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Zuschreibungen der Sachkultur

Zuschreibungen der Sachkultur

Am Beginn der archäologischen Forschungen zur Germania Slavica stand die Identifizierung der "germanischen", "slawischen" und "deutschen" Sachkultur. Dies war die Voraussetzung für jede weitere historische Interpretation in dieser Richtung. Allein aus dem Material heraus konnte die Zuschreibung nicht gelingen. Zunächst musste es deshalb darum gehen, das Fundmaterial chronologisch zu ordnen und auf diese Weise in historische Zusammenhänge einbinden zu können. Der entscheidende methodische Durchbruch gelang Thomsen mit dem Drei-Perioden-System (Stein-, Bronze- und Eisenzeit). Für die jüngeren Perioden - von der vorrömischen Eisenzeit bis zum frühen Mittelalter - bedurfte es weiterer, feinerer Untergliederungen.
Der Mecklenburger Georg Christian Friedrich Lisch (1801-1883) unterschied bereits 1832 zwischen germanischen und slawischen Gräbern. Erstere seien die Grabhügel ("Kegelgräber"), und für die Slawen sollten Flachgräber typisch sein, die Lisch daher als "Wendenkirchhöfe" bezeichnete. Später räumte er jedoch unumwunden ein, dass auch viele eisenzeitlichen Gräberfelder fälschlich so bezeichnet worden waren. Doch 1847 gelang es ihm, Keramik mit Wellenbandrzierung auf der Gefäßschulter als frühmittelalterlich-slawisch auszumachen. Nur wenige Jahre später waren es Moritz Lüßner (1813-1891) und Ludvík Snajdr (1839-1913), die dieselbe Erkenntnis in Böhmen erreichten. Allerdings gab es auf diese Thesen wenig Resonanz, denn Jan Erazim Vocel (1802-1871), der die tschechische Archäologie entscheidend prägte, interessierte sich nicht für die unscheinbare Keramik. So dauerte es bis in die späten 1860er Jahre, bis Klarheit herrschte. Rudolf Virchow sah, dass die (bronze- und eisenzeitlichen) Brandgräberfelder häu "Buckelurnen" erbrachten, auf Befestigungen dagegen wellenbandrzierte Scherben zu finden waren. Unter Berücksichtigung literarischer Quellen ließ sich nun der "Burgwalltypus" den frühmittelalterlichen Slawen zuschreiben, der "Lausitzer Typus" musste einer älteren Bevölkerung entsprechen. Zusätzliche Anhaltspunkte ergaben Münzschatzfunde des 10. bis 12. Jahrhunderts, die in "slawischen" Töpfen rgraben worden waren. Anhand der Schläfenringe, deren zutreffende Interpretation Sophus Müller (1846-1934) 1877 gelang, ließen sich schließlich slawische Körpergräber identifizieren.



Genauere Datierungen wurden erst nach der Jahrhundertwende möglich. Zunächst erreichte Robert Beltz (1854-1942) anhand von Münzdatierungen und ihrem seltenen Zusammentreffen eine Differenzierung zwischen altslawischer (unrzierter und kammstrichrzierter) und jungslawischer (gurtfurchenrzierter) Keramik. Alfred Götze (1865-1948) unterschied auf überwiegend typologischem Wege drei "Stile" der slawischen Keramik: unrziert (I), kammstrichrziert (II) und gurtfurchenrziert (III); damit wurde die ältere Phase von Beltz noch einmal unterteilt. Bei Schuchhardt wurden die Bezeichnungen Götzes durch früh-, mittel- und spätslawisch ersetzt. Weitere Differenzierungen nahm Heinz Arno Knorr vor. Einen neuen methodischen Schub bedeutete Torsten Kempkes Analyse der Keramik vom Burgwall Oldenburg, die sich von der typenbildenden Merkmalsakkumulation löste und stattdessen auf statistischen Merkmalsanalysen beruhte (Tab. 1). Von polnischen Archäologen werden zusätzlich technische Merkmale wie die nachträgliche Abdrehung handgeformter Gefäße berücksichtigt. Diese Arbeiten zeigen, dass die Keramikentwicklung weit weniger rasch und gleichförmig erfolgte, als man lange Zeit annahm.
Tab. 1. Chronologie-Schemata zur slawischen Keramik im Vergleich (rändert nach
BRATHER 1996, 6 Tab. 1; 8 Tab. 2).
Autor Beltz
1893 Götze
1901 Schuch-hardt
1919 Knorr
1937 Schuldt
1956; 1964 Kempke 1984 Łosiński/
Rogosz
1985
Gebiet Mecklen-burg Riewend Norddeu-tschland Elbe - Oder Mecklen-burg Oldenburg Szczecin
jung¬slawische Typen letzte Periode Stil III spät-slawisch gedreht: Stil III Vipperow
Teterow
Weisdin
Bobzin
Garz Gurtfur-chenware G
J
L
M
R

