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Die Stellung der Wunder in den fruhen Franziskuslegenden bis zur Legenda Aurea




Proseminar-Arbeit


Die Stellung der Wunder in den frühen Franziskuslegenden bis zur Legenda Aurea


Zum Legendenverständnis

In unserem heutigen Sprachgebrauch haftet dem Wort "Legende" etwas von Lüge, Erdichtung und Fälschung an. Es wird verwendet, wenn man einen Bericht über historische Personen oder Tatsachen als freie Erfindung bezeichnen will und gerät damit in eine Linie mit den Gattungen Märchen und Sage.[1] Laut Hans-Peter Ecker nehmen die Legenden auf einem Gattungsfächer eine "mittlere Position zwischen unbedingter Wahrheit und Lüge (bzw. reiner Erfindung) ein" .



Dieser Abschnitt will die Entwicklung der Legende nachzeichnen, besonders die religiöse Legende und ihre Funktionen beleuchten und so zu einem umfassenderen Legendenverständnis führen.


1.1 Name und Begriff "Legende"


Dem Wort "Legende" liegt das lateinische Gerundiv legenda, also "das, was gelesen werden soll oder muss", zu Grunde. Der ursprüngliche Begriff hat mit dem, was wir heute unter "Legende" verstehen, nichts zu tun.[3] Der Charakter der Lesbarkeit und die Aufforderung zum Lesen steht im Vordergrund.

Der Brauch der christlichen Kirche, am Jahrestag der Heiligen beim Gottesdienst oder während der Mahlzeit im Kloster die Lebens- und Leidensgeschichte des jeweiligen Heiligen oder Märtyrers vorzulesen, führte dazu, dass die "Legende" im religiösen und auch literarischen Bereich die Bedeutung "Heiligenlegende" angenommen hat. Traf man bis ins 13. Jh. noch eine Unterscheidung zwischen den "Legenden" über Heilige, die keine Märtyrer sind, und den "Passiones" über die Märtyrer, verwischte sich dieser Unterschied bald und die "Legende" wurde zur Bezeichnung der "literarisch fixierten Heiligen-Vita"[4] überhaupt.

Die Legende hat sich also aus der Heiligenverehrung entwickelt, wobei es seit Anbeginn um die literarische Vergegenwärtigung der Menschwerdung Christi ging. Die mit seine Gestalt verbundenen Erzählungen bildeten den Prototyp der christlichen Legende, der durch seinen erbaulichen und belehrenden Charakter und vor allem das Element des Wunderbaren gekennzeichnet ist.[5]

Im 15. Jh. wurde der Legendenbegriff erneut erweitert, um die Bezeichnung eines "nicht recht beglaubigten Berichtes"[6], und im 16. Jh. kam die Nebenbedeutung einer unglaubhaften und unwahrscheinlichen Erzählung dazu.

Diese Entwicklung lässt schon den Ursprung für unser heutiges Verständnis der Legende als unglaubwürdige Erzählung oder sagenähnliche Geschichte erahnen. Ausschlaggebend war jedoch wahrscheinlich die polemische pseudo-etymologische Abwandlung des Wortes als "Lügende" im Zuge der Kämpfe der Reformationszeit und die Nachbarschaft zu Frankreich, wo für "Legende" und "Sage" nur ein Wort, nämlich légende, existiert.[7]


1.2 Literaturwissenschaftliche Zugänge zur Legende[n1] 


Genauso wie der Begriff der "Legende" waren auch die Zugänge der Legendenforschung einem steten Wandel unterworfen. Die wichtigsten Stationen, besonders aus dem Beginn dieser Entwicklung, seien hier kurz charakterisiert.

Die Geschichte der Legendenforschung begann in den achtziger Jahren des 19. Jh. mit dem Versuch, die Legendenhelden als unmittelbare Nachfolger vorchristlicher Götter zu sehen. Dieser Ansatz von Hermann Usener und seiner Schule wurde aber bald wieder verworfen.[8]

Kurz danach, 1890, kontrastierte der Theologe Andreas von Harnack die Legende mit der Geschichtsschreibung, die für ihn der Mitteilung von Realbezügen dient, wogegen der Legende die dichterisch-religiöse Deutung solcher Realität zukommt. Wilhelm Wundt sprach 1906 den religiösen Aspekt bewusster an, widersprach sich aber selber, indem er einerseits betonte, es gäbe keine von der jeweiligen Religion gelöste Legende und andererseits alle möglichen Götter- und Heroensagen als echte Mythen ansah. Er verwischte damit wieder den zaghaften Ansatz der Grenzziehung zwischen Märchen, Sage, Mythus und Legende.

Auf die Eigenart der Legende konzentrierte sich erst die neuere, gegenstandsbewusste Literaturwissenschaft der dreißiger Jahre des 20. Jh. in ihrem Bemühen um Formverwirklichung und das Gattungshafte. Günther Müller knüpfte 1930 bezüglich der Bindung der Legende an Kult oder Religion an Wundt an und wies auf die Durchkreuzung theologischer und literarischer Gesichtspunkte hin. Problematisch scheint aber sein Vergleich der Legende mit der Novelle, in derer beider Mittelpunkt ein einzigartiges Ereignis stehe, das in der Legende aber durch eine überirdische Macht bewirkt werde.[9] Gegen diese Bestimmung spricht die Tatsache, dass es auch Legenden ohne jede Wundererzählung gibt.

Im gleichen Jahr veröffentlichte auch André Jolles seine Überlegungen zur Legende, die er an die Spitze der "einfachen Formen"[10] setzte und in deren Mittelpunkt die "Geistesbeschäftigung der imitatio eines in Tugend Bewährten" , die sich in der Legende sprachlich äußere, stünde. Eine zweifellos wichtige Überlegung im Zusammenhang mit den Legenden über den heiligen Franziskus. Er stellte fest, dass "der Legendenheilige nicht von sich aus und für sich existiere, sondern daß er für die Gemeinschaft da sei" und die Gläubigen zu Dankbarkeit und Gotteslob entflammen sollte. Joseph Dabrock ging 1934 noch einen Schritt weiter; für ihn sollte die Legende die Existenz Gottes beweisen.

