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Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Bayern- Versuch einer Bilanz nach 55 Jahren





Die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den östlichen Nachbarländern ist schwierig und sehr vielfältig.Besonders eindrucksvoll, bedeutungsvoll und ausdrucksvoll hat das Prof. Losert-ein Künstler der Moderne- in seinem Aquarell "Flüchtlinge" im Jahre 1978 dargestellt. -Folie 1

Es zeigt zwei Frauen, die den Kopf gebeugt haben, schweren Schrittes, ihren Weg gehen. Es scheint, als trügen sie schwere Last auf ihren Schultern, als hätten sie kaum mehr Kraft, ihre Füsse vom Boden abzuheben. Ob das Gedicht von Marie Luise Kaschnitz "Heimat" ihre Gedanken bewegt?

Heimat

"Wer bin ich denn, dass ich mich mit Antäus vergleiche.

Wenig weiss man von ihm,

Nur dass er ein Riese an Kraft war, solange seine Füsse

Heimaterde berührten. Und dass seine Feinde

Ihn aufhoben von der Erde, der Heimaterde,

Da war er ein Schatten, ein Leichtgewicht, ein leicht zu Überwindender,

Machtlos.



Mancher treibt heute dahin, vogelfrei, machtlos.

Und hatte doch einmal ein Haus und sagte "mein Haus",

Und hatte doch einmal Herden von Vieh und sagte "meine Herden",

Und hatte Gerät, über das er bestimmte, sonst keiner.

Und gehört jetzt zu denen, die fremd an den Tischen sitzen,

Die um alles bitten müssen,

Die alles geliehen bekommen,

Die murren



Aber von diesem alleine rede ich nicht.

Nicht von der Besitzheimat rede ich, der Machtheimat,

Die wieder erkämpft wird, immer wieder erkämpft wird, mit Strömen von Blut.

(Warte nur, sagen sie, bis wir wiederkommen.

Wartet nur, sagen sie, bis wir wieder die Herren sind.

Gut gedeiht das Korn, das mit Blut gedüngt ist.

Gut gedeiht dann unser Land.



Auf die Heimat, an die ich denke, können keine Grundbriefe ausgestellt werden,

Keine Übereignungen, keine Erbscheine.

Rache wird nicht geschworen für diese unsere Heimat.

Denn sie kann nicht erobert werden,

Niemals wird sie uns völlig verloren gehen.



Wer von seiner Heimat redet, erweckt viele Erinnerung.

Alle, die ihm zuhören, sehen die eigenen Bilder,

Seine Sehnsucht ist der Stab, der den Quell aus den Felsherzen schlägt,

Sein Heimweh bahnt den Weg durch das Meer des Vergessens.



Brunnen ,sagt er, und tausend Brunnenrohre heben ihr Flötenlied an.

Grünweisses Wasser springt auf die lechzenden Hände.

Westwind, sagt er, vom Ozean treiben die Wolken, Lämmer und Hunde und Riesen,

Über das Tal hin.

Juni,, sagt er und Sensen rauschen durchs Taugras,

Weihnachten, sagt er, im Fenster erglühen die Kerzen, Hunde bellen.

Orion steht über dem Schneefeld



Wer von dieser Heimat redet, meint das Kinderland, das Urland.

Wo alles gross war,

geheimnissvoll war, Wo nichts verging."

(Gedicht Marie Luise Kaschnitz "Heimat)



Fakten- Trends- Probleme


Nach den Zählungen vom 31. Dezember 1937 lebten in den deutschen Ostgebieten sowie in den Staaten Ostmitteleuropas etwa 15,03 Millionen Deutsche, zu denen bis zum Ende des Krieges noch 1,8 Millionen Zugezogene und Umgesiedelte hinzukamen. Diese Zahl von fast 17 Millionen Deutschen verteilte sich auf folgende Staaten:


Deutsche Ostgebiete                          9 075 00

Danzig             388 000

Polen Tschechoslowakei                     2 370 000

Baltissche Staaten und

Memelland        100 000

Ungarn                548 000

Rumänien        498 000

Jugoslawien         435 000

(S.25)


