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Die Sonderstellung der Hochgebirge Europas

Die Sonderstellung der Hochgebirge Europas

Ökologische und historisch-soziale Differenzierung
Der Nord-Süd-Gegensatz in Europa findet sich in den Hochgebirgen wieder. Die Trennung in mediterrane und dem gemäßigten Klimabereich angehörende Hochgebirge ist n grundsätzlicher Wichtigkeit für das Verständnis der historischen und die Beurteilung der zukünftigen Perspektive. Es sei daran erinnert, dass in den Beckenräumen des Apennin die Stadtkultur der Etrusker entstanden ist und sich in der kleinräumigen Kammerung n Becken und Hochgebirgsstöcken des hellenischen Gebirges die griechischen Stadtstaaten entwickelt haben. Das Mediterrangebiet hat den für die Hochgebirge der mittleren Breiten fundamentalen Stadt-Land-Gegensatz nie gekannt. Städtern gehörte Grund und Boden in einer alteingespielten, sehr komplizierten Aufsplitterung der Produktionsfaktoren.

Eine Trennung n Besitz an und Verfügungsrecht über Boden, Vieh, Baumkulturen, Wasser und Arbeitspersonal war die Regel und führte zu spezifischen Nutzungs-, Leih- und Pachtverhältnissen, wobei sich schon früh die Betriebstypen der extensiven Getreidemonokultur, der ganzjährigen Fernweidewirtschaft (der Trans-humanz der Schafe) und die kleinbetriebliche Polykultur herausgebildet haben. Die mediterranen Gebirge, d.h. der Apennin in Italien, die Sierra Nevada in Spanien, die Südflanken der Pyrenäen und der Alpen sowie die Gebirge Griechenlands, haben daher kein eigenes, "gebirgskonfor-mes Sozialsystem entwickelt. Die Vielfalt der Produkte, einst ein Vorteil für lokale Märkte (so z. B. Kastanien, Olivenöl, Ziegenkäse, Schweinswürste, Schafwolle, Wein, Gemüse, Obst), erwies sich im Gefolge der internationalen Marktverflechtung als ein enormer Nachteil für die Landwirtschaft. Ein schrittweiser Niedergang war die Folge, mit bedingt durch den Zusammenbruch der Transhu-manz. Der Verfall der Agrarlandschaft in den mediterranen Gebirgen ist irreversibel. Er umfasst die alten Akropolissiedlungen ebenso wie die arbeitsintensiven Terrassenkulturen. Bonifikationen und Agrarreformen sind nur den Niederungsgebieten zugute gekommen. Eine Elierung der Freizeitgesellschaft analog zu den Alpen ist nicht in Sicht bzw. beschränkt sich auf die Villeggiatura in mittlerer Höhenlage im Umkreis großer Metropolen.



Aus einer alpenzentrierten Sichtweise ist auch die aktuelle Problematik im Dinarischen Gebirge nicht verständlich. Diese beruht nicht nur auf den in Europa einmaligen Phänomenen der ausgedehnten Karstgebirge mit Dolinen, Trockentälern und beckenförmigen Poljen, sondern auch auf den abweichenden agrarsozialen Systemen. Bis in die Gegenwart erhielten sich Hirtennomadismus (Abb.7.36) und Hausgemeinschaft der Zadruga, wenn auch reduziert durch Staatssozialismus und Gastarbeiterwanderung, mit nur mäßigen Transformationen in Richtung auf eine verstädterte Siedlungsweise und urbane Lebensführung. Auch im Regime der landwirtschaftlichen Nutzung nehmen die winterkalten Gebirge Südosteuropas durch den erst im 19. Jahrhundert eingeführten Maisanbau eine Sonderstellung ein. Mit dem Hackbau an steilen Hängen verbunden, konnte er sich als Grundlage n zahlreichen Subsistenz- und Nebenerwerbswirtschaften auch nach 199U behaupten.

Während der Wald in den mediterranen Gebirgen schon in historischer Zeit vernichtet wurde, hat er sich dank der Sommerregen in Südosteuropa erhalten können. Allerdings fehlt den Ge-birgsräumen hier die säuberliche Trennung n Wald, Wiese und Acker, wie sie den deutschen Sprachraum und damit auch große Teile der Alpen kennzeichnet. Waldweide und Niederwaldwirtschaft, das "Schneiteln n Laubbäumen zur Futtergewinnung, das Fehlen einer geregelten Forstwirtschaft zählen zu den traditionellen, die Kulturlandschaft prägenden Elementen.

