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Wie könnte das endgültige System

der Mehrwertbesteuerung

für den grenzüberschreitenden Warenverkehr

in der EU aussehen?


I. Einführung

"In einem wirklichen Binnenmarkt sollte es genauso einfach sein, von Köln nach Paris zu liefern wie von Köln nach München."

Eine wichtige Aufgabe der EU ist die Vollendung des Binnenmarktes. Die Schaffung eines freien Warenverkehrs soll wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen; so könnten nach dem Cecchini-Bericht allein durch den Abbau der Grenzformalitäten und Wartezeiten in einem Zeitraum von fünf Jahren bis zu neun Milliarden ECU eingespart werden. Dazu müssen neben physischen und technischen auch steuerliche Schranken beseitigt werden, denn nur " wenn die Steuerharmonisierung gelingt, wird eine vollständige Beseitigung der Grenzkontrollen und -formalitäten ermöglicht, werden Wettbewerbsverzerrungen vermieden und allokationspolitisch effiziente Bedingungen geschaffen". Seit Ende 1992 gilt für die Umsatzsteuer eine Übergangsregelung. Sie ist aber bis Ende 1996 befristet, so daß dringend Handlungsbedarf gegeben ist.

Die EU-Kommission hat sich bei der Wahl des Besteuerungsprinzips festgelegt und favorisiert das Ursprungslandprinzip.[4] In dieser Arbeit wird erläutert, was damit gemeint ist. Außerdem zeigt sie andere, denkbare Modelle für die Neuregelung der Umsatzbesteuerung in einem vereinten Europa, wobei die theoretischen Aspekte im Vordergrund stehen. Ferner soll geprüft werden, ob die theoretischen Resultate zu einer eindeutigen Präferenz für ein Besteuerungssystem führen.

Der Aufbau der Arbeit gliedert sich dabei wie folgt: Im nächsten Kapitel wird eine kurze Bestandsaufnahme gegeben. Damit soll gezeigt werden, welche Lösungsvorstellungen in der EU diskutiert wurden bzw. werden. Im dritten Kapitel werden die Besteuerungsmodelle vorgestellt. Im Text werden die theoretische Fundierung des Bestimmungslandprinzips und des Ursprungslandprinzips diskutiert, da diese Prinzipien heute am meisten diskutiert werden. Eher praktische Aspekte, wie diese Prinzipien in einer EU-Regelung umgesetzt werden könnten und welche Probleme bei der Umsetzung zu erwarten sind, werden vernachlässigt.

Den Abschluß bildet ein Kapitel, in dem die Ergebnisse kurz zusammengefaßt und bewertet werden.

II. Bestandsaufnahme der Harmonisierungsbemühungen

A. Einführung

Die Tabelle in Anhang A zeigt, daß die Mehrwertsteuersätze in der EU stark unterschiedlich sind.[5] Dies resultiert aus der Tatsache, daß " die nationalen Haushalte aus sehr unterschiedlichen Steuerquellen gespeist werden." Außerdem ist erkennbar, daß die Bundesrepublik Deutschland relativ niedrige Steuersätze hat. Geht man davon aus, daß die Preise vor Steuern überall in etwa gleich sind, dann würde es beim heutigen Steuergefälle eine Verlagerung der privaten Endnachfrage in die Bundesrepublik ergeben. Die Angleichung der unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze muß also ein Teilbereich der Neuregelung sein.

Die Umsatzsteuerneuregelung beinhaltet aber nicht nur, daß die Steuersätze angeglichen werden: Das Besteuerungssystem soll grundlegend reformiert werden. Ein Irrtum wäre es jedoch zu glauben, daß als Ergebnis ein für alle Mitgliedsstaaten einheitliches Steuersystem geschaffen werden soll: Differenzierungen bezüglich einzelner Regionen oder Länder können durchaus regionalpolitisch gewollt sein.[7] Ziel der Harmonisierungsbemühungen ist, daß die finanzpolitischen Maßnahmen die Schaffung binnenmarktähnlicher Verhältnisse nicht behindern.