Von dieser Gesamtzahl kamen im Zuge der Flucht vor der Roten Armee (die russische Armee) und der Vertreibung 7,9 Millionen Menschen in die Bundesrepublik Deutschland, 4,065 Menschen in die Deutsche Demokratische Republik, 370 000 Menschen nach Österreich und 115 000 in andere Staaten. Von diesen insgesamt 12,54 Millionen Menschen, die zwischen 1945 und 1950 ihre Heimat verloren, nahm Bayern 1.929.263 Menschen auf und stand damit an der Spitze der deutschen Aufnahmeländer. Nach den Herkunftsgebieten waren die Sudetendeutschen aus Böhmen, Mähren und der Slowakei mit 1 025 205 Menschen die stärkste Vertriebenengruppe, gefolgt von den Schlesiern mit 458 860 Menschen. Alle anderen Vertriebenen aus den europäischen und deutschen Vertreibungsgebieten blieben jeweils unter 100 000 Menschen, wobei die Ostpreussen immerhin mit 87.370 Menschen vertreten waren. Zahlenmässig folgten die Deutschen aus Jugoslawien mit 66.736 Menschen, Ungarn mit 49.164 Menschen, Polen mit 48.486 Menschen, Rumänien mit 45.917 Menschen, Pommern mit 34.476 Menschen, Brandenburg mit 13.713, Danzig mit 11 166 Menschen, aus der Sowjetunion mit 10 632 Menschen und aus den Baltischen Staaten mit 8761 Menschen. (S.25)

Folie 2, Karte S.6


Es waren also sehr unterschiedliche Menschen, ganz gleich, ob sie vom preusischen Staastbewusstsein nachhaltig geformt waren, ob sie die Schicksale der Sowjetunion und des alten Russland miterlebt hatten, ob sie in Siebenbürgen und im Banat, ihre eigene reiche Sonderkultur entfalten konnten oder ob sie sich zwischen katholischen Kroaten, orthodoxen Serben und bosnischen Muslimen behaupten mussten. Es gab sicher verschiedene Grade der Integrationsfähigkeit und es war sicherlich für den bayerischen Staat keine leichte Aufgabe, diese Integration ohne kulturelle Nivellierung in die Wege zu leiten. In vielen Orten entstanden aber auch neue Kirchengemeinden der jeweils zahlenmässig schwächeren Konfession und damit ergaben sich auch fast wie von alleine meist bessere Umgangsformen miteinander. (S.27)

Doch nun zurück zu der konkreten Situation der gerade angekommenen Vertriebenen. Ein zentrales Problem war die Einfügung der Vetriebenen in die Staatsstruktur Bayerns 1945 , im Dezember wurde unter dem Druck der amerikanischen Militärregierung die bayerische Flüchtlingsverwaltung ins Leben gerufen. Ein wichtiges Argument war "man dürfe die Flüchtlinge nicht mit einer Art Sonderrecht in einen Sonderstatus mit der Gefahr einer "Ghettoisierung" im öffentlichen Leben abdrängen.(S.11)Es spielte aber auch die irreale Hoffnung auf baldige Revision des allierten Ausweissungsabkommens von Potsdam (17. Juli-2. August 1945) mit, wodurch rein palliative Massnahmen und bewusste Provisorien gerechtfertigt schienen, um den Allierten nicht allzu rasch die Last für die Vertreibung abzunehmen.

Neben der Vielfalt von aktuellen Problemen, mit denen die Regierung und die Verwaltung Bayerns täglich konfrontiert wurde und die sich vor allen auf   die Unterbringung, Ernährung, Barackenbau, Gesundheitswesen und Arbeitsplatzbeschaffung für die Flüchtlinge und Heimatvetriebenen bezogen, tauchten auch schwierige rechtliche Probleme auf. (S.12)Auch bei den administrativen Voraussetzungen der Integration dieses grossen Personenkreises, den man bewusst als "Zwangsintegration" bezeichnen muss, ging es vorerst darum, um jene administrative Knochenarbeit, um das nackte Überleben, um die Behausung und Arbeit zu sichern. (S.13)

