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Aktuelle Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland



Aktuelle Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland

Prites und Öffentliches wurde in der bisherigen Darstellung als relativ klares Gegensatzpaar behandelt. Dies ist gewiß berechtigt, insofern eine solche Trennung die deutsche Kultur konstitutiv bestimmt hat und immer noch prägt. Dennoch haben wir bereits für das 19. Jahrhundert mehrfach sowohl Überschneidungen (etwa die Familie als Ort politischen Räsonnements) als auch intermediäre Bereiche wie die Vereine feststellen können. Mögen auch die Fremd- und Selbstbilder die Gegenüberstellung des unpolitisch priten Deutschen und des martialischen Obrigkeitsstaates festhalten - das Volk der Dichter und Denker, der gemütliche Deutsche im trauten Heim, ein Volk der Untertanen nach dem Modell von Heinrich Manns Roman -, die historische Entwicklung seil dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewirkte eine Öffnung sowohl des Priten wie des Öffentlichen und schuf vielfältige Übergänge. Dieser in der Gegenwart bestimmend gewordene Prozeß der tendenziellen Entgrenzung und Vermischung von Pritheit und Öffentlichkeit soll im folgenden vorrangig in den Blick rücken.

Ausländische Beobachter der Bundesrepublik stellen inzwischen fest, daß von dem einstmals fast sprichwörtlichen Kasernenhofton in öffentlichen Amtern wenig übriggeblieben ist. In einer demokratischen Gesellschaft mausern sich Bittsteller zu Antragstellern, die unbefangener ihre Rechte wahrnehmen, und früher mürrisch die Autorität des Staates verkörpernde Beamte sind heute zur "Bürgernähe wenigstens angehalten. Was hier als ein punktueller atmosphärischer Eindruck wiedergegeben ist, läßt sich in anderen Lebensbereichen bestätigen. Der "autoritäre Charakter' ist gewiß nicht verschwunden, in den nachwachsenden Generationen stellt er jedoch nicht mehr den dominierenden Typus dar.




Die Wirkungen eines demokratischen und weniger autoritätsfixierten Erziehungsstils sind in den zentralen Institutionen Familie. Schule, Universität, aber auch im Betrieb und selbst beim Militär zu bemerken. Gefährliche Residuen, das Reservoir rechtsradikaler Bewegungen, sollen nicht übersehen werden, bestimmend jedoch scheinen inzwischen Verhaltcnsstile. wie sie in den älteren westlichen Demokratien eingebürgert sind. Als Indiz für die gewachsene innere Demokratisierung kann beispielsweise das Aufkommen Neuer Sozialer Bewegungen seit dem Ende der sechziger Jahre gelten. In optimistischer Perspektive zeigt sich die Bundesrepublik auf dem Wege zu einer Staatsbürgerkultur, wobei die deutsche Staatsorientierung, sei es im Sinne mehr ordnungspolitischer oder mehr wohlfahrtsstaatlicher Entwürfe, zweifellos nachwirkt und die bundesrepublikanische von anderen westlichen Demokratien unterscheidet.
Als Beobachtungsfeld für die zunehmende Durchdringung des Priten und Öffentlichen bieten sich die allgegenwärtigen Medien bzw. die Kommunikation an. Sie sind beides: Indikator und Antrieb des Vermischungsprozesses. Die vielberedete Pritisierung des Öffentlichen ist ebensowenig ein deutsches Spezifikum wie umgekehrt die Öffentlichkeit des Priten. Richard Sennetts weit ausholende Studie über "Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität hat die Psychologisierung der politischen Beziehungen und Sachverhalte für die Aushöhlung der Öffentlichkeit verantwortlich gemacht. Sennett glaubt nicht an die Errungenschaft der Nähe. Wärme und an den Mythos, "demzufolge sich sämtliche Mißstände der Gesellschaft auf deren Anonymität. Entfremdung. Kälte zurückführen lassen' (Sennett 1986,329). Indem die Suche nach dem Selbst zur Grundlage gesellschaftlicher Beziehungen wird, setzt sich eine Subjektivität durch, die die Welt nur noch in Bildern des Selbst aufnimmt, die alle politischen Kategorien in psychologische verwandelt und Authentizität zum universalen Maßs von Glaubwürdigkeit und Bedeutung erhebt. Über Erfolg oder Mißerfolg einer Partei entscheidet so gesehen weniger das politische Programm als vielmehr ihre Personalisierung in den jeweils führenden Politikern. Und die Medien schaffen erst die Voraussetzungen für diese Inszenierungen vor einem Millionenpublikum, bei dem nicht nur die Glaubwürdigkeit eines "sympathischen Politikers eine Rolle spielt, sondern -in den USA stärker als in der BRD - die ganze Lebensführung bis hin zum Familienleben und intimen Details. Sennetts Klage über eine psychologische Pritisierung des Öffentlichen blendet freilich aus, daß erst die Massenmedien eine umfassende Teilhabe am öffentlichen Geschehen ermöglicht haben. Diese Einbeziehung des Öffentlichen ins Prite hat das Familienleben nachhaltig verändert. Raumsymbolisch ist dieser Wandel an einem scheinbar nebensächlichen Detail, der "Situation der Couchecke analysiert worden. Der geschlossene Kreis dieser Couchecke in der deutschen Familie der Nachkriegszeit hat sich geöffnet und ist seit den frühen sechziger Jahren auf einen neuen Fixpunkt bezogen: auf den Fernsehapparat. Dabei muß offen bleiben, ob das alte Arrangement tatsächlich die Familie in einer geschlossenen Pritsphäre versammelte oder ob es nur den Wunsch nach einer solchen Innenzentrierung symbolisierte. In jedem Fall ist die Couchecke "im Begriff, sich in der Außenwell aufzulösen. Es ist den Dingen nicht mehr abzulesen, so Martin Warnke, "ob dadurch die Welt wohnlich werden kann oder eine der letzten Gegenwelten aufgezehrt wird (Warnke 1980 Bd. 2,687).