B. Die Harmonisierungsbemühungen in der EU

Zwei Expertengruppen kamen in den Jahren 1962 und 1963 zu dem Ergebnis, daß " als EG-einheitliche Umsatzsteuer nur eine Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug in Betrachtung komme"[10]. Im August 1987 unterbreitete die EG-Kommission Vorschläge zur Steuerharmonisierung: Im Kern sollten alle innergemeinschaftlichen Warenbewegungen wie Umsätze im Inland behandelt werden; gesonderte Steuersätze auf Luxusgüter entfallen. Bei den Mehrwertsteuersätzen war eine Bandbreite von 14 bis 20 Prozent (4 bis 9 Prozent beim ermäßigten Satz) geplant. Innerhalb dieses Rahmens können die Staaten unterschiedliche Sätze festsetzen; ähnlich wird in den USA verfahren, wo in einzelnen Bundesstaaten ebenfalls unterschiedliche Umsatzsteuersätze herrschen. Die Kommission ging davon aus, daß Abweichungen von bis zu fünf oder sechs Prozentpunkten wettbewerbs­politisch irrelevant seien.

Dieser Vorschlag stieß auf Widerstand. Im Mai 1989 hat die Kommission deshalb als neuen Vorschlag die Mindeststeuersatzregelung vorgelegt: Den Mitgliedsstaaten ist es freigestellt, höhere Steuersätze anzuwenden.

Auch dieser Vorschlag fand keine Mehrheit. Statt dessen einigte man sich Ende 1989 und Anfang 1990 auf eine Übergangsregelung, nach der Waren im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Unternehmern die Grenze umsatzsteuerlich unbelastet passiert und erst im Bestimmungsland belastet werden.[15] Hinsichtlich der Mindeststeuersätze einigte man sich beim allgemeinen Steuersatz auf 15% und auf grundsätzlich zwei ermäßigte Steuersätze, die mindestens 5% betragen müssen. Für einzelne Wirtschaftsbereiche, etwa den KFZ- oder den Versandhandel, wurden Sonderregelungen eingeführt. Durch EDV-gestützten Informationsaustausch soll sichergestellt werden, daß innergemeinschaftliche Warenbewegungen umsatzsteuerlich erfaßt werden. Diese Regelung ist bis Ende 1996 befristet.

Die Reaktionen auf die Übergangsregelung waren geteilt. Die EU-Kommission hebt hervor, daß die Maßnahmen der Übergangsregelung " ont été bien acceptés par les opérateurs et fonctionnent de manière généralement satisfaisante Allerdings gibt sie zu, daß die Übergangsregelung für die Unternehmen durch die geänderten Vorschriften Probleme aufwirft: "Ces difficultés, conjuguées avec la multiplicité des dispositions applicables, se traduisent dans des mécanismes complexes d'application du système commun de TVA, mettant ainsi en cause la simplicité même de ses principes de fonctionnement

Eher negativ beurteilt die deutsche Ursprungslandkommission die Übergangsregelung: Sie bemängelt, daß der eingesparte Aufwand durch den Wegfall der Grenzformalitäten durch zusätzliche Meldepflichten überkompensiert werde; als Folge habe " sich kein wirklicher Fortschritt bei der Umsatzsteuerharmonisierung [] ergeben." Ein Mitglied des Europäischen Parlaments kritisiert, daß " den Unternehmen in erheblichem Umfang statistische Daten zu EG-grenzüberschreitenden Umsätzen abverlangt [werden], so daß im Ergebnis von Erleichterungen [] kaum noch gesprochen werden kann. [] Wirtschafts- und Industrieverbände halten inzwischen Lieferungen in Drittstaaten zu recht für steuerlich einfacher abwickelbar als gleichartige Lieferungen in EG-Staaten."

