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Der Stammbaum der europäischen Stadt

Der Stammbaum der europäischen Stadt

Die europäische Stadt blickt auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurück und hat in diesem langen Zeitraum eine äußerst vielschichtige gesellschaftliche und bauliche Entwicklung erfahren. Der Versuch, aus der regionalen und zeitlichen Fülle der Erscheinungsformen einen Stammbaum herauszuarbeiten, mag in manchem zu Widerspruch auffordern. Die Grundlage für diesen "Stammbaum bildet die Abfolge politischer Systeme, die in Kapitel 3 rgestellt wurde. Es wird dan ausgegangen, dass sich mit dem gesellschaftspolitischen System die Konzeptionen n Stadt und städtischer Gesellschaft ändern. Neue Stadttypen entstehen und ältere werden umgeformt. Mit den Existenzgrundlagen der Stadt ändern sich die soziale Wertigkeit und die Funktion der Stadtmitte, die tragenden Sozialschichten und damit die soziale Organisation werden ausgewechselt. Die Stadt-Land-Beziehungen unterliegen einem Wandel (Abb. 6.1).
Die mittelalterliche Bürgerstadt entstand aus dem Zusammenschluss n politisch-herrschaftlicher Funktion und Marktfunktion. Entsprechend den Basisfunktionen - Markt und gewerbliche Produktion - bildeten Kaufleute und Gewerbetreibende die tragenden sozialen Schichten. War in der mittelalterlichen Bürgerstadt der Marktplatz die soziale Mitte der Stadt, so verschob sich in der Residenzstadt die Mitte der Stadt in Richtung auf den Herrscherpalast. Neue soziale Schichten - Adel, Beamte und Offiziere - bildeten die Eliten. Die zentralistische Staatsgewalt subordinierte Adel und Städte. Gleichzeitig wurde das Gefüge der Bürgergemeinde durch die Urbanisierung des Adels gesprengt. Auf den Besitztransfer an Boden und Häusern wurde bereits hingewiesen. Das Bürgertum wurde vielfach aus der Stadt in den Vorstadtraum abgedrängt, gleichzeitig damit jedoch die Qualität der Stadtmitte als soziale Mitte verstärkt.




Die duale Struktur der Stadt führte schließlich in weiterer Konsequenz in der Citybildung des 19. Jahrhunderts zur Zweiteilung in Wirtschaftsund Regierungscity.

Bereits in einer späteren Phase der absolutistischen Ara, die in der politischen Geschichte als aufgeklärter Absolutismus abgehoben wird, waren die großen Städte nicht mehr imstande, ihren Bedarf an gewerblicher Produktion für den eigenen Konsum und den Fernhandel selbst zu erzeugen. Eine Delegierung der gewerblichen Fertigung an die ländlichen Siedlungen erfolgte. Mittels eines zum Teil staatlich reglementierten Verlagssystems breitete sich das Manufakturwesen aus. Ein neues Netz n wirtschaftlichen Abhängigkeiten legte sich nunmehr über weitere Gebiete, als dies in einzelnen Exportgewerberäumen Europas, in Flandern, Oberitalien und Süddeutschland, schon im Mittelalter der Fall gewesen war. Die ländliche Siedlung erhielt hiermit wesentliche Wachstumsimpulse. So erfolgte einerseits eine Erweiterung der bestehenden Dörfer durch Neustiftzeilen und andererseits die Neugründung n Heimarbeitersiedlungen mit halbagrarem Charakter (Abb. 6.2). In den Städten selbst trat eine Differenzierung des Bürgertums ein: Die neuen wirtschaftlichen Führungskräfte, die Großhändler, Bankiers und Unter nehmer des Manufakturwesens, formierten sich zu einer "zweiten Gesellschaft, die neben der "ersten Geseilschaft, der Aristokratie, wachsende politische Bedeutung gewann und sich in eigenen Stadtvierteln n Adel und Hof separierte.
Die Industriestadt brach mit der "Soziale-Mitte-Tradition. Ihre Schöpfung, die Fabrik, brachte ein n den Produktionsstätten ausgehendes zentrifugales Ordnungsmoment ins Spiel. In der britischen Stadt, in welcher, anders als in Kontinentaleuropa, die Urbanisierung des Adels nicht stattgefunden hat, gewann daher mit der Industrialisierung die "soziale Inversion den Vorrang, welche dann auch die Städte Nordamerikas bestimmt hat. Die Bodenspekulation setzte die Spielregeln, die Fabrik determinierte die physische Struktur der Stadt. Vielfach wurde erst im Nachhinein die notwendige Infrastruktur eingebracht und ein juristischer Formalrahmen durch die Anwendung n Bauordnungen über die neuen Industriesiedlungen gestülpt.
Der Liberalismus verstärkte die administrative Funktion der Städte durch die Beseitigung der grundherrlichen Abhängigkeit und durch den Aufbau neuer Schul-, Gerichts- und Wohlfahrtssprengel. Die Bauernbefreiung brachte der bäuerlichen Bevölkerung das Eigentumsrecht an Grund und Boden und eine bisher unbekannte Mobilität.