Hellmut Rosenfeld plädierte im Gegenzug zu dieser vorgeschlagenen Ausweitung des Begriffes für eine erneute Einschränkung auf die Definition, die bis zum 16. Jh. Gültigkeit hatte, nämlich die "dichterische Wiedergabe des irdischen Lebens heiliger Personen"[13]. Seine griffige Formel, dass die Legende eine "Art religiöser Heldensage" sei, wurde in der Folge häufig reproduziert. Ziel der Legende sei das Kundtun der Ansprechbarkeit des Heiligen und seiner Berufung zu Fürbitte und Hilfe.

In eine ähnliche Kerbe wie Joseph Dabrock schlug auch Max Lüthi 1947 in seiner Gegenüberstellung von Volksmärchen und Legende. Das Wunder, so Lüthi, sei im Märchen etwas Selbstverständliches, in der Legende jedoch eine Offenbarung des alles beherrschenden Gottes. Die Legende gebe Antworten auf Fragen und ordne das Geschehen in dogmatischem Zusammenhang.


1.3 Die Heiligenlegende


Legenden gibt es in den verschiedensten Kulturen und auch außerchristlichen Religionen. Für das Christentum ist sie vor allem wegen der Heiligenverehrung so bedeutsam geworden.

Scheint die Heiligenverehrung auf den ersten Blick Widerspruch zum monotheistischen Charakters des Christentums zu sein, hat sie bei näherer Betrachtung doch ihre Berechtigung. Gläubige traten mit kleinen Bitten und Anliegen nicht gerne unter das Angesicht Gottes, sie vertrauten sie lieber Heiligen an, in deren Bilder sich die Jenseitsvorstellungen kongretisierten. Auch Märtyrer, die laut des Glaubens direkt zu Gott emporsteigen, wurden immer schon gerne um Fürbitte bei Gott gebeten. Alsbald fand die Heiligenverehrung ihren Niederschlag in der Liturgie, in Messe und Brevier. Täglicher Kontakt mit den Heiligen gehörte zu den Selbstverständlichkeiten spätmittelalterlichen Lebens.[15]

Es waren meistens Wunder, die die Verehrung von Heiligen hervorriefen und verbreiteten. Dabei spielte die historische Existenz und die kirchliche Beglaubigung der Heiligen und derer Wunder zunächst eine eher geringe Rolle, das Volk war großzügig in der Wahl seiner Heiligen. Gelegentlich wurden auch erdichtete Gestalten mit einem allzu vorbildlichen Leben zu Heiligen erhoben. Um dem Einhalt zu gebieten, hat sich die Kirche um 950 allmählich eingeschaltet und Kanonisierungsverfahren eingeführt, die seither der Erhebung zum Heiligen vorausgehen.[16] Bis heute jedoch ist der Nachweis der Wundertätigkeit des betreffenden Heiligen feste Voraussetzung für jede Heiligsprechung.

Mit dem aufkommenden Bild- und Reliquienkult verknüpften sich auch Geschichten über Gebetserhörungen, die die Macht des Heiligen bezeugen und bestätigen. Neben den Votivbildern, die man oft an Wallfahrtsstätten findet, hielten vor allem die "Mirakelbücher" Begebenheiten solcher Art fest. Wurden Gebetserhörungen auch als eigene Erzählung oder als Anhang zu der Legende des Heiligen weitergegeben, spricht man von "Mirakelerzählungen".

Der rasante Aufstieg der Heiligenlegende, laut Ingeborg Glier, "Reflex und zugleich Verbreitungsmedium des Heiligenkultes"[17], entsprang dem Wunsch, über das Leben heiliger Personen Näheres zu erfahren und dabei die altbekannten religiösen Leistungen "in einem heiligenmäßigen Vorleben sinnvoll vorgebildet zu sehen" . So sind die wunderreichen Geschichten von der Geburt und Kindheit Christi im Evangelium die ältesten christlichen Legenden, die wir kennen.

Im Zuge der literarischen Verarbeitung der Heiligenleben wurden die historischen Begebenheiten der Märtyrer und Heiligen dichterisch überarbeitet und mehr oder weniger ausgeschmückt. So schöpfte die Legende gerne aus orientalischen Quellen und aus dem hellenistischen Roman und griff selbst Märchenmotive oder mythische Motive auf, ohne damit jedoch den christlichen Charakter der Erzählung zu beeinträchtigen.[19]

Die lateinischen Heiligenviten sind zwar ursprünglich einzeln entstanden, wurden aber in variablen Sammlungen, den "Legendaren", vereinigt, in deren Vor- und Nachworten der Herausgeber sich häufig äußerte, wie der Leser die Geschichten aufzunehmen habe und welchen Gebrauch er von ihnen machen sollte.[20] In Bezug auf die Legendare brachte das 13. Jh. eine einschneidende Neuerung. Vereinten die bisherigen Legendare Originallegenden verschiedener Herkunft ohne redaktionelle Eingriffe, wurde der neue Typ dadurch konstituiert, dass die einzelnen Beiträge für die Sammlung nach einheitlichen Gesichtspunkten redigiert und verkürzt wurden.

Dem "populär-hagiographischen Anliegen"[21] der Predigerorden entsprangen die "Kurzlegendare", die hagiographische Stoffe möglichst vollständig auch außerhalb des klösterlichen und liturgischen Bereichs literarisch allgemein zugänglich machen wollten. Das meistverbreitete Werk des 13. Jh. war dabei zweifellos Jacob de Voragines Legenda Aurea, auf die im Zuge dieser Arbeit noch genauer einzugehen sein wird.