III. Verschiedene Möglichkeiten der Besteuerung

A. Übersicht

Findet Handel zwischen zwei oder mehreren Ländern statt und wird an Steuergrenzen Umsatzsteuer erhoben, sind grundsätzlich vier Möglichkeiten denkbar: Steuern können entweder nur im Import- oder im Exportland, in keinem Land oder in beiden Ländern erhoben werden. Abhängig von der Erhebung der Steuer, spricht man von verschiedenen Besteuerungsprinzipien. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Möglichkeiten der Steuererhebung:


Keine Besteuerung im Exportland

Besteuerung im Exportland

Besteuerung im Importland

Bestimmungsland­prinzip

Doppelte Besteuerung

Keine Besteuerung im Importland

Keine Besteuerung

Ursprungslandprinzip

Tabelle : Möglichkeiten der Besteuerung[21]

Im folgenden werden die Eigenschaften und die Folgen des Bestimmungslandprinzips und des Ursprungslandprinzips weiter vertieft. Grundsätzlich existieren auch die Möglichkeiten "Doppelte Besteuerung" und "Keine Besteuerung", aber da sie für die Diskussion um die Umsatzsteuerharmonisierung in der EU keine Rolle spielen, werden sie nicht weiter betrachtet.

Abhängig von der Frage, wo die Umsatzsteuer erhoben wird, ist zu klären, welche Wirkungen beide Besteuerungsformen haben. Grundsätzlich ist zu fordern, daß " die Besteuerung des Außenhandels wettbewerbsneutral sein soll."[22] Der Begriff "Wettbewerbs­neutralität" ist nicht eindeutig definiert; es sind folgende Versionen zu unterscheiden:

In einer idealen Welt ohne Steuern führt Handel zu einem internationalen Pareto-Optimum. Werden die Bedingungen für ein solches Optimum auch durch die Besteuerung nicht verletzt, spricht man von allokationspolitischer Wettbewerbsneutralität.

Die Situation nach Einführung der Besteuerung wird mit einer Situation ohne Besteuerung verglichen: Andern sich die Außenhandelsströme in Niveau und Struktur nicht, spricht man von zahlungsbilanzpolitischer Wettbewerbsneutralität. Sie wird in dieser Arbeit nicht behandelt.

Sind " alle Handelspartner in "angemessenem Ausmaß" am Aufkommen der Steuer beteiligt "[24], so spricht man von fiskalpolitischer Wettbewerbsneutralität. Nicht eindeutig definiert ist, was unter "angemessenen" verstanden wird. Gezeigt wird aber, daß unterschiedliche Besteuerungsprinzipien unterschiedliche fiskalpolitische Konsequenzen haben.

Für die verschiedenen Besteuerungsprinzipen ist zu prüfen, in wieweit sie diese Bedingungen erfüllen. Dazu wird ein einfaches Modell mit einstufiger Produktion verwendet, in dem sich der Außenhandel zwischen zwei Ländern abspielt (Inland und Ausland). Von Transaktionskosten wird abgesehen.

B. Besteuerungsprinzipen

Bestimmungslandprinzip

Nach dem Bestimmungslandprinzip sollen "im grenzüberschreitenden Waren- und Leistungsverkehr die Erzeugnisse im Verbrauchsland entsprechend den dort geltenden Steuern belastet werden."[26] Praktisch funktioniert dies, indem Exporteuren die Mehrwertsteuer erlassen und Importeuren sie beim Import ausländischer Waren berechnet wird. Wenn man davon ausgeht, daß die Preise vor Steuern in allen Ländern gleich sind, dann ist eine Folge des Bestimmungslandprinzips, daß es für den Empfänger keine Rolle spielt, in welchem Land sein Lieferant sitzt: Er bezahlt immer den gleichen Steuersatz (den Steuersatz des Bestimmungslands).

Graphisch läßt sich die Wirkungsweise dieses Prinzips wie folgt darstellen:

Abbildung : Das Bestimmungslandprinzip[27]

Das Bestimmungslandprinzip ist das in der Welt am häufigsten angewendete Besteuerungsprinzip.[28] Es wirkt wie eine Kombination aus Importsteuer und Exportsubvention für die inländische Produktion. Das Bestimmungslandprinzip benötigt Steuergrenzen; sowohl im GATT, als auch in den Römischen Verträgen wurde es als zulässig anerkannt.

