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Atomenergie Atomkraftwerke sowie die damit verbundenen Probleme

Ein Referet über die


Atomenergie &








Atomkraftwerke sowie die damit verbundenen Probleme



Das Grundprinzip der Kernspaltung


Kernspaltung wird herbeigeführt, wenn man Uranatom (2) mit einem Neutron (1) beschießt. Diese Atomgeschosse durchdringen die Atomhülle und zertrümmern den Atomkern (2) in einzelne Bestandteile (3). Dadurch werden weitere Neutronen frei (1), die wiederum andere Atomkerne (2) spalten. Bei dieser Kettenreaktion entstehen radioaktive Spaltprodukte.




Kernfusion ist eine Verschmelzung zweier Atomkerne (2). Dabei lagern sich Protonen (weiß) an Neutronen (blau) zusammen (3) zusammen. Unter großer Hitze entsteht ein neuer Kern (4), ein Neutron (1) wird frei. 100 Kilogramm Fusionsbrennstoff haben hierbei soviel Energie wie 1 Million Tonnen Kohle.



Kernkraftwerke auch Atomkraftwerke genannt (AKW), wandeln Kernenergie in elektrischen Strom um. Im Kernreaktor (5) entsteht durch Kernspaltung Hitze, die Wasser im Dampferzeuger (6) zu Wasserdampf verwandelt. Damit wird die Dampfturbine mit dem angeschlossenen Generator (7) betrieben. Der elektrische Strom wird in das Netz eingespeist (8). Das Wasser wird im Kühltrum (9) gekühlt und erneut durch den Kernreaktor geleitet.


Die Kernenergie stellt hierbei eigentlich eine sehr umweltfreundliche und effiziente Art der Stromgewinnung dar. Zu den gravierenden Nachteilen kommen wir später




Geschichtliches


Wie alles begann

Entdeckung der Kernspaltung



Ende 1938/Anfang 1939 entdeckte Otto Hahn in Berlin zusammen mit Fritz

Straßmann die Spaltung des Uran-Atomkerns.


Wichtige Beiträge lieferte seit 1907 auch Hahns Mitarbeiterin Lise Meitner,

die allerdings den Erfolg ihrer Arbeiten nicht mehr in Berlin erleben

konnte.


Aus ihrem Exil lieferte sie aber die entscheidenden theoretischen

Berechnungen, die Hahn letztendlich dazu veranlaßten, seine Entdeckung zu

veröffentlichen.


(Bild von Otto Hahn) 


Hier ein Bild des Arbeitstisches von Hahn.



Nicht vergessen sollte man allerdings auch die junge Freiburger Chemikerin

Ida Noddack, die schon 1934 in der 'Zeitschrift für angewandte Chemie' die Vermutung des Zerplatzens der Kerne nach dem Beschuß mit Neutronen äußerte aber von Fermi und Hahn nicht ernst genommen worden war.


Gefahr eines Bombensprengstoffes


Bald darauf wurde erkannt, daß sich hieraus womöglich eine Ketten­reaktion solcher Spaltungen unter großer Energiefreisetzung entwickeln ließe. Schon im Sommer 1939 ver­öffentlichte Siegfried Flügge einen Zeitungsaufsatz, in dem diese Möglichkeit öffentlich erörtert wurde.

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Arbeiten als geheim erklärt und in die Verantwortung des Herreswaffenamtes in Berlin gelegt und von Kurt Diebner betreut. Diebner setzte auch das Kaiser-Wilhelm-Institut

für Physik ein. Die Leitung übernahm Werner Heisenberg.


Die Arbeiten im Krieg


Die gesamten deutschen Arbeiten während des Krieges konzentrierten sich auf den Bau eines Atomreaktors. Allerdings erkannte v. Weizsäcker früh, daß mit Plutonium, das im Reaktor entstehen und leicht abzutrennen sein würde, eine Atombombe realisierbar sein würde.


Die Entscheidung


Auf einer Sitzung im Herreswaffenamt im Februar 1942 antwortete Heisenberg auf die Frage, ob innerhalb eines dreiviertel Jahres eine kriegsentscheidende Waffe produziert werden könne, mit einem klaren Nein. Daraufhin verloren die Nazis ihr Interesse an dem Projekt und das ganze Unternehmen wurde dem Heereswaffenamt entzogen und dem Reichsforschungsrat unterstellt. 1944 übernahm Walther Gerlach dessen Leitung.

Über Spionagekanäle wurde die Möglichkeit eine Bombe zu bauen, den deutschen Kriegsgegnern bekannt und verstze diese in großen Schrecken. Mit dem Einsatz großer Mittel wurde daher in Amerika die Atombombe entwickelt, welche später in Hiroshima eingesetzt wurde.


Der erste Atomreaktor


Der Versuch B8 in Haigerloch


Die Verlegung des Labors nach Haigerloch

Wahrscheinlich erinnerte sich Prof. Gerlach, der in Tübingen Physik studierte und dort auch Professor war, der Gegend um Hechingen und Haigerloch. Er machte den Vorschlag, im schmalen Muschelkalktal der Eyach ein Bunkerlabor zu bauen, da man sich hier sicherer fühlte vor Luftangriffen. Zufällig entdeckten die Wissenschaftler den Bierkeller des Schwanenwirtes in Haigerloch und mieteten diesen für ihre Arbeit an.

In einer abenteuerlichen Lastwagenfahrt wurde Uran und Schweres Wasser von Berlin nach Haigerloch überführt, wo Ende März/Anfang April 1945 der Versuch begann.