Die Franziskusviten des Thomas von Celano


Thomas von Celano, der noch zu Lebzeiten des heiligen Franziskus in den jungen Orden eintrat, schrieb zwei Viten und ein Mirakelbuch über den Heiligen. Der folgende Abschnitt soll diese Werke und ihre Entstehung, unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Wunder in ihnen, kurz vorstellen.


2.1 Das Leben des Thomas von Celano


Thomas, der zwischen 1185 und 1190 geboren wurde[22], stammt aus Celano, einem kleinen Städtchen in den Abruzzen. Nachdem Franziskus aus Spanien zurückgekehrt war, trat Thomas in den Orden ein und wurde wahrscheinlich zunächst einer Brüdergruppe bzw. Ordensprovinz zugewiesen.

Eine gesicherte Nachricht über Celano bringt erst das Jahr 1221. Auf dem Pfingstkapitel dieses Jahres wurde er nämlich einer Schar von 27 Brüdern zugeteilt, die unter der Führung Cäsar von Speyers den Orden endgültig in Deuschland einführen sollte. Nachdem die Brüder auf die verschiedenen Gegenden Deutschlands verteilt worden waren, setzte Speyer 1223 Thomas von Celano als Kustos für Mainz, Worms und Köln ein. Offensichtlich genoss Celano unter den Brüdern ein gewisses Ansehen und Vertrauen, wurde er doch bald darauf vom schon amtsmüde gewordenen Speyer zum Vikar bestellt.

Wann Thomas von Celano genau nach Italien zurückkehrte und wo er sich dort aufhielt, ist unbekannt. Als gesichtert kann jedoch gelten, dass Celano am 16. Juli 1228 der Heiligsprechung von Franziskus in Assisi beiwohnte.

Um diese Zeit beauftragte Papst Gregor IX. Thomas, eine Vita des heiligen Franziskus zu schreiben, für dessen Ausarbeitung dieser sich auf jeden Fall in Assisi und Umgebung aufhielt. Spätestens 1229 war diese erste Vita abgeschlossen und vom Papst bestätigt worden; über die Zeit nach der Fertigstellung des Werkes liegen jedoch keine Nachrichten vor. Teile der Vita I hat Celano wahrscheinlich um 1230 zu der kurzen Legenda ad usum chori (Chorlegende) zusammengestellt.[23] Auf dem Generalkapitel zu Genua 1244 erteilte der Generalminister Crescentius von Jesi Celano den Auftrag, eine zweite Vita über Franziskus in Angriff zu nehmen, die zwischen August 1246 und Mai 1247 entstanden ist. Wiederum bedingte diese einen Aufenthalt in Assisi. Unter dem Generalat des Johannes von Parma, der auch die Vita II bestätigte, verfasste Celano zwischen 1250 und 1252 schließlich noch das Mirakelbuch.

Nach solch reicher schriftstellerischer Tätigkeit dürfte Celano, der nun wohl schon an die siebzig Jahre alt war, sich in ein Klarissenkloster nahe seiner Heimat zurückgezogen haben, das er als Kaplan betreute. Er starb dort um 1260 und wurde in der Klarissenkirche begraben.


2.2 Die Vita I


Die erste Vita des Thomas von Celano war, wie schon erwähnt, ein Auftragswerk von Papst Greogor IX.; das stellt der Autor gleich im Prolog klar.

Da Celano sich nicht zum engsten Kreis der Brüder um Franziskus zählen konnte und bei weitem nicht für alles Augen- und Ohrenzeuge war, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu "glaubwürdigen und zuverlässigen Zeugen"[24], in erster Linie die engeren Gefährten des Heiligen wie Bruder Elias oder die heilige Klara, zu gehen, die vor allem in und um Assisi zu finden waren.

Darüber hinaus hatte Celano wohl auch schriftliche Unterlagen zur Verfügung, wie etwa die nicht bullierte und die bullierte Regel des Ordens, das Testament Franziskus', den "Sonnengesang", päpstliche Schreiben, die den Orden betreffen und die Enzyklika, mit der Bruder Elias dem ganzen Orden den Tod des heiligen Franziskus und die Tatsache der Wundmale offiziell bekanntgab.

Das Werk selbst zerfällt in drei Teile. Das erste Buch enthält die Geschichte des heiligen Franziskus von seiner Jugend bis zum 25. Dezember 1223, wobei allerdings die chronologische Ordnung nicht immer gewahrt bleibt. Das zweite Buch schildert sehr kurz die Ereignisse der zwei letzten Lebensjahre des Heiligen und weit ausführlicher die Stigmatisation, den Heimgang und das Begräbnis. Das dritte Buch befasst sich mit der Heiligsprechung und dem Kanonisationsverfahren, das im Falle des heiligen Franziskus jedoch höchstens in verkürzter oder vereinfachter Form stattgefunden hat.[25]

Schon im ersten Buch sind einige Wunder eingestreut, so etwa die Heilung von Lahmen und Blinden oder die Befreiung von Dämonen und der Fallsucht.[26] Bald jedoch kehrt Celano, dessen Absicht es ja ist, "sein [Franziskus, Anm.] vortreffliches Leben und seinen ganzen lauteren Wandel aufzuzeigen" , zu der Beschreibung des Lebens von Franziskus zurück. Weit mehr Raum räumt Celano den Wundern im dritten Buch ein, wo er dem Bericht über die Heiligsprechung eine vollständige Liste der Wunder anfügt, die bei der Kanonisation verlesen wurden. Diese Liste ist thematisch geordnet und umfasst die Heilung von Gelähmten, von Blinden, Besessenen und Todkranken, von Aussätzigen, Stummen und Tauben.

Celano ging es in dieser ersten Vita vor allem darum, die Heiligkeit von Franziskus aufzuzeigen und er bietet dafür "wertvolles, wenn auch nicht vollständiges Material für das Leben des Heiligen und die Frühzeit des Ordens"[29].