Das Bestimmungslandprinzip entspricht dem Charakter der Mehrwertsteuer als einer allgemeinen Steuer auf den Verbrauch: Besteuert wird der Konsum; die Steuer fließt demjenigen Land zu, in dem der Konsument seinen Hauptwohnsitz hat und in dem er belastet wird. Die Steuersätze des Importlandes bestimmen die Steuerbelastung; auf einem Markt konkurrieren nur Güter, die mit dem selben Steuersatz belastet werden.

Ursprungslandprinzip

Nach dem Ursprungslandprinzip " werden die Güter mit den Steuern des herstellenden Staates (Ursprung) besteuert. Exporte werden im exportierenden Staat mit Steuern belastet, während Importe steuerfrei bleiben."[31] Als Folge des Ursprungslandprinzips kann der Exporteur alle Kunden aus der EU gleich behandeln, indem er den in seinem Land (Ursprungsland) geltenden Steuersatz in Rechnung stellt. Der Importeur hat die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges für Waren aus allen Ländern der EU. Damit werden die Bezüge aus dem Inland und aus dem Gemeinschaftsgebiet vollständig gleichgestellt.

Das Ursprungslandprinzip wirkt wie eine Kombination aus Importsubvention und Exportzoll auf die inländische Produktion. Im Gegensatz zum Bestimmungslandprinzip entspricht es vom Charakter nicht einer Steuer auf den Verbrauch, sondern auf die Produktion. Graphisch läßt sich dieses Prinzip wie folgt darstellen:

Abbildung : Das Ursprungslandprinzip[32]

(Was das makroökonomische Clearing ist und weshalb es nötig ist, wird unten erläutert. Im Moment können die grau unterlegten Kästchen vernachlässigt werden.)

Bei diesem Prinzip werden die Steuergrenzen in die importierenden bzw. exportierenden Unternehmen verlegt.[33] Man erkennt, daß die Steuer beim reinen Ursprungslandprinzip nicht dem Land zufließt, in dem der Konsument seinen Haupt­wohnsitz hat, sondern im Ursprungsland verbleibt. Die Steuersätze des Exportlandes bestimmen die Steuerbelastung. Da auf einem Markt Güter konkurrieren, die mit unterschiedlichen Steuersätzen belastet sind, besteht zwischen den Mitgliedsstaaten ein Druck, die Steuersätze anzugleichen.

C. Wettbewerbspolitische Konsequenzen der Besteuerung

Allokationspolitische Betrachtung

Allokationspolitisch erwünscht ist, daß die Preisrelationen die Kostenrelationen möglichst exakt wiedergeben.[34] Daher ist ein Besteuerungsprinzip allokativ unproblematisch, wenn die Bedingungen für ein internationales Pareto-Optimum nicht verletzt werden, d. h. wenn es mit den Bedingungen des Produktionsoptimums und des Handelsoptimums vereinbar sind:

Im Handelsoptimum ist " das Verhältnis der Grenznutzen zweier beliebiger Güter für alle Konsumenten im In- und Ausland gleich []".[35] Es entspricht dem Verhältnis der Bruttopreise.

Im Produktionsoptimum ist " das Verhältnis der Grenzkosten zweier beliebiger Güter bei allen Herstellern im In- und Ausland gleich []".[36] Es entspricht dem Verhältnis der Nettopreise.

Für die theoretische Betrachtung geht man davon aus, daß die Bedingungen des Pareto-Optimums in einer Welt ohne Steuern erfüllt sind.