Mittel¬slawische Typen ältere Periode Stil II Mittel-slawisch Handgear-beitet: revidierter Stil II Woldegk
Fresen-dorf
Menken-dorf Rippen-schulter¬ware
Kamm-strichware E
F
D
früh¬slawische Typen Stil I Früh-slawisch Handgear-beitet: revidierter Stil I Feldberg Kamm-strichware Pracht-keramik Wulstrand-töpfe C
Sukow schwach rzierte Ware unrzierte Ware A-B
Der Forschungsstand zur Keramik ist deshalb von Bedeutung, weil er für die "slawische Archäologie" eine besondere Rolle spielt(e). Frühmittelalterliche Bestattungen fehlen entweder völlig, oder sie sind nur spärlich ausgestattet. Damit konnte sich die Chronologie, v. a. solange man Siedlungen noch nicht ausgraben und andere Datierungsrfahren noch nicht zur Verfügung standen, nicht auf Grabfunde stützen. Die Keramik war damit lange Zeit das einzige Datierungshilfsmittel. Anders rhält es sich sowohl mit vorangehenden als auch mit nachfolgenden Zeischnitten. In der römischen Kaiserzeit, um ältere archäologische Phasen hier unberücksichtigt zu lassen, erlauben die Grabbeigaben, v. a. die zahlreichen Fibelformen, und ihre Kombinationen die Erstellung eines recht feinen Chronologie-Gerüstes. Für das späte Mittelalter stehen bereits eine Reihe historischer Daten zur Verfügung, in die archäologische Befunde eingehängt werden können; Grabbeigaben kommen seit dem 8. Jahrhundert selten vor und beschränken sich meist auf individuelle Gegenstände.
Als "germanisch" konnten, war die kammstrich- und gurtfurchenrzierte Keramik einmal als "slawisch" akzeptiert, im 19. Jahrhundert ältere Funde angesehen werden. Für die ersten Jahrhunderte n. Chr. ließen sich eine Reihe literarischer Quellen anführen. Tacitus berichtete von den "alteingesessenen" Germanen, und angesichts der nationalen Stimmungen ging man von einer weit zurückreichenden Kontinuität aus. Oscar Montelius (1843-1921) glaubte wie viele andere die nationalen (germanischen) Vorfahren seit der Steinzeit ansässig ; Kossinnas Thesen stachen nur in ihrer zweifelsfreien Eindeutigkeit hervor. Skeptiker wie Moritz Hoernes (1852-1917), der von der "'germanischen' Prähistorie [ befürchtete, dass] der deutsche Stammbaum [] nächstens bis in die paläozoische Formation zurückrfolgt werden" würde, blieben in der Minderheit. Die jungbronzezeitliche Lausitzer Kultur wurde abwechselnd Germanen, Illyrern, "Karpodaken" oder "Urslawen" zugeschrieben, ohne Einigkeit erzielen zu können.
Genauere chronologische Konzepte zur römischen Kaiser- und der Völkerwanderungszeit erreichte man gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Für alle ur- und frühgeschichtlichen Perioden wurden damals grundlegende, bis heute weithin gültige regionale und zeitliche Einteilungen geschaffen. Montelius untergliederte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nicht nur Bronze- und Eisenzeit , sondern auch Stein-, Eisen- und Römerzeit Skandinaviens. Auf Otto Tischler (1843-1891) geht die Stufengliederung der mitteleuropäischen Kaiserzeit zurück, während die als "germanisch" angesehene Jastorf-Kultur erst in den 1920er Jahren durch Gustav Schwantes (1881-1960) beschrieben wurde. Im südlichen und westlichen Europa war man sich bereits um 1870 über die Zuschreibung der jüngereisenzeitlichen Latène-Kultur an die Kelten einig geworden, was für Süddeutschland hinsichtlich einer "germanischen Vorzeit" natürlich problematisch schien.
Die spätmittelalterliche, "deutsche" Sachkultur geriet erst spät in das Blickfeld der prähistorischen Archäologie; die "Ostkolonisation" und ihre materiellen Folgen waren im 19. Jahrhundert keine archäologische Frage. Seit den 1920er Jahren nahm das Interesse für eine Mittelalterarchäologie allmählich zu, obwohl frühmittelalterliche Friedhöfe bereits 80 Jahre zuvor aufgedeckt und Burgengrabungen im 19. Jahrhundert recht häu unternommen worden waren. Der Wert archäologischer Untersuchungen auch für jüngere Abschnitte des Mittelalters wurde peu à peu erkannt - und die "frühdeutsche" Sachkultur weit zurückrfolgt. Paul Grimm (1907-1993) klassifizierte Anfang der 1930er Jahre die westliche ("nicht-slawische") Keramik des 8. bis 13. Jahrhunderts in Mitteldeutschland, und er unternahm kurz darauf in Hohenrode im Harz die erste Wüstungsgrabung. Doch erst nach dem zweiten Weltkrieg elierten sich Analysen mittelalterlicher Keramik und Ausgrabungen von Dörfern und Pfalzen sowie in den mittelalterlichen Innenstädten. Auf dieser Grundlage rselbständigte sich die Mittelalterarchäologie.







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