2.3 Die Vita II


Auch die zweite Vita Celanos war eine Auftragsarbeit, diesmal vom Generalminister Crescentius von Jesi, der auf dem Generalkapitel zu Genua 1244 den Brüdern des Ordens befahl, "alles zu sammeln, was sie über Leben [] und Wunder des [] Franziskus [] wüßten, und es ihm schriftlich zuzuleiten"[30]. Crescentius gab dann Celano den Auftrag, unter Verwendung des Materials, das ihm zugeschickt wurde, ein zweites Werk über Franziskus zu verfassen. Viele Episoden und Ereignisse, die mündlich tradiert worden waren und weder in Celanos Vita I noch in der um 1230 entstandenen Vita des Julian von Speyer festgehalten waren, sollten dadurch vor dem Vergessen bewahrt werden.



Neben Berichten und Erinnerungen von Brüdern, die in den letzten Lebensjahren um Franziskus waren, aber in der Vita II nicht namentlich genannt werden, diente vor allem die Dreigefährtenlegende, verfasst von den Brüdern Leo, Rufinus und Angelus unter Mithilfe einiger anderer Brüder, als Quelle für Celanos Werk. In dieser "beste[n] Schilderung des Zusammenlebens des heiligen Franziskus mit seinen Brüdern"[31] berichten die Brüder, was sie "mit eigenen Augen gesehen oder [] von anderen heiligen Brüdern erfahren" haben. Sie vergleichen ihre willkürliche Sammlung von Legenden mit "Blumen, die nach [ihrer] Meinung besonders schön sind" und mit denen sie "sein [Franziskus, Anm.] hervorragendes Ordensleben und seinen Willen, der Gott wohlgefiel" aufzeigen wollen. Aber auch die Schriften des Heiligen wurden in weitaus größerem Maße als in der Vita I herangezogen.

Die Vita II, laut Grau eine "gelungene Synthese des ihm zur Verfügung gestellten Materials"[35] hat zwei Teile. Das erste Buch umfasst nur 17 Kapitel, in denen es hauptsächlich um die Bekehrung von Franziskus und die ersten Anfänge des Ordens geht. Das zweite Buch, erheblich breiter angelegt, besteht aus 167 Kapiteln und behandelt mehr thematisch als chronologisch verschiedenste Aspekte des Lebens des heiligen Franziskus. Es ergänzt von seinem Inhalt her die Vita I und der Autor versucht, bis auf wenige Berührungspunkte, schon in der Vita I Gesagtes nicht noch einmal zu erwähnen.

In der Einleitung des zweiten Buches erläutert der Autor seine Absicht, nämlich den Brüdern der zweiten Generation, die Franziskus nicht mehr persönlich erlebt haben, einen "Spiegel der Vollkommenheit seines beispielhaften Lebens vorzuhalten"[36], mit dessen Hilfe sie einen gesunden Mittelweg nach der Regel verwirklichen sollten. Diese Absicht lässt schon erahnen, wie wichtig in der Vita II die Beispielhaftigkeit des Lebens von Franziskus ist. Entsprechend zurückhaltend verfuhr der Autor auch mit Wunderberichten, die er nur da und dort äußerst sparsam beifügte.


2.4 Das Mirakelbuch


Offensichtlich war Thomas von Celano den Brüdern bezüglich der Wunderberichte in seiner Vita II etwas zu zurückhaltend und so gab der neue Generalminister Johannes von Parma Celano den Auftrag, auch eine neue Wundersammlung zusammenzustellen. Da man aber nicht alle Vorkommnisse, von denen berichtet wird, als eigentliche Wunder bezeichnen kann, wurde für das Werk der umfassendere Titel Mirakelbuch gewählt.

Das Traktat ist in 19 Kapitel eingeteilt und umfasst Wunder und wunderbare Begebenheiten, die zu Lebzeiten des heiligen Franziskus oder nach seinem Tod auf seine Fürbitte hin geschehen sind. Bemerkenswert ist, vielleicht auf Grund einer gewissen Aversion des Verfassers gegen den erteilten Auftrag, dass Celano als das Wunder im Leben des heiligen Franziskus die Entstehung des Ordens und dessen erstaunlich schnelle Entfaltung an die Spitze des Mirakelbuch[es] stellte.[37] Danach folgt ein Bericht über die Stigmatisation, der das Wunder "auch in Beziehung zum Mysterium des Kreuzes setzt, welches das innerste Geheimnis dieses Heiligenlebens ist" . Erst nach ausführlicher Betrachtung dieser beiden Wunder, die die heilsgeschichtliche Bedeutung des heiligen Franziskus, wie auch die seines Ordens unterstreichen, werden all die anderen Mirakel, die Franziskus in seinem Leben und nach seinem Tod gewirkt hat, geschildert.

Eine Menge dieser Mirakel sind eine Wiederholung der schon in der Vita I und II erzählten Wunder, wobei diese nicht ins Legendenhafte fortgebildet, sondern oft wortgetreu von dem Verzeichnis der Wunder, das am Grab des heiligen Franziskus geführt wurde, in das Traktat übernommen wurden. In Bezug auf die Stigmatisation hält sich der Autor an Zeugenberichte der engsten Gefährten, die wie schon in der Dreigefährtenlegende beteuern, dass sie alles "gesehen, mit den Händen [] betastet, [] aus tränenden Augen [] benetzt, [] und [] nach ehrfürchtiger Berührung einmal beschworen"[39] haben.

Nicht zu unterschätzen ist der Wert des Mirakelbuches für die Geschichte der damaligen Brüder. So erfährt der Leser unter anderem auch einiges über die Verehrung des Heiligen, über die Gelübte, die man ihm gemacht, über die Feier seines Festes, über Bilder von ihm und seinen Legenden.