Generelle, proportionale Produktsteuern verursachen keine Wohlfahrtswirkungen: Da die Preis- und Kostenrelationen für Konsumenten und Produzenten unverändert bleiben, erfolgen auch keine Anpassungsreaktion und mithin keine Wohlfahrtswirkungen.[37] Für den Fall, daß eine spezielle Steuer vorliegt, wird auf jeden Fall eine der beiden Optimalitätsbedingungen verletzt:

Wird sie gemäß dem Bestimmungslandprinzip erhoben, werden die Bruttopreise verzerrt und die Marginalbedingung des Handelsoptimums ist nicht mehr erfüllt. Ein Produktionsoptimum ist dagegen möglich, da die Nettopreise unverzerrt sind.

Bei Ursprungslandprinzip ist umgekehrt die Marginalbedingung für das Produktionsmaximum verletzt, da die Nettopreise verzerrt sind, während ein Handelsoptimum erreicht werden kann, da die Bruttopreise unverzerrt sind.

Die Frage ist, ob die Mehrwertsteuer in der EU eher den Charakter eine generellen, proportionalen Produktsteuer hat oder eher eine spezielle Steuer darstellt.

Da auch nach einer Neuregelung der Umsatzbesteuerung in der EU beispielsweise die Steuersätze differieren können, kann man im Fall der Umsatzsteuer nicht von einer generellen Produktsteuer sprechen, sondern die Mehrwertsteuer ist eine spezielle Steuer.[39] Entscheidet man allein nach Allokationsgesichtspunkten, ist deshalb keine eindeutige Entscheidung möglich.

Die folgende Übersicht soll diesen Zusammenhang nochmals verdeutlichen:

Besteuerungsprinzip

Auswirkungen

Ergebnis

Bestimmungsland­prinzip

Produktion unverzerrt,

Handel verzerrt

Produktions­optimum möglich,

kein Handelsoptimum

Ursprungsland­prinzip

Produktion verzerrt,

Handel unverzerrt

Kein Produktionsoptimum,

Handelsoptimum möglich

Tabelle : Produktions- und Handelsoptimum[40]

Kritisch anzumerken gegenüber der allokationspolitischen Betrachtung ist, daß aufgrund von vielfältigen Verzerrungen (z. B. nichttarifären Handelshemmnissen) in der Realität die Bedingungen des Pareto-Optimums einer Welt ohne Steuern so gut wie nie erfüllt sind. Sind die Optimalitätsbedingungen aber bereits ohne die Erhebung der Mehrwertsteuer verletzt, so können nur noch second-best-Lösungen erreicht werden. Beim Vergleich suboptimaler Lösungen kann keine eindeutige Entscheidung zugunsten eines Verfahrens getroffen werden kann; deshalb ist ein eindeutiges Votum für ein Besteuerungsprinzip nicht möglich. Peffekoven weist darauf hin, daß der allokationspolitische Ansatz in der wirtschaftspolitischen Tagesdiskussion eine geringe Rolle besitzt.

Fiskalpolitische Betrachtung

Bei der momentan gültigen Übergangsregelung nach dem Bestimmungslandprinzip fließen die Steuereinnahmen dem Bestimmungsland zu. Dies hat zur Folge, daß jedem Land gestattet ist, seine eigenen Verbraucher zu besteuern, nicht aber Konsumenten in anderen Ländern.[44]

Ein Übergang zum Ursprungslandprinzips hätte zur Folge, daß die Steuereinnahmen dem Ursprungsland zufließen würden: Damit ändern sich die Steueraufkommen der einzelnen Mitgliedsländer, als Folge käme es zu "considerable revenue shifts between member states . Da das Exportland die Steuereinnahmen erhält, hätten vor allem die Staaten Nachteile zu erwarten, die Nettoimporteure sind. Aus diesem Grund werden sich die Nettoimportstaaten gegen den Übergang zum Ursprungslandprinzip sträuben.