Zusammen mit den zentrifugalen Bewegungen aus der Intimität der Familie heraus in die Halböffentlichkeit primär nicht mehr familienorientierter Sozialbeziehungen ergibt sich ein komplexes Bild, wobei die Konturen der beiden traditionell getrennten Bereiche verschwimmen.

Die dichotomische Gegenüberstellung einer priten und einer öffentlichen Sphäre erweist sich nicht zuletzt als ein ideologisches Konstrukt, das vor allem für die Fixierung der Geschlechterrollen folgenreich war und ist. Daß den Frauen die prite, den Männern die öffentliche Domäne zugewiesen wurde, spiegelt und zementiert die realen Machtverhältnisse bis heute. Als Denkur verstellt diese Polarisierung den Blick etwa für die vielfältigen Einflußmöglichkeiten von Frauen auf das politisch-öffentliche Leben. Und, daran sei noch einmal erinnert, das Prite ist durch die Gleichsetzung mit unpolitischer Subjektivität nicht hinreichend definiert. Ob nun Frauen literarische Salons ins Leben riefen, um Wahl- und Rederechte kämpften oder in der Fabrik den Lebensunterhalt der Familie verdienten, immer überschritten sie dabei freiwillig oder erzwungen die ihnen zugewiesene prite Häuslichkeit. Präsenz und Einfluß von Frauen in der Öffentlichkeit, das zeigen zum Beispiel neue Ansätze der feministischen Geschichtsforschung (vgl. die Beiträge von Karin Hausen und Carola Lipp zum Verhältnis Pritheit und Öffentlichkeit in "Journal Geschichte Februar 89) wurden in einer von Männern dominierten Wissenschaft nicht zufällig unterschätzt. Nicht erst seit der neuen Frauenbewegung erobern sich Frauen erweiterte Handlungsräume in der Gesellschaft, jedoch hat seit den späten sechziger Jahren diese Auseinandersetzung eine neue Qualität erlangt. Räumlich manifestiert sich der Verständigungsprozeß innerhalb der Frauenbewegung in Frauenzentren oder Frauenbuchläden. Frauenhäuser, Frauentaxis sind Selbsthilfeinitiativen, die auf die Gewall gegen Frauen reagieren und diese in die öffentliche Diskussion bringen. Ohne daß bereits von einer Gleichstellung von Mann und Frau im beruflichen und politischen Sektor die Rede sein könnte - Unterbezahlung, wo Frauen auf gering qualifizierten Arbeitsplätzen überrepräsenliert sind, und drastische Unterrepräsentanz in den Führungsetagen -, Anzeichen für Veränderungen wie etwa Quotenregelungen oder die Aktivitäten von Frauenbeauflragten sind nicht zu übersehen. Die selbstbewußten Aktionen von Frauen in der Öffentlichkeit sind noch einmal ein nachhaltiges Beispiel, wie die ohnehin fragwürdigen Trennungen des Priten vom Öffentlichen aufgehoben werden.

Vergegenwärtigt man sich die unterschiedlichen Aspekte des Themas, so ergibt sich ein eigentümlich uneinheitliches Bild. In der Sicht vieler ausländischer Beobachter dominiert häu die deutsche "Innerlichkeit mit ihren berühmten Ausprägungen in Philosophie, Literatur und Musik. Thomas Manns Wort von der "machtgeschützten Innerlichkeit ruft hier zugleich die unauslöschlich damit verknüpfte Vorstellung von einem starken autoritären Staatswesen wach.

Und in der Tat: aus einer geistesgeschichtlichen Perspektive betrachtet, spricht die irrationalistische Tradition, wie sie etwa durch die deutsche Romantik, durch Richard Wagner. Nietzsche und Heidegger verkörpert wird, für einen kulturellen "Sonderweg Deutschlands. Ein sozialhistorischer Ansatz kommt dagegen zu einem ganz anderen Befund. Die Repräsentanz einer auf Innerlichkeit konzentrierten deutschen Kultur relativiert sich, sobald das Selbstverständnis anderer sozialer Eliten und Gruppen (z.B. technische Intelligenz, Arbeiterbewegung) in den Blick kommt.
Bei aller kulturspezifischen Betonung des Priten bleibt dennoch die Option für eine demokratische Entwicklung des Öffentlichen, die jedoch - und das macht eine spezifisch deutsche Eigenart aus - immer an die Autorität des Staates gebunden blieb. Dieser Staatsbürgerkultur entspricht, wie neuere vergleichende Studien zum Bürgertum des 19. Jahrhunderts zeigen, keineswegs der Obrigkeitsstaat preußischer Prägung, der in gängigen Rekonstruktionen deutscher Geschichte unausweichlich auf den Nationalsozialismus zulief. Trotz der schweren Hypothek des Nazideutschland ist in der Bundesrepublik ein Demokratisierungsprozess in Gang gekommen, der die bisherigen Ansätze zu einer Gcsellschaftskultur aufnimmt und verstärkt. Dies, aber auch etwa der in der Logik industrieller Entwicklung liegende Funktionswandel der Familie sowie der zwischenmenschlichen Beziehungen verlagern die Grenzen von Pritheit und Öffentlichkeit und machen sie durchlässiger.












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