2.5 Großes und Kleines Franziskusleben des Bonaventura


Im Jahre 1260 beauftragte das Generalkapitel von Narbonne, den Generalminister Bonaventura, ein neues Franziskusleben zu schreiben, und zwar ein ausführlicheres für die Tischlesung und ein kürzeres für den Chorgebrauch. 1263 approbierte das Generalkapitel Bonaventuras Großes und Kleines Franziskusleben, in denen dieser "alles zusammengetragen [habe], was er aus dem Munde jener Männer erfuhr, die gleichzeitig mit ihm gelebt und die alles genau wissen konnten"[40] als die im Orden allein anerkannten Legenden und verfügte die Vernichtung aller früheren Legenden über Franziskus.

Dieser Kapitelbeschluss, dem die Handschriften der Celano-Trilogie fast restlos zum Opfer fielen, ist auf zweierlei zurückzuführen. Zum einen war es wünschenswert, alles über Franziskus in einer Legende vereint zu haben, waren die Legenden des Celano doch zu lang für die Lesung bei Tisch und enthielten sie zudem manch ermüdende Wiederholung. Zum anderen war der Orden zu jener Zeit durch Angriffe von innen und außen bedroht. Im sogenannten "Mendikantenstreit", der in Paris seinen Ausgang nahm, wurde die seelsorgerische Tätigkeit der neuen Orden und ihre evangelische Lebensform überhaupt in Frage gestellt. Daneben waren in den Ordens unter Bonaventuras Vorgänger, Johannes von Parma, der "Joachinismus" und die Ideen des Joachim von Fiore, besonders dessen trinitarische Geschichtslehre[41] eingedrungen.

Auf beide Angriffe antwortete Bonaventura derart gezielt, wie es Celano noch nicht möglich gewesen war. Indem er Franziskus Jesus Christus zuordnete und nicht dem dritten Weltzeitalter, nahm er dem Joachinismus den Wind aus den Segeln. Manche Berichte Celanos, die Bonaventura ausließ, konnten zudem in den Händen der Gegner zu Waffen werden. Darum der Wunsch nach einer neuen Legende und das Verdikt über die alten.



Die Legenda Aurea


Mit der Legenda Aurea, der "goldenen Legende", schuf Jacobus de Voragine ein "hagiographisches Kompendium, das in der Welt des Mittelalters neben der Bibel die weiteste Verbreitung fand"[42]. Das Werk vermittelt in seinen 190 Legenden Lehr- und Wissensinhalte der Dogmatik, der Liturgie, der Moral und einen Abriss der Welt- und Kirchengeschichte. Darüberhinaus sollte es als Erbauungs- und Andachtsbuch Anweisungen für ein Leben in der Tradition Jesu Christi geben. Gleich einem Mosaik fügen sich am Ende der Lektüre die Einzelkapitel zu einem Gesamtbild zusammen.

Dieser Abschnitt soll den Autor und sein Werk kurz vorstellen und es in Zusammenhang mit den frühen Franziskusviten des Thomas von Celano bringen.


3.1 Das Leben des Jacobus de Voragine


"Die Sendung Gottes, das Evangelium in alle Welt zu verkünden steht als Leitstern über dem Leben und Werk"[44] des Dominikanermönches und späteren Erzbischofs von Genua Jacobus de Voragine. Das geht allerdings auf Kosten seiner Biographie. In keiner seiner Schriften äußert sich Jacobus über Einzelheiten seines persönlichen Lebens, was die Forschung verständlicherweise vor einige Schwierigkeiten stellte.

Allgemein wird davon ausgegangen, dass Jacobus um 1230 in Varazze bei Genua geboren wurde. Dort wurde er einerseits mit dem steigenden Wohlstand des politischen und wirtschaftlichen Zentrums Italiens, als auch mit den herumziehenden und predigenden Bettelorden, der "Antwort der Kirche auf eine sich verändernde abendländische Welt"[45] konfrontiert. 1244 trat er schließlich dem Dominikanerorden bei, was sein Leben und seine Denkweise entscheidend beeinflusste.

Über die ersten Jahre seines Ordenslebens und die Ausbildung, die er innerhalb des Ordens genoss, herrscht Unklarheit. Um 1250 nahm Jacobus die Tätigkeit des Predigens auf und begann parallel dazu mit seiner Legenda Aurea. Es ist allerdings noch nicht geklärt, ob er sich selber zu dieser Aufgabe entschloss oder ob sie von einem Vorgesetzten angeregt wurde. Ab 1258 war Jacobus innerhalb des Ordens zuerst als Subprior, dann als Hausprior in Genua und einigen anderen Städten tätig. 1267 wurde er mit etwa 37 Jahren zum Provinzialprior der Lombardei gewählt. Nun oblag ihm die Verantwortung für eine ganze Provinz, die ungefähr 50 Klöster mit 800 Brüdern umfasste.[46] Nach fünfjähriger Pause wurde er 1281 noch einmal zum Provinzialprior gewählt und blieb bis 1287 in seinem Amt. Seine größte Wirksamkeit innerhalb des Ordens erreichte Jacobus allerdings 1283, als nach dem Tod des vierten Generalministers Johannes de Vercelli über 18 Monate kein Nachfolger gewählt wurde. Jacobus übernahm zusätzlich zu seinem Amt sämtliche Funktionen des Generalministers und leitete so fast zwei Jahre lang den Dominikanerorden.

Auf Grund seiner diplomatischen Erfahrung in politischen Angelegenheiten und seines Rufes als Friedensstifter wollte die römische Kurie nicht auf Jacobus verzichten; bereits 1288-1290 befand er sich unter den Kandidaten für das Amt des Erzbischofes.[47] 1292 wurde er zum Erzbischof von Genua geweiht und musste sich nun in völlig neue Aufgabenbereiche einarbeiten, die politische, wirtschaftliche, juristische und kommunale Aufgaben umfassten. Ein Jahr später begann er mit der Arbeit an seinem letzten großen Hauptwerk, einer Chronik der Stadt Genua.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1298 starb Jacobus de Voragine in Genua und wurde auf eigenen Wunsch in der Kirche der Dominikaner in St. Agidius begraben. 1816 wurde er selig gesprochen.