Trotzdem favorisiert die EU-Kommission im Grundsatz das Ursprungslandprinzip. Allerdings sollen aus haushalts- und steuerpolitischen Gründen die Nettoimportstaaten keine finanziellen Einbußen erleiden: Nach den Vorstellungen der Kom­­mission soll das Steueraufkommen weiterhin dem Bestimmungsland zufließen.[46] Das hat zur Konsequenz, daß in den Plänen der EU-Kommission Steuererhebung und fiskalischer Anspruch auseinanderfallen und ein "Steueraus­gleichs­system" (Clearing-System) nötig ist.

Damit sind die grauen Kästchen in Abbildung 2 angesprochen: Sie zeigen die Funktion der Clearing-Stelle, die den zwischenstaatlichen Ausgleich vornehmen soll. Wie der Tabelle in Anhang B zu entnehmen ist, sind die aus dem Clearingmechanismus resultierenden Zahlungsströme z. T. erheblich.

Vorteil des Ursprungslandprinzips mit Clearing-Systems ist vor allem, daß der Verwaltungsaufwand der Unternehmen minimiert wird:[47] Sie müßten nur die Brut­to­umsatzsteuer bei Exporten und die Vorsteuer bei Importen im innergemeinschaftlichen Handel erfassen und an die Finanzämter melden. Kleinunternehmen könnten vom Clearingmechanismus ausgenommen werden. Außerdem führt dieses Clearingsystem zwangsläufig zu finanziellen Überschüssen durch Direktimporte z. B. von grenzüberschreitenden Versandhäusern: Die Belastung im Ursprungsland wäre endgültig, da der Empfänger keinen Vorsteuerabzug geltend machen kann. Trotzdem ist das Ursprungsland zu einer Ausgleichszahlung verpflichtet, die zunächst bei der Clearing-Stelle verbleiben soll. Diese Überschüsse sollen regelmäßig an die Mitgliedsstaaten ausgeschüttet werden.

Kritisch äußert sich Biehl zur Idee eines Clearing-Systems: Um Einnahmeeinbußen der Nettoimportländer zu vermeiden, favorisiert er den direkten Finanzausgleich, " entweder bezogen auf die bisherige Umsatzsteuerverteilung oder [] bezogen auf übliche Kriterien für Finanzbedarf und Steuerkraft."

IV. Ergebnis

In der vorliegenden Arbeit wurden die Konsequenzen behandelt, die sich aus der Neuregelung der Mehrwertsteuer in der EU ergeben können. Vernachlässigt wurden die praktischen Aspekte der Umsetzung eines der beiden Besteuerungsprinzipien: Dies führt zu den eher technischen Details und ist für die Frage, welches Besteuerungsprinzip grundsätzlich wünschenswert ist, nicht von Interesse. Was in dieser Arbeit außerdem nicht geleistet wurde, ist eine eher EU-bezogene Betrachtung, bei der speziell auf die Besonderheiten der Europäischen Union eingegangen wird. Ziel der Arbeit war zu prüfen, in wieweit aus einer eher theoretischen Betrachtung der Besteuerungsprinzipien eine eindeutige Aussage über die Vorteilhaftigkeit einer bestimmten Regelung abgeleitet werden kann.

Wie lassen sich die Resultate der theoretischen Betrachtung werten? Leider lassen sie keinen eindeutigen Schluß zu: Es hat sich gezeigt, daß nach den Kriterien der Wettbewerbsneutralität kein Prinzip uneingeschränkt zu befürworten ist. Versucht man, die theoretischen Ergebnisse nach ihrer Bedeutung für die politische Debatte zu ordnen, stellt man fest, daß für die politische Debatte die allokationspolitische Betrachtung eher zweitrangig ist.[50]

Der große Vorteil des Ursprungslandprinzips erschließt sich erst aus der Betrachtung der praktischen Umsetzung: Im Vergleich zum Bestimmungslandprinzip ist der Verwaltungsaufwand der Unternehmen deutlich geringer und die Preistransparenz für die Konsumenten höher. Aus einer rein theoretischen Betrachtung (unter Vernachlässigung der Transaktionskosten) ergibt sich dieses Ergebnis nicht.

