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Die europäische Stadt als Freizeitort



Die europäische Stadt als Freizeitort

Wenn von der europäischen Stadt als Freizeitort die Rede ist, so beziehen sich die folgenden Aussagen auf die Städte, in denen das Zentrum bzw. die Altstadt soziale Anziehungskraft aufweist und die Wendung der Stadtbürger des 19. Jahrhunderts vom "In die Stadt gehen noch eine gewisse Gültigkeit besitzt.
Auf drei Freizeitfunktionen in der Stadt wird im Folgenden eingegangen:
■ auf die Funktion des öffentlichen Raumes und der öffentlichen Einrichtungen (Abb. 9.1, 9.2, 9.3).
■ auf die Funktion der Shoppingwelten der Innen- und der Außenstädte sowie schließlich
■ auf das städtische Grün als Negativplatte zur verbauten Kubatur der Stadt und deren rkehrs- und Lagerflächen.

Die Funktion des öffentlichen Raumes

Öffentliche Räume unterlagen in den europäischen Städten entsprechend den jeweiligen politischen Systemen stets einer Kontrolle von Seiten der Obrigkeit, die diese ihrerseits auch zur Demonstration der jeweiligen Ideologien verwendet hat.
In der vorindustriellen Stadt dienten architektonisch attraktiv gestaltete Stadträume als Bühne zur Inszenierung der großen "Spektakel, angefangen von Hinrichtungen über Hexenverbrennungen, kirchlichen Umzügen, ebenso aber auch den großen Kutschenausfahrten bei persönlichen Anlässen des Herrscherhauses bis hin zu den vom Kirchenjahr fest vorgegebenen pompösen Prozessionen. Alle diese Ereignisse gehörten zu den selbstverständlichen Attraktionen des städtischen Lebens, an denen jeder Bürger in bestem Gewand teilnehmen wollte.


Der Korso auf bestimmten Boulevards und Plätzen zählte zu den Ritualen der adligen Gesellschaft und später der bürgerlichen Oberschicht.

Vor allem die großen Plätze dienten der Machtdemonstration der Obrigkeit, den militärischen Aufmärschen, und sie waren und sind auch die Schauplätze der Reaktionen der Bürger: von Revolutionen, Protestmärschen, Kundgebungen aller Art, von Streikdemonstrationen und den Erster-Mai-Aufmärschen usw. In mediterranen, aber auch in vielen weit nördlicheren Städten ziehen sie allabendlich Heerscharen von Jugendlichen an. Davon machen selbst in Transformation begriffene Staaten keine Ausnahme, wo sich auf den großen Plätzen und Boulevards auch bei Tag vor den historischen Bauten Menschenmassen drängen.
Neuerdings verstärkt durch die Einrichtung von jährlich wechselnden "Kulturhauptstädten, erweist sich die Festivalisierung des städtischen Lebens als neues Konzept, welches an die jeweilige lokale und an die von auswärts herbeiströmende postindustrielle Freizeitgesellschaft erfolgreich vermarktet wird. Pate hierzu stand die Illusion des Wiederfindens der "wahren Dimensionen des städtischen Lebens.

Die Shoppingwelten der Innen- und der Außenstädte

Die europäische Einkaufsgesellschaft hat das Einkaufsklassenmodell der Gründerzeit, welches noch in Residuen von teuren historischen Geschäften fortlebt, weitgehend eliminiert. Vor allem Finnland, Schweden und die Niederlande bieten Beispiele für egalitär organisierte Einkaufsgesellschaften, die in vollem Kontrast zu den USA stehen, wo die ausgeprägte Preisklassendifferenzierung im Geschäftsleben der Normalfall ist. Anders präsentiert sich die britische Metropole, in welcher das historische Ambiente von Geschäften und Lokalen nur wenig verändert den oberen Mittelschichten und der Oberschicht vorbehalten bleibt. In Spanien wurde die Einkaufsklassengesellschaft in die vertikale Struktur der großen Kaufhäuser der Kette "El Corte Ingles verlagert, welche der immer noch beachtlichen sozialen Differenzierung der spanischen Gesellschaft durch eine nach Stockwerken gegliederte Differenzierung im Warenangebot Rechnung tragen.

Während die Fußgängerzone als "europäisches Stadtplanungsprodukt den Kontinent beherrscht und selbst Kleinstädte ihre Fußgängerzonen besitzen, hat sich das importierte Produkt der künstlichen und klimatisierten Einkaufswelten der Shopping Mails, welche auch Freizeitgestaltung offerieren, in der in Nordamerika kompletten Form von Erlebnis und Einkauf in Kontinentaleuropa nicht einmal in der Außenstadt durchgesetzt, und zwar wegen der Vielfalt der Freizeitgelegenheiten in den Innenstädten: In den Shoppingcenters der europäischen Außenstädte überwiegt nach wie vor das Einkaufsvergnügen.