Die Entwicklung Jacobus' wurde von zwei geistigen Mächten, nämlich dem Papsttum und dem Dominikanerorden, beeinflusst. Er hat gewissermaßen "zwei Formen der Nachfolge Christi verwirklicht"[48], indem er die beiden christlichen Lebensformen, die in der Legenda Aurea dargestellt werden, als Erzbischof von Genua und als Predigermönch zu einer widerspruchslosen Einheit verbinden konnte.


3.2 Die Legenda Aurea - ein Universalkompendium für jedermann


Wie schon in 1.3 angesprochen, entstand die Legenda Aurea in einer Zeit, in der eine neue Entwicklung innerhalb der Hagiographie eingeleitet wurde. Sie gehörte zu den ersten Kompendien, in denen die Legenden durch den Verfasser inhaltlich und stilistisch neu gestaltet wurden und die für ein breites Publikum bestimmt waren. Der unglaubliche Erfolg, der der Legenda Aurea als meist gelesenem Werk neben der Bibel zukam, wird von Sherry L. Reames anschaulich beschrieben: "By the time the first printing presses were established in Europe, the Legenda had already been something of a best-seller for 175 years"[49].

In der Tat bot die Legenda Aurea dem laikalen Publikum umfassende Kenntnisse auf dem Gebiet der Theologie. In der Absicht, Wissen in einer verständlichen Form zu vermitteln, ist sie eine gelungene Synthese aus den unterschiedlichsten hagiographischen Formen. Aber die Legenda wurde nicht nur für den "Hausgebrauch" verwendet, sondern diente auch oft Priestern als Predigthilfe und war als Quelle für Tischlesungen im Kloster oder für die Ausbildung der Novizen von Bedeutung. Die große Verbreitung des Kompendiums ist daher nicht allein auf das Interesse der theologischen Laien, sondern auch auf das Bildungsprogramm des Dominikanerordens zurückzuführen.

Trotz der Fülle an Quellen, die Jacobus de Voragine für seine Legenda konsultiert hat, besticht das Werk durch einen erstaunlich einheitlichen Stil, in dessen übergeordnetem Zusammenhang "jedes Element auf das Ganze hinorientiert ist"[50]. Besonderen Wert legt Jacobus auf die genaue Datierung der Heiligenlegenden und er ist sehr sorgfältig in der Wahl seiner Quellen, die er alle auf ihre Übereinstimmung hin prüft. Durch die Bearbeitungstechnik der "abbrevatio" , der Zusammenfassung, der Reduzierung der Handlung auf die zum Verständnis notwendigen Elemente und des Verzichts auf Ausschmückungen bleibt Jacobus in seinen Aussagen klar und unmissverständlich.

Im Falle sich widersprechender Textzeugen ist Jacobus bemüht, diese aufzuzeigen und zu einer vereinheitlichenden Lösung zu kommen. Mit der Hilfe von Kommentaren greift er ab und zu in die Erzählungen ein und stellt dem Leser zu einem bestimmten Problem mehrere Zusatzquellen vor, damit dieser sich selbst ein Urteil bilden kann. Der Autor ist so in seinem Werk immer gegenwärtig und Teil des über das ganze Kompendium verteilten Lehrsystems, das dem mittelalterlichen Leser das richtige Verständnis und den Zugang zu den Viten der Heiligen und der Geschichte der Kirche erleichtern will.[52]

Im Aufbau und der Strukur der Legenda verdeutlicht sich die eigene Geschichtskonzeption des Jacobus, mit der er dem Leser "das Einwirken Gottes auf den Verlauf der Geschichte vor Augen führen will"[53]. Sein neuer Ansatz einer Weltzeitalterlehre besteht darin, dass er die Heilszeiten mit dem Ablauf des Kirchenjahres und den Festen der Heiligen in Verbindung bringt. Die Geschichte des Heils offenbart sich in dem Leben der einzelnen Heiligen , die aus ihrer "geschichtlichen Einmaligkeit herausgehoben und ins Immergültige transponiert" werden. Die Heiligenlegenden der Apostel, Märtyrer, Mönche und Bischöfe sind in verschiedenen Gruppierungen um die Kirchenfeste angeordnet, die Stationen im Leben Jesu Christi behandeln. Jesus Christus wird so zur Zentralgestalt der Legenda, auf die sich alle Elemente des Kompendiums beziehen und die verhindert, dass das Werk bei all der Fülle des hagiographischen Materials in eine Vielzahl unzusammenhängender Teile zerfällt.


3.3 Die Darstellung des heiligen Franziskus in der Legenda


Innerhalb der Legenda, die ein besonderes Gewicht auf die Entwicklung des Mönchtums legt, bildet die Gründung der Bettelorden durch Dominikus und Franziskus den Höhepunkt und gleichzeitig den chronologischen Abschluss. Das Mönchtum, als Träger der Heiligkeit in der Kirche, hat das "Ideal des apostolischen lebens durch die Jahrhunderte abendländischer Geschichte hindurch bewahrt"[56]. Aber gerade die Mendikanten bilden im 13. Jh. mit ihrem andersartigen Erscheinungsbild und ihrem Sendungsauftrag einen gewichtigen Einschnitt in der Entfaltung des abendländischen Mönchtums.