Der Aufbau


Der Kernreaktor befand sich in einem Betonzylinder. Zwischen der äßeren Betonummantelung und dem inneren Mantel aus Aluminium war zu Kühlung normales Wasser eingefüllt. In diesem Aluminiumkessel mit 210 cm Querschnitt und 210 cm Höhe war ein weiterer Kessel aus Magnesium. Zwischen die beiden Kesselwände kam eine etwa 40 cm dicke Graphitschicht. Dadurch sollte der Reaktor nach außen hin abgeschirmt werden, damit die enstehenden Neutronen nicht entweichen konnten. Die am Deckel festgemachte Anordnung mit 664 Uranwürfel(Kantenlänge 5 cm) wurde nun in den inneren Magnesiumzylinder eingelassen. Es lag also ein räumliches Gitter vor, der Abstand nächster Nachbarn betrug 14 cm. Dann wurde der Deckel auf das Reaktorgefäß aufgeschraubt.


Die Durchführung


Im Zentrum der Anordnung befand sich die Neutronenquelle, die durch den sog. Kamin eingelassen wurde. Außerdem befanden sich im Deckel Kanäle, durch die Neutronensonden eingeführt werden konnten. Damit erhielt man eine genaue Messung der Neutronenverteilung im Inneren der Anordnung, in dem umgebenden Graphit und im Leichten Wasser des Außenraumes. Das Schwere Wasser wurde zuletzt und vorsichtig eingefüllt und dauernd die Vermehrung der Neutronen verfolgt. Wäre der Reaktor kritisch geworden, dann wäre der Versuch abgebrochen worden.



Das Ergebnis

Leermessung: Man bestimmte die Neutronenzahl ohne Uran und ohne Schwerers Wasser, aber mit eingefahrener Neutronenquelle, im Außenraum.

Vollmessung: Man bestimmte die Neutronenzahl ebenfalls im Außenraum mit eingebrachter Uran- und Schwerwasserfüllung.

Der Vermehrungsfaktor (das Verhätnis Voll- zu Leermessung) ergab sich etwa zu 7. Damit war der Haigerlocher Reaktor nicht kritisch geworden.  Berechnungen ergaben, daß etwa die eineinhalbfache Reaktorgröße notwendig gewesen wäre. Eine Vergrößerung war im April 1945 nicht mehr möglich, weil weder weiteres Uran noch Schweres Wasser vorhanden war.

Aufbau eines Kernreaktors



Hier am Beispiel des Unglücksreaktors der (bis jetzt) größten Atomkatastrophe in Tschernobyl im Jahre 1986. Dabei wurden weite Teile Europas strahlenverseucht


Die Reaktoreinheit 4 des AKW Tschernobyl war von Typ RBMK-1000. Sie hatte eine thermische Leistung von 3200 MW sowie eine elektrische Leistung von 1000 MW. Sie wurde im Dezember 1983 in Betrieb genommen.

Der Aufbau dieses Reaktortyps stellt sich folgendermaßen dar (siehe Grafik): Eine Reihe von Graphitblöcken sind zwischen den senkrechten Kanäle mit dem Brennstoff und den Kanälen für die Leichtwasser-Siedekühlung plaziert. Das Graphit fungiert hier als Moderator und bremst den Ausstoß von Neutronen während der Spaltung ab.

Der Wärmeaustausch zwischen den Grafikblöcken wird durch eine Mischung aus Helium und Stickstoff reguliert. Dieser Aufbau hat den Vorteil, daß, anders als in PWR oder BWR-Reaktoren, kein großer Druckkörper erforderlich ist.  Das Graphit erlaubt die Verwendung von Brennstoff der nur niedrig mit Uran-235 angereichert wurde.

Schema eines Reaktors vom Typ RBMK-1000


In einem Reaktor vom Typ RBMK-1000 zirkuliert das Kühlmittel in einem Kreislauf, der unter Druck steht. Der erzeugte Dampf wird direkt auf die Generatorturbine geleitet. Nachdem der Dampf die Turbine angetrieben hat, wird er kondensiert und zurückgeleitet. Es gibt zwei getrennte Kühlsysteme.  Jedes von ihnen besitzt vier Pumpen. Es gibt auch ein Notkühlsystem, das in Aktion tritt, wenn ein Kühlkreislauf versagt. Daß das Kühlmittel durch Röhren gepumpt wird, ist einer der größten Unterschiede zu den meisten anderen Reaktortypen, bei denen ein großes Druckgefäß alle Elemente des Kerns enthält.

Kleine Kügelchen, sogenannte "Pellets" mit Urandioxid, angereichert mit 2% Uran-235 werde in eine 3,65m lange Röhre , den "Brennstab" eingeschlossen.  Zwei Sätze von 18 Brennstäben sind zu einem Bündel von 10 Meter Länge zusammenmontiert. Diese Brennelementbündel können durch die Bohrungen in den Reaktor hinein- und wieder herausgefahren werden. Es gab in Block 4 insgesamt 1659 solcher Brennelementbündel mit rund 114,7 kg Uran pro Bündel. Die Gesamtmasse des Urans im Reaktorkern betrug somit 190,2 Tonnen.

Die besondere Reaktorkonstruktion erlaubt das Ersetzen des Brennstoffes, während der Reaktor in Betrieb ist. Es gab zum Zeitpunkt des Unfalls Brennelementbündel mit sehr unterschiedlich stark abgebrannten Uran.

Der Reaktorkern ist mit einem biologischen Schild in Form eines zylindrischen, koaxialen Tanks mit einem Durchmesser von 16,6 Metern umgeben, der mit Wasser gefüllt ist. Dieser blieb nach dem Unfall übrigens praktisch unbeschädigt. Tank und Reaktorkern sind oben und unten mit zwei zylindrischen Deckeln aus Spezialstahl verschlossen, durch die verschiedene Leitungen hindurchführen. Während der Explosion wurden diese Teile des Reaktors herausgerissen. Durch die entstandenen Öffnungen gelangte der Inhalt des Kerns dann nach außen.