Jünger ist die Entwicklung der Ausgestaltung von Bahnhöfen in großen Städten zu einer "Einkaufs- und Erlebniswelt mit Gleisanschluss. Das großartigste Beispiel bietet Frankreich mit dem Einkaufszentrum Eurolille. Beispielhaft sind auch die Einkaufszentren der Bahnhöfe in der Schweiz, in Zürich, Bern und Basel, in Deutschland in Leipzig und in Freiburg im Breisgau, in Italien in Rom, Mailand und Neapel.

Das städtische Grün

Bereits die antiken Stadtkulturen kannten die repräsentative Einbeziehung von "Natur in die gebaute Kubatur der Stadt. Unsere moderne Stadtgesellschaft in den europäischen Wohlfahrtsstaaten hat die Chance, historische Prunkstücke der Gartenkultur - von Terrassengärten der Renaissance bis zu den Landschaftsparks des 18. und 19. Jahrhunderts - benützen zu können und gleichzeitig die "Scherrasenflächen des sozialen Grüns von Neubaugebieten als selbstverständliches Ambiente zu betrachten. Damit ist bereits auf eine zeitliche Abfolge in der Gartenkultur hingewiesen, wie sie der Abfolge von "politischen Eliten und dem fortschreitenden "Demokratisierungsprozess des Stadtgrüns entspricht. Der Herrschaftspark des absolutistischen Zeitalters, als Gesellschaftspark für die Feudalgesellschaft mit künstlichen Seen, Brunnen und Grotten, Reitalleen und Hippodromen, Theatern und Tempeln angelegt, wird nach der bürgerlichen Revolution vom Bürgerpark mit Gaststätten und Kaffeehäusern, Ausstellungshallen und Freilichtbühnen abgelöst.

Volksparks mit sehr differenziertem Freizeitangebot in zentraler Lage folgen. Als Beispiele sind der Prater in Wien und, für sozialistische Kulturparks, der Moskauer Gorki-Park anzuführen. Mit der gesellschaftlichen Einbindung derartiger zentral gelegener Parkanlagen in die sozialräumliche Organisation der Städte ist in Europa die Umwandlung einer ursprünglich gesellschaftlich elitären Rekreationsfunktion zu einer egalitären Funktion der gesamtstädtischen Repräsentation und Erholung erfolgt. Synchron dazu ergab sich die symbolische Identifikation der Bürger mit ihrer jeweiligen Stadt.

Stadtplanung für die Freizeitgesellschaft

Die Schaffung von öffentlichen Grünflächen und Erholungsanlagen ist eine alte Aufgabe europäischer Kommunalverwaltungen. Im Liberalismus verschmolz das Allmendekonzept der mittelalterlichen Stadtgemeinde mit den ästhetischen Prinzipien barocker Gartenkultur. An der Stelle der Befestigungsareale der Städte entstanden bei deren Beseitigung in vielen Fällen Parkanlagen. Selbst das spekulationsfreudige späte 19. Jahrhundert sparte im gründerzeitlichen Rasterschema Parkanlagen aus.
Während die Repräsentationsfunktion die Geschichte des Stadtgrüns begleitet hat, ist die soziale Wohlfahrtsidee im Wesentlichen erst im 20. Jahrhundert entstanden und findet sich in den sozialen Wohlfahrtsstaaten ebenso wie in den früheren kommunistischen Staaten Osteuropas.
Die Integration einer kommunalen Grünflächenpolitik sowohl in die kommunale Bodenpolitik als auch - mit dem Instrument der Flächenwidmung und Bauleitplanung - in die Stadtentwicklungsplanung bildet ein Spezifikum der europäischen Städte.
Nun beruhen Stadtplanungskonzepte in Europa auf dem Organisationsmodell der arbeitsteiligen Gesellschaft, wonach den Raum in der Stadtmitte höchstrangige Funktionen des tertiären und quar-tären Sektors beanspruchen. Dementsprechend ist die Freizeitgesellschaft im Grüngürtelkonzept am Stadtrand angesiedelt worden.

In den ehemaligen sozialistischen Ländern ist es zu einer Dichotomie von ausgedehnten staatlichen Erholungsräumen und umfangreichen privaten Zweitwohnungsgebieten (Datschen) gekommen. In Moskau wurde schon 1935 mit einem im Stadtentwicklungsplan integrierten Grüngürtelkonzept begonnen. Die Erholungszone weist insgesamt eine Tiefe von 20 bis W) km auf und schließt ausgedehnte Sport- und Kulturzentren ein.