Franziskus wird von Jacobus als Heiliger dargestellt, der sich in besonderer Weise durch seine Liebenswürdigkeit, seine Naturverbundenheit und die Liebe zu Gottes Schöpfung auszeichnet und der wie kein anderer Heiliger das Armutsideal der religiösen Bewegung des 11. bis 13. Jh. verkörpert.[57]

In einem Prolog erklärt Jacobus zunächst einmal, warum der Heilige seinen ursprünglichen Namen "Johannes" in "Franziskus" umwandelte. Er war nämlich derart erfüllt vom Heiligen Geist und dem Verlangen, zu predigen, dass Gott ihm den neuen Namen gab, damit die "Kunde seiner Heiligkeit sich durch den neuen Klang schneller über die Welt ausbreiten würde"[58]. Nachdem Jacobus die Einzigartigkeit des Franziskus betont hat, stellt er in wenigen Sätzen die Entwicklung des Heiligen dar und geht dann weit ausführlicher auf die Person Franziskus ein, auf diesen Heiligen, der von grenzenloser Liebe zu Gott erfüllt ist und mit seiner Verbundenheit zur Natur und dem Kosmos als Schöpfung und Abglanz Gottes ein neues Lebensgefühl und eine eigene Spiritualität verkörpert.

Eine Reihe von Episoden zeigt dann die Verwirklichung des Armutsideals. Besonders eindrucksvoll ist erwartungsgemäß die, in der sich Franziskus von der irdischen Welt, von seiner Familie, seinen Eltern und Freunden lossagt, indem er sich vor dem Bischof seiner Kleider entledigt und diese seinem Vater zuwirft. Diese Szene hat Jacobus übrigens in verkürzter Form aus der Vita des Thomas von Celano übernommen.[59]



Da in der Legenda, wie schon oben erwähnt, Jesus Christus als Zentralfigur und ständiger Bezugspunkt fungiert, wird auch Franziskus von Jacobus mit Jesus in Verbindung gebracht. Gleich zu Anfang wird er als "Freund Jesu Christi"[60] bezeichnet; Jesus habe Franziskus erschaffen, um in ihm einen Freund zu finden, der ihm ähnlich sei. Neben diesem Gedanken ist der Heilige mit Jesus vor allem durch die Kreuzsymbolik in der Legende und das Wunder der Stigmatisierung, von dem ausführlich berichtet wird, verbunden. Das Wunder wird als Vervollkommnung der "imitatio Jesu Christi" , also der Nachfolge Jesu im Leiden und in der Armut, dargestellt. Es ist quasi die Bestätigung für Franziskus' Wirken.

Neben dem Wunder der Stigmatisation, das aber nicht als Wunder im eigentlichen Sinne, das heißt als Beweis für den Heiligenstatus Franziskus' angesehen wird, werden, wie bei jedem anderen Heiligen, eine Reihe anderer Mirakeln beschrieben. Der Hauptaugenmerk liegt aber trotzdem ganz auf der Beispielhaftigkeit des Wirkens des Heiligen und der "humilitas", der Demut, die die Bettelorden in vorbildhafter Form verkörpern. Jacobus geht sogar so weit, zu behaupten, die Brüder besäßen dank ihrer Demut eine größere Würde als die der Bischöfe, sie seien "vollkommener als der Weltklerus"[62]. Das verinnerlichte Leben der Mönche nach der "vita apostolica" und ihr Ideal der "fraternitas" berechtige sie, sich als die wahren Nachfolger der Apostel und der Urgemeinde zu verstehen und für die Kleriker in der Welt Vorbild zu sein. Diese respektiere und fürchte das Volk vielleicht, aber es höre letztlich nicht auf sie, da ihnen die Übereinstimmung von Worten und Lebenswirklichkeit, von gelehrten Maxinem und ihrer praktischen Umsetzung fehle; eine Übereinstimmung, die sie bei den Bettelorden und Wanderpredigern fanden.


3.4 Übersetzungen der Legenda ins Deutsche


Die Legenda Aurea diente als Hauptquelle für viele theologische Schriften, die gegen Ende des 13. Jh. im deutschen Sprachraum entstanden und wurde auch in drei wichtigen Übersetzungen mehr oder weniger vollständig ins Deutsche übertragen.

Die Elsässische Legenda Aurea entstand um 1350. Der Strassburger Übersetzer hält sich im Bestand der 190 Legenden an seine lateinische Vorlage, bei der Umsetzung des Textes verfährt er aber ziemlich frei. Er erlaubt sich sogar persönliche Anmerkungen, meistens Bestätigungen des Wahrheitsgehaltes bestimmter Episoden, und lässt eine Reihe von Mirakeln, Kommentaren, historischen und gelehrten Details zu Gunsten der Erzählflüssigkeit weg. Das Werk wurde vor allem hagiographisches Handbuch verschiedener Frauenorden.

Bald danach, um 1357, wurde wohl in einem Kloster in Brabant die Erste mittelniederländische Legenda Aurea vollendet. Hier bemüht sich der Übersetzer um eine möglichst lückenlose Vermittlung der Vorlage. In einem polemischen Prolog werden im Gegensatz zum wenig vorbildlichen Leben vieler Weltpriester die Heiligen als die eigentlichen Nachfolger Christi bezeichnet.[65] Besonders die Einsiedler, die hier vor den Bekennern und Märtyrern genannt werden, werden hervorgehoben. Im Zuge der "Windesheimer Kongregation" fand dieses Kompendium rasche Verbreitung bis weit ins deutsche Sprachgebiet hinein, blieb aber vorwiegend auf geistliche Gemeischaften beschränkt.

Zu Ende des 14. Jh. entstand im Nürnberger Dominikanerkloster die Sammlung Der Heiligen Leben, das eine reine Zusammenstellung der Heiligenlegenden ohne der, im Original dazwischenliegenden, Anmerkungen zu den Festen des Kirchenjahres darstellt. Die Sammlung, entstanden aus einer Reform des Predigtordens, war zunächst wohl zur Tisch- und Privatlesung in den Frauenkonventen bestimmt, erreichte aber bald alle lesefähigen Stände und wurde zu einem enormen Erfolg. Sie diente der Lektüre von Laienbrüdern, Weltpriestern, Adeligen, Patriziern, als ikonographisches Handbuch für Künstler und sogar als Quelle für Meistersinger.[66]


Schlussbetrachtung


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Falle des heiligen Franziskus die Wunder in den Legenden eine denkbar geringe Rolle spielen. Viel bedeutsamer ist die Beispielhaftigkeit des Lebens des Heiligen, der derart konsequent das Erbe Jesu Christi antrat, der sich in einer "Zeit der Stärke, Autorität und Macht"[67] derart bewusst schwach, wehrlos und friedfertig zeigte und so zum Vorbild wurde.