Das Kontroll- und Sicherheitssystem beruht im wesentlichen auf 211 Kontrollstäben, die mit Borkarbid gefüllt sind. Diese Stäbe können manuell, automatisch und in besonderen Notfällen in den Reaktorkern eingeschoben werden. Normalerweise wird das Ein- und Ausfahren der Kontrollstäbe durch besondere Detektoren im Kern automatisch geregelt. Gibt es Störungen, so können die Kontrollstäbe sofort in den Kern fallen gelassen werden. Dadurch wird dann die Spaltungsaktivität -theoretisch sofort gestoppt. Nach Auffassung einer Gruppe internationaler Experten, entsprechen die im AKW Tschernobyl vorhandenen Kontroll- und Schutzvorschriften aber mit Abstand nicht den modernen Sicherheitsanforderungen, wie sie in westlichen Atomkraftwerken Standard sind.

Es gibt zwar ein System zum Auffangen von radioaktivem Material. Dieses dient aber nur zum Sammeln von kondensiertem radioaktiven Wasser und ist nicht für den Zusammenbruch des Kerns gedacht. Was im Unterschied zu westlichen Reaktoren völlig fehlt, daß ist ein zusätzlicher Stahlbetonmantel, der die ganze Reaktoreinheit umgibt, und der theoretisch auch einer Zerstörung des Reaktorkern standhalten soll.


Kernenergieausbau weltweit



Jahr für Jahr gehen in aller Welt neue Kernkraftwerke ans Netz. 1996 waren es fünf in vier Ländern: In Frankreich, Japan (2), Rumänien und den Vereinigten Staaten. Dadurch erhöhte sich die Gesamtzahl weltweit auf 442 Anlagen. In 14 Ländern befinden sich weitere 36 in Bau. Im vergangenen Jahr steuerte Kernenergie wieder 17 Prozent zur weltweiten Stromversorgung bei, in Deutschland 34 Prozent. Aber in einigen Ländern wie Frankreich, Belgien und Schweden liegt der Beitrag zum Teil weit über 50 Prozent.












Kernenergie in Europa


Europaweit sind derzeit in 17 Ländern 218 Kernkraftwerke (weltweit 434) mit einer installierten Leistung von 178 Millionen Kilowatt in Betrieb. 151 dieser Anlagen werden in den Staaten West- und Südeuropas sowie in Skandinavien zur Nuklearstromerzeugung eingesetzt. Die GUS-Länder (einschl.  Armenien und Kasachstan) betreiben 49, die mittel- und osteuropäischen Länder insgesamt 18 Kernkraftwerke.

Spitzenreiter in Europa ist im Ländervergleich Frankreich mit 56 Kernkraftwerken, die rund 75 Prozent des Strombedarfs decken. Deutschland erzeugt in 20 Anlagen rund ein Drittel des benötigten Stroms mit Kernenergie. Europaweit sind 25 Kernkraftwerke in Bau. In 15 der 17 europäischen Staaten mit eigener Kernenergiewirtschaft stammt mehr als 20 Prozent der Stromproduktion aus Kernenergie; in sieben Ländern liegt der Anteil sogar über 40 Prozent.


Die Schattenseiten der Kernenergie:


Der Reaktorunfall in Tschernobyl im Jahre 1986


Im ukrainischen "Lenin"-Kernkraftwerk Tschernobyl wird ein Experiment gestartet: Es soll geprüft

werden, wie lange die Turbine mit der Restwärme des abgeschalteten Reaktors weiterläuft. Der Reaktor wird zuerst zur Leistungsspitze gebracht und soll dann heruntergefahren werden. Damit der Probelauf des Reaktors nicht unterbrochen wird, werden die Sicherheitssysteme mit Absicht außer Funktion gesetzt.






26. April, 1 Uhr, 23 Minuten, 40 Sekunden: Es kommt zum Turbinenstillstand. Der Kühlwasserzufluß ist eingeschränkt, die automatische Abschaltung unterbrochen, es entwickelt sich ein Hitzestau. Innerhalb von Sekunden steigt die Leistung des Meilers um ein Vielfaches an. 6 Sekunden nach der Notabschaltung ereignet sich der größte anzunehmende Unfall (GAU). Der Block 4 des Atomkraftwerkes Tschernobyl explodiert. Die 256 Arbeiter der Nachtschicht dürfen das Kraftwerk nicht verlassen. In der unmittelbaren Umgebung des Reaktors und in der benachbarten Stadt Pripjat ahnt die Bevölkerung nichts von dem Ausmaß des Feuers im Kraftwerk.

27.April 1986: Die Stadt Pripjat ist abgeriegelt, die Telefone funktionieren nicht, die Behörden informieren die Bewohner darüber, daß sie für 3 Tage in Zelten untergebracht werden. Die Löscharbeiten im Kraftwerk dauern an. Von Hubschraubern aus wird Sand, Stahl, Blei und Lehm auf den brennenden Reaktor geworfen.

April 1986: In Schweden, Norwegen und Finnland wird erhöhte Radioaktivität gemessen. Eine schwedische Militärforschungsanstalt schließt einen Unfall in einem russischen Atomkraftwerk nicht aus. Die sowjetische Atomenergiebehörde bestreitet eine Reaktorkatastrophe.


April, 21 Uhr: Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS teilt mit, daß es im Kernkraftwerk Tschernobyl einen Unfall gegeben habe. Es seien Menschen zu Schaden gekommen. Es werde eine Untersuchungskommission gebildet. Maßnahmen zur Beseitigung der Folgen des Unglücks seien eingeleitet.