Nur im Territorium der ehemaligen Habsburger-Monarchie, in den Karpaten und in den slowenischen Alpen, hat sich schon seit dem 18. Jahrhundert, z.T. im Zusammenhang mit Bergbau und Eisenindustrie und durch Waldordnungen geregelt, der Großforst ausgebreitet.
Hochgebirge bestimmen Europa auch im Norden. Allerdings handelt es sich hier um altgefaltete, nach dem Rückzug der großen Inlandvereisung hochgehobene Rumpfschollengebirge mit eindrucksllen Wasserfällen und großartigen Abbruchen der Hochflächen zu den Fjordlandschaften. Über sie verläuft der lückenhafte Saum einer seit dem Mittelalter gegen die Anökumene rgeschobenen nördlichen Siedlungsgrenze des Kontinents und damit eine "doppelte Peripherie desselben. Lichtungen im nördlichen Waldgürtel Europas wurden durch Siedlungen n Holzfällern, Bergleuten und Fischern geschlagen. Stets hatte die Landwirtschaft hier nur subsidiäre Funktion.

West-Ost-Ausbreitung von Liberalisierung und Verfall

Das Problem des zum Großteil nicht reversiblen Verfalls der historischen Kulturlandschaft unterliegt aber nicht nur ökologischen Parametern im Vertikalaufbau der Hochgebirge, sondern wird entscheidend durch die Effekte der nationalstaatlichen Politik im Berggebiet und darüber hinaus durch eine Liberalisierung bestimmt. Es sei daran erinnert, dass während der ereignisreichen europäischen Geschichte die Hochgebirge stets Rückzugsgebiete für Bevölkerungen gebildet haben, welche ihre kulturelle (und religiöse) Identität und politische Unabhängigkeit wahren wollten und bereit waren, dafür die Härte der Lebensbedingungen selbst in extremen Lagen in Kauf zu nehmen. Dementsprechend finden sich in den Hochgebirgen die ältesten Sprachgruppen inselhaft positioniert, von den Basken in den westlichen Pyrenäen über die Rätoromanen, Ladiner, Friulaner in den Alpen bis zu den Albanern in Südosteuropa.
Erst mit dem Anbruch des liberalen Zeitalters verloren die Gebirge diesen durch die Jahrtausende wirksamen Vorteil gegenüber den Niederungen. Im Lebenswertgefühl der Bewohner konnte die ökonomische Marginalität durch die politische Freiheit nicht mehr ausgeglichen werden.

Der Liberalisierungsprozess ist dabei als Innovationsvorgang aufzufassen, der in allen Gebirgen ähnliche Prozesse in Gang setzte und sich in einer west-östlichen Phasenverschiebung vollzogen hat (Abb.7.38). Der erste Liberalisierungseffekt hatte sogar Bevölkerungswachstum und Ausweitung der Landnutzung zur Folge, bevor die Transformation und Regression der traditionellen Agrarsysteme im Gebirge eingesetzt hat, eine verstärkte Abwanderung zunächst eine Extensivierung der Nutzung bewirkte, bis schließlich "Phantomsiedlungen übrig geblieben sind (Abb.7.39).
Nun ist die Wachablöse des Feudalismus durch den Liberalismus in der europäischen Staatenwelt nicht gleichzeitig, sondern in einer vom Westen nach Osten ausgreifenden Bewegung erfolgt.

Die Französische Revolution 1789 war die erste auf dem europäischen Kontinent. Dementsprechend begann der Niedergang der Gebirgssiedlungen in Frankreich, in den französischen Alpen, am Nordabfall der Pyrenäen sowie im Französischen Zentralmassiv, schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts und erreichte dort ein Ausmaß wie sonst nirgends in Europa. Der Vergleich der französischen und Schweizer Alpen belegt dies eindrucksvoll. Mehr als zwei Generationen später erfolgten die Revolutionen des Jahres 1848 im deutschen Sprachraum und in Italien. Am spätesten wurde mit dem schrittweisen Rückzug des Osmanischen Reiches aus Südosteuropa der Raum des Dinarischen Gebirges betroffen; die Herauslösung von Bosnien und der Herzegowina aus dem Osmanischen Reich vollzog sich 1878, die von Albanien erst 1912. Zur gleichen Zeit, als in den französischen Alpen die ersten "Geistersiedlungen entstanden sind, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, erlebten Serbien, Montenegro und Bosnien, befreit von der Osmanischen Herrschaft, ein kräftiges Wachstum der Gebirgssiedlungen; noch später, erst nach dem Ersten Weltkrieg, vollzog sich die gleiche Entwicklung in Albanien mit einer beachtlichen Ausweitung des Agrarraumes.
In der Nachkriegszeit hat schließlich der Dinarische Gebirgsraum durch die Gastarbeiterwanderungen und die Investitionen der Gastarbeiter in die technische Infrastruktur und den Ausbau der Siedlungen eine exzeptionelle Position erreicht.