Kritisch zu hinterfragen ist, ob wirklich eine Clearing-Stelle benötigt wird. Problematisch ist, daß damit eine neue Behörde geschaffen wird, die von Biehl als " außerordentlich aufwendiges Abrechnungs- und Kontrollsystem" [51] sehr negativ gesehen wird. Problematisch ist auch die Frage, nach welchem Prinzip die EU den Warenverkehr mit Drittländern durchführt. Wendet man das Bestimmungslandprinzip an, belasten die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen Importe und entlasten Exporte mit ihren nationalen Steuersätzen. Dies kann dazu führen, daß - bei Vernachlässigung der Transportkosten - Importe in die EU über das Mitgliedsland getätigt wird, das den niedrigsten nationalen Steuersatz aufweist, während Exporte über das Land abgewickelt wird, das den höchsten Steuersatz erhebt.

Problematisch ist nicht zuletzt die Tatsache, daß bei einer EU-einheitlichen Regelung Mitgliedsländer in einen Teil ihrer Kompetenzen beschnitten werden - hier wird ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Mehrwertsteuersätze nach Belieben zu setzen. Dies ist einer schneller Einigung sicher nicht förderlich, denn daß drohender Kompetenzverlust Regierungschefs Kopfzerbrechen bereiten kann, hat man ja in der Vergangenheit schon mehrfach gesehen

Anhang A: Die Steuersätze der Mitgliedsstaaten

Land

Ermäßigter Satz

Normal- und Zwischensatz

Erhöhter Satz

Deutschland




Belgien

1%, 6% oder 12%



Dänemark




Spanien




Griechenland

4% oder 8%



Frankreich

2,1% oder 5,5%



Irland

2,3%, 10% oder 12,5%

16% oder 21%


Italien

4%, 9% oder 12%



Luxemburg

3% oder 6%



Niederlande




Portugal




Vereinigtes Königreich





Stand: 13. April 1992; (*) Erhöhung auf 15% am 1.1.93.

Anhang B: Schätzung der aus dem Clearingmechanismus resultierenden Zahlungsströme

Land

Nettobetrag

In % des BIP

Belgien/Luxemburg

-747 Mio. ECU


Deutschland

-3.534 Mio. ECU


Dänemark

608 Mio. ECU


Frankreich

2.421 Mio. ECU


Griechenland

437 Mio. ECU


Irland

52 Mio. ECU


Italien

147 Mio. ECU


Niederlande

-1.509 Mio. ECU


Portugal

77 Mio. ECU


Spanien

132 Mio. ECU


Vereinigtes Königreich

1.845 Mio. ECU


Literaturverzeichnis

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Fehr, H., Rosenberg, C., Wiegard, W. (1993), Should the EC adopt the origin principle for VAT after 1997?. Regensburger Diskussionsbeiträge Nr. 255, Universität Regensburg.

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Musgrave, R. A., Musgrave, P. B., Kullmer, L. (1992), Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis 3. 4., völlig überarb. Auflage, Tübingen.

Peffekoven, R. (1978), Die Besteuerung des internationalen Handels. In: WiSt Heft 4, S. 163-169.

Penketh, K. (1993), The Issue of Tax Harmonisation in the European Community. In: British Review of Economic Issues, Volume 15, Number 35, S.45-58.

Preißer, K.-H. (1991), EG-Steuerharmonisierung - Die Quadratur des Kreises. Regensburger Diskussionsbeiträge Nr. 232, Universität Regensburg.

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Schemmel, L. (1989), Steuerharmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft. Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler e. V., Wiesbaden.

Schroth, K.-D. (1993), Das kleine Lexikon des Außenwirtschaftsverkehrs. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf.

Tait, A. A. (1988), Value-Added Tax: Practice and Problems. IMF, Washington, D. C.



Bundesministerium der Finanzen (1994), S. 27 (im folgenden: BMF).

Vgl. Randzio-Plath (1993), S. 11; vgl. Schemmel (1989), S. 30.

Preißer (1991), S. 2.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1992), S. 1.