In der Tat war dies ein umfassendes Programm bei dem auffällt, dass die Flüchtlingsverwaltung nur eine Teilverantwortung für die wirtschaftliche Integration übernehmen konnte. Mit anderen Worten, die wirtschaftliche Seite der Eingliederung lag "von Anfang an nur sehr bedingt im Kompetenzbereich der Flüchtlingsverwaltung, und zwar fortschreitend immer weniger, je mehr sich Zug um Zug die bayerische Staatsregierung konsolidierte und je weniger Staatssekretär Jaenike in wichtigen Fragen des Rückhaltes der amerikanischen Militärregierung sich sicher sein konnte..Die Flüchtlinge und Vertriebenen waren für die Besatzer   anfangs eher Objekte ihrer Politik, insofern sie potentielle Störfaktoren darstellten. Angst vor Seuchen in den Lagern spielte dabei ebenso eine Rolle wie latentes Misstrauen vor politischer Radikalisierung."(S.15)Doch ungeachtet der grossen Anlaufschwierigkeiten trug das im Verlauf der Jahre immer reichhaltiger ausgestaltete Kreditsystem wesentlich dazu bei, aus Arbeits- und Aufbauwilligen kümmerlich dahin vegetierenden Fürsorgeempfängern und Lagerinsassen erfolgreiche Unternehmer, Arbeiter und Angestellte und damit auch kräftige Steuerzahler zu machen." (S.18) So formulierte es jedenfalls der bayerische Ministeraldirektor Dr. Otto Barbarino, der unter persönlichem Risiko nach der Währungsreform vom 21. Juni 1948 schnell und effizient die Industriebetriebe mit staatlichen Krediten in harter D-Mark versorgte und so deren Aufschwung ermöglichte. Dadurch blieb auch die Zahl der Konkurse von Flüchtlingsbetrieben relativ gering. So entwickelte sich die Gablonzer Schmuckwarenindustrie in Kaufbeuren, die Schönbacher Musikinstrumente- und Geigenindustrie, mit Ansiedlungen sowohl im Raum Erlangen(Bubenreuth) im Kreis Garmisch- Partenkirchen (Mittenwald), die Graslitzer Holz- und Blechblasindustrie in Waldkraiburg. Hinzukamen die Ansiedlungen des Grossbetriebes "Siemens" in Bayern, obwohl es sich nicht im engeren Sinn um einen Flüchtlingsbetrieb handelt. Diese Beispile beweisen, dass die Eigeninitiavie, zusammen mit der Initiative lokaler Behörden, meist zum gewünschten Erfolg führte, vor allem dann, wenn der Staat bereit war, finanzielle Starthilfe und Rückendeckung zu geben.

"Der Staat war ( und ist) also als Partner im Wirtschaftsgeschen erfolgreicher gewesen denn als Befehlender und als von oben leitende Gewalt. Dies ist ein Ergebnis, dass die Grenzen des Spezialfalles der Flüchtlinge nach 1945 grundsätzlich überschreitet."(S.22) Den Vertrtiebenen selbst mag dies das berechtigte Gefühl geben, dass sie "unter den denkbar schlechtesten Bedingungen einen überdurchschnittlichen Anteil am Aufbau eines wirschaftlich gesunden Bayern hatten und dass sie damit ein Heimatrecht in diesem Land erwarben. "(S.22)


Die Kultur und das Bildungswesen der Heimatvertriebenen, die kulturelle Integration der Vertieben und damit das kulturelle Erbe, das die Neubürger in die moderne bayerische Kultur und Bildung eingebracht haben ist allerdings bis heute noch nicht ausreichend untersucht und es müssen einige Gesichtspunkte der Darstellung genügen. So kam beispielsweise der Aufbau eines praxisorientierten Mittelschulwesens, das nach dem Vorbild der alten österreichischen Bürgerschulen organisiert wurde, in Gang. Auch haben bei der Durchsetzung der christlichen Gemeinschaftschulen in Bayern die sudetendeutsche Initiative einen massgeblichen Anteil. So gründeten z. B. die Sudetendeutschen überall im Land "Heimatstuben". München entwickelte sich quasi wie von selbst zum Mittelpunkt sudentendeutscher Politik und Kulturarbeit. So wurde 1947 der "Adalbert- Stifter-Verein" auf Initaitive von Dr. Walter Becker gegründet und unter der Leitung der Baronin Johanna von Herzogenberg war eine Institution entstanden, die sich der Pflege deutsch- böhmischer und deutsch-mährischer Kulturtraditionen annahm, sich aber ebenso für die Kultur und Geschichte der Tschechoslowakei, später Tschechiens, öffnete und damit Brücken zur alten Heimat aufbaute. 1956 wurde das "Collegium Carolinum" die Forschungsstelle für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder gegründet. Unter Prof. Karl Bosl entstand ein international anerkanntes Forschungszentrum mit engen Beziehungen zum tschechischen Nachbarn. Im Jahre 1979 kamen die auf Initiative von Walter Becker geründete"Sudentendeutsche Akademie der Wissenschft und Künste"dazu, die noch heute im Sudentendeutschen Haus mit der Sudentendeustchen Landsmannschaft in München stark kulturelle Aktivitäten entfaltet. Wichtige Kristalisationspunkte der Kultur aller ostdeutschen Vertrieben und Flüchtlinge sind das "Haus des deutschen Ostens" in München und das Museum "Ostdeutsche Galerie" in Regensburg, die eine Übersicht ostdeutscher Kunstschaffung in Vergangenheit und Gegenwart bieten. (S.23)