Auch in Raoul Mansellis Standardwerk Franziskus: Der solidarische Bruder kommen die Wundertaten des Franziskus kaum zur Sprache. Er betont viel nachhaltiger das Charisma des Heiligen[68], die "persönliche Faszination, die von Franziskus ausging" , seine "Intensität der Menschlichkeit" , den Anstoß an die Gläubigen zur Buße und seine Rolle als "mitfühlender Vater unter seinen Söhnen" . Bemerkenswert scheint Manselli die Festigkeit in der Formulierung des eigenen Ideals und die Flexibilität bei dessen Anpassung an die jeweiligen Umstände, ohne dass dabei je die Grundelemente verfälscht wurden.

Werden Wunder in den ersten Legenden überhaupt erwähnt, dann äußerst zögerlich und nur um der, zumeist päpstlichen Tradition, ein Heiliger müsse doch Wundertaten vollbracht haben, genüge zu tun.

Dieser Usus hatte allerdings nicht lange Bestand, immer mehr wurde Franziskus als "gewöhnlicher Heiliger" angesehen, dessen Legende man einfach einen Wunderkatalog beifügen musste. In der Legenda Aurea  fand diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt; Franziskus wird wie jeder andere dargestellt, seine Legende ist eine Aneinanderreihung von Mirakelgeschichten. Man darf aber nicht glauben, dass diese der Beispielhaftigkeit des Lebens des Heiligen irgendeinen Abbruch taten. Sie wurden bloß als selbstverständlicher Bestandteil einer Heiligenlegende angesehen und nicht mehr, wie in den Anfängen, abgelehnt.


Bibliographie


Benz, Richard (Hrsg.): Die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft 1997.


Celano, Thomas von: Leben und Wunder des heiligen Franziskus. Hrsg. v. Engelbert Grau. Werl: Dietrich-Coelde-Verlag 1994.


Ecker, Hans-Peter: Die Legende: Kulturanthropologische Annäherung an eine literarische Gattung. Stuttgart: Metzler 1993.


Glier, Ingeborg (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur vor den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 3: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Teil 2: Reimpaargedichte, Drama, Prosa. München: Beck 1987.


Grau, Engelbert (Hrsg.): Die Dreigefährtenlegende des heiligen Franziskus von Assisi. Werl: Dietrich-Coelde-Verlag 1993.


Grau, Engelbert: s. Celano


Manselli, Raoul: Franziskus: Der solidarische Bruder. Hrsg. v. Anton Rotzetter. Zürich: Benziger 1984.


Rhein, Reglinde: Die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine. Wien: Böhlau 1995.


Rosenfeld, Hellmut: Legende. Stuttgart: Metzler 1972.


Voragine, Jacobus de: Die elsässische Legenda Aurea. Hrsg. v. Ulla Williams u. Werner Williams-Krapp. Tübingen: Niemeyer 1980.





Vgl. Rosenfeld, S. 2

Ecker, S. 175

Vgl. Grau (Celano), S. 29

Rosenfeld, S. 1

Vgl. Rosenfeld, S. 5

Rosenfeld, S. 1

Vgl. Rosenfeld, S. 2

Vgl. Rosenfeld, S. 5

Vgl. Rosenfeld, S. 8

Rosenfeld, S. 9

Rosenfeld, S. 9

Ecker, S. 146

Rosenfeld, S. 11

Ecker, S. 155

Vgl. Glier, S. 306

Vgl. Rosenfeld, S. 26

Glier, S. 307

Rosenfeld, S. 29

Vgl. Rosenfeld, S. 30

Vgl. Ecker, S. 147

Glier, S. 308

Vgl. Grau (Celano), S. 31

Vgl. Grau (Celano), S. 51



Grau (Celano), S. 34

Vgl. Grau (Celano), S. 38

Vgl. Grau (Celano), S. 138-143

Grau (Celano), S. 143

Vgl. Grau (Celano), S. 203-215

Grau (Celano), S. 38

Grau (Celano), S. 38

Grau (Celano), S. 56

Grau (Dreigefährtenlegende), S. 79

Grau (Dreigefährtenlegende), S. 80

Grau (Dreigefährtenlegende), S. 80

Grau (Celano), S. 47

Grau (Celano), S. 42

Vgl. Grau (Celano), S. 48

Grau (Celano), S. 48

Grau (Celano), S. 49

Grau (Celano), S. 57

Vgl. Rhein, S. 237

Rhein, S. 1

Vgl. Rhein, S. 2

Rhein, S. 1

Rhein, S. 6

Vgl. Rhein, S. 11

Vgl. Rhein, S. 12

Rhein, S. 15

Rhein, S. 17

Rhein, S. 31

Vgl. Rhein, S. 31

Vgl. Rhein, S. 43

Rhein, S. 56

Vgl. Rhein, S. 33

Rhein, S. 49

Rhein, S. 237

Vgl. Rhein, S. 239

Rhein, S. 240

Vgl. Rhein, S. 242

Rhein, S. 240

Rhein, S. 244

Rhein, S. 246

Vgl. Rhein, S. 247

Vgl. Manselli, S. 246

Vgl. Glier, S. 310

Vgl. Glier, S. 311

Manselli, S. 251

Vgl. Manselli, S. 191

Manselli, S. 247

Manselli, S. 253

Vgl. Manselli, S. 193

Manselli, S. 192

Vgl. Manselli, S. 248


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