Vgl. Preißer (1991), S. 3f.

Randzio-Plath (1993), S. 11

Allokationspolitisch sind Unterschiede in der Steuerbelastung nicht nur unproblematisch, sondern sogar erwünscht, wenn ihnen " einzelwirtschaftlich unterschiedliche, vom Staat finanzierte Aufwendungen gegenüberstehen" (Andel (1971/72), S. 225). Dies gilt aber nur, wenn in allen Mitgliedsstaaten einheitlich die Steuerbelastung einzelwirtschaftlich nach dem kostenmäßigen Aquivalenzprinzip durchgeführt wird. Davon kann in der Realität nicht ausgegangen werden.

Vgl. Andel (1971/72), S. 224.

Für die folgenden Ausführungen vgl. auch Penketh (1993), S. 46ff.

BMF (1994), S. 11.

Vgl. BMF (1994), S. 13.

Vgl. Preißer (1991), S. 3.

Vgl. Schemmel (1989), S. 38.

Vgl. Preißer (1991), S. 3.

Diese Form der Besteuerung wird später als Bestimmungslandprinzip bezeichnet.

Vgl. Randzio-Plath (1993), S. 15f.

Commission des Communautes europeennes (1994), S. 1a.

Commission des Communautes europeennes (1994), S. 3.

BMF(1994), S. 27.

Randzio-Plath (1993), S. 27f.

Quelle: Haufler (1993), S. 8.

Peffekoven (1978), S. 164.

Vgl. Musgrave, Musgrave, Kullmer (1992), S. 207; vgl. Peffekoven (1978), S. 164f.

Peffekoven (1978), S. 165.

Vgl. Peffekoven (1978), S. 165.

Schroth (1993), S. 78.

Quelle: Eigene Darstellung (BL=Bestimmungsland).

Vgl. Tait (1988), S. 223.

Vgl. Peffekoven (1978), S. 168.

Vgl. Biehl (1986), S. 519.

Schroth (1993), S. 390.

Quelle: Eigene Darstellung (UL=Ursprungsland).

Da Export und Import weiter umsatzsteuerliche Sondertatbestände sind, benötigt es weiterhin Steuergrenzen. Wird es ohne Steuergrenzen realisiert, spricht man nach Biehl vom "Gemeinsamer-Markt-Prinzip." Es ist aber eher als Sonderfall des Ursprungslandprinzips anzusehen (vgl. hierzu Biehl (1986), S. 521ff. und Musgrave, Musgrave, Kullmer (1992), S. 212f.).

Vgl. Andel (1971/72), S. 226.

Peffekoven (1978), S. 165.

Peffekoven (1978), S. 165.

Vgl. Möller (1968), S. 397.

Vgl. Peffekoven (1978), S. 165, vgl. Musgrave, Musgrave, Kullmer (1992), S. 208ff.

Andel weist darauf hin, daß es eine generelle Produktsteuer, so wie sie hier definiert wurde, " nirgends gibt" (Andel (1971/72), S. 227).

Quelle: Eigene Darstellung.

Vgl. Peffekoven (1978), S. 165.

Vgl. Georgakopoulos, Hitiris (1992), S. 125, vgl. Penketh (1993), S. 56. Generell kann man im übrigen sagen, daß die theoretischen Resultate keine eindeutige Empfehlung für ein Besteuerungsprinzip ermöglichen.

Vgl. Peffekoven (1978), S. 165.

Vgl. Musgrave, Musgrave, Kullmer (1992), S. 213.

Fehr, Rosenberg, Wiegard (993), S. 3.

Vgl. Schemmel (1989), S. 26.

Vgl. Schemmel (1989), S. 27ff.

Vgl. Schemmel (1989), S. 29.

Biehl (1986), S. 523.

Vgl. Peffekoven (1978), S. 165 und S. 167.

Biehl (1986), S. 523.

Vgl. Andel (1971/72), S. 229.

Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1992), Anhang, 7.

Quelle: Schemmel (1989), S. 28.