28.April, 23 Uhr: Ein dänisches Laboratorium für Nuklearforschung gibt bekannt, daß im Atommeiler Tschernobyl ein GAU stattgefunden habe, wobei eine Reaktorstufe vollständig geschmolzen sei. Beim Durchschmelzen des Reaktorkerns werde die gesamte Radioaktivität an die Außenwelt abgegeben.


29.April 1986: In Deutschland erfolgt die erste offizielleMeldung darüber, daß sich in der Sowjetunion "offenbar ein ernster Atomunfall ereignet hat." Mehr als 40 Stunden sind seit dem GAU vergangen. Bundesforschungsminister Riesenhuber teilt mit, daß auf Grund der Windverhältnisse nicht damit zu rechnen sei, daß die freigesetzte Radioaktivität auf die Bundesrepublik zutreibt. Bundesinnenminister Zimmermann schließt eine Gefährdung der bundesdeutschen Bevölkerung aus, "denn eine Gefährdung besteht nur im Umkreis von 30 bis 50 Kilometer um den Reaktor herum." Die UdSSR bittet Schweden um Löschhilfe beim Brand des Kernkraftwerks Tschernobyl.

Es soll eine 30-Kilometer-Sicherheitszone um das Kraftwerk gezogen werden. Mehrere zehntausend Menschen seien aus diesem Bereich zu evakuieren.


30.April 1986, 17 Uhr: Der Reaktorbrand ist angeblich gelöscht.


1.Mai 1986: Die Bevölkerung nimmt überall in den betroffenen Gebieten an den Feiern zum "Tag der Arbeit" teil. Der Demonstrationszug in Kiew befindet sich sowohl räumlich als auch zeitlich in dem Gebiet der höchsten radioaktiven Belastung. Nach offiziellen Angaben der sowjetischen Behörden handelt es sich bei dem Unfall in Tschernobyl nach wie vor um eine "Havarie", nicht um einen GAU.


3.Mai 1986: Die deutschen Behörden warnen erstmals vor den Auswirkungen der Reaktorkatastrophe. Bei der Explosion wurde etwa ein Viertel der radioaktiven Stoffe sofort aus dem Reaktor nach außen gestoßen, der Rest gelangte innerhalb der folgenden 14 Tage in die Atmosphäre. Allein in der Katastrophennacht wurden "vorsichtigen Annahmen" der Wissenschaftler zufolge rund 180 Millionen Curie frei. Die strahlende Wolke verteilte sich danach in drei Windrichtungen. Am 26.4. über Skandinavien, am 27. und 28.4.  über Westeuropa, am 29. und 30.4. über dem Balkan. Am stärksten betroffen sind weite Regionen von Weißrußland, Rußland und der Ukraine. (Mehr dazu unter dem Menüpunkt: Die Fakten) Die höchste Strahlenbelastung innerhalb der Bundesrepublik wird in Bayern gemessen. Sie beträgt ein Curie.


21. Mai 1986: Pripjat wird offiziell vollständig evakuiert.

26. Juni 1986: Anweisung der Dritten Hauptabteilung des Gesundheitsministeriums der UdSSR: "Alle Mitteilungen über die Havarie sind geheim zu behandeln." Ende des Jahres 1986 ist Tschernobyl wieder am Netz.

29. Juli 1987: Wegen grober Verletzung von Sicherheitsregeln und kriminellen Fahrlässigkeit werden sechs ehemalige Beamte und Techniker des Atomkraftwerkes Tschernobyl zu Höchststrafen verurteilt.

29. Februar 1988: Nuklearmediziner stellen fest, daß niedrige Strahlendosen gefährlicher sind als bisher angenommen.

16. April 1988: Aus sozialen Gründen sind bereits ca. 100, meist ältere Menschen in die radioaktiv verseuchten Gebiete zurückgekehrt. Weitere werden folgen.

18. April 1988: Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien (IAEA), Blix, bestreitet die katastrophalen Ausmaße des Reaktorunfalls. Abgesehen von einigen "Hot spots" und radioaktiven Niederschlägen sei der Fallout in Europa nicht sehr ernst gewesen.

18. Mai 1988: In Kiew werden auf Drängen der Bevölkerung erstmals die Strahlenwerte von Lebensmitteln veröffentlicht.  Bislang hieß es von offizieller Seite lediglich, die Höhe der Strahlung sei ungefährlich. In Weißrußland werden nach wie vor keine Kontrollen der Produkte durchgeführt.

22. Dezember 1988: Sowjetische Wissenschaftler teilen mit, daß sich noch ca. 90 Brennstäbe im Reaktorblock 4 von Tschernobyl befinden. Sie weisen außerdem darauf hin, daß die Sicherheit des Sarkophags, der den Reaktor mittlerweile umhüllt, nur für 20 bis 30 Jahre berechnet sei.

1989: Die zweite Umsiedlungsphase beginnt. Nachdem in der ersten Phase 1986 nur die Bevölkerung aus der 30-km-Sperrzone evakuiert wurde, müssen jetzt über 100.000 weitere Menschen aus Gebieten mit einer Belastung über 15 Curie umsiedeln.

24. März 1989: Anläßlich der Eröffnung des

Volksdeputiertenkongresses wird die Nachrichtensperre über die Auswirkungen der Katastrophe aufgehoben.

20. April 1989: Die sowjetische Regierung beschließt einen Baustopp für den fünften und sechsten Reaktorblock im Kraftwerk Tschernobyl.

25.April 1989: In einigen Gebieten Nord- und Ostschwedens werden noch immer erhöhte Strahlenbelastungen gemessen. Etwa 70.000 Rentiere sind mit bis zu 30.000 Becquerel pro Kilogramm radioaktiv verseucht.