Allein eine Million neue Siedlungshäuser sind entstanden. Es zählt zur Tragik der jüngsten politischen Entwicklung in Jugoslawien, dass wesentliche Teile dieser Investitionen im Bürgerkrieg der 1990er Jahre wieder vernichtet wurden.

Politische Leitbilder und Zukunftschancen

Die Probleme der Hochgebirge besitzen im Rahmen der Agrarpolitik der europäischen Staaten einen unterschiedlichen Stellenwert. Hervorhebung verdient, dass in allen kriegführenden Staaten und auch in der Schweiz während der beiden Weltkriege der Entsiedlungs- und Verfallsprozess abgestoppt wurde. Im Deutschen Reich wurden ferner mit einer massiven Bergbauernhilfe sowohl betriebliche als auch flächenhafte Intensivierungsmaßnahmen gesetzt. Agrarreformen und Staatskolonisation in Italien und Spanien in der Zwischenkriegszeit konnten dagegen die Entvölkerung und Entsiedlung der Hochgebirge nur kurzfristig stoppen. Unbewältigt ist in Südeuropa das Problem der Trennung der Produktionsfaktoren Kapital, Boden und Arbeit, und alle staatlichen Maßnahmen hängen letzten Endes von der Bereitschaft zur Kooperation der städtischen Kapitalgeber ab.

Anders sind die Rahmenbedingungen der Agrarpolitik der Staaten mit der Zielsetzung des Familienbetriebs, wie Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings hat sich hier die Zielsetzung der Erhaltung der bergbäuerlichen Betriebe auf die Aufgabe der Erhaltung der Kulturlandschaft im Hochgebirge als Erholungsraum der Bevölkerung der Verdichtungsräume Europas verschoben (Abb. 7.35., 7.37).
Die in der Nachkriegszeit durchgeführte Kollektivierung der Landwirtschaft in den Oststaaten hat das Problem der ökonomischen Marginalität der Gebirge nicht gelöst, sondern vielfach verschärft. Dort, wo die Eigentumsverhältnisse im Gebirge nicht angetastet wurden, wie in den polnischen und zum Teil in den rumänischen Karpaten, ebenso im ehemaligen Jugoslawien, überließ man die bergbäuerlichen Subsistenzwirtschaften ihrem Schicksal. Nur Bulgarien und die ehemalige Tschechoslowakei entschlossen sich dazu, in weiten Ge-birgsräumen eine flächenhafte Kollektivierung durchzuführen, von der besonders nationale Minderheiten betroffen waren.
Die Alpen sind nicht der Prototyp der Hochgebirge Europas, sondern nehmen eine Sonderstellung ein. Die Chance, welche weite Gebirgsräume des ehemaligen Jugoslawien gehabt hätten, nämlich dank der natürlichen Ressourcen unter einem postkommunistischen Regime dem Beispiel des "Dachgartens Europas nachzueifern, ist durch den Bürgerkrieg voraussichtlich auf längere Zeit vergeben. Die Waldgebirge der Karpaten können im Hinblick auf die landschaftliche Attraktivität nur in sehr kleinen Räumen mit den höheren Gebirgen mitbieten.
In allen Hochgebirgen Europas, in denen bei weiterem Rückbau der Agrarwirtschaft und fehlender Nachfrage durch die Freizeitgesellschaft der Verfall von Siedlung und Nutzung nicht zu stoppen ist, bleiben nur drei Wege offen:

1. dort, wo es ökologisch möglich ist, aufzuforsten,
2. interessante historische Kulturlandschaftsräume als Reservate einzurichten und
3. bei bereits eingetretener flächenhafter Extensi-vierung und Siedlungswüstung Landschaftsreservate als Raumreserven für die Zukunft zu belassen. Diese Aufgabe müsste aufgrund der Kenntnis der lokalen Verhältnisse in besonderem Maße den Regionen der EU in den einzelnen Mitgliedstaaten zukommen, während andererseits die Schaffung von rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten in mittelfristiger Zukunft eine Aufgabe der EU sein muss.







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