisherigen Leben und wird der Geliebte der Bäuerin Grigia. Diese neue Situation hebt aber die Bindungen zu seiner Familie keineswegs auf, wird aber bald zur dumpfen Ahnung, sterben zu müssen. Als er Grigia eines Tages in einem alten Stollen umarmt, bemerkt er, daß die beiden am Eingang des Stollens von Grigias Mann beobachtet werden. Zunächst versuchen die beiden zu entkommen, aber Grigias Mann hat einen großen Felsblock vor den Eingang des Stollens gewälzt. Grigia, von Verzweiflung gepackt, bettelt, jammert und verspricht ihrem Mann alles, um nur aus dem bedrückenden Gefängnis zu kommen. Homo legt sich still auf das gemeinsame Lager zurück, wird immer schwächer und dämmert ein. In einer klaren Minute bemerkt er noch, daß Grigia ihn durch eine schmale Spalte auf der anderen Seite des Stollens verlassen hat. Er selbst besitzt jedoch nicht mehr die Kraft und den Willen, ins Leben zurückzukehren. Zur gleichen Stunde wird von der Bergwerksleitung der Abbruch der Arbeiten beschlossen.


"Portugiesin"

Der Raubritter Herr von Ketten hat sich die Portugiesin, seine schöne junge Frau, auf seine einsam-wilde Felsenburg in der Nähe von Trient geholt. Aus dem Kavalier, als der er um sie geworben hatte, ist wieder der raublustige Bandit geworden, der jahraus, jahrein im Sattel sitzt und nur auf einen Tag und eine Nacht im Jahr nach Hause kommt. Seine beiden Kinder kennt er kaum. Die Portugiesin fügt sich in die fremde Ordnung, bleibt ihm aber dabei so geheimnisvoll fremd wie am ersten Tag. Sie ist das ganz Andere in seinem Leben, etwas Zauberhaft-Kostbares. Mit dem Tod seines Erzfeindes, des Bischofs von Trient, verlieren mit einem Schlag die kämpferischen Raubzüge des Herrn von Ketten ihren Sinn. Er wird sterbenskrank. Tagelang bleibt er seiner Burg fern, erst als er sich dem Tode nahe fühlt, begibt er sich in die Pflege seiner Frau. Während seiner Krankheit kommt plötzlich der Jugendfreund der Portugiesin zu Besuch, und von Ketten schämte sich. Elf Jahre hat die Portugiesin auf ihren Herrn gewartet. Der hilflose von Ketten hofft auf ein Wunder und dieses Wunder kommt in Gestalt einer kleinen, räudigen Katze, die an der Pforte Einlaß begehrt, aufgenommen, gepflegt und schließlich, als man ihr Leiden nicht mehr länger mitansehen kann, vom Knecht getötet wird. Alle identifizieren sich auf seltsame Weise mit dem Tier - die Portugiesin, der Jugendfreund und Herr von Ketten. Der Herr von Ketten, der das Schicksal der Katze nicht teilen will, rafft sich eines Tages auf und versucht, seine Kraft und Wildheit wiederzuerlangen, indem er die unersteigliche Felswand unter der Burg hinaufklettert. Er schleicht zum Schlafgemach seiner Frau, in dem er den Liebhaber vermutet, doch der Knecht meldet, daß der Fremde am Morgen fortgeritten sei.


"Tonka"

Tonka, das einfache junge Ding aus dem Tuchgeschäft, erwirbt die Zuneigung eines jungen Wissenschaftlers, der seine Studien im Elternhaus betreibt. Auf seinen Zuspruch hin kommt sie als Stütze der Großmutter ins Haus. Ihre rührende Einfalt, Schweigsamkeit und Anhänglichkeit werden zu einem beglückenden Teil seines Lebens, aber sie bedrücken ihn auch: er weiß nie recht, was er von ihr zu halten hat. Als die Großmutter stirbt und Tonka zu ihrer Tante zurückgehen soll, nimmt der Freund sie mit sich in eine andere Stadt. Und weil er glaubte, daß "es" dazugehört, wird Tonka seine Geliebte. Als Tonka nach Jahren des Zusammenlebens ein Kind erwartet, glaubt er genau zu wissen, daß die Empfängnis in eine Zeit seiner Abwesenheit gefallen ist, obgleich sonst alles für Tonkas beteuerte Unschuld spricht. So schwankt er während der Zeit ihrer Schwangerschaft und der sie begleitenden schleichenden Krankheit zwischen Zweifel und Glauben. Obwohl von außen alles getan wird, um das ungleiche Paar zu trennen, kann er das Band, das ihn an Tonka fesselt, weder lösen noch fester knüpfen. Tonka wird immer hinfälliger, nach der Geburt stirbt sie mit ihrem Kind und nimmt ihr Geheimnis mit sich.


Die Begegnungen mit dem Fremden haben in vielen Werken Musils eine wichtige Rolle. So auch in dem Novellenzyklus "Drei Frauen". Die Gegensätze in diesem Werk hat Musil in der "Skizze zur Erkenntnis des Dichters" bearbeitet: Es gibt die Begriffe des "Ratioiden" (Vernünftigen) und des "Nicht-Ratioiden", die er neu zu umschreiben versucht. Diese Gegenüberstellung deckt sich mit der von Männlichkeit und Weiblichkeit. Die Frauenfiguren, die den drei Novellen den Titel geben, repräsentieren das "Nicht-Ratioide" in unterschiedlichen Varianten.

In der Figur der "Grigia" wird dabei der Bereich des Naturhaften und Erotischen behandelt, in der Figur der "Protugiesin" die Nähe zum Meer und zum Süden; in "Tonka" die unbürgerliche Einfachheit.

Alle drei Frauen verkörpern eine in den männlichen Protagonisten unterentwickelte, "andere" Seite, in ihrer Untreue entziehen sie sich männlichen Besitzansprüchen und stellen diese in Frage.



Weitere Werke:

"Die Schwärmer" (Drama, 1921), "Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer" (Gesellschaftsposse, 1924), "Die Amsel" (1928), "Über die Dummheit" (1937)


Heute gilt Musil neben Kafka, Döblin und Thomas Mann als Repräsentant moderner Romankunst in Deutschland und Österreich, der sich allerdings gegen eine breite Resonanz beim lesenden Publikum sperrt.






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