Eine Sonderstellung im öffentlichen Grün nehmen im deutschen Sprachraum die anstelle der Spekulationsbrache der Gründerjahre entstandenen Kleingärten (Schrebergärten) am Stadtrand ein.
Nun hat die Stadt der Arbeitsgesellschaft eine Konkurrenz erhalten, nämlich die Stadt der Freizeitgesellschaft. Dort, wo sie neu gegründet wurde, zunächst in Frankreich in den Alpen und in Spanien an den Gestaden des Mittelmeers, ist sie - zumindest bis heute - an günstige klimaökologische Möglichkeiten der Freizeitgestaltung gebunden.
Inzwischen ist es der Freizeitgesellschaft gelungen, ihre Raumansprüche der Stadtplanung zu vermitteln. Dazu gehört unter anderem die Ansicht, dass die Zeit einer peripheren Grüngürtelkonzeption vorbei ist. Die "große, grüne Wiese, Erholungsflächen und Sportanlagen, gehört in die Mitte der Stadt mit bester Erreichbarkeit für alle. Als erstes Beispiel hierfür ist die Wiener Donaucity inmitten des 26 km langen Areals der städtischen Donauufer zu nennen.
Noch eine zweite Innovation verdient Beachtung. Sie betrifft die massiv verbauten Innenstadtbereiche der europäischen Metropolen. Hier hat sich im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Dachlandschaft zu verändern begonnen. Im Zusammenhang mit dem Dachausbau in Form von Mansarden und penthouseartigen Strukturen wurden Dachgärten angelegt und damit eine neue, bisher völlig unbekannte Freizeitnutzung auf die Dächer mittel- und westeuropäischer Städte gebracht.

Der Städtetourismus

Das Baedekerzeitalter brachte die erste bedeutende Reisewelle des Bildungsbürgertums in die europäischen Städte (Abb. 9.4). Die Krisenzeit zwischen den beiden Weltkriegen und die Zerstörungen während dieser bildeten eine klare Zäsur. Zögernd begann in den 1960er Jahren eine neue Form des Städtetourismus über Individual- und Busreisen. Das eigentliche Take-off setzte in den 1980er Jahren mit den Kurzurlauben und schließlich mit den Billigangeboten der Fluggesellschaften ein. Ein Konzentrationsprozess - einerseits auf die Städte mit Weltkulturerbe und andererseits auf die großen Eurometropolen - ist das Ergebnis. Die folgende Übersicht belegt das Ranking im Städtetourismus im Jahr 2003:

Mio. Nächtigungen
London 44,0
Paris 30,8
Rom 14,4
Berlin 11,3
Madrid 10,4
Wien 10,0
Barcelona 9,1
Prag 8,4
Amsterdam 7,4
Mailand 7,0
München 7.0
Florenz 6,7
Hamburg 5,4
Budapest 5.2
Brüssel 4,8
Lissabon 4,5
Stockholm 4,3
Kopenhagen 4,0

Der Städtetourismus bestreitet gegenwärtig bereits nahezu ein Drittel des gesamten Tourismusaufkommens in Europa und breitet sich mit der Zunahme der Kurzurlaube weiter aus.
Im Gefolge der Liberalisierungstendenzen ist auch in den sozialen Wohlfahrtsstaaten das Stadtmarketing entstanden. Man hat erkannt, dass die "Ville festivale Kommerzialisierungschancen für den wachsenden Strom des Städtetourismus aufweist. Die Maßnahmen zielen dabei primär auf die Vermarktung des Image einer Stadt als Exportartikel für den Städtetourismus (Abb. 9.4, 9.5, 9.6).
Im Konkreten geht es um die Vermarktung von zwei Strukturen: erstens um den denkmalgeschützten Altbaubestand der Innenstädte, bei dem getragen vom rasch wachsenden internationalen Städtetourismus der Denkmalschutz in den 1990er Jahren eine "unheilige Allianz mit den Tourismusinteressen eingegangen ist, und zweitens um die von Staat und Wirtschaft gegenwärtig errichteten bzw. in Planung begriffenen Superstrukturen des metropolitanen Stadtraumes. Sie sind ein Produkt der neuen Doktrin des Stadtmarketing und des Stadtmanagement, wonach Metropolen mittels Public-private-Partnerships Schaustücke von Stadtumbau und integrierten Großkomplexen von Shoppingcentern, Erlebnis- und Freizeitparks als neue Landmarken der Konsum- und Freizeitgesellschaft erzeugen müssen.
Die Freizeitqualität steht als Exportartikel auf dem Programm des Stadtmarketing. Davon bleibt die Freizeitqualität einer Stadt für die eigenen Bürger nur dann unberührt, wenn entsprechend dem Motto "Wenn die Fremden kommen, verlassen die Römer die Stadt eine weitgehende zeitlich-räumliche Trennung von autochthoner und allochthoner Freizeitbevölkerung möglich ist.













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