26.Juli 1989: Auf einer Kundgebung in der Republik Belarus,

Weißrußland, kommen 30.000 Menschen zusammen. In einer Resolution an die Volksdeputierten des Obersten Sowjet von Weißrußland fordern sie eine Ermittlung gegen die Verursacher der Reaktorkatastrophe wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Produktion verseuchter Agrarerzeugnisse soll eingestellt werden. Grenzwerte sollen festgelegt werden.

2. Oktober 1989: 15.000 Demonstranten beschuldigen die Parteiführung in Minsk, Weißrußland, die Wahrheit über die Verseuchung verschwiegen zu haben.

1990: Erste Zahlen über Erkrankungen und Todesopfer als Folge des Unfalls gelangen an die Öffentlichkeit. (Mehr dazu unter dem Menüpunkt: Die Fakten).

7. Juli 1990: Zum ersten mal in der Geschichte der Sowjetunion findet eine Demonstration innerhalb des Moskauer Kremls statt. Bewohner aus Weißrußland fordern vom KPdSU-Parteitag eine politische Stellungnahme, Meßgeräte und eine bessere Versorgung der Strahlenopfer.

12. Juli 1990: Weißrußland erklärt sich zum ökologischen Notstandsgebiet. Die Ukraine beschließt eine kostenlose medizinische Versorgung der Tschernobyl-Opfer aus dem Umkreis des Reaktors. Sie sollen einen Lohnzuschlag und 30 Rubel zum Kauf radioaktiv unbelasteter Lebensmittel erhalten.

27.Juli 1990: Weißrußland erklärt sich zum souveränen Staat und will, einem Parlamentsbeschluß entsprechend, als hauptbetroffenes Land zur "atomwaffenfreien Zone" werden.


19. August 1990: Die Internationale Atomenergiebehörde erklärt, daß der Sarkophag des Reaktors möglicherweise den Belastungen durch die hohen Temperaturen und den Strahlenbeschuß im Inneren nicht standhalten wird. Eine neue Katastrophe sei nicht ausgeschlossen.

7. Dezember 1990: Deutsche Kernkraftwerksbetreiber fordern eine nukleare Marshallplanhilfe für Kraftwerke in Osteuropa.

7. Februar 1991: Fünf Jahre nach der Katastrophe leitet der Generalstaatsanwalt der UdSSR nach zahlreichen öffentlichen Appellen Strafverfahren gegen verantwortliche Behördenvertreter wegen Amtsmißbrauchs und Fahrlässigkeit ein. Die Beamten hätten bei der Evakuierung versagt, objektive Daten über die Höhe der Radioaktivität ignoriert und Gesundheitsbestimmungen über die Beseitigung von Atommüll verletzt.

15. April 1991: Der Katastropheneinsatzleiter und ukrainische Kernphysiker Tschernousenko gibt in einem Zeitungsinterview Auskunft über die Zahlen der Todesopfer von Strahlenschäden. Die Katastrophe habe bereits sieben-bis zehntausend Menschenleben gefordert. Offiziell wird weiterhin von 31 Toten gesprochen.

23. April 1991: In offiziellen Schätzungen wird bekannt gegeben, daß bei dem Reaktorunglück insgesamt 509 Millionen Curie freigesetzt worden sind. Die Halbwertzeit des hochgiftigen Plutoniums beträgt 24.360 Jahre, d.h., daß erst nach 348 Generationen die Hälfte des radioaktiven Stoffs zerfallen sein wird.

April 1991: Westliche Hilfsorganisationen berichten, daß die Bevölkerung der betroffenen Regionen noch nicht über die Auswertung der Bodenproben informiert worden sei. Zwar sei Getreideanbau und Viehzucht offiziell verboten, werde jedoch nach wie vor betrieben.

26. April 1991: Über 100.000 Menschen leben wieder in den evakuierten und gesperrten Regionen.

21. Mai 1991: Die IAEA legt einen Bericht einer internationalen Studienkommission vor, in dem behauptet wird, daß es zwar signifikante, aber nicht mit Radioaktivität in Verbindung zu bringende Gesundheitsstörungen gegeben habe. Der Unfall habe zu Streß und Unruhe geführt.

26. Mai 1991: Greenpeace und internationale Hilfsorganisationen protestieren gegen die Verharmlosungspolitik der IAEA in Wien.

12. Oktober 1991: In Block 2 des Kernkraftwerkes Tschernobyl bricht ein Feuer aus. Es wird nach wenigen Stunden gelöscht, der radioaktive Ausfall liegt angeblich in den normalen Grenzen. Nachdem auch der Block 2 abgeschaltet werden muß, beschließt das ukrainische Parlament die endgültige Stillegung des AKW bis Ende 1993.


25. Januar 1992: Der ukrainische Kernphysiker Tschernousenko klagt in einem Interview erneut die Atommafia, die Regierung und die IAEA an, die Öffentlichkeit bewußt über die Ausmaße der Katastrophe von Tschernobyl in die Irre geführt zu haben.


31.März 1992: Im Kernkraftwerk Sosnowyj Bor, St. Petersburg kommt es zu einem schweren Störfall. Täglich treten 6.000 Curie in Form radioaktiven Gases aus. Es handelt sich um einen Reaktor des Tschernobyl-Typs.


1.Juni 1992: Durch den Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion fehlt es an finanziellen Mitteln zur Beseitigung der Schäden der Reaktorkatastrophe. Schätzungen zufolge wären ca. 200 Milliarden Mark nötig. Dazu Boris Jelzin: " Leider kann die russische Regierung unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Umständen kein großangelegtes Hilfsprogramm für Kinder auflegen." Es treten immer mehr Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern auf.