Entsprechend ihrer Stellung in der Hierarchie des zentralörtlichen Systems steckten die Städte ihre Einzugsgebiete ab. Durch weiträumige, in Mittel-
europa in erster Linie Ost-West gerichtete Fernwanderungen entstanden die Industriereviere. Zentrierte Wanderungen verstärkten die regionalen Zentren. Die Kapitalen erhielten nicht nur das Heer ungelernter Arbeiter aus agrar übervölkerten Gebieten, wie es gegenwärtig in den Entwicklungsländern der Fall ist, sondern auch den handwerklich geschulten und intellektuellen Nachwuchs der Klein- und Mittelstädte.
Großbritannien hat die Weichen für die Industrialisierung und die Verstädterung gestellt; in Großbritannien waren die negativen Auswirkungen beider Prozesse am stärksten. Hier wurde daher auch zuerst nach einer Abhilfe gesucht und diese schließlich im Konzept der "Neuen Stadt n Ebenezer Howard gefunden. In Vorwegnahme n Ideen des sozialen Wohlfahrtsstaates gelang es, einen neuen Stadttyp zu schaffen, der sich in nahezu allen wichtigen Merkmalen n den älteren Stadttypen abhebt.
Von den Zeitgenossen zweifellos als relutionär empfunden wurde die Forderung n E. Howard, dass sich Grund und Boden im Eigentum der Stadt befinden müssten, um Spekulationen zu verhindern und die Entwicklung der Stadt steuern zu können.
Der große Erfolg, den die Idee der "Neuen Stadt langfristig hatte, liegt in dem neuen Konzept der Stadtmitte begründet. Gestaltung und Funktion der Stadtmitte aller Stadttypen wurzeln in den politischen Leitideen ihrer Zeit. Im Absolutismus bildete der Palast des Herrscherhauses den Mittelpunkt der Stadt, in der arbeitsteiligen industriellen Gesellschaft ist die Wirtschaftscity das Zentrum der altelierten Großstädte. Im Zentrum der "Neuen Stadt werden nun die für die menschlichen Bedürfnisse zentralen Einrichtungen der Versorgung mit Gütern und Diensten angesiedelt.
An das Modell der Polis erinnert das Konzept, wonach eine Erweiterung einer einmal gegründeten Stadt nicht rgesehen war, sondern nur die Neugründung weiterer Städte an anderen Lokalitäten.
Das Konzept der "Neuen Stadt hat als gesellschaftspolitisches Leitbild weit über die städtische Sphäre hinausgegriffen und auch die Regionalpolitik und -ung des sozialen Wohlfahrtsstaates tiefgreifend beeinflusst.

Große Bedeutung erhielt das Konzept der "Neuen Stadt im Zusammenhang mit der Errichtung n industriellen Großbetrieben. Doch ist in Westeuropa die Zahl n neuen Industriestädten auch nach dem Zweiten Weltkrieg bescheiden geblieben, während im Osten Europas in den damaligen COMECON-Staaten, in Russland und in Sibirien zahlreiche neue Industriestädte gegründet wurden.
Der Stammbaum der europäischen Stadttypen demonstriert die Komplexität der Entwicklung (Abb. 6.3). Da bereits im Mittelalter ein dichtes Netz n Städten entstanden war, blieb wenig Raum für Neuankömmlinge, außer wenn sie durch neue Aktivitäten einen virtuellen Lebensraum gewinnen konnten. Spätere städtische Konzepte schlössen daher hauptsächlich an den bereits bestehenden Baubestand an bzw. führten zu Umstrukturierungen und zum Ausbau desselben. Die aus dem Mittelalter stammenden Kleinstädte und die Festungen der Renaissance- und Barockperiode gehören zu den einfachen Fällen der "Eine-Pe-riode-Stadt. Zumeist ohne Verbindung mit modernen Transportsystemen sind sie schwer betroffen m Problem der Kleinstädte in einer verstädterten Massengesellschaft, besonders in abgelegenen ländlichen Gebieten mit starker Abwanderung.
Nur die "Museumsstädte mit wertllem Altbaubestand profitieren m modernen Städtetourismus. Die meisten kleinen und mittleren Städte erhielten keine Impulse in der absolutistischen Periode, welche die Hauptstadt als Primatstadt geschaffen hat, und stagnierten für Jahrhunderte bis herauf zur industriellen Periode. Zu den "Eine-Periode-Städten zählen auch die Industriestädte in den im Niedergang begriffenen Industrierevieren (z.B. Südwales). Manche Industriestädte kön nen sich hinsichtlich ihrer Größe mit den Hauptstädten messen, darunter die Industriestädte Großbritanniens, die jedoch ihrem ökologischen Muster nach stärker mit den amerikanische
n Städten verwandt sind als mit denen des Kontinents.
Das Gegenstück zu diesen einfach strukturierten Städten bilden die Hauptstädte n Staaten oder Ländern, Sie sind die Exponenten der europäischen Nationalstaaten, die Zentren der europäischen Kultur, die Städte, in denen sich europäischer Urba-nismus konzentriert und sowohl die großartigsten Aspekte bietet als auch die schwierigsten Probleme aufwirft. Ihre komplizierte Struktur hat Anteil an allen genannten Stadtperioden.







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