Der Anteil der Neubürger in Industrie und Gewerbe bewirkte unter anderm auch, dass schon 1950 "49 Prozent aller Neubürger im verarbeitendem Gewerbe und im Bau und Ausbaugewerbe Arbeit fanden. "(S.27)Allerdings konnte nur ein geringer Prozentsatz der Bauern aus den Vertreibungsgebieten ihren Beruf weiterhin ausüben. Positiv hingegen war, das die Flüchtlinge und Vertriebenen in den Anfangsjahren eine ihnen fremde Erwerbstätigkeit aufnahmen und so am Wirtschaftswunder mitwirkten. Dies galt besonders im Bereich der "Schwerindustrie". Im Bergbau, im Textilgewerbe, in der Strumpfwirkerei, der chemischen Industrie, der Feinkeramik, der Glasindustrie und im Musikinstrumentenbau, also in Bereichen, die sie aus der alten Heimat mitgebracht hatten."(S.28)

Der Aufbau eines Pressewesens der Vertriebenen entwickelte sich dagegen nur langsam, da für diesen Kreis ein Koalitionsverbot bestand, also die Bildung eigener politischer Organisationen verboten war und damit keine Presselizenz beantragt werden konnte. Dieses Verbot lockerte sich erst ab Juli 1948, wo allmähliche Zusammenschlüsse der Neubürger zugelassen wurden. Ab jetzt gab es in den Zeitungen Beilagen für Flüchtlinge und Vertriebene und langsam konnte sich eine eigene Flüchtlingspresse der Landsmannschaften sowie der politischen Parteien entwickeln. 1949 entstand die "Abteilung für Ostfragen"-im bayerischen Rundfunk unter der Leitung von Dr. Hubert Hupka, die über die Heimatgebiete der Neubürger, über deren Brauchtum und Kultur berichtete.

Emigration, Vertreibung und Integration können ,ganz gleich, ob sie freiwillig oder Durch Massen vertreibungen erfolgten, auch positive Wirkungen haben, mag dies auch widersinnig erscheinen. Denn so können religiöse und kulturelle Enfaltung, geistige Energien zugeführt werden, die einer neuen pietistischen Seelenstruktur zugute kommen. So betrachtet konnte reale innere Dialektik von Bestehendem und Neuem entstehen. Und so kann das schreckliche und schmerzliche Phänomen von Flucht und Vertreibung nach 1945, eine andere und letztlich auch persönliche Bedeutung zugedacht werden. Diese schreckliche, furchtbare und unbegreifliche Dimension hatte wohl auch der Kirchenvater Augustinus im Sinne, als er meinte, das "Gott auch auf krummen Zeilen schreiben könne"(S.34)

Und so bekommt auch das Titelbild des Heftes "Hefte zur bayerischen Geschichte und Kultur Band 24", einen tiefen Sinn. Es zeigt zwei Männer, die vor dem Hintergrund eines noch unfertigen Hauses auf einer Anschlagtafel ihre neue Heimat in der Gemeinde Krailling, Siedlung Pentenried anzeigen.


Literatur:

Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur Band 24-

Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Bayern

Heribert Losert- Ein Maler der Moderne

Marie Luise Kaschnitz, Econ-Ullstein List- Verlag, Berlin- München