3.März 1993: Aufgrund eines Lecks in einer der Wasserpumpen des Kühlkreislaufs muß das Atomkraftwerk Tschernobyl wiederholt abgeschaltet werden. Immer wieder kommt es zu Störfällen im Unglücksreaktor sowie im ukrainischen Atomkraftwerk Saporoschje, im litauischen Ignalina und anderen Ost-Reaktoren.


15. Juni 1993: Messungen ergeben, daß der Schnee auf dem Montblanc-Massiv in 20 Metern Tiefe noch immer durch die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl radioaktiv verseucht ist.

Ende 1993:

Die ukrainische Regierung und das Parlament beschließen mit Verweis auf die Energiekrise des Landes, daß Tschernobyl am Netz bleibt. Das Moratorium für die Inbetriebnahme weiterer Kraftwerksblöcke wird aufgehoben.


18. April 1994: Greenpeace legt eine Studie vor, in der Vorschläge zur Neuorientierung der Energiewirtschaft gemacht werden. Die Ukraine könne zur Deckung ihres Strombedarfs auf Atomstrom verzichten.


6. Juli 1994: Mitarbeiter des Atomkraftwerkes Tschernobyl und westliche Experten berichten, daß die Reaktoren 1 und 3 unter immer gefährlicheren Bedingungen arbeiten. Die Alarmsysteme seien nicht ausreichend. Verschlissene Teile könnten nicht immer ausgewechselt werden.  Der ukrainische Präsident Krawtschuk erwägt den Bau eines neuen Atomkraftwerkes in der Nähe von Tschernobyl für den Fall, daß der Unglücksreaktor geschlossen wird.


10. Juli 1994: Die G 7-Staaten wollen bis zu 200 Millionen Dollar für die Stillegung von Tschernobyl bereitstellen. Mit dem Geld sollen drei im Bau befindliche Atomreaktoren fertiggestellt und Reformen in der Energiewirtschaft finanziert werden.


27. Juli 1994: Das Firmenkonsortium "Alliance" wird von der Europäischen Kommission beauftragt, eine Studie zum Bau eines neuen Sarkophags für den Reaktor von Tschernobyl anzufertigen.


27. Dezember 1994: Laut der Gesellschaft für Reaktorsicherheit weisen 10 Druckwasserreaktoren in Osteuropa größte Sicherheitsdefizite auf. Von 16 Reaktoren des Tschernobyl-Typs müßten auch nach sowjetischer Meinung sechs stillgelegt werden.


Februar 1995: Die erste Phase der EG-Machbarkeitsstudie zur Stabilität des Sarkophags wird abgeschlossen. Die Ruine sei "eine riesige offene Strahlenquelle mit unzureichend bekannter Auslegung, Zusammensetzung und Eigenschaften", so ein Bericht. Das Konsortium verweist auf die Einsturzgefahr der ersten Hülle und auf die Atommüllprobleme bei der Errichtung des zweiten Sarkophags. Mit dem Baubeginn wird im April 1996 gerechnet, dem zehnten Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl. Bauzeit ca. 10 Jahre.


16. Mai 1995: Die ukrainische Regierung legt neue Stillegungspläne vor. Der erste Reaktor von Tschernobyl soll 1997, der Reaktor 3 im Jahr 1999 endgültig abgeschaltet werden. Für die Schließung von Tschernobyl fordert die Ukraine 4 Milliarden Mark von den G7-Staaten. Die Stromversorgung soll von einem Gaskraftwerk übernommen werden.


8. Dezember 1995: In einem Tschernobyl-Memorandum legen die Ukraine und die G7-Staaten die Stillegung der zwei noch funktionierenden Reaktoren in Tschernobyl fest. Nach der Aussage des ukrainischen Umweltministers Kostenko ist jedoch in dem Memorandum kein fester Zeitpunkt mehr festgelegt. Von westlicher Seite wird dies bestritten.


Die Folgen von Strahlung


Mit der radioaktiv versuchten Wolke wurde eine rund 200fache Menge an Radioaktivität freigesetzt wie bei den Atombombenabwürfen von Hiroshima oder Nagasaki. Die Folgen dieser nuklearen Katastrophe sind auch heute, zehn Jahre nach dem Unfall, noch immer nicht in ihrer ganzen Tragweite absehbar. Besonders betroffen sind die Menschen, die in verstrahlten Gebieten in Weißrußland, der Ukraine und Rußland leben. Die gesundheitliche, wirtschaftliche und ökologische Zukunft ganzer Regionen ist für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zerstört. In Weißrußland, der Ukraine und Rußland leben heute 5,8 Millionen Menschen in Gebieten, die mit einer Strahlung von mehr als 185.000 Becquerel pro Quadratmeter (Bq/m2) Boden belastet sind. Zum Vergleich: In den sechziger Jahren, während der Hochphase der oberirdischen Atombombenversuche, kam es zu Spitzenbelastungen von rund 5.000 Bq/m2. Insgesamt leben rund neun Millionen Menschen in potentiell gesundheitsgefährdenden Gebieten. Allein in der Ukraine werden offiziell über drei Millionen Menschen als Tschernobyl-Betroffene eingestuft. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) geht davon aus, daß gesicherte Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß an strahlenbedingtem Siechtum und Tod in Folge von Tschernobyl frühestens in 20 Jahren vorliegen werden.

Unmittelbar nach dem Unfall starben laut offiziellen Angaben 31 Menschen an Verbrennungen und akuter Strahlenkrankheit.  Zwei- bis dreihundert weitere schwere Krankheitsfälle wurden gemeldet. Hiervon betroffen waren Angehörige des Betriebspersonals, Feuerwehrleute sowie Soldaten, die an Aufräumarbeiten beteiligt waren. Insgesamt wurden nach dem Unfall etwa 800.000 Personen zu Räumungs- und Dekontaminationsarbeiten am zerstörten Reaktorblock eingesetzt - meist junge Wehrdienstleistende, die aus der gesamten Sowjetunion zusammengezogen wurden. Von diesen Katastrophenhelfern, im sowjetischen Sprachgebrauch "Liquidatoren" genannt, sind bis heute mindestens 7.000 Menschen verstorben. Die Selbsthilfegruppe der Liquidatoren sprach allerdings schon vor einigen Jahren von bis zu 10.000 Toten. Anderen Angaben zufolge starben bisher bereits 15.000 Personen aus dieser Gruppe. Über die Zahl der erkrankten Liquidatoren liegen keine gesicherten Daten vor. Die WHO spricht jedoch von etwa 125.000 Erkrankten. Zu den Gesundheitsschäden, die bei Liquidatoren in den ersten Jahren nach dem Unfall festgestellt wurden, gehören vor allem Erkrankungen des Zentralnervensystems, des Herz-Kreislaufsystems, der Verdauungsorgane sowie Störungen im Immunsystem. Nach offiziellen Angaben wurde eine Zunahme von Leukämie bisher nicht nachgewiesen, wohl aber von festen Tumoren in der Lunge, den Bronchien und im Magen. Darüberhinaus sind Hauterkrankungen häufig, die in vielen Fällen plastische Operationen erforderlich machen. Auch Krankheiten der Augen und verschiedene neurologische Störungen treten häufig auf. Jeder fünfte Liquidator leidet unter Schlafstörungen. Die Selbstmordrate unter den Betroffenen liegt mit 19 Prozent überdurchschnittlich hoch. Von den 200.000 ukrainischen Liquidatoren wird heute ein Viertel offiziell als arbeitsunfähig eingestuft. 38 Prozent ihrer russischen Kollegen gelten als krank.

Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern vor und nach dem Unfall:

Jahr:











Rußland











Ukraine











Weißrußland













Innerhalb der nächsten 30 Jahre werden noch bis zu 50.000 Fälle erwartet.


Der Anfang vom Ende der Atomindustrie?


Was sich in den 10 Jahren seit der Tschernobyl-Katastrophe getan hat


Tschernobyl hat der Atomwirtschaft zwar geschadet, doch die großen Reaktoren laufen zehn Jahre später noch fast alle. Der folgende Artikel zeichnet die Strategien der AKW-Betreiber in dieser Zeit nach, zeigt, wo ihre Politik gescheitert ist, und welche Chancen sich für die Anti-AKW-Bewegung daraus in naher Zukunft entwickeln können. (Red.)

Als vor zehn Jahren die radioaktive Wolke aus Tschernobyl über Europa zog, als bisher exotische Maßeinheiten wie Becquerel oder rem, Curie oder Sievert plötzlich zur Allgemeinbildung zählten, da waren viele Menschen der Überzeugung, daß damit das Ende der Atomenergienutzung besiegelt sei. Der Schrecken, daß wirklich eintreten kann, wovor kritische WissenschaftlerInnen und die Anti- AKW-Bewegung immer wieder gewarnt hatten, saß tief. Unzählige gingen damals auf die Strasse und forderten die sofortige Stillegung aller Atomanlagen. Bald waren Energiewendeszenarios in Umlauf, die zeigten, daß diese Forderung wirklich umsetzbar ist. Die Atomindustrie und ihre Lobby in der Regierung wehrte sich mit allen Mitteln. Zuerst wurde versucht, das Problem auf die unsicheren Ost-Reaktoren zu beschränken. Die deutschen AKWs seien die sichersten der Welt. Dann wurde in Bonn ein neues Ministerium (Umwelt und Reaktorsicherheit) geschaffen, um eigenes Handeln vorzutäuschen. Aufgrund der Verunsicherung in der Bevölkerung bezüglich der radioaktiven Belastung von Lebensmitteln gelang es relativ schnell, den Schwerpunkt der Debatte weg vom Betrieb der Atommeiler und hin zu der Diskussion um Grenzwerte zu lenken. So war einige Monate nach Tschernobyl die Frage, was mit relativ gering strahlender Molke zu geschehen habe, von größerem öffentlichen Interesse, als die Gefahr eines Super-GAU in deutschen AKWs. Gleichzeitig wurden Demonstrationen wie z.B. in Wackersdorf von massiven Polizeieinsätzen behindert und zahlreiche AktivistInnen mit Strafprozessen überzogen.

Die AtomikerInnen verfolgten in den ersten Monaten und Jahren nach der Reaktorkatastrophe folgende Ziele: Die bereits in Betrieb befindlichen Kraftwerke sollten um die Stillegung herumkommen und die kurz vor der Inbetriebnahme stehenden Reaktoren (z.B. in Neckarwestheim und Brokdorf) sollten ans Netz gehen, damit sich die horrenden Baukosten amortisieren können. Diese Ziele wurden erreicht. Selbst der Beinahe-GAU im AKW Biblis und der Bestechungs-Skandal um die Hanauer Atomtransport-Firma Transnuklear 1987 hatten darauf keinen Einfluß.

Doch die Erfolge der Atomindustrie in der Defensive mußten teuer erkauft werden. An die Realisierung neuer AKW-Projekte war nicht im Traum zu denken. Die Reaktorbauer von Siemens-KWU entließen nach und nach einen Großteil ihrer Belegschaft. Zahlreiche sogenannte Zukunftsprojekte mußten aufgegeben werden: Der Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop, der Schnelle Brüter in Kalkar und vor allem die heftig umkämpfte Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf wurden teilweise über Nacht zu riesigen Investitionsruinen.

Im Laufe der Jahre verschwanden alte Argumente und neue kamen auf den Tisch. Niemand redet inzwischen mehr davon, daß ohne Atomstrom die Lichter ausgehen. Jetzt ist es das Klima, welches durch die AKWs gerettet werden soll. Doch die Werbekampagnen der AKW-Betreiber haben wenig Erfolg. Die atomkritische Stimmung in der Bevölkerung bleibt konstant erhalten, auch wenn zwischenzeitlich nur noch wenige in Anti-Atom-Initiativen aktiv waren.

Nachdem die Auseinandersetzung in den Jahren nach Tschernobyl mit einem Patt endete (die Atomindustrie warf zugunsten der bestehenden AKWs umstrittenen Ballast ab), begann die mühsame Auseinandersetzung um die laufenden Anlagen. Die Bilanz nach zehn Jahren:

Es ist bisher nicht gelungen, konkrete Planungen für AKW- Neubauten durchzusetzen. Die nach der Annektierung der DDR kurzzeitig erwogene Fertigstellung der Reaktoren in Stendal wurde bereits nach der ersten größeren Demo an der Baustelle aufgegeben. Auch die Greifswalder AKWs mußten stillgelegt werden. Damit gibt es im deutschen Osten keinen kommerziell genutzten Reaktor mehr.

Von den 21 westdeutschen Leistungsreaktoren sind zwei auf Dauer vom Netz genommen. Das AKW Mülheim-Kärlich ist seit Jahren gerichtlich blockiert.  Der Reaktor in Würgassen wurde aufgrund technischer Probleme von den Betreibern 1995 aufgegeben. Bei anderen Kraftwerken mußten immer wieder längere Stillstandszeiten in Kauf genommen werden. Mit den anderen Anlagen in Brunsbüttel, Krümmel, Obrigheim und Biblis konnten die Stromkonzerne so teilweise über Jahre keine müde Mark erwirtschaften. Nach langer Auseinandersetzung gab Siemens die Brennelemente-Fertigung in Hanau auf.

Im Streit um den Atommüll konnten die Projekte in Ahaus (Zwischenlager), Gorleben (Zwischenlager und Endlager, Konditionierungsanlage), Salzgitter (Endlager) und Greifswald (Zwischenlager) teilweise um mehr als ein Jahrzehnt verzögert werden. Das Ausweichen der AKW-Betreiber ins Ausland ist kostenintensiv und umstritten. Die Atommülltransporte zur Wiederaufarbeitung nach Sellafield und La Hagü sind seit Jahren bevorzugtes Aktionsziel der Anti-AKW-Bewegung.

Die 1992 begonnenen sogenannten Energiekonsensgespräche zwischen Bundesregierung und Atomwirtschaft auf der einen und der sozialdemokratischen Partei auf der anderen Seite waren der Versuch, die SPD von ihrer nach Tschernobyl formulierten "sowohl als auch"-Atompolitik wieder auf den rechten Weg zu bringen. So ging es am Anfang darum, die Möglichkeit zukünftiger AKW-Neubauten auszuloten. Die letzten verbliebenen Siemens-ReaktorbauingenieurInnen basteln gemeinsam mit französischen KollegInnen an einem neuen Kraftwerkstyp. Zu der von der Stromindustrie geforderten Investitionssicherheit für Neubauten konnte sich die SPD aufgrund der gesellschaftlichen Stimmung nicht durchringen, obwohl Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder massiv dafür geworben hatte.

Damit blieb den Energiekonzernen auch in den Konsens-Gesprächen nur die Bestandssicherung. Schröder war ihr stärkster Propagandist, indem er sogenannte "Restlaufzeiten" von 30 Jahren vorschlug. Nachdem die ersten beiden Konsens-Runden 1993 und 1995 aufgrund des massiven Drucks aus der Anti-AKW-Bewegung gescheitert sind, geht es inzwischen nur noch um den Atommüll. Die Betreiber wünschen sich eine Klärung in der Entsorgungsfrage, damit sie ungestört weiter strahlende Abfälle produzieren können. Doch damit bewegen sie sich auf dem Politikfeld, in dem die Anti-Atom-AktivistInnen ihre größte Aktionsfähigkeit erhalten haben.

Ein zweites Tschernobyl, darin sind sich die Bundesregierung und AKW-Betreiber einig, würde die Branche wohl kaum überleben. Wie lange sie sich noch über Wasser halten kann, bevor uns (oder ihr) das berühmt-berüchtigte Restrisiko den Rest gibt, hängt entscheidend davon ab, ob sich der Trend der letzten zwei Jahre fortsetzt, in denen die Anti-AKW-Bewegung wieder erfreulichen Zulauf bekommen hat. Vielen wird klar, daß es geradezu zynisch wäre, auf den nächsten GAU oder das Durchrosten der Alt-AKWs zu warten.

Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, daß sich die Atomindustrie nicht von selbst erledigt. Um einmal in militärischen Kategorien zu sprechen: Nur dort, wo sich die Menschen entschieden zur Wehr setzen, können neue Atom-Offensiven verhindert werden und die Rückzugsgefechte der Betreiber sind dann aussichtslos, wenn diejenigen, die sich bei Umfragen immer gegen die AKWs aussprechen, anfangen, ihre Überzeugung in die Tat umzusetzen.

Die Demonstrationen zum 10. Tschernobyl-Jahrestag und der Widerstand gegen die Anfang Mai geplanten nächsten Castor-Transporte nach Gorleben werden zeigen, ob die atomkritische Masse in der Bundesrepublik dazu in der Lage ist, das Patt im Streit um die AKWs zu beenden. 1997 kann der Anfang vom Ende der Atomindustrie sein. Es liegt an jedem und jeder Einzelnen.









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